cloud-förmige Leiterplatte

(Bild: asrawolf - stock.adobe.com)

Umfassende Industrie-4.0-Lösungen sind bisher kaum in die Fertigung integriert. Das vor Kurzem gestartete und vom Land NRW geförderte Forschungsprojekt WIN4KMU adressiert genau diesen Umstand durch die Entwicklung einer einfach zu implementierenden IIoT-Plattform. Neben der Extraktion von Maschinendaten, deren Verarbeitung sowie Speicherung vor Ort auf Edge Devices oder in Clouds via Internet und Mobilfunk (5G) steht die Nutzung der Daten im Vordergrund. Die Projektergebnisse sollen kleinen und mittleren Unternehmen unmittelbar zur Verfügung stehen, weshalb der ständige Austausch mit der industriellen Praxis fest im Forschungsvorhaben verankert ist.

Projektteilnehmer willkommen

Das Projektkonsortium lädt alle Interessenten ein, als assoziierter Projektpartner Erfahrungen, aber auch Wünsche mit in die Projektbearbeitung einfließen zu lassen. Das Projektteam wird die Zwischenergebnisse in unregelmäßigen Abständen live in ihren Demonstrationsumgebungen vorstellen und lädt in diesem Rahmen auch zum Netzwerken mit IIoT-Fachleuten ein.

Im Jahr 2011 wurde der Begriff der vierten industriellen Revolution geprägt [1]. Heute, zehn Jahre später, ist festzustellen, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) kaum Zugang zu Industrie 4.0 finden. Dies könnte mittel- bis langfristig dazu führen, von Wettbewerbern aus dem Markt gedrängt zu werden, da die Produktion nicht mehr rentabel und zu unflexibel ist [2]. Die Gründe für die geringe Durchdringung von Industrie 4.0 speziell bei KMU sind vielfältig. Ausschlaggebend sind der Mangel an IT-Fachkräften [3, 4] sowie das enorme Angebot an Industrie-4.0-Lösungen, welches KMU oftmals überfordern und zudem häufig nicht die Anforderungen an eine unternehmensspezifische Anwendung decken [5, 6]. Daher wird in den Unternehmen der Nutzen von Industrie-4.0-Lösungen oftmals nicht erkannt. Nicht zuletzt entscheiden sich KMU aufgrund der dafür erforderlichen Investitionen dann häufig gegen Digitalisierungsprojekte [3].

IIoT-Plattform als Einstieg für KMU

Das Forschungsvorhaben „Wegbereiter in die Industrie 4.0 für kleine und mittlere Unternehmen“ (WIN4KMU) strebt an, die zuvor genannten Hürden abzubauen oder zu senken. Ziel ist es, praxistaugliche Lösungen zu erarbeiten, mit denen KMU möglichst einfach und kostengünstig an Industrie 4.0 herangeführt werden können. Letztlich geht es darum, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch den Einsatz von digitalen Lösungen zu wahren oder zu stärken. Der Kern der Forschungsarbeiten liegt im Aufbau einer branchenneutralen Industrial-Internet-of-Things-Plattform (IIoT-Plattform), deren Implementierung mit geringem Aufwand verbunden ist. Das Forschungsvorhaben setzt sich aus drei Teilprojekten zusammen:

 Die drei Teilprojekte im Forschungsprojekt WIN4KMU
Übersicht der drei Teilprojekte im Forschungsprojekt WIN4KMU. (Bild: WIN4KMU)
  • Im ersten Teilprojekt steht die Extraktion relevanter Daten aus Maschinen und Anlagen mittels Standard-Konnektoren im Fokus.

  • Das zweite Teilprojekt untersucht, wie die aus Teilprojekt eins extrahierten Daten aufwandsarm lokal vorverarbeitet und gespeichert sowie an eine Cloud übermittelt werden können (sogenannte Integration Services).

  • Das Ziel im dritten Teilprojekt ist, vorher aufgenommene Daten - unabhängig von der Branche und dem eingesetzten Fertigungsverfahren - für Anwendungsfälle zu nutzen (sogenannte Shopfloor Services).

Im Folgenden wird das Projekt vorgestellt und gezeigt, welche Relevanz die Projektergebnisse für die kunststoffverarbeitende Industrie haben.

