Ein elektronisches Bauteil unter einem durchsichtigen Plastikgehäuse. Elektronische Bauteile reagieren empfindlich auf mechanische Belastungen. Diese zu schützen, ist nicht ganz einfach.

Elektronische Bauteile reagieren empfindlich auf mechanische Belastungen. Diese zu schützen, ist nicht ganz einfach. (Bild: Uni Erlangen)

Das direkte Einhausen von Elektronik-Komponenten gewinnt zunehmend an Bedeutung. Ziel ist es dabei, die Baugröße und das Gewicht zu minimieren sowie gleichzeitig eine Schutzwirkung zu realisieren. Aus diesen Gründen werden beispielsweise Getriebesteuergeräte direkt eingehaust. [1] Zur Erzielung einer hinreichenden Schutzwirkung gegenüber Medien wie Wasser werden hauptsächlich Technologien eingesetzt, die sich im Wesentlichen in drei Hauptkategorien einteilen lassen: das Vergießen, das Lackieren und das Spritzgießen. [2] Die große Herausforderung dabei ist, dass keine der genannten Verfahrensgruppen gleichzeitig eine hohe Schutzwirkung, eine geringe Bauteilbelastung und eine Großserientauglichkeit bietet. Vor allem das Spritzgießen eignet sich jedoch sehr gut für eine Fertigung in Großserie, die benötigt wird, um der steigenden Nachfrage nach geschützten Baugruppen aufgrund von zunehmender Automatisierung gerecht zu werden. Ein typisches Beispiel ist dabei ein modernes Kraftfahrzeug, bei dem eine Vielzahl an Steuergeräten in hochbelasteten Einsatzbereichen benötigt werden. Dieselben Herausforderungen finden sich jedoch auch in anderen Anwendungsfeldern wie der Automatisierung von Fertigungsstraßen oder der Medizintechnik. [3] Dabei werden Konstrukteure solcher Baugruppen mit immer neuen und schwierigeren Belastungssituationen konfrontiert. Die große Herausforderung beim Einhausen mittels Spritzgussverfahren ist es jedoch, gleichzeitig eine hohe Schutzwirkung zu erzielen und nicht die teils empfindlichen Bauelemente der Schaltungen mechanisch zu beschädigen. Dieser Herausforderung hat sich das Projekt Foam-Tight (AZ-1487-20) der Bayerischen Forschungsstiftung angenommen. Dazu wurde zunächst eine In-situ-Messtechnik aufgebaut, die eine Belastungsmessung während des Umspritzens ermöglicht und anschließend eine Modellierung durchgeführt [4], mit der eine Rückführung der Kräfte auf Materialkennwerte und Prozessparameter ermöglicht wurde. Basierend darauf wurde der Lösungsansatz des Thermoplast-Schaumspritzgießens evaluiert und für den Einsatz qualifiziert. Im Folgenden sollen die Kernerkenntnisse zur Mediendichtheit und der mechanischen Belastung dargestellt werden sowie auf die Funktionsfähigkeit der Baugruppen eingegangen werden.

Belastungsreduktion während des Umspritzens

Für die Messung der mechanischen Belastung wurde der in Bild 1 schematisch dargestellte Versuchsaufbau benutzt. Dieser besteht im Kern aus einem 3-Wege-Kraftsensor (Kistler C9027), der über ein würfelförmiges Ersatzelement in der Kavität die Belastungen entlang der drei Hauptrichtungen während des Umspritzens messen und auftrennen kann. Dieser Versuchsaufbau wurde im Zuge eines früheren Forschungsprojektes (AiF IGF 16591 N) aufgebaut und im Projekt Foam-Tight adaptiert und optimiert. Die Ergebnisse dieser Belastungsmessungen sind in Bild 2 als gemittelte Maximalkräfte in y-Richtung (Fließrichtung) und in z-Richtung (senkrecht auf Baugruppe/Platine) dargestellt. In x-Richtung können aufgrund des symmetrischen Umströmens des Ersatzelementes keine Belastungen gemessen werden.

