Eine Frau und ein Mann schauen sich ein Bauteil an.

Qualitätskontrolle galvanisierter Kunststoffbauteile. (Bild: Gerhardi Kunststofftechnik)

Veredelte Kunststoffteile wie Zierleisten, Lichtfunktionsbauteile, Kühlerschutzgitter und viele andere Komponenten von Gerhardi Kunststofftechnik befinden sich in Millionen Fahrzeugen weltweit. Um auch in Zukunft die Trends in den Bereichen Spritzguss und Galvanisierung mitbestimmen zu können, hat sich das Unternehmen ehrgeizige Ziele gesetzt:

  • Strategische Ausrichtung auf die Circular Economy durch die Steigerung der Recyclingquote und die Senkung des CO2-Fußabdrucks in der Produktion.
  • Steigerung der Ressourceneffizienz durch Absenken des Materialverbrauchs und Reduzieren der Ausschussquote – vor allem bei anspruchsvollen galvanisierten Bauteilen.
  • Maximale Prozesstransparenz durch Track & Trace entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Spritzguss bis Galvanisierung.

Um diese Ziele zu erreichen und die Erfolge nachhaltig auszubauen, setzt der Kunststoffverarbeiter auf hochmoderne Maschinen und Anlagen, aber auch auf die intensive Nutzung von Prozess-, Technologie- und Qualitätsdaten. Die Daten stammen beispielsweise vom Authentig-MES, von Kuka-Robotern, Spritzgussanlagen, einer AMT-Steuerung und der Hydra MES Software, die die Erfassung von Betriebsdaten (BDE) und Maschinenlaufzeiten (MDE) unterstützt. Mit der permanenten Datenerfassung hat das Unternehmen schon früh die Grundlagen für eine effiziente und qualitäts- beziehungsweise ressourcenschonende Produktion gelegt. Doch der konventionellen MES Technologie fehlt hier eine entscheidende Komponente: Der transparente und ganzheitliche, vernetzte Blick auf das gesamte System.

Warum die Daten vernetzt sein sollten

Die Herausforderung besteht darin, die hochkomplexen und vielfältigen Fehlerbiler im Bereich von Galvanik und Spritzguss zu erkennen und zu erfassen, um den Ursachen von Qualitätsmängeln auf die Spur zu kommen. Mit der bisherigen MES Architektur war das Zusammenspiel von Spritzguss und Galvanik schwer erkennbar, denn die Prozesse waren über getrennte Systeme und Prozessinseln verteilt. Für Markus Schindler, der die Anwendungstechnik im Spritzguss von Gerhardi betreut, liegt der Schlüssel zum Erfolg daher im Vernetzen der Daten und in transparenten Prozessen. Vor diesem Hintergrund entschied sich der Verarbeiter für die Einführung des KI-Systems Detact von Symate, Dresden, das zunächst in Pilotprojekten an den Standorten Rosmart/Altena und in Ibbenbüren eingesetzt wurde. Hierzu erklärt Markus Schindler: „Unsere Fertigungsprozesse sind so komplex, dass allein beim Galvanisieren bis zu 100.000 mögliche Fehlerquellen bestehen. Diese sicher zu erkennen, erfordert sehr viel Know-how, Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Da wir uns zukünftig noch stärker an den Anforderungen der Circular Economy orientieren möchten, besteht nun die Gefahr einer steigenden Ausschussquote – gerade im Bereich der Galvanik, denn die einzelnen Rezyklate beeinflussen die Qualität der Oberflächen sehr unterschiedlich. Mit Detact möchten wir jeden einzelnen Prozessschritt sehr genau betrachten und diese komplexen Wertschöpfungstreiber zusammenführen. Der Spritzguss ist die Basis für den Erfolg der Galvanik und anderer Veredelungsverfahren wie der Lackierung. Die Mängel, die während des Spritzgussprozesses auftreten, beeinflussen die Qualität aller nachfolgenden Arbeitsschritte. Doch mithilfe der KI können wir sämtliche relevanten Prozesse jetzt automatisch vernetzen und die Prozesse zuverlässig validieren. So erhalten wir eine echte Gesamtbetrachtung der Produktionsparameter, mit der wir die einzelnen Prozesse selbst bei höherem Rezyklatanteil in stabilen, sicheren und transparenten Arbeitsfenstern halten können. Bisher war diese Aufgabe mit vielen manuellen Arbeiten und hohem Aufwand verbunden.“

