Die Herstellung und die Qualitätssicherung von Medizinprodukten wird durch die U.S. Food & Drug Administration (FDA) im Code of Federal Regulations (CFR) Title 21 Part 820 und durch die Norm DIN EN ISO 13485 reguliert [1, 2]. Die Funktionsfähigkeit und Sicherheit eines Produktes müssen entsprechend der Richtlinien durch eine 100 %-Kontrolle verifiziert werden, um das Risiko von Fehlfunktionen zu minimieren. Da dies aufgrund der Massenproduktion beim Spritzgießen nicht wirtschaftlich sowie wegen der teilweise nur zerstörenden Prüfung häufig nicht möglich ist, werden Spritzgießprozesse im Allgemeinen validiert [3, 4].
Gemäß 21 CFR Part 820 und ISO 13485 muss die Validierung mit großer Sicherheit und durch etablierte Methoden zeigen, dass der Herstellungsprozess fähig ist, sichere und funktionsfähige Produkte zu produzieren. Ein genaues Vorgehen bei der Validierung wird dabei in keiner der Regularien definiert. Die Global Harmonization Task Force (GHTF) empfiehlt ein Vorgehen mit den drei Schritten Installation Qualification (IQ), Operational Qualification (OQ) und Process Qualification (PQ) [5, 6].
In der IQ muss nachgewiesen werden, dass alle Anlagen sowie Peripheriegeräte entsprechend den Herstellerangaben installiert und vollständig funktionsfähig sind [5, 7]. In der OQ muss für das Prozessfenster, welches validiert werden soll, die Kurzzeitfähigkeit nachgewiesen werden. Dafür werden zunächst die Prozessparameter ermittelt, welche die Qualitätsparameter maßgeblich beeinflussen. Beim Spritzgießen werden im Allgemeinen Einstellparameter wie Zylinder- und Werkzeugtemperatur oder Nachdruck und Nachdruckdauer herangezogen. Die Auswahl dieser Parameter erfolgt entweder auf Basis von Erfahrungswissen oder eines vorherigen Screenings. Anschließend werden mithilfe eines Versuchsplans die Grenzen des Prozessfensters definiert [6]. In der PQ wird darauf aufbauend für die optimalen Einstellparameter die vorläufige Prozessfähigkeit nachgewiesen [8].
Bislang werden für die Validierung ausschließlich Maschineneinstellparameter berücksichtigt. Allerdings beschreiben diese nicht die Formteilbildung in der Kavität und korrelieren daher nicht mit der Bauteilqualität. Durch die Verarbeitung unterschiedlicher Materialchargen verändert sich das Materialverhalten, weshalb die Maschineneinstellparameter an die vorliegenden Bedingungen angepasst werden müssen, um dennoch eine konstante Bauteilqualität zu produzieren. Wenn die Schwankungen im Prozess so ausgeprägt sind, dass die nachgeführten Einstellungen außerhalb des validierten Prozessfensters liegen, muss der Prozess in zeitaufwendigen Versuchen erneut validiert werden.
Möglichkeiten der Prozessparameter
Um diesem Problem entgegenzutreten, wird derzeit am IKV in Aachen untersucht, ob der Spritzgießprozess mithilfe von Prozessparametern validiert werden kann. Prozessparameter bieten den Vorteil, dass sie sich in Abhängigkeit der Maschineneinstellparameter, des Materialverhaltens sowie der äußeren Einflüsse ergeben und dadurch mit der Bauteilqualität korrelieren. Um den Spritzgießprozess mithilfe von Prozessgrößen zu validieren, müssen die Grenzen der jeweiligen Prozessgrößen erprobt werden, innerhalb derer die geforderte Bauteilqualität erzielt wird. Um den Aufwand in einem wirtschaftlichen Rahmen zu halten, können keine Störungen bewusst in den Prozess eingebracht werden. Daher wird analysiert, ob durch die Veränderung der Maschineneinstellparameter ebenfalls die Grenzen der Prozessparameter ermittelt werden können. Dafür werden zunächst für ein Beispielbauteil geeignete Prozessparameter zur Beschreibung der Bauteilqualität identifiziert. In einem weiteren Schritt wird dann der Einfluss einer Variation der Einstellparameter auf die Prozessparameter und damit die Möglichkeit, die Grenzen der Parameter auf diese Weise zu bestimmen, untersucht.
