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Der ringförmige Probekörper wird mit einer Austragsrate von 3 kg/h aufgeschichtet. (Bildquelle: alle Ralf Mayer/Redaktion Plastverarbeiter)

Die steigenden Anforderungen an die Kunststoffverarbeitung, etwa in Hinblick auf Variantenvielfalt, Individualisierung, Funktionsintegration und On-Demand-Produktion, verlangen nach neuen Prozess- und Materiallösungen. 3D-Druck und additive Verfahren bergen das Potenzial, einen Teil dieser Zukunftsaufgaben zu lösen, in der industriellen Praxis führen sie aber nach wie vor ein Nischendasein − ihr Einsatz beschränkt sich weitgehend auf den Prototypenbau oder der Produktion von Demonstrationsobjekten.  Die Langsamkeit der Prozesse, hohe Stückkosten sowie die eingeschränkte Materialauswahl sind entscheidende Restriktionen gegenüber der klassischen Spritzgieß- oder Extrusionsfertigung. So bieten etwa die filamentbasierten Verfahren Fused Deposition Modeling (FDM), Fused Filament Fabrication (FFF) und Fused Layer Modeling (FLM) zwar die  Möglichkeit, komplexe Geometrien unter Einsatz von Stützmaterialien zu fertigen. Für eine kostengünstige Produktion insbesondere großvolumiger Bauteile sind sie aber nicht geeignet. Dabei scheint die Crux im „Umweg“ über die Filamente zu liegen. Neben ihrem hohen Preis, haben die vorplastifizierten Drähte einen weiteren Nachteil: „Es herrscht ein Mangel an zertifizierten Filamentmaterialien mit nachgewiesener Eignung“, verdeutlicht Leander Schmidt von der Technischen Universität Ilmenau, Fachgebiet Fertigungstechnik, das Problem. Hinzu kommen hohe Fertigungszeiten, verursacht durch die geringen Austragsraten der Kunststoffdrähte aus dem Druckkopf auf das Druckbett. Der Werkstoff wird im Druckkopf lediglich teilplastifiziert, was nicht nur die Austragsrate limitiert, sondern auch die Bauteil-Festigkeit beeinträchtigt.

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Projektpartner: Prof Dr. Jean Pierre Bergmann (links) und Leander Schmidt von der TU Ilmenau sowie Erika Chodura von Granula Deutschland

Diese Probleme könnten gelöst werden, wenn es gelingt, statt der Filamente direkt die Granulate in den additiven Prozess einzubringen. Genau diesen Ansatz der granulatbasierten Direktextrusion verfolgt das Projekt High Performance 3D-Druck (HP3D), in dem acht Partner aus Hochschule und Industrie zusammenarbeiten, um eine „hochproduktive Fertigungsanlage zur generativen Herstellung großvolumiger Bauteile“ zu realisieren. In dem Projekt ist die TU Ilmenau für die Prozessentwicklung und die Firma Granula für die Materialentwicklung zuständig. Entscheidender Ideengeber und Koordinator des Projektes ist dabei Dr. Martin Schilling von der Firma 3D-Schilling, Oberspier.

Herzstück des Versuchsaufbaus in Ilmenau ist der Einschneckenextruder mit Zwei-Zonen-Temperierung und -Temperaturmessung. Dabei führt die Schnecke das eingezogene Granulat − wie im Extrusionsverfahren üblich − in eine Kompressionszone und dann weiter in den Plastifizierungszylinder. Der vollständig plastifizierte und homogenisierte Materialstrang wird anschließend durch die Austrittsdüse − geometrisch definiert − auf das schichtweise entstehende Bauteil aufgetragen. Eine Besonderheit: Der Strangaustritt erfolgt optional über eine „auf dem Markt erhältliche“ Nadelverschlussdüse, wie Leander Schmid, der das Teilprojekt an der TU Ilmenau leitet, erklärt. Auf diese Weise wird ein unterbrochener Prozessverlauf möglich, ohne dass die Bauteilqualität durch am Abrisspunkt entstehende Fadenreste beeinträchtigt wird. Ein Sechsachs-Knickarm-Roboter erlaubt eine vollständig dreidimensionale Bewegung der bis auf 180 °C beheizbaren Bauplattform. In Verbindung mit der einstellbaren Schneckenposition ebnet dies den Weg zur generativen Herstellung komplexer 3D-Strukturen mit unterschiedlichen Materialien.

