Weißer Plastikbecher (Öffnung unten).

Thermogeformter Musterbecher (Bild: IKV Aachen)

Dünnwandige Formteile können schon heute mit hohen Produktionsgeschwindigkeiten besonders energieeffizient im Thermoformprozess hergestellt werden [1]. Eine bedeutende Qualitätsgröße ist die Wanddickenverteilung des Produktes, welche unter anderem sowohl die Steifigkeit, die Formteilhaptik und -stabilität als auch die Barrierewirkung von Verpackungen beeinflusst. Durch eine Optimierung der Wanddickenverteilung kann gleichzeitig der Wareneinsatz auf ein Minimum reduziert und die Nachhaltigkeit des Prozesses gesteigert werden [1, 2, 3, 4]. Schwankende Umgebungs- und Prozessbedingungen wie abnehmende Strahlerleistungen oder nicht reproduzierbare Luftströme führen zu einer ungleichmäßigen Halbzeugtemperaturverteilung und damit zu inhomogenen Wanddickenverteilungen, was eine durchgängige Qualitätskontrolle erforderlich macht. Zum stichpunktartigen Ermitteln des Wanddickenprofils sind industriell taktile oder auf dem Hall-Effekt-basierende Messgeräte verbreitet, die eine beidseitige Berührung der Formteilwand durch das Messmittel voraussetzen. Dadurch ist eine Integration in ein Thermoformwerkzeug und somit eine Inline-Messung nicht möglich, was große Latenzzeiten von oftmals mehreren Minuten zwischen Produktion und Wanddickenmessung der Formteile zur Folge hat [3, 4, 5]. Berührungslose Messverfahren mittels Ultraschalls oder Lasertriangulation liefern nur einen punktuellen Messwert oder sind bisher nur für das Positivformen validiert worden [3, 5]. Das Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen entwickelt deshalb im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens 21301 N eine performante, modellbasierte Methodik zur lückenlosen Prozessüberwachung, ohne auf eine zeitverzögerte Messung des Formteils zurückgreifen zu müssen. Ziel der Untersuchungen ist es, die Wanddickenverteilung jedes Formteils, ausgehend von der Temperaturverteilung im Halbzeug simulativ vorherzusagen. Erstmals kommen Simulationsmethoden also nicht nur in der Produkt- und Prozessentwicklung zum Einsatz, sondern auch in der Prozessüberwachung.

Schematische Abbildungen.
Bild 1: Digitaler Zwilling zur Bestimmung der Wanddickenverteilung. (Bild: IKV Aachen)

Wie die reale Halbzeugtemperatur bestimmt wird

Da die Halbzeugtemperatur einen maßgeblichen Einfluss auf das Umformverhalten des Materials und damit auf die resultierende Wanddickenverteilung hat, muss diese möglichst genau bekannt sein. Die Annahme einer homogenen Temperatur ist eine starke Vereinfachung und ist daher nicht zulässig. Deshalb wird die Halbzeugtemperaturverteilung zunächst mithilfe einer Infrarotkamera vom Typ A320 der Firma FLIR Systems, Wilsonville, USA, bestimmt, welches das temperaturabhängige Abkühlverhalten des Halbzeugs berücksichtigt. Zu Versuchszwecken wird die Kamera in eine Negativ-Thermoformanlage des Typs KD 2025 von Kiefel, Freilassing, integriert. Zum Kalibrieren der Messwerte wird der für das Halbzeug angenommene Emissionsgrad des Halbzeugs (800 µm dicke Polystyrolfolie von W. u. H. Fernholz, Meinerzhagen) so angepasst, dass die thermografisch gemessenen Temperaturen denen von Kontrollmessungen mit einem Kontaktthermometer entsprechen. Anschließend erfolgt zum Zeitpunkt tm das Umsetzen des Halbzeugs in die Formstation sowie das Schließen des Werkzeugs und schließlich der eigentliche Umformvorgang. Im Zeitraum tabkühl (= 4 s) zwischen der Messung und der Umformung kühlt das Halbzeug weiter ab, woraus sich eine unbekannte Temperaturänderung (ΔT) ergibt, welche zur Bestimmung der Temperaturen zum Zeitpunkt der Umformung korrigiert werden muss.