Aufbau der Versuchsreihe
Das Versuchsbauteil weist zwei Kästchengeometrien mit zusätzlichen freistehenden Rippen auf. Als Qualitätsmerkmal wird neben dem Bauteilgewicht (Gewicht) die Breite des linken Kastens (Breite links) betrachtet. Entlang des Fließweges ist sowohl angussnah als auch angussfern ein kombinierter pT-Sensor verbaut (Bild 1). Während der Versuche wurde Polypropylen verarbeitet (Tabelle 1).
Zur Beurteilung der Beziehung zwischen den relevanten Maschineneinstellparameter und der Bauteilqualität wurde ein Screening-Versuchsplan durchgeführt. Bei diesem wurden die Maschinengrößen Einspritzgeschwindigkeit, Nachdruck, Nachdruckzeit, Kühlzeit, Umschaltpunkt sowie Schmelze- und Werkzeugtemperatur variiert. Bis auf die Einspritzgeschwindigkeit zeigten alle Einstellgrößen einen signifikanten Einfluss auf die Bauteilqualität. Daher wurden in einem weiteren Schritt Versuche durchgeführt, bei denen die sechs verbleibenden Einstellgrößen gemäß einem vollfaktoriellen Versuchsplans in zwei Stufen variiert wurden (Tabelle 2).
Die oben erläuterten Bauteilqualitäten korrelieren dabei hauptsächlich mit den in der Kavität gemessenen Werkzeuginnendrücken und Temperaturen. Daher werden im Folgenden zum einen die mittlere Werkzeugtemperatur während der Nachdruckphase als Prozesskennzahlen betrachtet. Anhand der mittleren Temperatur können veränderte Schmelzetemperaturen detektiert werden, welche das Abkühl- und daher auch das Schwindungsverhalten des Kunststoffes prägen. Zum anderen wird der mittlere Einspritzdruck analysiert. Dieser ermöglicht Rückschlüsse auf das Fließverhalten der Schmelze. Als weitere Prozessgröße wird der mittlere Werkzeuginnendruck während der Nachdruckphase untersucht. Dieser kombiniert die beiden zuvor genannten Einflüsse. Dabei beeinflusst die Viskosität die Druckübertragung aus der Plastifiziereinheit in die Kavität. Darüber hinaus wird der Abfall des Werkzeuginnendrucksignals durch das Erstarrungsverhalten und damit auch durch die Schmelze- und Werkzeugtemperatur beeinflusst.
Bauteilgewicht und Werkzeuginnendruck
In Bild 2 ist die Pearson-Korrelation der diskutierten Prozessparameter mit dem Bauteilgewicht dargestellt. Es wird eine Korrelation zwischen Bauteilgewicht und dem Werkzeuginnendruck während des Nachdrucks von 0,62 und mit dem Einspritzdruck von 0,76 beobachtet. Weiterhin ergibt ein zweiseitiger t-Test, dass der Einfluss des mittleren Werkzeuginnendrucks sowie des mittleren Einspritzdrucks auf das Bauteilgewicht bei einem Signifikanzniveau von 95 % signifikant ist. Für die Korrelation der Werkzeugtemperatur (-0,37) kann hingegen keine statistische Signifikanz nachgewiesen werden. Das Bauteilgewicht wird daher hauptsächlich durch die Druckübertragung in der Schmelze beeinflusst, welche Einfluss auf die Schwindungskompensation hat.
