Mann sitzt an einem Tisch und lacht in die Kamera

Gerhard Böhm ehemaliger Geschäftsführer Vertrieb und After Sales beim Spritzgießmaschinenbauer Arburg. (Bild: Arburg)

Herr Böhm, was waren die größten Herausforderungen, denen Sie in Ihrer Rolle als Geschäftsführer Vertrieb und After Sales bei Arburg begegnet sind?

Gerhard Böhm: Eine der größten Herausforderungen in meiner Zeit bei Arburg war definitiv die Covid-19-Pandemie. Niemand konnte vorhersehen, welche drastischen Veränderungen sie mit sich bringen würde. Die Pandemie kam nach einer langen Phase wirtschaftlichen Wachstums, die fast ein Jahrzehnt anhielt. Seit der Finanzkrise von 2008/2009 befanden wir uns in einer wirtschaftlichen Hochphase, die 2019 durch den Wandel in der Automobilindustrie hin zur E-Mobilität den ersten Dämpfer erhielt. So waren die Sorgen zu Beginn der Covid-Phase groß. Dass die Medizintechnik und insbesondere der private Konsum in den Jahren 2020 und 2021 einen Nachfrageboom auslösen würden, hatten wir so nicht auf dem Plan. Neben den vielen Herausforderungen in dieser Zeit war das ein erfreulicher Effekt.

Jetzt, in der Zeit nach der Pandemie, stehen wir vor neuen Herausforderungen. Die wirtschaftliche Lage ist aus verschiedensten Gründen weltweit auf einem sehr schwachen Niveau. Eine Erholung ist nicht wirklich zu erkennen. Hinzu kommt der zunehmende Wettbewerb durch asiatische Hersteller, die den europäischen Markt mit günstigen Produkten immer stärker penetrieren. Diese preisgünstigen Produkte zeichnen sich durch eine ausreichende Qualität aus und kommen in weniger anspruchsvollen Aufgabenstellungen immer mehr zum Einsatz.

Gibt es einen spezifischen Punkt, der für Arburg derzeit besonders schwierig ist?

Böhm: Ich würde das nicht nur auf Arburg beziehen, sondern auf den gesamten deutschen Maschinenbau. Die Konkurrenz aus Asien ist für den gesamten Sektor eine neue Herausforderung, die wir in dieser Form noch nicht erlebt haben. Die preisgünstigen Produkte haben einen Qualitätsstandard erreicht, der für viele Firmen attraktiv ist. Steigende Standortkosten in Europa bei wachsendem Kostendruck werden damit zumindest teilweise kompensiert.

Die Herausforderung für uns als deutsche Maschinenbauer besteht nun darin, unsere Geschäftsmodelle zu überdenken und Lösungen zu finden, wie wir trotz dieser Konkurrenz bestehen können. Daher ist es von besonderer Bedeutung, dass wir weiterhin innovative Produkte und umfangreiche Dienstleistungen anbieten, also die Lösung in den Vordergrund stellen.

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Faktoren für einen erfolgreichen Kundendienst heute?

Böhm: Der Begriff „Kundendienst“ greift für mich deutlich zu kurz. Es geht um weit mehr als die klassische Reparatur der gelieferten Produkte. After Sales beginnt bereits bevor die neue Maschine beim Kunden ankommt und umfasst alle Dienstleistungen, die den Kunststoffverarbeiter vollumfänglich zu unterstützen. Dazu gehören Schulungen, Applikationswissen, Nachhaltigkeitsaspekte, Produktivitätssteigerung, die Betreuung der Maschinen über ihre gesamte Lebensdauer hinweg. In Zeiten des Fachkräftemangels ist es wichtig, dass wir die Mitarbeiter schulen und auf den neuesten Stand bringen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt sind digitale Services. Dazu zählen etwa Ersatzteilbeschaffung über digitale Plattformen oder auch Predictive Maintenance, also vorausschauende Wartung, die verhindert, dass Maschinen unerwartet ausfallen. Das Ziel ist es, dass der Verarbeiter sicher, effizient und in optimaler Qualität produzieren kann – und das weltweit. Mit der Arburg Solutionworld bieten wir genau ein solches Paket an.

Wie hat sich die Spritzgießmaschinenbranche in den letzten Jahren verändert?