Austragsraten deutlich erhöht

Entscheidend für den potenziellen Einsatz des Verfahrens in der industriellen Fertigung von großen Bauteilen ist seine Schnelligkeit: „Wir können heute einen Masseaustrag von 3 kg pro Stunde realisieren“, betont Schmidt, „das entspricht dem 20- bis 30-fachen der mit üblichen FDM-Anlagen erreichten Fertigungsgeschwindigkeit.“ Zur Wirtschaftlichkeit des Verfahrens trägt zudem das passive Kühlkonzept unter Einsatz von Kühlkörpern und Kühlrippen bei, das komplett ohne Druckluft auskommt.

Die Funktionsfähigkeit der granulatbasierten Direktextrusion steht und fällt jedoch mit der Materialauswahl. Testreihen an der TU Ilmenau zeigten eine lineare Korrelation zwischen Extruderdrehzahl und Masseaustrag bei der Verarbeitung von ABS, PLA, SAN, PMMA, PP, PC/ABS und TPE. Somit waren die Forscher in der Lage, verbindliche Prozessfenster für die Produktion von Probekörpern zu definieren, also zum Beispiel den Stranggeometrie-Bereich (Breite und Höhe) festzulegen, der mit dem jeweiligen Werkstoff umsetzbar ist. Als Probekörper diente ein mehrschichtiger Ring. Einer besseren Schichthaftung zuliebe trifft der Werkstoff dabei nicht zylinderförmig, sondern als flacher Strang auf das Bauteil, was durch eine in der Düse installierte plane Andruckfläche erreicht wird. Insgesamt 50 Materialvarianten haben die Forscher auf diese Weise untersucht. Ergebnis: Eine große Gruppe der kommerziell erhältlichen, unveränderten Werkstoffe können nicht in der granulatbasierten Direktextrusion eingesetzt werden. So führten etwa Zersetzungsprozesse von marktgängigem ABS bei hohen Prozesstemperaturen zu einem ungleichmäßigen Masseaustritt aus dem Extruder. Weitere Probleme wurden durch hydrolytischen Abbau (zum Beispiel bei PLA) sowie unzureichende Viskosität und Schmelzsteifigkeit verursacht.

Modifizierte Granulate erfolgreich getestet

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Diese Probekörper wurden aus modifizierten PLA-, PVA- beziehungsweise ABS-Granulaten gefertigt.

Schlussfolgerung: Das neue Verfahren erfordert den Einsatz gezielt modifizierter Werkstoffe. Dass man solche maßgeschneiderten Polymere herstellen kann, haben die Experten des Masterbatch-Herstellers und Compoundeurs Granula bewiesen. „In enger Abstimmung mit unseren Projektpartnern und unter Nutzung der Ergebnisse zahlreicher Testreihen konnten wir mehrere Polymere entwickeln, die den Bedürfnissen der granulatbasierten Direktextrusion genau entsprechen“, erklärt Erika Chodura, technische Leiterin bei Granula.

Beispiel PVA: Aufgrund seiner Wasserlöslichkeit dient Polyvinylalkohol (PVA) in der additiven Fertigung häufig als Stützmaterial für geometrische Überhänge, das sich später leicht aus dem fertigen Bauteil entfernen lässt. Die Granulatkörner von kommerziell erwerbbarem PVA sind aber sehr hart, was eine hohe Antriebsleistung und Schneckensteifigkeit erforderlich macht. Außerdem zersetzt sich das plastifizierte Polymer sehr schnell. Das heißt, PVA kann nur in kontinuierlichen, aufgrund der zu langen Verweilzeit aber nicht in unterbrochenen Extrusionsprozessen eingesetzt werden. Desweiteren ist PVA nach dem Aushärten stark hygroskopisch, sodass die Bauteil-Steifigkeit bereits bei normaler Luftfeuchtigkeit schnell abnimmt.

Das modifizierte PVA hingegen lässt sich gut in der granulatbasierten Direktextrusion verarbeiten. Die mögliche Verweilzeit wurde gegenüber dem nicht modifizierten Werkstoff um das 20-fache erhöht bei gleichzeitig reduzierter Härte des Granulatkorns. Außerdem wird die Luftfeuchtigkeit im extrudierten Material gebunden, was die Bauteilstandzeit und -steifigkeit deutlich erhöht – und dies bei Erhaltung der guten Wasserlöslichkeit. Außer als Stützmaterial dürfte das modifizierte PVA somit auch für andere Anwendungen mit funktionalisierter Wasserlöslichkeit, etwa für temporäre Transporteinhausungen oder Feuchtigkeitsindikator-Bauteile, geeignet sein.