Bei der Betrachtung der Breite des linken Kastens kann lediglich eine signifikante Korrelation mit der mittleren Werkzeugtemperatur während der Nachdruckphase (0,69) beobachtet werden. Die Maßhaltigkeit hängt hauptsächlich von dem Schwindungspotenzial des Kunststoffes ab, sodass sie durch die Temperaturkennzahl und den Druck bei der Ausformung des Bauteils die Maßhaltigkeit prognostiziert werden kann.
Maschineneinstellparameter und Prozessparameter
Um den Prozess anhand der Prozesskennzahlen validieren zu können, wurde im Anschluss daran der Einfluss der Maschineneinstellparameter auf die Prozesskennzahlen untersucht. Dabei beeinflussen bis auf die Kühlzeit alle untersuchten Maschineneinstellparameter den mittleren Werkzeuginnendruck im Nachdruck signifikant. Der eingestellte Nachdruck korreliert mit 0,84, gefolgt von der Schmelzetemperatur (0,33), am stärksten mit dem in der Kavität gemessenen Druck. Der Einfluss der Werkzeugtemperatur (0,29) sowie der Nachdruckzeit (-0,26) ist geringer (Bild 3). Während der Nachdruck lediglich durch den Druck im Schneckenvorraum bei gleichem Druckgradienten in der Schmelze den Werkzeuginnendruck beeinflusst, führt eine höhere Massetemperatur zu einer besseren Druckübertragung in der Schmelze, wodurch ebenfalls der Werkzeuginnendruck steigt. Darüber hinaus führt eine höhere Schmelzetemperatur ebenso wie eine höhere Werkzeugtemperatur dazu, dass die Schmelze langsamer erstarrt und der Druck daher langsamer abfällt.
Von den untersuchten Maschineneinstellparametern kann lediglich bei der Massetemperatur eine deutliche Korrelation mit dem Einspritzdruck beobachtet werden (-0,98). Die mittlere Werkzeugtemperatur hingegen wird hauptsächlich durch die Werkzeugwandtemperatur beeinflusst (0,99). Der Einfluss der Schmelzetemperatur ist deutlich geringer (0,12).
Fazit und Ausblick
Die Analyse der Zusammenhänge zwischen Prozessparametern und Bauteilqualität legt das Potenzial der Validierung von Spritzgießprozessen mithilfe der den Prozess beschreibenden Größen dar. Die weiteren Untersuchungen des Zusammenhangs zwischen Einstellparametern und Prozessparametern zeigen die Möglichkeit auf, dass durch gezielte Variation der Maschineneinstellparameter das Fenster der Prozessparameter für die Produktion bestimmt werden kann. Im weiteren Verlauf des Projektes wird untersucht, ob die für das Bauteil relevanten Prozessparameter sowie deren Grenzen mithilfe von Simulationen vorhergesagt werden können.
Literatur
[1] N.N.: Medizinprodukte – Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke (DIN EN ISO 13485:2016), 16a
[2] N.N.: Food and Drug Administration - Code of Federal Regulations Title 21 Vol 8 Part 820, 2017.
[3] Anes, J./Beaumont, J.: Process Validation for Injection Molding Medical Components. Plastics Engineering 73 (2017) 5, S. 38–43.
[4] Razenböck, J./Lhota, C.: Assistenzsysteme in die Validierungsstrategie einbinden. Plastverarbeiter / Medplast 70 (2019) 13, S. 18–21.
[5] N.N.: GHTF/SG3/N99-10:2004 – Quality Management Systems – Process Validation Guidance, 2004.
[6] Petretich, C.: Development of a validation method for thermoplastic injection molding processes for the contract medical device manufacturer. Bowling Green State University, 2005.
[7] Veselov, V./Roytman, H./Alquier, L.: Medical Device Regulations for Process Validation: Review of FDA, GHTF, and GAMP Requirements. Journal of Validation Technology 18 (2012) 1,
S. 82–92.
[8] Zhao, Y./Sheng, K./Wang, Z./Zhang, X./Yang, H./Miao, R.: Process Validation and Revalidation in Medical Device Production. Procedia Engineering 174 (2017) 5, S. 686–692
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