Zeichnung: Schematischer Versuchsaufbau zur In-situ-Belastungsmessung mittels eines 3-Wege-Kraftsensors.
Bild 1: Schematischer Versuchsaufbau zur In-situ-Belastungsmessung mittels eines 3-Wege-Kraftsensors. (Bild: Uni Erlangen)
Grafik: Ergebnisse der In-situ-Kraftmessung in y- und z-Richtung für verschiedene Schäumgrade.
Bild 2: Ergebnisse der In-situ-Kraftmessung in y- und z-Richtung für verschiedene Schäumgrade. (Bild: Uni Erlangen)

Die Ergebnisse verdeutlichen die Reduzierung der Belastung sowohl in y- als auch z-Richtung. Die z-Komponente entspricht dabei dem Forminnendruck, der beim Schaumspritzguss deutlich niedriger ist als beim herkömmlichen Spritzguss. Mittels einer auf Impulserhaltung-basierten Modellierung konnten die in y-Richtung wirkenden Kräfte auf die Prozessgrößen Druck und Einspritzgeschwindigkeit sowie auf die Materialgrößen Dichte während des Füllens und Viskosität zurückgeführt werden. Die Modellierung kann außerdem dazu genutzt werden, eine Vorhersage der Belastungen auf Basis einer Moldflow-Simulation durchzuführen. Die Ergebnisse für die Belastung in y-Richtung für gemessene und vorhergesagte Belastungen für spritzgegossene Bauteile stimmen im Wesentlichen überein. Die sehr gute Übereinstimmung der berechneten mit den gemessenen Kräften bestätigt dabei die Modellbeschreibung der Belastung. Diese Ergebnisse konnten aufgrund einer umfangreichen Materialcharakterisierung erzielt werden. Das Modell konnte außerdem durch weitere Versuchsreihen validiert werden und bietet nun eine Grundlage für weitere Optimierungen sowohl beim herkömmlichen Spritzguss als auch beim Schaumspritzguss.

Mediendichtheit der Baugruppen

Grafik: Ergebnisse der Dichtheitsprüfung mittels Differenzdruck für verschiedene Schäumgrade.
Bild 3: Ergebnisse der Dichtheitsprüfung mittels Differenzdruck für verschiedene Schäumgrade. (Bild: Uni Erlangen)

Die Schutzwirkung als zweite Zielgröße wurde unter anderem mittels Differenzdruckprüfung (Type DD6, Dr. Wiesner Steuerungstechnik) in Form einer Dichtheitsprüfung nachgewiesen. Dabei konnte, wie in Bild 3 dargestellt, gezeigt werden, dass für niedrige Schäumgrade vergleichbare Leckageraten wie bei konventionell umspritzten Baugruppen erreicht werden können. Natürlich genügt für den Einsatz in der Praxis nicht nur eine im Ausgangszustand dichte Baugruppe. Dementsprechend wurden die Baugruppen unter anwendungsnahen Bedingungen getestet. Dazu wurden alle Baugruppen in einer Temperaturschockprüfung abwechselnd mit -40 °C und 150 °C belastet. Die jeweiligen Stufen wurden dabei für 30 min. gehalten. Auch nach diesem Test zeigte sich, dass mit niedrigen Schäumgraden hergestellte Teile auch nach 1000 Belastungszyklen unverändert dicht sind, wohingegen die herkömmlich gespritzten Baugruppen ohne Vorbehandlung bereits nach 250 Zyklen ausgefallen sind. Alles in allem konnte also überprüft werden, dass der Schaumspritzguss eine geeignete Methodik zum Dicht-Umspritzen darstellt.

