Doch KI um der KI Willen führt häufig nicht zum gewünschten Erfolg. KI- und Machine-Learning-Projekte scheitern an falschen Erwartungen, fehlenden Zielsetzungen, schlechter Datenqualität, mangelnden Erfahrungswerten und Schwierigkeiten in der abteilungsübergreifenden Kommunikation.
Künstliche Intelligenz und Machine Learning sind starke Werkzeuge, die den Anwender bei der täglichen Arbeit maßgebend unterstützen können – wenn sie richtig und mit konkretem Ziel eingesetzt werden.
Was tun, wenn Big Data fehlt?
Bevor die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Chancen von KI und Machine Learning beginnt, sollte zunächst einmal Klarheit über die Definition und die Bedeutung geschaffen werden. Erium CEO Dr. Theo Steininger definiert KI als „Werkzeug, um den Menschen von vor allem repetitiven Aufgaben zu entlasten“. Wichtig dabei die Unterscheidung zwischen Künstlicher Intelligenz und Machine Learning: Letzteres ist eine Teilmenge von KI, und basiert im Wesentlichen auf Methoden aus der Statistik. Gleichzeitig gibt es auch Künstliche-Intelligenz-Systeme, die nichts mit Statistik zu tun haben, beispielsweise Schachcomputer. Der in diesem Kontext häufig gebrauchte Begriff von Big Data stellt vor allem die eigenständige technische Herausforderung dar, eine große Menge an Daten, sei es mit oder ohne statistische Methoden, zu verarbeiten, die in vielen Fälle jedoch gar nicht besteht. Dazu Steininger: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie in der Kunststoffverarbeitung ein Small-Data-Problem haben, ist signifikant höher als ein Big Data Problem.“
„KI ist ein Werkzeug, um den Menschen von vor allem repetitiven Aufgaben zu entlasten.“
Viele Unternehmen setzen auf Machine Learning, weil es Daten in digitalen Goldstaub verwandeln kann. Doch was passiert bei lückenhaften, suboptimalen oder gar keinen Daten? Tatsächlich ist in der Praxis bei vielen Unternehmen die verwertbare Datenmenge sehr gering. Das liegt zum einen an teils hohen Kosten der Datenerzeugung und informationsvernichtendem Preprocessing und Datenstrukturen. Zum anderen ist es darin begründet, dass sich die betrachteten Prozesse auf undokumentierte Weise über die Zeit verändern oder verändert werden und damit Äpfel mit Birnen verglichen werden würden, würden alle Daten in einen Topf geworfen werden.
Auf Basis dieser Tatsache gehen die beiden Gründer von Erium, Dr. Theo Steininger und Dr. Maksim Greiner, völlig neue KI-Wege. Sie haben sich bereits während ihrer Promotion am Max-Planck-Institut für Astrophysik mit der Problematik der geringen Datenmengen auseinandergesetzt. In ihrer Doktorarbeit standen sie vor der Herausforderung signifikante, relevante und sinnvolle Ergebnisse in der Datenanalyse zu erzeugen, obwohl kaum Daten vorhanden waren. Die dabei verwendete Analysemethodik, die maschinelle Intelligenz mit dem Wissen von Experten verknüpft, haben die beiden nun auf die Industrie übertragen. Dadurch profitieren heute Branchen wie die Kunststoffverarbeitung davon, mit einfachen Mitteln Hochleistungs-Machine-Learning-Modelle einsetzen zu können.
Astrophysik in der Industrie
Die disruptive Methode der beiden Astrophysiker fand schnell Interessenten in der Industrie. Mittlerweile wird die Softwarelösung des Unternehmens in verschiedensten Branchen und für unterschiedlichste Problemstellungen eingesetzt. Zum Beispiel bei einem Automobilhersteller, der die ideale Montageposition einer Autotür bereits mit den Messdaten weniger Testfahrzeuge berechnen wollte. Es fehlte an Big Data und übliche Deep-Learning-Ansätze kamen nicht infrage.
Das Unternehmen nahm den Prozess unter die Lupe und ermittelte, welche Einstellungen und Eigenschaften sich wie beeinflussen. „Wir können ein mathematisches Modell anhand eines Serienfahrzeugs validieren, um es dann für die Türmontage eines neuen Automodells zu verwenden. Dazu müssen wir nur noch wenige Parameter trainieren – das unterscheidet es vom klassischen Deep Learning, mit manchmal Millionen Parametern. Beim Neuronalen Netz müsste ich beim nächsten Anwendungsfall wieder Millionen Parameter nachtunen,“ erklärt Erium CTO Dr. Maksim Greiner.
Absatzplanung mit KI
Doch nicht nur Montagepositionen von Autotüren lassen sich mit der KI der Astrophysiker verbessern, auch Absatzplanung und Forecasting lässt sich mit der KI-Software optimieren: Das Unternehmen führte bereits einen Proof of Concept in der Absatzplanung in der Automobilindustrie durch. Automobilzulieferer kämpfen mit den kurzfristigen, sich schnell ändernden Bestellungen. Mit Hilfe von Excel-Programmen übernehmen bisher sehr erfahrene Mitarbeiter die zeitraubende Aufgabe der Absatzplanung. Greiner: „Wir führten mit echten Daten vor, dass unsere KI-Software nach nur zwei Tagen Einarbeitung bereits genauso zuverlässig wie die menschlichen Absatzplaner arbeitet.“ Die Vorhersagen verbessern sich dank der ständigen Lernkurven vollautomatisch. Nach einer kurzen Einarbeitungs- und Einsatzzeit erhalten die Absatzplaner durch die KI einen Partner, dessen Prognosen sie dann anhand ihres Erfahrungswissens bewerten und verfeinern.
