Ein essentieller Bestandteil des Entwicklungsprozesses ist das Testen der Komponenten. Darum laufen Energieketten beispielsweise wochen- und monatelang durch eine Rinne. Das eine Ende festgezurrt, das andere fährt mit einem Schlitten auf und ab. Zehntausende Mal.

Ein essentieller Bestandteil des Entwicklungsprozesses ist das Testen der Komponenten. Darum laufen Energieketten beispielsweise wochen- und monatelang durch eine Führungsrinne. Das eine Ende festgezurrt, das andere fährt mit einem Schlitten auf und ab. Zehntausende Mal. (Bild: David Löh/Redaktion Plastverarbeiter)

Ohne Neuheiten geht es nicht. Das gilt für Smartphonehersteller, und für Komponentenhersteller in der Industrie ebenso. Wer jetzt denkt, das Problem daran sei, dass die Ideen für neue Produkte den Unternehmen nicht einfach zufliegen, liegt komplett falsch. Ein offenes Ohr für Kunden haben, oder schlimmer: den Puls am Markt haben, sind gängige Marketing-Floskeln um zu beschreiben, dass Unternehmen den Nutzern bestehender Produkte zuhören. Diese Anregungen zu hören, ist aber vergleichsweise leicht. Daraus aber immer vielseitigere, handlichere Produkte zu machen und damit geschäftlichen Erfolg zu haben, das ist schwer.

Ein Beispiel wie das klappen kann, zeigt Christian Barthen, Leiter des Geschäftsbereichs E-Ketten bei Igus, Köln: Er greift in seine Neuheitenkiste (jeder Außendienstler bekam eine mit allen neuen Energieketten-Komponenten) und zieht die Energiekette E4.64L heraus, in deren abgedichtete Anschläge kein Staub eindringt. „Wofür brauchen wir so was?“, fragt Barthen rhetorisch. Schließlich dürfte es kaum jemanden stören, wenn sich ein wenig Hallenstaub auf die E-Kette oder die darin geführten Kabelstränge legt. In der Holz-verarbeitenden Industrie kommt manchmal allerdings so viel Holzstaub und -mehl zusammen, dass es die Funktion der Energiekette einschränkt. „Die konnte sich nicht mehr komplett biegen, weil die Räume zwischen den Anschlägen verstopft waren. Und dadurch ist die Kette dann ein kleines bisschen aufgestiegen.“ Nach und nach setzten sich die Hohlräume immer weiter zu, bis die Kette so weit aufstieg, dass sie an die Bauraumgrenzen stieß, also andere Anlagenteile. Das wiederum führt zu Produktionsstillstand. Denn wenn sich die Energiekette nicht mehr ausreichend bewegen kann, gilt das ebenso für den Roboter oder andere Komponenten, die auf die Leitungen im Inneren angewiesen ist. Die erste Lösung für dieses Problem waren Ketten mit außenliegenden Anschlägen. Diese Modelle hatte das Kölner Unternehmen schon lange im Angebot. „Alles, was sich dort ansammelt, kann sofort wieder rausgeschoben werden.“ Die Bewegungsfreiheit der Kette bleibt also erhalten. Das Problem war aber die geringere Innenhöhe im Vergleich zu der ursprünglichen Kette des Anwenders, verursacht durch dickere Stege innerhalb der Kettenglieder. Darin brachte er nicht alle Leitungen unter. Barthen erklärt: „Aber da haben wir uns zusammengesetzt und überlegt. Relativ schnell kamen wir auf die Idee, dass es sehr einfach ist, das Spritzgusswerkzeug abzuändern, um eine andere Aufnahme für die Stege zu produzieren.“ Diese Stege waren zwar dünner und damit empfindlicher als die ursprünglichen. Aber die Anwendung erforderte ohnehin weniger eine stabile als vielmehr eine bewegliche Kette. „So haben wir innerhalb von einer Woche das Ganze geändert, quasi ein neues Produkt geschaffen“, erfreut sich Barthen an dem Erfolg. Jedenfalls ein Produkt, mit dem sie dem Kunden schnell weiterhelfen konnten, fügt er hinzu. Weitere Entwicklungsschritte folgten, bis der Hersteller die Energiekette mit integrierter Dichtung ins Portfolio aufnahm und auf der Hannover Messe 2015 offiziell vorstellte.

Christian Barthen, Leiter des Geschäftsbereichs E-Ketten bei Igus, Köln, zeigt die staubdichten Energieketten, an deren Anschlägen sich kein Holzmehl festsetzen kann. (BIldquelle: David Löh/Redaktion Plastverarbeiter)

Christian Barthen, Leiter des Geschäftsbereichs E-Ketten bei Igus, Köln, zeigt die staubdichten Energieketten, an deren Anschlägen sich kein Holzmehl festsetzen kann. (BIldquelle: David Löh/Redaktion Plastverarbeiter)

Das Literarische Quartett für Energieketten

„Wir machen einmal im Jahr unsere Weihnachtsaktion, bei der wir alle Kunden weltweit aktiv auffordern, uns zu sagen, was ihm fehlt, was er sich von uns wünscht“, erzählt Barthen. Da kämen jedes Jahr interessante Ideen zurück, die das Unternehmen gegebenenfalls auch umsetze, beteuert er.

