Martine Brandsma, Direktorin des NTCP, und Freek Van Rhijn, technischer Direktor vor dem Testzentrum in Heerenveen, Niederlande.

Martine Brandsma, Direktorin des NTCP, und Freek Van Rhijn, technischer Direktor vor dem Testzentrum in Heerenveen, Niederlande. (Bild: Lindner Washtech)

Im Norden der Niederlande, eingebettet in der Provinz Friesland, liegt die 50.000 Seelengemeinde Heerenveen. Seit 2018 ist dies auch die Heimat des Nationalen Testzentrums für Kunststoffrecycling, kurz NTCP. Es ist seines Zeichens das erste unabhängige Test- und Forschungszentrum Europas, welches heterogene Kunststoffabfallströme bis auf das Pixel genau analysieren kann. Und das nicht mit den sonst oft in Forschungseinrichtungen auffindbaren Versuchslaboren, sondern mit hochmodernen Anlagen: roh, industriell, laut und mit echtem Abfall.

Alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette miteinbinden

Die Idee hinter dem NTCP: Je mehr Kunststoffe in den richtigen Sortierstrom gelangen und den richtigen Weg zu den mechanischen und chemischen Recyclern nehmen, desto höher ist der Prozentsatz an Kunststoffen, die im Kreislauf verbleiben. Aber so einfach das auch klingt, so komplex ist dies in der Realität. Brandsma: „Ich vergleiche es manchmal mit einem Schachspiel, das auf sieben Brettern gleichzeitig stattfindet – und auf jedem werden Züge gemacht“.

Umgemünzt auf das Recycling bedeutet das: Alle, die am Recyclingprozess teilnehmen, die Wertstoffsammler, Sortierer und Recycler, entwickeln sich stetig weiter. Dadurch befindet sich das System in einem stetigen Wandel. Um einzelne oder größere Prozessschritte zu untersuchen, verfügt das NTCP über eine 25 mal 20 m lange und 9 m hohe Industrie-Sortieranlage, mit welcher der gesamte Sortierprozess (bis zu 2 t/h) simuliert werden kann. Der modulare Aufbau erlaubt es, die Einstellungen an die unterschiedlichen Testanforderungen anzupassen und genauestens zu analysieren. Auch das Zusammenspiel verschiedener Sortiertechniken kann so getestet und optimiert werden.

Das Gebäude des NTCP
Das Gebäude des NTCP – das erste unabhängige Testzentrum für Kunststoffrecycling in Europa mit hochindustriellen Recyclinganlagen. (Bild: Lindner Washtech)

Kunststoffrecycling: Der große Überblick

Mann mit Kreislaufsymbol auf dem T-Shirt
(Bild: Bits and Splits - stock.adobe.com)

Sie wollen alles zum Thema Kunststoffrecycling wissen? Klar ist, Nachhaltigkeit hört nicht beim eigentlichen Produkt auf: Es gilt Produkte entsprechend ihrer Materialausprägung wiederzuverwerten und Kreisläufe zu schließen. Doch welche Verfahren beim Recycling von Kunststoffen sind überhaupt im Einsatz? Gibt es Grenzen bei der Wiederverwertung? Und was ist eigentlich Down- und Upcycling? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.

Waschprozesse simulieren und optimieren

Die von NTCP betriebene Sortieranlage füllt derzeit die Hälfte der zur Verfügung stehenden tausend Quadratmeter der Produktionsfläche aus. Die andere Hälfte ist für eine neue Waschanlage reserviert, welche im August 2022 vom Kunststoffrecycling-Spezialisten Lindner Washtech installiert und in Betrieb genommen wird.

Das modulare System der Anlage ermöglicht es, dass der Waschprozess in jedem einzelnen Schritt genau untersucht und quantifiziert werden kann. Freek Van Rhijn, technischer Leiter des NTCP: „Bald werden wir hier den gesamten Waschprozess für alle Materialien simulieren und optimieren können. Von der Zerkleinerung, der Trockenwäsche, der Kalt- und Heißwäsche, der Dichtetrennung, der mechanischen und thermischen Trocknung bis hin zur Trennung mit einem Flakesortierer. Wir achten auch auf die benötigten Waschmittel und die Umweltauswirkungen von mehr oder weniger Wasser. Wie wirkt sich fünf oder zehn Grad kühleres Waschen auf den Energieverbrauch aus? Was ist im Abwasser und was kostet dessen Entsorgung? Mit der neuen Waschanlage übernehmen wir den letzten Schritt vom Sortieren bis hin zur sauberen Kunststoffflocke".