Schematische Darstellung.
Bild 2: Schematischer Verlauf der mittleren Halbzeugtemperatur im Prozess. (Bild: IKV Aachen)

Ist die Halbzeugtemperatur zum Zeitpunkt des Umformens berechenbar?

Eine Möglichkeit ist die Lösung der dreidimensionalen, instationären Wärmeleitungsgleichung mittels FEM-Simulation in Abaqus, Dassault Systèmes Simulia, Providence, USA. Vorteilhaft ist das Berücksichtigen der Wärmeleitung in allen drei Raumrichtungen des Halbzeugs, weshalb hohe Genauigkeiten zu erwarten sind. Als nachteilhaft stellt sich dagegen eine Simulationsdauer von > 100 s heraus, was die Reaktionszeit bei Ausschussproduktion verringert. Zur Reduktion der Rechenzeiten wird daher ein vereinfachtes, analytisches Berechnungsmodell in Matlab, The Mathworks, Natick, USA, entwickelt. Mit der Annahme eines über der Dicke konstanten Temperaturprofils wird der mittlere Abkühlverlauf nach dem Heizschritt mit der IR-Kamera bestimmt. Für den abgehenden Wärmestrom ergibt sich aus der zeitlichen Änderung der Temperatur (dT/dt), der spezifischen Wärmekapazität cp, der Dichte ρ und der Fläche A sowie der Dicke d des Halbzeugs der abgehende Wärmestrom (Q̇Ab) zu:

 

Gleichung.
(Bild: IKV Aachen)

Entsprechend gilt für die flächenbezogene Wärmestromdichte q" unter Berücksichtigung einer beidseitigen Abkühlung:

Gleichung 2.
(Bild: IKV Aachen)

Nach Gleichung 2 kann nun die temperaturabhängige Wärmestromdichte ermittelt werden. Die temperaturabhängigen Wärmestromdichten werden mithilfe der Materialkennwerte auf die Änderungsrate der Temperatur zurück gerechnet und den Temperaturen zugeteilt. Entsprechend dieser wird die Temperatur nach Zeitraum tabkühl = 4 s zum Zeitpunkt der Umformung entlang eines Rechengitters angepasst. Durch eine diskrete Verteilung der Gitterpunkte können inhomogene Halbzeugtemperaturverteilungen ebenfalls mit dem vereinfachten Berechnungsmodell bestimmt werden. Die Rechenzeit kann auf circa 50 ms reduziert werden, jedoch besteht das Risiko einer ungenaueren Vorhersage aufgrund der vernachlässigten Wärmeleitungsterme. Des Weiteren sind gemessene Abkühlverläufe nach Gleichung 1 stets materialspezifisch und abhängig von den Umgebungstemperaturen und konvektiven Luftströmungen. Zum Vergleich der Modelle werden analog zum Abkühlverlauf aus Bild 3 zeitliche Verläufe der Temperaturverteilung im Halbzeug aufgenommen. Das Temperaturprofil zu einem Anfangszeitpunkt mit der mittleren Temperatur Tstart wird den Modellen zur Abkühlmodellierung übergeben. Nach dem Berechnen des Abkühlvorgangs werden die erhaltenen Temperaturprofile mit dem tatsächlichen Temperaturprofil nach tabkühl (= 4 s) verglichen. Um die Abweichung zu quantifizieren, wird die mittlere betragsmäßige Abweichung mean|Abw| und die maximale betragsmäßige Abweichung max|Abw| betrachtet.