Teilprojekt 1: Daten universell und standardisiert erfassen

Bevor ein Mehrwert aus Daten gewonnen werden kann, ist zunächst der Datenfluss aus den Maschinen, Anlagen und weiteren Systemen zu etablieren. Eine Herausforderung stellen vor allem Altanlagen dar, die über keine Schnittstelle für den Datentransfer verfügen. Die Forschungsfrage des ersten Teilprojektes lautet daher: „Wie lassen sich sämtliche Maschinen herstellerunabhängig und dazu befähigen, intuitiv Daten zu erfassen, zu übermitteln und diese semantisch interpretierbar zu machen?“ (siehe Bild unten):

Schema des Datenflusses aus den Maschinen und Anlagen
Standardisierte Konnektoren ermöglichen den Datenfluss von relevanten Datenpunkten aus den Maschinen und Anlagen. (Bild: WIN4KMU)

Zu Beginn erfolgt die Evaluation geeigneter Protokolle für die Übertragung von Daten an IIoT-Plattformen, da Protokolle die Grundlage für den Datenfluss darstellen. Aufbauend darauf soll ein Demonstrationssensorsystem zur Aufnahme und Weiterleitung der Daten entwickelt werden. Das umfassende Erproben dieses Sensorsystems, zunächst in Testumgebungen und anschließend bei KMU-Testbetriebspartnern, dient zur Sicherstellung der Funktionalität in der Praxis und schließt dieses Teilprojekt ab. Das Ergebnis dieses Teilprojektes sind standardisierte Konnektoren, die den Datenfluss aus den Maschinen ermöglichen.

Teilprojekt 2: Einfache Anbindung an eine IIoT-Cloud-Plattform

Das zweite Teilprojekt behandelt die standardisierte und universelle Vorverarbeitung der Daten direkt an der Maschine (sogenanntes Edge Computing) sowie eine Cloud-Anbindung an IIoT-Plattformen unter Betrachtung sowohl der internetbasierten als auch der mobilen Kommunikation, speziell 5G. Die Forschungsfragen dieses Teilprojektes lautet: „Wann bietet eine Cloud einen Mehrwert und wie erfolgt der gesicherte Datenverkehr in diese Cloud?“ (siehe Bild unten):

Schema des Datenflusses der IIot-Plattform
Mittels standardisiertem Cloud Konnektor können die gewünschten Daten via Mobilfunk (5G) und Internet an die gewünschte IIoT-Plattform übermittelt werden. (Bild: WIN4KMU)

Ausgangspunkt dieses Teilprojektes ist eine Potenzialbewertung bezüglich Vor- und Nachteilen einer Datenvorverarbeitung an der Edge sowie von verschiedenen Übertragungswegen der Daten zur Cloud. Die Potenzialbewertung ist gleichermaßen Grundlage für ein Konzept für den Umgang mit unterschiedlichen Plattformen. Darauf basierend wird ein Konnektor zur einfachen Anbindung von Maschinen und Anlagen an IIoT-Cloud-Lösungen entwickelt und der Datenfluss zu diesen ermöglicht.

Neben dem Datentransfer via Internet wird die Übertragung über das Mobilfunknetz 5G betrachtet, da mittels der Funkanbindung ein Datentransfer auch bei schlechter Netzwerkinfrastruktur durchführbar ist. Überdies wird ermittelt, welche Anforderungen an die Datenverarbeitung „on premise“, d. h. innerhalb der Unternehmensgrenzen, gestellt werden und welche Daten direkt an eine Cloud übermittelbar sind. Schließlich wird der Demonstrator aus Teilprojekt eins um den in diesem Teilprojekt entwickelten Edge-Computing-Ansatz und IIoT-Cloud-Konnektor ergänzt und in der Testumgebung erprobt.

