Zwei Hände halten ein I-Pad in der Hand. Osphim ermöglicht eine interaktive Werkzeugabmusterung und Prozessoptimierung.

Osphim ermöglicht eine interaktive Werkzeugabmusterung und Prozessoptimierung. (Bild: Osphim)

Der Spritzgießprozess ist aufgrund seiner vielfachen nichtlinearen Wirkzusammenhänge auf das Prozessverhalten und die dadurch bedingte Bauteilqualität analytisch nicht vollständig beschreibbar. Vor allem durch Schwankungen in den Materialeigenschaften, den Umgebungsbedingungen oder auch dem Verschleißzustand der beteiligten Anlagentechnik ist ein vollständig konstanter Produktionsprozess nicht möglich. Die Erstabmusterung/-einrichtung von Spritzgießwerkzeugen und -prozessen stellt hierbei jedoch vor Beginn der eigentlichen Serienproduktionen einen neuralgischen Punkt in der Produktionsvorbereitung dar, der die Effizienz des Prozesses maßgeblich bestimmt.
Das zu diesem Punkt zu definierende Prozessfenster, wahlweise in Verbindung mit einem Soll-Parametersatz für Drücke, Temperaturen, Zeiten und Wege, wird standardmäßig von erfahrenen Einrichtern in der Produktion festgelegt. Steigende Prozesskomplexität, zum Beispiel durch Funktionsintegration oder den Einsatz von PCR-Material, oder auch höhere Betreuungsquoten von Spritzgießmaschinen pro Mitarbeiter bedingen jedoch einen zunehmenden Zeitdruck bei der Ersteinrichtung. Hinzu kommt ein grassierender Fachkräftemangel in der Produktion: 76 % der Unternehmen berichten von offenen Stellen im Unternehmen für Fachkräfte und Auszubildende im Bereich der Kunststoffverfahrensmechanik [1]. Eine geringere Verfügbarkeit von Mitarbeitern mit spezifischem Fachwissen führt deshalb zu einer steigenden Arbeitsbelastung der aktiven Fachkräfte, was viele Unternehmen bereits seit einiger Zeit spüren. Prozessseitig kann dies auch eine verringerte Effizienz und Wirtschaftlichkeit bedeuten, da weniger Zeit pro Produktionsprozess für die Mitarbeiter zur Verfügung steht.

Werkzeugabmusterung als idealer Anwendungsfall für Mensch-Maschine-Kooperation

Bei Analyse der konkreten (Alltags-)Aufgaben der Fachkräfte im Spritzgießen wird klar, dass vielfach der „Faktor Mensch“ aufgrund der Kreativität bei der Problemlösung und der Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse unverzichtbar bleiben wird. Jedoch implementieren, planen und diskutieren 87 % der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, Technologien der Künstlichen Intelligenz (KI) einzusetzen [2]. So können unter anderem durch eine zielgerichtete Mensch-Maschine-Kooperation Routineaufgaben in der Produktion effizienter bearbeitet werden [3].
Ein geeignetes Beispiel für das Unterstützen der Spritzgießfertigung mit digitalen Systemen ist die Abmusterung eines neuen Werkzeugs und die Wahl der optimalen Einstellparameter beziehungsweise des Prozessfensters. Die Schritte im Rahmen der Werkzeugabmusterung sind mittig in Bild 1 dargestellt. Zunächst definiert der Einrichter die Maschinenparameter, die im Rahmen der Abmusterung variiert werden sollen, um deren Einfluss auf die Prozess- und Bauteilqualität zu testen. Die Maschineneinstellparameter werden durch Expertenwissen gewählt oder aus vorhergegangenen Spritzgießsimulationen abgeleitet. Die entscheidenden Qualitätsparameter wie Maße, Glanz oder das Gewicht, ergeben sich aus dem Bauteildesign und den Montageanforderungen.