Maschinenhalle.
Galvanikanlage zum Beschichten von Kunststoffbauteilen. (Bild: Gerhardi Kunststofftechnik)

Transparenz über Prozessgrenzen hinweg

Mit der Einführung von Detact entstand nach und nach eine vernetzte Datengrundlage für die übergreifende Analyse der gesamten Prozesskette. Damit wurde die oft langwierige Fehlersuche verbessert und verkürzt, denn die entscheidenden Parameter lassen sich nun sehr gezielt bestimmen. Um das zu erreichen, wurde Detact an die Bedürfnisse von Spritzguss und Galvanik angepasst und an die bisherigen Dateninseln angebunden. So übernimmt das KI-System nun die Aufgaben einer zentralen Infrastruktur, die die hoch komplexen, mehrstufigen Prozesse des Unternehmens vollautomatisch überwacht, analysiert und intelligent visualisiert. „Detact ist eine echte Alternative oder wie im Fall von Gerhardi, die vielleicht entscheidende Ergänzung zu den herkömmlichen MES Systemen“, erläutert Dr. Martin Juhrisch, Geschäftsführer Symate. „Theoretisch lässt sich die KI-Software in jedem beliebigen Fertigungsprozess einsetzen. Da wir seit vielen Jahren bereits mit zahlreichen Spritzgussunternehmen zusammenarbeiten, erschien der Einstieg bei Gerhardi leicht, denn wir mussten die vorhandenen Methoden und Modelle nur noch auf die Galvanik erweitern und speziell konfigurieren.“ Doch das war am Ende gar nicht so einfach, denn die frisch aus dem Spritzguss kommenden Teile werden in bis zu elf Verfahrensschritte in die verschiedensten chemischen Bäder getaucht und müssen darin unterschiedlich lang verweilen. Bei diesem Prozess wirken so viele Faktoren auf die Bauteile, dass Detact unzählige Parameter auf exakte Zeitpunkte hin erfassen und analysieren muss. „Das ist eine echte Herausforderung“, führt Juhrisch aus, „denn wir möchten die einzelnen Prozessschritte der Warenträger durch die Galvanik in einer Form darstellen, die wirklich brauchbar und verständlich ist. Außerdem müssen wir diese auch noch den einzelnen Verweil-, Start-, Stopp- und Hebezeiten zuordnen, denn die Analyse hat nur dann einen Wert, wenn Detact die Daten aus dem Spritzguss mit den Infos aus allen anderen Prozessen und (externen) Faktoren abgleicht. Erst dann kann der Gesamtprozess vom Spritzguss über die eigentliche Veredelung bis hin zur Qualitätssicherung datengetrieben validiert werden und objektive Aussagen lassen sich ableiten. Im Grunde ist das eine mühevolle Denk- und Fleißarbeit, bei der wir für jedes einzelne Bauteil eine Art virtuellen Fingerabdruck erstellen.“

