Mann erklärt etwas an einer digitalen Tafel

MBA & Eng. Sven Otterbein, Studienrat, Berufliche Schulen Gelnhausen (Bild: sven Otterbein)

Die Welt der Kunststoffe habe ich während meiner Ausbildung zum Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik in der Reifenindustrie kennengelernt. Der Werkstoff hat mich begeistert, er ist vielfältig einsetzbar, und es gibt unzählige Verarbeitungsverfahren. Um noch mehr zu erfahren, entschloss ich mich nach meinem ersten Gesellenjahr für eine zweijährige Weiterbildung zum staatlich geprüften Techniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik. Hier lernte ich noch mehr über die Chemie, die Verfahrenstechnik und den Werkzeugbau in der Kunststofftechnik. Doch weiteres Wissen erzeugte eine noch größere Neugier. Nach meinem Abschluss habe ich direkt ein Stellenangebot erhalten und dieses auch angenommen. Ich konnte mein Wissen als Kunststofftechniker bereits gut in der Praxis anwenden, jedoch war da noch diese Neugier.

An der Fachhochschule Südwestfahlen gibt es ein Studienmodell, bei dem berufsbegleitend Kunststofftechnik studiert werden kann, das sogenannte Verbundstudium. Mit dem Gedanken „mal schauen, ob ich das schaffe“ habe ich mich eingeschrieben. Also fuhr ich jeden zweiten Samstag circa 400 km, um die Welt der Kunststoffe weiter zu erkunden. Es war die richtige Entscheidung. Besonders die Rheologie der Kunststoffe und die Verfahrenstechnik haben mich im Studium fasziniert. Nicht zuletzt lag es auch an den Professoren und Dozenten, begeisternd über ihr Fach referierten.

Als Kunststoffingenieur war ich unter anderem beim Auslegen von Stoßfängerwerkzeugen beteiligt. Es ist beeindruckend, wenn ein 50 t Werkzeug in eine 4.000 t Spritzgießmaschine eingebaut wird und dann alles präzise und mit einer enormen Geschwindigkeit funktioniert. Mein Wissen konnte ich auch bei der Entwicklung neuer Spritzgieß-, Extrusion- oder Blasformprozesse einbringen. Ich reiste um die Welt und durfte in Mexiko, Portugal, Italien und China Werkzeuge bemustern und neue Verfahren einführen, die Kolleginnen und Kollegen schulen und bei Fragen weiterhelfen. Nach einiger Zeit ergab sich für mich die Möglichkeit, bei der Entwicklung von elektrisch leitfähigen Kunststoffen mitzuwirken. Diese Materialien haben wir dann für die Herstellung von Elektroden für Redox-Flow-Batterien verwendet. Diesmal hieß es also Compoundieren, Extrudieren, Pressen, Kalandrieren und Schweißen.

Bei all meinen Stationen habe ich feststellen können, dass Kunststoffingenieure im Verhältnis zu anderen Disziplinen wie beispielsweise dem Maschinenbau in der Unterzahl sind. Für den Kunststoffingenieur ein Vorteil, da die Konkurrenz überschaubar ist. Jedoch führt dies auch dazu, dass Prozesse nicht immer optimal gestaltet werden können – über was soll man nachdenken, wenn man nichts weiß? Dies wiederum kann unnötige ökonomische und ökologische Folgen nach sich ziehen.

Ich wollte dafür sorgen, dass das Wissen in der Kunststoffwelt weiterverbreitet wird. Also entschloss ich mich für den Quereinstieg als Berufsschullehrer und startete ins Referendariat, um das zweite Staatsexamen abzulegen. Nun habe ich die Möglichkeit, neben den Kunststofftechnologen und Kunststofftechnologinnen auch staatlich geprüfte Techniker/innen aus- und weiterzubilden. Wie auch meine ehemaligen Lehrer, Dozenten und Professoren berichte ich mit Begeisterung von diesem Werkstoff. Es ist schön zu sehen, wenn der Funke der Begeisterung überspringt.

Auch wir an der Berufs- und Fachschule merken einen deutlichen Rückgang bei der Anzahl der Auszubildenden und Studenten im Bereich der Kunststoff- und Kautschuktechnik. Dabei suchen die Unternehmen händeringend nach Fachleuten. Kunststoffe sind leider in Verruf geraten. Doch wenn wir einen Werkstoff haben, der vielfältig einsetzbar ist, der Leichtbau ermöglicht, der den Fortschritt in der Medizintechnik vorangetrieben hat, dann sollten wir erst recht unseren Kunststoff von fachkundigen Menschen entwickeln und herstellen lassen. Nur so können wir jetzt und auch in Zukunft sicherstellen, dass Ökologie und Ökonomie in Einklang gebracht werden.  

Ich würde wieder Kunststofftechnik studieren, und wer weiß, vielleicht ist meine Reise in der Kunststoffwelt noch nicht zu Ende.

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