Schaubild: Arbeitsschritte bei der Abmusterung von Werkzeugen (Mitte), deren personelle Zuständigkeiten (rechts) und Unterstützungsleistung durch unterschiedliche Software (links).
Bild 1: Arbeitsschritte bei der Abmusterung von Werkzeugen (Mitte), deren personelle Zuständigkeiten (rechts) und Unterstützungsleistung durch unterschiedliche Software (links). (Bild: Osphim)

Im Folgenden wird ein Versuchsdesign für die Abmusterung gewählt, welches im einfachsten Fall eine iterative Einfaktorvariation darstellt oder auch ein zuvor erstellter Versuchsplan sein kann. Für jeden einzelnen Versuchspunkt müssen die korrekten Werte eingestellt und dokumentiert werden. Zudem müssen die Bauteile sortiert, markiert und zur Qualitätsbestimmung entweder durch den Einrichter oder durch die Qualitätssicherung vermessen werden. Aus den Ergebnissen muss folglich der optimale Einstellparametersatz geschlussfolgert werden, welcher für die kommenden Fertigungsaufträge des Bauteils genutzt wird. Das erfordert Expertenwissen über die Zusammenhänge der Maschinenparameter, die Reaktion der Qualitätsparameter bei Änderung von Einstellungen und eine Möglichkeit zur Beurteilung der Prozessrobustheit ist und somit alles andere als trivial.

So arbeiten Mensch und KI-basierte Software zusammen

Einige Arbeiten wie die Prozessbeobachtung, die Organisation des Arbeitsplatzes und die Absprache zwischen Abteilungen und Kollegen können meist nur durch den Einrichter wirtschaftlich sinnvoll erledigt werden. Daneben lassen sich jedoch einige Arbeitsschritte identifizieren, für die eine konkrete Unterstützungsleistung durch Softwarelösungen die Effizienz und Qualität der Arbeit steigern kann. Dazu gehören unterschiedliche Systeme wie Statistiksoftware, MES, IIOT-Lösungen zur Datenerfassung sowie CAQ-Systeme für die Qualitätsbeurteilung.
Durch die Analyse vergangener Abmusterungen lassen sich passende Vorschläge für zu variierende Maschinenparameter in der DOE generieren, um so dem Anwender die Auswahl zu erleichtern. Eine Software für statistische Versuchsplanung kann Anwender ohne Vorerfahrung bei der Erstellung und Analyse von Versuchsplänen unterstützen. Sollte bereits Datenerfassung in der Produktion vorhanden sein, beispielsweise über ein IIOT-System, lohnt es sich zu kontrollieren, ob die Software auch die direkte Parametrierung oder Parameterüberwachung der Maschinen übernehmen kann, um manuelle Eingabefehler zu vermeiden. CAQ-Systeme können Qualitäts- und Messwerte der Bauteile bereitstellen und sind weit verbreitet. Dedizierte Systeme zur experimentellen Versuchsplanung und -durchführung können bei der Organisation von Daten aus unterschiedlichen Quellen unterstützen, zum Beispiel aus der Produktion und der Qualitätssicherung. Daraus entstehen dann Trainingsdaten, mit denen Prozess- und Qualitätsmodelle der Spritzgießprozesse erstellt werden.
Diese Modelle können Grundlage für ein KI-basiertes Recommender-System sein, um direkte Vorschläge für optimale Einstellungen und Prozessfenster aus den Daten und verfügbarem Expertenwissen abzuleiten und den Anwender bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen. Das Speichern der optimalen „Rezeptur“ sollte beispielsweise über ein zentrales System erfolgen, wodurch Verlust oder Manipulation verhindert und eine einfache Nachnutzung für folgende Fertigungsaufträge gesichert werden kann. Hierzu wird meist ein MES-System verwendet. (Bild 1, links).
Die Vielzahl der Systeme hat in der Praxis jedoch ihre Tücken. Meist ist eine Datensynchronisierung zwischen den Systemen schwer umzusetzen, wodurch die Daten letztlich verteilt und unzusammenhängend vorliegen. Viele Unternehmen und Mitarbeiter ärgern sich deshalb über manuelle Prozesse wie das Zusammenführen von Daten, herausfordernde Prozessanalyse oder auch fehlende Qualitätsmessungen beziehungsweise Informationen zu Ausreißern, die aufgrund von Datensilos und damit fehlender Synchronisierung in unterschiedlichen Softwaresystemen nicht nachzuvollziehen sind.