„Wir führten mit echten Daten vor, dass unsere KI-Software nach nur zwei Tagen Einarbeitung bereits genauso zuverlässig wie die menschlichen Absatzplaner arbeitet.“
„Wir fügen dem klassischen Machine Learning also Expertenwissen hinzu. Einschränkungen bezüglich der Anwendungsfälle gibt es kaum. Mit unserem Ansatz decken wir nahezu alle Anwendungsfälle der bisher gängigen Machine-Learning-Algorithmen ab“, ergänzt Dr. Steininger. „Unser Werkzeug versteht, schätzt und minimiert Risiken. Das betrifft die Einstellung von Maschinen, das Abschätzen von Absatzzahlen oder eines Online-Shop-Portfolios. Es gibt also keinerlei Grenzen in Sachen Anwendbarkeit.“
KI-Projekte scheitern an der Kommunikation
Im praktischen Projekt ist jedoch nicht nur die rein technische Lösung entscheidend. Vielmehr ist es auch mindestens genauso wichtig, die verschiedenen Projektverantwortlichen mit den individuell nötigen Informationen zu versorgen und Erwartungshaltungen synchron zu halten. Aufgrund der Komplexität von KI-Projekten erstrecken sich diese über eine Vielzahl von Ebenen.
Hier müssen KI-Lösungen ansetzen und damit nicht nur ein starkes Werkzeug für Data Scientists sein, sondern insbesondere als Vermittler zwischen den verschiedenen Teammitgliedern und Positionen fungieren. Der Technologieanbieter hat eine Software entwickelt, die Teamarbeit erst richtig effizient macht. Die KI-Lösung ermöglicht es mehreren Data Scientists gleichzeitig an einem Modell zu arbeiten. Alle Analysen, Zwischenergebnisse und Prognosen lassen sich dabei anschaulich darstellen und visualisieren. Dadurch fällt es dem Data Scientist leichter, dem Prozessexperten zu kommunizieren, an welchen Herausforderungen er gerade arbeitet und wo er die Unterstützung des Experten benötigt. Der Experte kann die benötigten Informationen schneller liefern und wichtiges Feedback zum aktuellen Stand geben. Gemeinsam werden Optimierungsziele festgesetzt, die wichtigsten Prozessparameter definiert und Szenarien durchgespielt. Zudem können durch die Software Projekterfolge klar kommuniziert werden. Diese sollen schließlich nicht nur für das Team, sondern auch für andere Abteilungen oder die Führungsetage anschaulich aufbereitet und verständlich sein.
Außerdem hütet die KI-Software den Wissensschatz. Bereits vorhandene Informationen werden gespeichert und sind zu jeder Zeit und an jedem Ort für das gesamte Team zugänglich. Die KI dient dabei analog zu Programmen wie Siri oder Alexa als Aufbereiter, Beschaffer und Kommunikator von Informationen. Steininger: „Unser Ziel ist es nicht, mit unserem Tool Mitarbeiter zu ersetzen, sondern ihre Qualifikation mithilfe der KI zu erhöhen.“
Steht die KI in Konkurrenz zum Menschen?
Sind KI-Lösungen also in der Lage, die Arbeit menschlicher Fachleute im Produktionsprozess zu ergänzen, oder sie sogar unter bestimmten Voraussetzungen zu ersetzen? Künstliche Intelligenz und Machine Learning kann komplexe Probleme genauer und schneller unter Berechnung sehr vieler komplexer Variablen bearbeiten. KI soll Herausforderungen mit großen, komplexen Datenmengen beherrschbar machen und die Mitarbeiter so von zeitaufwendigen Routinetätigkeiten entlasten. Doch bei allen Entscheidungen, die Fingerspitzengefühl, Intuition oder redegewandte Promotoren benötigen, kann das System lediglich eine Hilfestellung für die Entscheidung bieten. Damit ist und bleibt KI ein Werkzeug, dass den Mitarbeiter nicht wegrationalisiert, sondern ihn bei komplexen Herausforderungen unterstützt. Gemeinsam müssen die Unternehmen und KI-Dienstleister daran arbeiten, mitarbeiterzentrierte Lösungen zu erstellen, die den Mitarbeiter in seiner täglichen Arbeit maßgeblich unterstützen, ressourcenraubende Probleme eliminieren und dadurch mehr Zeit für innovative und kreative Entwicklung schaffen.
Gerade in der aktuellen Zeit ist es wichtig, nicht vor innovativen Technologien zurückzuschrecken, sondern diese zum Vorteil zu nutzen. Ausgelöst durch Covid-19 haben viele Unternehmen weltweit die Notbremse gezogen. Nur diejenigen Firmen, die den an die Krise folgenden Ramp-up am besten meistern, werden langfristig gestärkt aus ihr hervorgehen. KI ist genau dazu gemacht, den Menschen in derartig komplexen Herausforderungen zu unterstützen. Konkret können Künstliche Intelligenz und Machine Learning dazu genutzt werden, bereits vor dem Ramp-up die Prozesse der Kunststoffverarbeitungspipeline zu analysieren, Instabilitäten und Schwachpunkte in den abgerissenen Prozessketten zu finden und diese schnellstmöglich zu beheben.