Neue Ideen kommen aber natürlich auch durch Kundenfeedback, das sich Unternehmen nicht unbedingt wünschen: Reklamationen. Barthen sieht das sportlich: „Durch Reklamationen lernt man auch sehr, sehr viel.“ Diese Anregungen nimmt er mit in die wöchentliche Runde, an der außer ihm der Geschäftsführer Frank Blase, der Prokurist für Energieketten Harald Nehring und der Konstruktionsleiter Andreas Hermey teilnehmen. „Dort überlegen wir einmal die Woche, wie wir weitermachen“, ergänzt Barthen. Auf welche Neuheiten konzentrieren sie sich, wie sollen diese aussehen? Diese Fragen stehen dabei im Mittelpunkt. Auch strategische Aspekte spielen hier mit rein.

3D-Druck: Erst einmal einen Protoypen

Sind diese Fragen geklärt, beginnt der eigentliche Entwicklungsprozess: Zunächst erstellt ein 3D-Drucker ein Modell. „Das ist heute unerlässlich“, sagt Barthen. Erfüllt der Prototyp die Anforderungen, ist das Beauftragen eines Spritzgusswerkzeugs der nächste Schritt. Die ersten spritzgegossenen Teile wandern ins Labor, wo die dortigen Mitarbeiter gründlich prüfen und testen. Deren Änderungswünsche fließen in die Weiterentwicklung des Werkzeugs ein. So entsteht Schritt für Schritt ein fertiges Produkt.

Parallel dazu werden die Produktmanager aktiv. Barthen erläutert: „Schon während der Fertigung des Werkzeugs kommen die Kollegen und sagen, wir brauchen eine Artikelnummer, wir brauchen einen Preis, das Ganze muss irgendwie auf die Webseite, in den Katalog. Wir brauchen CAD-Modelle, die online sind, wir brauchen Daten für die Onlinetools und, und, und.“

Der Sechs-Achs-Roboter windet und dreht sich ununterbrochen, um die Belastung für die Energiekette während ihres ganzen Lebens zu simulieren. (Bildquelle: David Löh/Redaktion Plastverarbeiter)

Der Sechs-Achs-Roboter windet und dreht sich ununterbrochen, um die Belastung für die Energiekette während ihres ganzen Lebens zu simulieren. (Bildquelle: David Löh/Redaktion Plastverarbeiter)

Tests: So realitätsnah wie möglich

Ein essentieller Bestandteil des Entwicklungsprozesses ist das Testen der Komponenten. Auch derjenigen, die längst auf dem Markt etabliert sind. Denn verlässliche Aussagen zur Haltbarkeit der Energieketten kann der Hersteller nur treffen, wenn er objektive Daten darüber hat. Vorausgesetzt, er will den Kunden nicht als unfreiwilligen Testnutzer missbrauchen – was bisweilen in der Autoindustrie vorkommt – bekommt der Hersteller solche Daten nur durch eigene Versuche. Darum laufen Energieketten beispielsweise wochen- und monatelang durch eine Führungsrinne. Das eine Ende festgezurrt, das andere fährt mit einem Schlitten auf und ab, auf und ab. Zehntausende Mal. Dieser Test simuliert das Hin- und Herfahren von Kränen. Mit ihren dicken, schweren Kabeln, die ihnen die benötigte Energie liefern, um zig Tonnen schwere Güter zu heben. Entsprechend belastbar müssen die Energieketten sein. Denn die schweren Kabel belasten die angrenzenden Bauteile massiv.

Etwa fünfzig Meter entfernt steht ein mannshoher Sechs-Achs-Roboter, der alle seine Gelenke so dreht, als würde er sich bücken wollen, um links unterhalb seines Sockels etwas aufzuheben. Sekunden später dreht er sich in einer schwungvollen Bewegung nach rechts, reißt den Arm hoch, dreht ihn. Er verharrt kurz in dieser Stellung und kehrt schließlich zurück in die vorherige. Dabei begleitet ihn eine Energiekette, die förmlich an ihm klebt. Sie macht jede Bewegung mit. Immer und immer wieder.

In regelmäßigen Abständen kontrolliert ein Techniker die Energieketten auf Abrieb der Gelenke, eventuelle Risse, den Zustand der Kabel in ihrem Inneren und Einiges mehr. Diese realen Tests liefern Erkenntnisse, die durch Computer-Simulationen nicht zustande kämen. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Theorie zwar schon Anstöße geben kann, in welche Richtung es gehen sollte. Aber letztendlich sind die reellen Testwerte viel, viel aussagekräftiger“, erläutert Barthen. Ergänzt werden diese Tests, die innerhalb der Werkhalle stattfinden, durch Entwicklungspartnerschaften mit ausgewählten Kunden. Diese erhalten Vorserien-Modelle, die sie unter dauernder Beobachtung mit Igus-Technikern im laufenden Betrieb ausprobieren. Auf diese Weise erhält der Anwender ein maßgeschneidertes Produkt und der Hersteller bekommt neben objektiven Labordaten auch welche aus dem realen Industriealltag.

ist Redakteur des Plastverarbeiter. david.loeh@huethig.de

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51147 Köln
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