Teilprojekt 3: Daten nicht nur sammeln, auch nutzen

Während sich die zuvor beschriebenen Teilprojekte primär mit der Handhabung der Daten befassen, konzentriert sich Teilprojekt drei darauf, diese Daten auch gewinnbringend für produktionsbezogene Fragestellungen zu nutzen. Die Arbeiten in diesem Teilprojekt adressieren folgende Forschungsfrage: „Welche Informationsflüsse sind typischerweise auf dem Shopfloor vorzufinden, lassen sich digitalisieren und bieten den Nutzern dadurch einen Mehrwert?“ (siehe Bild unten):

Wertschöpfungskette der Shopfloor Services
Branchenunabhängige Shopfloor Services nutzen die Daten, um Informationsbedarfe effizient zu decken. (Bild: WIN4KMU)

Dazu werden im ersten Arbeitspaket zunächst typische Informationsbedarfe identifiziert und definiert, in welcher Granularität und Präzision die dazugehörigen Daten vorzuliegen haben. Die These lautet: Unabhängig von der Branche sind diverse Informationsbedarfe entlang der Wertschöpfungsprozesse ähnlich. Beispiele hierfür sind Auftragsdaten und –mengen oder Maschinenzustände. Im Rahmen dieses Teilprojektes sollen daher Standardmodule für die IIoT-Plattform entwickelt werden, die direkt und universell in der Produktion von KMU anwendbar sind. Konkret wird dies am Beispiel der unternehmensübergreifenden, papierlosen Fertigung sowie der Unterstützung und Führung der Mitarbeiter, bspw. bei Montagearbeiten, demonstriert.

Die Kunststoffbranche als perfekter Adressat

Die kunststoffverarbeitende Industrie mit typischerweise vielen KMU eignet sich perfekt als Adressat dieses Projektes (ca. 41 % der Unternehmen beschäftigen nur bis zu 50 Mitarbeiter; bei einer Größe von bis zu 250 Mitarbeitern steigt dieser Anteil auf 91 % an [7]). Gleichzeitig ist aus Experteninterviews, Branchenberichten und Statistiken zu entnehmen, dass bei vielen dieser Unternehmen hinsichtlich ihres Industrie-4.0-Reifegrads noch großes Potenzial besteht [3, 7, 8].

Die erwarteten Projektergebnisse leisten einen Beitrag zur Weiterentwicklung der KMU bezüglich ihres Industrie-4.0-Reifegrads. Da das Projekte explizit die kunststoffverarbeitende Industrie fokussiert, können die entwickelten Lösungen direkt in die Kunststoffverarbeitung überführt und genutzt werden. Das Projektteam würde sich sehr freuen, mit Ihnen gemeinsam an neuen Lösungen zu forschen.

Diese Projektpartner bringen ihr Know-how in das Projekt ein

Mit der Durchführung des Forschungsprojekts sind im Kern vier Projektpartner aus Industrie und Wissenschaft betraut.

SHS Plus aus Dinslaken beschäftigt sich mit der Steigerung von Qualität, Produktivität und Effizienz mit einem ausschließlichen Fokus auf die kunststoffverarbeitende Industrie. Innerhalb des Projektes befasst sich das Unternehmen hauptsächlich mit der Weiterentwicklung von Schnittstellen zur Anbindung von unterschiedlichen Anlagen aus der Kunststoffverarbeitung (Schwerpunkt: Extrusion und Blasformen).

Q.Beyond als bundesweit tätiger IT-Dienstleister mit Sitz in Köln übernimmt im Projekt die Integration der verschiedenen Software-Bestandteile auf Edge- bzw. Shopfloor-Ebene und der Cloud sowie die hardwarenahe Entwicklung der Demonstratoren zur Datenerfassung. Ferner ist das Unternehmen für die prototypische Realisierung der mobilen Kommunikation mittels 5G-Integration verantwortlich.

Der Lehrstuhl für Produktionssysteme (LPS) an der Ruhr-Universität Bochum befasst sich vor allem mit den Bedürfnissen der metallverarbeitenden Branche und stellt mit der LPS Lern- und Forschungsfabrik (LFF) ein Testbed zur Validierung der entwickelten Demonstratoren bereit. Darüber hinaus dient die LFF als Schulungsort zum Wissenstransfer der Projektergebnisse in die unternehmerische Praxis.

Das Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) an der RWTH Aachen wird innerhalb dieses Projektes vorwiegend bei der Erforschung und der Erarbeitung benötigter Messgrößen und Informationsflüsse mit Schwerpunkt auf die Kunststoffverarbeitung unterstützen und federführend an der Entwicklung von Hard- oder Softwarekomponenten zur Erfassung der Datenpunkte und deren Bereitstellung an weitere Systeme beteiligt sein.

