Herr Sattel, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in der Kunststoffbranche, insbesondere im Hinblick auf den Fachkräftemangel?
Anatol Sattel: Was ich oft höre, ist, dass Unternehmen die Verantwortung auf andere schieben. Jeder sagt, die Dritten sollen das Problem lösen, anstatt selbst aktiv zu werden. Ich glaube, es ist Zeit, dass sich Unternehmen an die eigene Nase fassen und selbst Schritte unternehmen, um attraktiver für Fachkräfte zu werden. Ich kann diese allgemeine Aussage, „wir haben Fachkräftemangel“, eigentlich nicht mehr hören. Wenn ich selbst als Arbeitgeber aktiv werde und attraktive Bedingungen schaffe, dann kann ich das Problem zumindest mildern.
Das heißt, Sie sehen hier eine Verantwortung der Unternehmen selbst?
Sattel: Ja, absolut. Ich habe selbst gemerkt, dass diejenigen, die sich wirklich darum kümmern und etwas investieren, oft weniger Probleme mit Fachkräftemangel haben. Wenn ein Unternehmen darunter leidet, dann vielleicht, weil Standort, Konditionen oder Image nicht passen. Nur zu sagen, „wir haben Fachkräftemangel“, reicht nicht. Das Problem lässt sich nicht nur pauschal auf äußere Faktoren schieben.
Was ist Ihrer Meinung nach schiefgelaufen in den letzten Jahren?
Sattel: Wir haben uns stark auf die Globalisierung fokussiert, uns auf die neuen Märkte konzentriert und dabei den regionalen Bezug vernachlässigt. Unternehmen kaufen Produkte aus Südostasien, obwohl ähnliche Produkte eventuell nur drei Kilometer entfernt verfügbar wären. Das führt zu einer gewissen Entfremdung. Erstrebenswert ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit lokalen Partnern, um die Versorgungskette zu stärken und Nachhaltigkeit zu fördern.
Haben Sie konkrete Beispiele, wie sich das auswirkt?
Sattel: Bei uns bewerben sich junge Menschen als Auszubildende, die gar nicht wissen, was wir genau tun. Früher war das anders, da wusste jeder aus der „Nachbarschaft“, wofür die Unternehmen im nahen Umkreis stehen.
Wie könnte man die Wahrnehmung in der Region verbessern?
Sattel: Ein Beispiel wäre, Familientage zu veranstalten, wie dies in der Schweiz beim „Zukunftstag“ üblich ist. Dann können die Kinder ihre Eltern einen Tag lang zur Arbeit begleiten. Das sorgt über lange Sicht für Verständnis und Identifikation. Bei uns in Deutschland würde dies wohl an Arbeitsschutz- und Sicherheitsbedenken scheitern. Ich denke dennoch, dass sich solch ein Tag ermöglichen ließe. Warum nicht 2025 einen Familientag planen und den Mitarbeitern die Möglichkeit geben, ihre Kinder mitzubringen?
Sie meinen, dass es wichtig ist, den direkten Kontakt zu den lokalen Unternehmen zu stärken?
Sattel: Genau. Es ist eine Möglichkeit, die Bindung zu stärken. Es ist nicht notwendig immer groß zu denken – lokale Verankerung ist wichtig.
Herr Sattel, was hat Sie veranlasst Kunststofftechnik zu studieren?
Sattel: Mein Opa hat Modellflugzeuge aus Kunststoff gebaut und wir haben oft gemeinsam an diesen Modellen gearbeitet. Das hat mir großen Spaß bereitet und bereits damals bei mir eine gewisse Faszination für den Wertstoff Kunststoff geweckt.
Was hat Ihnen an Kunststoff im Vergleich zu anderen Materialien besonders gefallen?
Sattel: Ich fand die Vielseitigkeit des Materials spannend. Kunststoff ist extrem vielfältig einsetzbar und lässt sich in so vielen Bereichen einsetzen, sei es im Leichtbau oder im Verpackungs-, Automobil- oder auch Medizinsektor. Diese Flexibilität ist ein großer Vorteil gegenüber anderen Werkstoffen, deren Anwendungsmöglichkeiten oft begrenzter sind.
Würden Sie heute noch einmal Kunststofftechnik studieren?
Sattel: Ja, aufgrund der Vielseitigkeit der Anwendungen auf jeden Fall. Allerdings habe ich mir zuletzt häufiger Gedanken darüber gemacht, wo die Branche in zehn Jahren stehen wird. Ich bin zwar überzeugt, dass die Kunststoffbranche auch in Zukunft relevant bleibt, aber junge Leute müssen wissen, dass sie sich in ein Gebiet mit großen Herausforderungen begeben. Der Imagewandel, den die Kunststoffbranche und der Wertstoff Kunststoff durchlaufen, ist herausfordernd. Trotzdem ist die Vielfalt an Produkten aus Polymeren attraktiv und essenziell.
Sehen Sie die Zukunft also positiv?
Sattel: Ich sehe Potenzial, ja. Die Kunststoffbranche wird weiterhin wichtig sein und sie kann Spaß machen, aber sie muss sich wandeln und den Imageproblemen stellen. Wer heute in die Branche einsteigt, sollte sich dessen bewusst sein. Das gilt heutzutage auch für andere Berufe – technisches Wissen und Handwerk werden in Zukunft gefragt sein – mehr denn je.