Schematische Abbildung der zweiteiligen Lösung von Osphim: Box und Web.
Bild 2: Schematische Abbildung der zweiteiligen Lösung von Osphim: Box und Web. (Bild: Osphim)

So erfolgt die Ende-zu-Ende-Unterstützung

Das Start-up Osphim vermeidet diese Probleme durch eine „Ende-zu-Ende“-Unterstützung der Werkzeugabmusterung. Es wird eine zweiteilige Lösung eingesetzt (Bild 2): Die Osphim-Box wird genutzt, um die Kommunikation zu der Anlagentechnik herzustellen und sowohl die Datenerfassung als auch das Setzen von Parameterwerten auf den Maschinen zu ermöglichen. Mit dem Edge Device werden ethernetbasierte sowie serielle Schnittstellen unterstützt, die in der Spritzgießfertigung weit verbreitet sind. Osphim-Web ist die OT- und IT-Software, die den Anwendern Zugriff auf die Daten und dezidierte Dienste zum Optimieren der Spritzgießfertigung ermöglicht. Über diese Dienste kann die Werkzeugabmusterung vollständig über das Osphim-Web ablaufen (Bild 3).

Schaubild: Osphim-Web dient als vereinendes System zur Ende-zu-Ende-Unterstützung für die Werkzeugabmusterung.
Bild 3: Osphim-Web dient als vereinendes System zur Ende-zu-Ende-Unterstützung für die Werkzeugabmusterung. (Bild: Osphim)

Über die Plattform Osphim-Web können alle datenbasierten Arbeiten an einer DOE durchgeführt werden, angefangen bei der Definition der beteiligten Anlagen. Über das Tablet an der Maschine oder an dem Arbeitsplatz im Büro werden dem Anwender die Parameter für die DOE vorgeschlagen und festgelegt: die Maschineneinstellparameter der Versuchspunkte, aber auch die Qualitätsparameter für die Messungen. Die Steuerung der Versuche erfolgt dann ausschließlich über Osphim.

Zunächst werden je Versuchspunkt die Einstellwerte vorgegeben, geprüft und schließlich über Datenschnittstellen direkt auf die Maschine geschrieben. Im Folgenden übernimmt die Plattform die Synchronisierung von Prozessparametern von der Maschine und Peripheriegeräten, zum Beispiel der Umgebungssensorik, von Heißkanälen oder Werkzeuginnendrucksensorik. Bauteildaten von Qualitätsmessmitteln wie Waagen oder Kameras komplettieren die Datenerfassung in automatisierter Form oder werden bei Sichtprüfung der Teile durch den Anwender über ein dezidiertes Interface im Browser vervollständigt. Datenanalysen, zum Beispiel zu Effekten von Wertänderungen von Maschineneinstellparametern auf Qualitätswerte, können automatisiert abgerufen werden. Die daraus resultierenden Datensätze können dann auf Osphim-Web direkt zum KI-basierten Generieren von Vorschlägen von Prozessfenstern und optimierten Maschineneinstellungen verwendet werden. Insgesamt kann hierdurch die Einrichtzeit um fast 80 % reduziert werden.
Weitere unterstützte Anwendungsfälle in der Produktion, wie eine automatisierte Trend- und Anomalieerkennung während der Serienproduktion, werden zur Fakuma 2024 präsentiert.

Halle/Stand A3/3302

Quelle: Osphim

Literatur

[1] Jahres-Wirtschaftspressekonferenz des GKV e.V. 2024, GKV e. V.: Frankfurt a.M.
[2] Ifo Institut, Ifo Konjunkturumfragen, Juni 2024.
[3] Revitalizing Human-Machine Interaction for the Advancement of Society. Perspectives from Germany and Japan (acatech Discussion), ed. H. Kagermann and Y. Nonaka. 2019, München.

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