Diagramm mit grüner Kurve.
Bild 3: Abkühlverlauf des Halbzeugs nach dem Heizschritt für = 143 °C (Bild: IKV Aachen)

Die mittlere betragsmäßige Abweichung liegt für alle durchgeführten Berechnungen unter 0,5 °C, die maximale bei unter 1,6 °C. Es zeigt sich, dass sich die Abweichungen für die verschiedenen Modellansätze jeweils auf einem ähnlichen Niveau befinden und ein Ergebnis mit vergleichbarer Qualität erzielt werden kann. Die komplexere FEM-Modellierung erreicht eine minimal höhere Vorhersagegenauigkeit. Für die Lösung des FEM-Modells benötigt Abaqus mindestens eine Zeit von 100 s, während das Modell in Matlab innerhalb von weniger als 50 ms eine Lösung ermittelt. Hiermit wird deutlich, dass das vereinfachte Modell eine Möglichkeit bietet, mit minimalem Zeitaufwand die Halbzeugtemperatur zum Umformzeitpunkt zu bestimmen. Da für die prozessparallele Simulation des Thermoformprozesses nur begrenzte Zeit zur Verfügung steht, stellt dies einen deutlichen Vorteil gegenüber dem FEM-Modell dar.

Schematische Zeichnung.
Bild 4: Schematischer Vergleich der verwendeten Rechengitter zur Bestimmung der Halbzeugtemperaturverteilung zum Umformzeitpunkt. (Bild: IKV Aachen)

So lässt sich das Umformverhalten zum Ermitteln der Wanddickenverteilung simulieren

Ausgehend von der ermittelten Halbzeugtemperaturverteilung zum Umformzeitpunkt wird im nächsten Schritt der Umformprozess mit Abaqus simuliert. Als Probekörper wird ein rotationssymmetrischer Joghurtbecher mit einer Tiefe von 40 mm und einem Durchmesser von 60 mm betrachtet, welcher ausschließlich durch Luftdruck umgeformt wird. Eine Herausforderung in der Umformsimulation stellt die Auswahl und Kalibrierung eines geeigneten Materialmodells dar. Da im Thermoformprozess eine große Bandbreite von Verstreckgeschwindigkeiten auftritt, muss diese beim Aufstellen des Materialmodells berücksichtigt werden. Vielversprechend ist deshalb beispielsweise ein visko-hyperelastisches Modell mit Erweiterung durch eine Prony-Reihe. Die Ergebnisse der Simulation zum Ermitteln der Wanddickenverteilungen werden mit denen real hergestellter Probekörper verglichen, um die Leistungsfähigkeit des digitalen Zwillings hinsichtlich der Vorhersagegenauigkeit zu bewerten. Weiterhin werden der Einfluss des eingesetzten Materialmodells sowie der mittleren aufgeprägten Halbzeugtemperatur auf die Vorhersagegenauigkeit sowie auf die benötigte Rechenzeit analysiert und Empfehlungen für die Implementierung des digitalen Zwillings im industriellen Umfeld abgeleitet. Abschließend steht dem produzierenden Gewerbe damit ein wirtschaftliches Werkzeug zur durchgängigen und berührungslosen Qualitätskontrolle der Formteile zur Verfügung.

Balkendiagramm.
Bild 5: Abweichungen der Simulationsmethoden zur realen Halbzeugtemperatur bei verschiedenen Halbzeug-Starttemperaturen T(start). (Bild: IKV Aachen)

Dank

Das IGF-Forschungsvorhaben 21301 N der Forschungsvereinigung Kunststoffverarbeitung wird über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Allen Institutionen gilt unser Dank.

Literatur

[1] Moser, A.: Nutzung von Prozesswissen beim Thermoformen von Verpackungen. Universität Duisburg-Essen, Dissertation, 2013.
[2] Eyerer, P.; Elsner, P.; Hirth, T.: Polymer Engineering. Technologien und Praxis; Berlin, Heidelberg: Springer, 2008.
[3] Landsecker, K.; Bonten, C.: Wanddicke nach Fledermaus-Art regeln. Kunststoffe 106 (2016) 4, S. 66–88.
[4] van Mieghem, B.; Lava, P.; Debruyne, D.; van Bael, A.; Ivens, J.: Digital Image Correlation for On-Line Wall Thickness Measurements in Thick Gauge Thermoforming. Key Engineering Materials 554-557 (2013), S. 1583–1591.
[5] van Marwick, J. P.: Wanddickenmessung und -regelung beim Thermoformen. RWTH Aachen, Dissertation, 1997.

Quelle: Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen, Aachen

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