So wird jedes Waschmodul individuell an jeweiligen Kunststoff angepasst

Bei der Entwicklung der neuen Kunststoff-Waschanlage arbeitete Van Rhijn mehrere Monate lang mit den Ingenieuren von Lindner Washtech eng zusammen. Harald Hoffmann, Geschäftsführer des Unternehmens aus Großbottwar (Deutschland), zeigt sich sehr erfreut, dieses Leitprojekt aktiv mitgestalten zu können.  Er ist davon überzeugt, dass die Testlinie in ihrer Gesamtheit die Recyclingindustrie enorm beeinflussen und für einen großen Entwicklungssprung sorgen wird. "Das modulare System wird es bald ermöglichen, verschiedene Kunststoffarten unterschiedlichen Waschtests zu unterziehen. Das ist realisierbar, da die Module unabhängig voneinander in den Prozess integriert werden können. Außerdem kann jedes Waschmodul separat an die Bedürfnisse der jeweiligen Kunststoffart und deren Verschmutzungsgrad angepasst werden. Diese Flexibilität schafft vielfältige Möglichkeiten, die es erlauben, den Prozess in jedem Schritt zu optimieren und gleichzeitig die Produktion eines hochwertigen Rezyklates zu gewährleisten.  Forschungen und Tests wie diese leisten einen aktiven Beitrag zur Recycling-Rentabilität, zur Erhöhung der Recyclingquote und dem Umweltschutz“, so Hoffmann.

Zu den von Lindner Washtech gelieferten flexiblen und hoch spezialisierten Systemkomponenten zählen nebst der komplexen Waschanlage ein universeller Kunststoffschredder der Baureihe Antares sowie eine Nassschneidmühle. Der eigentliche Waschprozess kann mit den unterschiedlichen Waschkomponenten punktgenau auf das Inputmaterial und dessen Verschmutzungsgrad angepasst werden. Dazu stehen ein Trockenreiniger, Vorwäscher, Friktionswäscher oder diverse Hot-Wash-Komponenten zur Verfügung. Auch im Bereich der Trennung und Trocknung kann der Kunde auf diverse Optionen zurückgreifen. Bei der Materialtrennung und -trocknung können verschiedene Optionen gewählt werden, um den optimalen Prozess für das jeweilige Material zu entwickeln und zu gestalten. So wird die NTCP Anlage über einen mechanischen Trockner, einen Stufentrockner, aber auch über eine thermische Trocknung speziell für Folien verfügen.

Modulare Waschanlage von Lindner Washtech
Die modulare Waschanlage von Lindner Washtech wird im August 2022 installiert und ermöglicht, jeden einzelnen Schritt des Waschprozesses im Detail zu analysieren und zu quantifizieren. (Bild: Lindner Washtech)

Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Anwendern

Da es sich beim NTCP um eine unabhängige Not-For-Profit-Organisation handelt, die ihre Gewinne wieder reinvestiert, werden unterschiedliche Organisationen und Interessensgruppen innerhalb der Wertstoffkette des Kunststoffrecylings gleichermaßen angesprochen. Viele nationale und auch internationale Unternehmen haben bereits ihr Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet. Freek van Rhijn, der im Oktober 2019 als technischer Leiter an Bord kam, ist nicht überrascht, dass die Auftragsbücher von NTCP von Beginn an mit Projekten gefüllt waren: „Wenn die Leute hierherkommen, trauen sie ihren Augen nicht. Sie stellen sich eine Art Labor mit kleinen Maschinen vor. Aber wir haben hier echte Industrieanlagen. Jeder, mit dem wir sprechen, sieht die Vorteile, die wir in dieser Größenordnung haben.“ Die Aufträge kommen von einer Vielzahl großer und kleiner Parteien, darunter Sortierer, Recycler, Markeneigentümer, Einzelhändler, Verpackungsunternehmen und anderen Akteuren des Kunststoffrecyclings und auch internationale Markenunternehmen haben sich bereits mit Forschungs- und Testanfragen an das NTCP gewandt.

Auch die Lindner Washtech beabsichtigt, diese Einrichtung für die Weiterentwicklung ihrer Waschkomponenten und für die Prototyptestung zu nutzen. „Wir wollen die Versuchsmöglichkeiten im NTCP künftig auch für eigene Neuentwicklungen nutzen. Weiters werden wir auch dafür sorgen, dass unsere jüngsten Innovationen für NTCP-Testläufe zur Verfügung stehen. Letztlich profitiert die gesamte Kunststoffindustrie von Testmöglichkeiten und Anlagen in dieser Größenordnung“, meint Georg Krenn, technischer Leiter von Lindner Washtech.

Tests und Forschung im Bereich der Haushaltsabfallströme vorantreiben

Ausgehend von dem festen Ziel, die Menge an recyceltem Material zu erhöhen und die Innovation in den verschiedenen Wertschöpfungsketten zu beschleunigen, wird das NTCP den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Direktorin Martine Brandsma sieht sogar eine herausragende Rolle für nachhaltige Kunststoffe auf dem europäischen Spielfeld voraus. „Wir wollen der bevorzugte Partner für Tests und Forschung im Bereich der Haushaltsabfallströme werden. Wir sind zu achtzig Prozent auf dem richtigen Weg, um das für 2022 gesetzte Ziel zu erreichen. In kurzer Zeit sind wir als unabhängiger Partner anerkannt worden und die Ergebnisse wurden auf nationaler und internationaler Ebene bestätigt und geschätzt. Das zeigt zum einen, dass ein enormer Bedarf vorhanden ist. Andererseits ist es eine Bestätigung dafür, dass wir das Geschäftsmodell richtig aufgestellt haben und mit den Projekten gute Ergebnisse erzielen. Wir arbeiten hier mit einer kleinen Gruppe von Menschen. Darauf können wir also sehr stolz sein."

Quelle: Lindner Washtech

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