Beispiel PLA: Marktübliche Polylaktide können nur unter Inkaufnahme eingeschränkter mechanischer Bauteilfestigkeit in der granulatbasierten Direktextrusion verarbeitet werden, und dies auch nur in kontinuierlichen Prozessen. Denn wegen der hydrolytischen Zersetzung von PLA liegt die zulässige Verweilzeit bei unter drei Minuten, zudem hängt die Schmelzviskosität stark von der Verweilzeit ab. Sehr gute Ergebnisse lieferte hingegen das von Granula modifizierte PLA: Die zulässige Verweilzeit wurde um 70 Prozent erhöht und die Abhängigkeit der Schmelzviskosität von der Verweilzeit verringert. Desweiteren konnten die Verarbeitungstemperaturen um 25 K reduziert und die Prozesseffizienz entsprechend gesteigert werden. Fast schon spektakulär im Umfeld der additiven Fertigung sind die erzielten Bauteileigenschaften. „Die Zugfestigkeit der Schichtlagenverbunde liegt – unabhängig von der Orientierung der Schichtlagen – bei größer/gleich 80 Prozent der Zugfestigkeit von PLA-Spritzgussbauteilen“, erklärt Leander Schmidt.

Beispiel ABS: Die wegen ihrer guten mechanischen Eigenschaften und ihrer chemischen Beständigkeit geschätzten Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymere (ABS) neigen bei längerem Verarbeitungszeiten zur Krokantbildung an der Düsenspitze und dem Extruder-Auslass. Nicht so das modifizierte ABS, bei dessen Einsatz die Krokantbildung laut Schmidt auch über lange Verarbeitungszeiträume vollständig unterbunden werden konnte und das somit zum 3D-Druck auch großvolumiger Bauteile geeignet ist. Aktuell arbeiten die Projektpartner unter anderem an Modifikationen von PC/ABS mit dem Ziel, die Prozessstabilität und die Verweilzeit des Werkstoffs in der granulatbasierten Direktextrusion zu erhöhen.

Granulatbasierte Direktextrusion hat Potenzial

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Labor-Versuchsaufbau für die granulatbasierte Extrusion − mit Granulateinzug, Extruder, Absaugeinrichtung und roboterbewegter Bauplattform

Durch die Versuche in Ilmenau konnten die Forscher nachweisen, dass die generative Fertigung von Bauteilen durch granulatbasierte Direktextrusion in definierten Prozessfenstern möglich ist. Demnächst wird eine Demonstrator-Anlage installiert, die die Funktionsfähigkeit des Verfahrens unter Praxisbedingungen nachweisen soll. „Das Projekt läuft bis Ende des Jahres“, sagt Prof. Dr. Jean Pierre Bergmann, Leiter des Fachgebiets Fertigungstechnik an der TU Ilmenau, „wir sind also in der heißen Phase.“ Prof. Bergmann ist sich sicher, dass die Möglichkeit der direkten additiven Verarbeitung von Granulaten einen Branchentrend trifft. „Sowohl in der Metall- als auch in der Kunststoffverarbeitung wächst das Interesse an einer breiten Auswahl möglichst preisgünstiger Materialien, deren Anwendung nicht an einen Anlagentyp gebunden ist.“ Die Konsortiumpartner haben sich darauf geeinigt, das neue Verfahren zunächst mit verschiedenen Standardpolymeren zu testen. Die Weichen für weitere Entwicklungen sind aber gestellt. „Wir haben bewusst ein modulares Anlagenmodell gewählt“, sagt Leander Schmidt. So kann beispielsweise der Antrieb ausgetauscht werden, um Materialien verschiedener Härte, möglicherweise auch technische Kunststoffe, zu verarbeiten. Die Anlagenarchitektur soll auf die Parallelschaltung von bis zu drei Extrudern ausgelegt werden, sodass potenziell auch Mehrkomponenten- oder Hybridbauteile mit Metalleinlagen möglich wären. Bis dahin ist aber noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten: „Zurzeit fahren wir noch den Mercedes, den Bertha Benz gesteuert hat“, verbildlicht Erika Chodura, „wir gehen Schritt für Schritt und sind gespannt, wohin die Reise führt.“

Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim Autor.

Kontakt

Technische Universität Ilmenau, Fakultät für Maschinenbau, Fachgebiet Fertigungstechnik

leander.schmidt@tu-ilmenau.de

Granula Deutschland, Rudolstadt

info@granula.de

Fakuma: Halle/Stand  B4/4007

 

ist Chefredakteur Plastverarbeiter. ralf.mayer@huethig.de

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