Ziel ist es, eine IIot-Plattform für Industrie-4.0-Lösungen für KMUs, zu schaffen

Industrie-4.0-Lösungen sind bislang nur unzureichend bei kleinen und mittleren Unternehmen angekommen. Das Projekt WIN4KMU greift diesen Umstand auf und erarbeitet eine branchenneutrale IIoT-Plattform, damit KMU aufwandsarm und kostengünstig von Industrie 4.0 profitieren. Auf der einen Seite wird die Datenextraktion aus Maschinen und Anlagen sowie deren Vorverarbeitung vor Ort mittels Edge Computing sowie Transfer via Internet oder 5G-Mobilfunk in Richtung Cloud erforscht. Auf der anderen Seite dienen typische Anwendungsfälle aus der Produktion als Beispiele um zu zeigen, welche Mehrwerte die gewonnenen Daten liefern. Eine enge Kooperation mit KMU während der Projektbearbeitung ist ausdrücklich forciert, um Erfahrungen aus der Praxis mit zu berücksichtigen.

Das Forschungsvorhaben WIN4KMU wird vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Spitzenclusters für industrielle Innovationen (SPIN) gefördert.

Autorenprofile

Patrick Sapel, M.Sc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am IKV. Sein Forschungsgebiet umfasst die Produktionsplanung und -automatisierung in Spritzgießbetrieben; patrick.sapel@ikv.rwth-aachen.de

Maximilian Bega, M.Sc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktionssysteme (LPS) an der Ruhr-Universität Bochum. Sein Forschungsgebiet umfasst die Digitalisierung der Produktion und Anwendungen im Rahmen der Industrie 4.0.

Dr.-Ing. Martin Spitz, Geschäftsführer SHS Plus.

Dipl.-Ing. Uwe Schnepf ist Leiter Branchenlösungen Industrial IoT & Strategische Partnerschaften bei Q.Beyond.

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Hopmann ist seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Kunststoffverarbeitung und Leiter des Instituts für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen.

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Bernd Kuhlenkötter ist seit 2015 Inhaber des Lehrstuhls für Produktionssysteme an der Ruhr-Universität Bochum.

Literatur

[1] Kagermann, H.; Lukas, W. D.; Wahlster, W.: Industrie 4.0: Mit dem Internet der Dinge auf dem Weg zur vierten industriellen Revolution. VDI Nachrichten 13, 2011

[2] Kagermann, H. (Hrsg.) et al.: Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 - Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0. acatech 2013

[3] Hutapea, L.; Malanowski, N.: Potenziale und Hindernisse bei der Einführung digitaler Technik in der kunststoffverarbeitenden Industrie, Im Auftrag von Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE. Berlin, Hannover 2019

[4] N.N.: Digitalisierung als besondere Herausforderung für den Mittelstand. kunststoffland NRW report Ausgabe 2, Düsseldorf 2021

[5] Schuba, K.; Pieper, C.; Schriegel, S.; Al-Gumae, K.: Anforderungstaxonomie für industrielle Cloud Infrastrukturen durch Internet of Things- und Big Data-Applikationen. In: Jasperneite, J.; Lohweg, V. (Hrsg): Kommunikation und Bildverarbeitung in der Automation. Springer, Berlin Heidelberg 2020, S. 262-275

[6] Mohr, F.; Birtel, M., (2018). Kommunikation in der Produktion nach dem Muster sozialer Netzwerke. In: Dachselt, R.; Weber, G. (Hrsg.): Mensch und Computer 2018 - Workshopband. Gesellschaft für Informatik e.V., Bonn 2018, S. 863-867

[7] Dispan, J.; Mendler, L.: Branchenanalyse kunststoffverarbeitende Industrie 2020. Beschäftigungstrends, Kreislaufwirtschaft, digitale Transformation, Working Paper Forschungsförderung, No. 186, Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2020

[8] N.N.: Digitalisierung – Herausforderung für KMUs. kunststoffland NRW report Ausgabe 2, Düsseldorf 2017

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Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV)an der RWTH Aachen

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