Funktionsfähigkeit der Elektronik-Elemente

Grafik: Ergebnisse der Funktionsfähigkeitsuntersuchung an längs und quer bestückten Baugruppen für Spritzguss (SG) und Schaumspritzguss (TSG).
Bild 4: Ergebnisse der Funktionsfähigkeitsuntersuchung an längs und quer bestückten Baugruppen für Spritzguss (SG) und Schaumspritzguss (TSG). (Bild: Uni Erlangen)

Die zentrale Anforderung beim direkten Einhausen ist natürlich die Funktionsfähigkeit der Baugruppen nach dem Umspritzen. Dazu ist in Bild 4 die Funktionsfähigkeit der Baugruppen nach dem konventionellen Umspritzen (SG) und dem Schaumspritzguss (SG) in Prozent dargestellt. Es wurden jeweils 10 Bauguppen längs und quer zur Bestückungsrichtung überspritzt. Diese wurde mittels eines einfachen Multimeteraufbaus gemessen. Um sicherzustellen, dass nur funktionsfähige Baugruppen im Prozess eingesetzt werden, wurde jedes Teil vor und nach dem Umspritzen gemessen. Dabei wird deutlich, dass beim herkömmlichen Umspritzen nur 70 bis 80 % der Baugruppen nach dem Einhausen funktionsfähig sind, wohingegen beim Schaumspritzguss ohne weitere Optimierung 100 % der Baugruppen funktionsfähig eingehaust werden konnten. Die Hauptausfallursache sind dabei gebrochene Lötstellen und komplett abgehobene Bauelemente. Insgesamt wird hier deutlich, dass durch die geringere Belastung im Schaumspritzguss weniger Baugruppen ausfallen, was die Grundvoraussetzung für eine Serienanwendung darstellt.

Zusammenfassung

Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass der Schaumspritzguss eine sehr gute Alternative zum herkömmlichen Spritzgießen darstellt, um Elektronik-Baugruppen direkt einzuhausen. Im Zuge des Forschungsprojektes konnten dabei die wirkenden mechanischen Belastungen gemessen und modelliert werden. Des Weiteren konnten diese in einzelne Bestandteile aufgespaltet werden und auf der Basis dieser Erkenntnisse Optimierungsstrategien erarbeitet werden. Dies verdeutlicht nicht nur, dass durch das Schaumspritzgießen eine Reduzierung der Kräfte erreicht werden kann, sondern können auch dazu genutzt werden, die Belastungen bei einer herkömmlichen Umspritzung zu optimieren. Darüber hinaus konnte ein Tool aufgebaut werden, mit dem bereits im Vorfeld Belastungen auf Baugruppen anhand von Simulationen abgeschätzt werden können und somit teure Vorversuche reduziert werden können. Darüber hinaus konnte eine vergleichbare Mediendichtheit wie im herkömmlichen Spritzguss erreicht werden, die auch ohne weitere Vorbehandlung über 1.000 Temperaturschockzyklen erhalten bleibt. Neben den hier dargestellten Ergebnissen konnten noch weitere Belastungen, die nicht auf dem Füllprozess basieren, im Projekt nachgewiesen werden und erste Anwendungsbeispiele anhand von Demonstratoren hergestellt werden.

Quelle: Uni Erlangen

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Dank

Besonderer Dank gilt der Bayerischen Forschungsstiftung BFS für die Förderung des Vorhabens (AZ-1487-20) sowie dem Projektkonsortium, bestehend aus den Unternehmen Vitesco Technologies, Oechsler, Kraus Maffei Technologies, Ricone und der SGS Service Gesellschaft für SMD-Technik.

Quellen

[1]    K. Ludwig, M. Steinau, J. Sauerbier: Overmolding für gehäuselose Getriebesteuerungen.
In: ATZ - Automobiltechnische Zeitschrift , 2021, 123, 26–31. DOI: 10.1007/s35148-021-0782-3
[2]    C. Goth, J. Franke, A. Reinhardt, and P. Widemann : Reliability of molded interconnect devices (MID) protected by encapsulation methods overmolding, potting and coating. In 2012 7th International Microsystems, Packaging, Assembly and Circuits Technology Conference (IMPACT), IEEE (2012 - 2012).
[3]    ViscoTec Pumpen- u. Dosiertechnik GmbH: Medizinprodukte vollautomatisiert kleben und vergießen. In:  adhäsion Kleben & Dichten, 2020, 64, 16–19. DOI: 10.1007/s35145-020-0460-8
[4]    C. Ott, D. Drummer: Reducing component stress during encapsulation of electronics:a simulative examination of thermoplastic foam injection molding. In: Journal of Polymer Engineering, 2022.
DOI: 10.1515/polyeng-2022-0150

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