Böhm: Die Branche polarisiert sich. Einfachen Fertigungslösungen stehen verkettete Fertigungssysteme gegenüber. Die zunehmende Nachfrage nach sehr spezifischen, lösungsorientierten Ansätzen belegt den Trend. In diesen Fällen geht es nicht nur darum, eine Standardmaschine zu verkaufen, sondern als Lösungspartner gemeinsam mit dem Kunden maßgeschneiderte Fertigungszelle zu entwickeln. Das kann zum Beispiel die Integration von Automatisierung, Mess- und Prüftechnik oder anderen Zusatzsystemen sein.

Wie sehen Sie die Zukunft der Kunststoffindustrie?

Böhm: Positiv! Ich bin absolut überzeugt, dass Kunststoff auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen wird. Die Diskussionen über das sogenannte „Kunststoff-Bashing“ sind nicht zielführend. Kunststoff ist ein unverzichtbarer Werkstoff.

Leider beginnt die Herausforderung immer noch mit den fehlenden Entsorgungssystemen in vielen Teilen der Welt. Das sollten wir bei allen Bemühungen in den Industrieländern nicht vergessen. Hier müssen wir neben den Bemühungen um eine funktionierende Kreislaufwirtschaft eben auch ansetzen.

Was können Unternehmen tun, um junge Menschen für die Kunststoffbranche zu begeistern?

Böhm: Ich glaube, es ist wichtig, jungen Menschen klarzumachen, dass Kunststoff nicht per se schlecht ist, sondern dass er nachhaltig eingesetzt werden kann. Kunststoff hat viele Vorteile, die wir in der Öffentlichkeit stärker betonen müssen. Energiewende, Digitalisierung – wie soll das ohne Kunststoff funktionieren? Gesundheit ohne sterile Hilfsmittel – keine Chance. Lebensmittel für mehr als acht Milliarden Menschen – undenkbar.

Wir müssen jungen Menschen zeigen, dass sie in der Kunststoffbranche an der der Lösung wichtiger Zukunftsfragen arbeiten. Neben den etablierten Unternehmen gibt es so viele Start-Ups und Organisationen, die sich mit der Nachhaltigkeit von Kunststoff beschäftigen. Die anstehenden Herausforderungen sind spannend und bieten jungen Menschen die Möglichkeit, viel zu bewegen.

Welche Erfahrungen aus Ihrer Laufbahn haben Sie Ihrem Nachfolger Tobias Baur mit auf den Weg gegeben?

Böhm: Tobias Baur und ich kommen beide aus dem Maschinenbau, und wir teilen viele ähnliche Erfahrungen. Was ich ihm vor allem mit auf den Weg gegeben habe, ist meine Begeisterung für Kunststoff. Ich habe ihm gesagt, dass Kunststoff ein fantastisches Material ist, mit dem man unglaublich viele spannende Dinge machen kann.

In unserer Branche produzieren wir fertige, saubere Teile direkt aus der Maschine – das ist etwas, was man in vielen anderen Bereichen des Maschinenbaus so nicht hat. Das begeistert mich immer wieder, und ich bin sicher, dass Tobias Baur diese Begeisterung ebenfalls teilt.

Welche Pläne hat die Privatperson Gerhard Böhm für die Zeit nach dem Ausscheiden bei Arburg?

Böhm: Ich freue mich sehr auf die Zeit nach meiner beruflichen Karriere. Es gibt viele Dinge, für die ich meist zu wenig Zeit hatte. Das fängt bei den Enkelkindern an. Meine Frau und ich werden mehr Zeit in Italien in den Cottischen Alpen verbringen, wo wir ein kleines Domizil haben. Außerdem möchte ich mich weiter im Bereich Nachhaltigkeit engagieren. Meine Frau, die als Schulleiterin tätig war, hat ebenfalls ein großes Interesse an diesem Thema. Gemeinsam wollen wir uns dafür einsetzen, junge Menschen, insbesondere Grundschulkinder, für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Kinder sind extrem stolz, wenn Sie darüber Bescheid wissen – das ist doch herrlich.

Natürlich werde ich auch wieder mehr Zeit für meine Hobbys haben. So wird es sicher mehr Kilometer mit dem Fahrrad und dem Motorrad geben. Und dann sind da ja noch die Bergschuhe, Ski und, und, und – darauf freue ich mich sehr.

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