KI-Infrastruktur erweitert MES-Funktionen

Mit der Einführung von Detact entschied sich der Kunststoffveredler bewusst gegen die simple Erweiterung der bestehenden Datenerfassung aus dem Manufacturing Execution System, denn Detact ist anders: Die KI-Software fungiert als übergeordnetes Betriebssystem, das die Prozesse datenbasiert überwacht und Wechselwirkungen intelligent analysiert. Kurz gesagt: Die Software sammelt die Daten aus allen relevanten Quellen, analysiert sie automatisch und gleicht sie in einer zentralen Cloud miteinander ab. Durch diese sogenannte intelligente Gesamtparameterbetrachtung unterscheidet sich die Software deutlich von einem klassischen MES, denn das KI-System arbeitet mit automatischen Analysefunktionen, die mithilfe von Apps individuell aktiviert werden können. Hierdurch etabliert der Kunststoffverarbeiter ein komplett neues, datenbasiertes und objektives Prozessmanagement, das über genügend Ressourcen für anspruchsvolle Aufgaben im Bereich der Galvanisierung verfügt und durch die Künstliche Intelligenz, Machine-Learning-Funktionen, Big-Data-Fähigkeit sowie die Datenverarbeitung in einer zentralen Cloud auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet ist. Markus Schindler verweist hier noch auf eine andere wertvolle Fähigkeit von Detact: Seiner Meinung nach liegt die größte Herausforderung in der anschaulichen und leicht nachvollziehbaren Darstellung der Daten. Denn: Nur, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gerhardi die eigentlichen Zusammenhänge auf Anhieb erkennen und einem konkreten Fehlerbild (Schlieren, Poren, …) zuordnen können, macht das KI-System auch wirklich Sinn.

Schaubild zur Ausschussanalyse.
In der Ausschussanalyse werden Parameter mit typischen Fehlerbildern aus der Galvanik in Verbindung gebracht. (Bild: Symate)

Das Fazit des KI-Projekts

Daher ergänzt Markus Schindler: „Mit Detact haben wir im Pilotprojekt für bestimmte galvanische Oberflächen nachgewiesen, dass keine Qualitätsverluste bei der Verarbeitung von anteilig 30 % recyceltem Rohmaterial gegenüber von reiner Kunststoffneuware entstehen. Zudem konnten wir mit der Auswertesoftware Zusammenhänge zwischen den Prozessparametern und deren Auswirkung aufdecken. Mittlerweile erfasst und analysiert Detact an der Spritzgießmaschine des Piloten bis zu 836 Parameter und gleicht diese dann mit mehreren tausend Werten aus der Galvanik und dem Hydra-MES ab. Damit entsteht in der Detact Cloud eine Datenwolke, die das System mithilfe von hochkomplexen und ganzheitlichen Rechenmodellen so aufbereitet, dass die Produkteigenschaften schon am Beginn eines Prozesses vorhergesagt werden können.“ Hierzu ergänzt Dr. Juhrisch: „Durch die gezielte Konsolidierung der dezentralen Erfassungs- und Archivierungslösungen (mehrere MES-Systeme, MDE, BDE…) und die Bündelung der Datenquellen für Material-, Prozess- und Qualitätsdaten in einer zentralen Cloud ist es Gerhardi gelungen, die bisherigen Dateninseln aufzulösen und als Einheit zu betrachten. Detact hat große Teile dieser Aufgabe so weit automatisiert, dass die zuständigen Facharbeiter und Prozessverantwortlichen prädiktiv herausfinden können, ob einzelne Parameter an einem bestimmten Galvanikbad für Ausschuss verantwortlich sind oder ob die Ursachen bereits im Spritzguss liegen. Vor diesem Hintergrund sehen wir Detact auch als Werkzeug für die Fertigung der Zukunft, denn Kunststoffverarbeiter sind damit viel eher in der Lage, ihre Prozesse zu kontrollieren und kommen dem Ziel der autonomen Fertigung ein deutliches Stück näher.“

Dank

Das diesem Bericht zugrunde liegende Projekt wurde mit den Mitteln des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) unter dem Kennzeichen 17-07.07.01.02-29/2022 gefördert und von der Effizienz-Agentur NRW unterstützt. Wir danken allen Beteiligten für ihren wertvollen Beitrag.

Quelle: Symate

K 2022: Halle 7, Stand SC06

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Unternehmen

Symate GmbH

Kraftwerk Mitte 7
01067 Dresden
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