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Die Digitalisierung ist ein Werkzeug, um die Nachhaltigkeits-Ziele der Kunststoffimdustrie zu erreichen. (Bild: Laymanzoom/Stock.Adobe.com, )

Seit einigen Jahren kann  man im Markt beobachten, wie immer mehr Maschinenanbieter immer mehr Informationen aus den Anlagen ziehen und daraus Angebote schaffen, diese Daten zur Optimierung der Produktion einzusetzen. Zwar ist dieser Fortschritt längst nicht bei allen Kunststoffverarbeitern in die Praxis umgesetzt, aber das Bewusstsein dafür ist geschaffen. Es scheitert nicht selten an der notwendigen Investition, dem klaren RoI und dem Personal mit Fachkenntnissen.

Einsatz von KI für mehr Nachhaltigkeit in der Kunststoffindustrie

Die Digitalisierung schreitet jedoch in der Branche mit großen Schritten voran und Big Data sowie Künstliche Intelligenz (KI) sind die neuen Keywords. Die gesammelten Daten vernünftig zu managen und zur Weiterentwicklung der Produkte einzusetzen, darum geht es jetzt. Und das bezieht sich nicht nur auf Daten aus den Maschinen und Geräten, sondern auch auf Daten, die aus den Rohstoffen gewonnen werden können. Daten können Transparenz und Übersichtlichkeit schaffen, können bei der Standardisierung helfen und für Mehrwert beim Verarbeiter bis hin zum Consumer sorgen. Davon können Kreislaufwirtschaft und Ansätze zu mehr Nachhaltigkeit der Produkte profitieren.

Digitale Werkzeuge in der Polymerentwicklung

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Greg Mulholland, CEO Citrine (Bildquelle: Dr. Etwina Gandert/ Redaktion Plastverarbeiter

Einen Ausblick, wie digitale Informationen in der Rohstoffindustrie eingesetzt werden können, gewährte der Spezialchemiekonzern Lanxess im vergangenen Jahr auf der K 2019. Der Konzern stellte seine Zusammenarbeit mit Citrine Informatics, einem Unternehmen aus dem Silicon Valley, vor. Ziel der vorgestellten Zusammenarbeit sollte sein, durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz die Entwicklungszeit neuer Materialien deutlich zu verkürzen. Die Partner starteten ein Pilotprojekt, in dem das Potenzial von KI bei der Kunststoffherstellung ausgelotet werden sollte. In dem Projekt sollten die Glasfasern, mit denen Lanxess viele seiner Hochleistungskunststoffe verstärkt, weiter zoptimiert und somit letztlich die Leistungsfähigkeit der Werkstoffe erhöht werden. Die komplexe Zusammensetzung der Glasfaserschlichten und zahlreiche Einflussfaktoren beim Herstellen der Hochleistungskunststoffe erfordern bei einem traditionellen Vorgehen in der Produktentwicklung sehr viele Tests, deren Ergebnisse schwer zu prognostizieren sind. KI leistet hier einen entscheidenden Beitrag, um aus vorhandenen Daten das Maximale herauszuholen. Gespeist aus tausenden Messergebnissen bisheriger Rezepturen, Rohstoffinformationen und zahlreicher weiterer Daten berechnen KI-Algorithmen Prognosemodelle für noch bessere Versuchskonstellationen und -parameter, entwickeln diese Modelle mit den Messergebnissen eines jeden Versuchs weiter und schlagen letztlich eine optimale Rezeptur vor. Dieses Verfahren macht die Produktentwicklung deutlich schneller als traditionelle Methoden.

In einem anderen Projekt ging es um den Einsatz  KI-gestützter Rezepturentwicklung für Urethan-Systeme. Lanxess-Datenspezialisten und -Prozessexperten haben mithilfe der Citrine-Plattform die Rezeptur-Datenbank um weitere Datenpunkte ergänzt. Dabei greift ein auf Chemie ausgelegter Algorithmus auf bestehende empirische Messdaten zurück, verknüpft sie mit dem Wissen der Prozessexperten und errechnet weitere Werte. Auf diese Weise werden nur wenige reale Messungen zur Überprüfung der mit KI bestimmten Werte benötigt. Bisher sind Chemiker im Wesentlichen auf ihr Fachwissen und ihre langjährige Erfahrung angewiesen, wenn sie neue Rezepturen erforschen, um die Produkteigenschaften wie Härte, Reißfestigkeit oder Viskosität in definiertem Maße zu erfüllen. So räumte selbst der Chemiker und Leiter des Geschäftsbereichs Urethane Systems bei Lanxess, Dr. Markus Eckert, eine anfängliche Skepsis bei der Präsentation im vergangenen Herbst ein, doch die Ergebnisse der Entwicklung seien überzeugend gewesen, erklärte er.

Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Chemie

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Frederik Sandfort Wissenschaftlicher Mitarbeiter de Glorius Group, Universität Münster

An einer Entwicklung in ähnlicher Richtung arbeitet auch eine Forschergruppe um Prof. Frank Glorius an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Der Doktorand Frederik Sandfort publizierte im Sommer 2020 in der Fachzeitschrift Chem seine Arbeiten über eine strukturbasierte Plattform zur Vorhersage chemischer Reaktivität „Im Gegensatz zur Vorhersage von Eigenschaften einzelner Verbindungen ist eine Reaktion das Zusammenspiel vieler Moleküle und somit ein multidimensionales Problem.“ Zudem gebe es keine klar definierten „Spielregeln“, die – wie bei modernen Schachcomputern – die Entwicklung von auf Künstlicher Intelligenz beruhenden Modellen vereinfachen. Aus diesem Grund basieren die bisherigen Ansätze zur akkuraten Vorhersage von Reaktionsergebnissen wie den Ausbeuten, also der Menge an gewonnenen Produkten, oder den Produkten selbst, zumeist auf einem zuvor gewonnenen Verständnis über die molekularen Eigenschaften. (Uni Münster-News, 2020) Auf Nachfrage von Plastverarbeiter erklärt der Wissenschaftler: „Unser Modell kann prinzipiell für alle Arten von Reaktionen und Synthesen kleiner Moleküle angewendet werden, wobei es besonders darum geht, Molekülstrukturen zum Beispiel unterschiedlicher Substrate miteinander zu vergleichen und zugrundeliegende Zusammenhänge zu nutzen. Bisher haben wir uns hierbei insbesondere auf katalytische Reaktionen fokussiert. Tendenziell ist es sicherlich möglich, das Modell auf Polymer-Kettenreaktionen zu erweitern. Hierfür müssten allerdings zunächst die vielfältigen polymerisationsspezifischen Parameter berücksichtigt und in das Modell eingebaut werden.“ Anders als im physikalisch basierten Molecular Modelling werden die Vorhersagen rein datenbasiert getroffen. Der Erfolg des Einsatzes von maschinellem Lernen beziehungsweise KI hängt vor allem von der Qualität der Daten ab. „Für die weitere Entwicklung wird es nun wichtig sein, geeignete Daten zu identifizieren und für die Modellierung zu nutzen. Hierfür sind eine weitere Digitalisierung und insbesondere Standardisierung experimenteller Daten chemischer Reaktionen unabdingbar“, betont Sandfort.

Digitale Daten schaffen Transparenz im Rezyklatemarkt für mehr Kreislaufwirtschaft

Christian Schiller von Cirplus

Christian Schiller, CEO Cirplus, arbeitet daran, den Rezyklatemarkt für eine geschlossene Kunststoff-Kreislaufwirtschaft zu stärken.

Digitale Standardisierung ist auch für einen anderen Bereich der Rohstoffversorgung und Nachverfolgung in der Wertschöpfungskette der Kunststoffverarbeitung wichtig. Hier treffen zwei bedeutende Forderungen an die Kunststoffindustrie zusammen: Nachhaltigkeit und das Schließen des Wertstoffkreislaufs. Für beide Ziele ist ein transparentes Datenmanagement die Voraussetzung.

Der Betreiber einer digitalen Plattform für den Kunststoffrezyklate-Markt, Cirplus, hat die Bedeutung dessen erkannt. Im nachfolgenden Interview betont Christian Schiller, CEO Cirplus, wie wichtig die intelligente Verknüpfung zwischen realwirtschaftlichen Standards und der Digitalisierung für den Einsatz von Rezyklaten in Kunststoffprodukten ist: „Was im B2C-Bereich mit digitalen Plattformen bereits vor zehn Jahren Einzug gehalten hat, setzt jetzt auch im B2B-Bereich ein.“ Damit Kunststoffrezyklate sich am Markt durchsetzen, braucht es eine zuverlässige Versorgung und sichere Qualität. Hinzu kommt, dass „Wenn die Qualität des Produktes nicht klar und verbindlich definiert ist, kann auch der zugehörige Marktwert nicht angegeben werden“ wie Prof. Hans-Josef Endres, Leiter des Instituts für Kunststoff- und Kreislauftechnik (IKK) an der Leibniz Universität Hannover, im Interview mit Plastverarbeiter erklärt.

Datenaustausch für den geschlossenen Wertstoffkreislauf

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Igor Konstantinov, Growth & Business Development Manager bei Circularise, berichtet von einem Projekt mit dem Automobilhersteller Porsche, dass die Nachhaltigskeitsziele in der Automobilproduktion unterstützt.

Ein geschlossener Wertstoffkreislauf von Kunststoff geht jedoch noch weiter und auch dafür sind Datenmanagement und vor allem Datensicherheit entscheidende Erfolgsfaktoren. Um Wertstoffe im Kreislauf zu führen und daraus ausreichende Rezyklatqualitäten zu erzeugen, kann die Rückverfolgbarkeit der Werkstoffe von der Rohstoffquelle zum Endprodukt unterstützen. Jedoch ist der Datenaustausch immer auch mit der Frage nach Sicherheit der Daten verbunden. Dies will das Unternehmen Circularise mit Sitz in Den Haag, Niederlande, sicherstellen. Mit Fördermitteln aus dem der KMU-Instrument H2020 der EU-Kommission Phase 2 soll eine Blockchain-Technologie für die Kreislaufführung innerhalb der Kunststoffindustrie aufgebaut werden. Zwar gebe es bereits Materialien, für die eine Rückverfolgbarkeit gefordert wird, doch im Normalfall sei dies nicht möglich aufgrund der unzureichenden Transparenz in der Warenkette. „In der Automobilindustrie ist die Warenkette für die meisten Bauteile mindestens vier Zulieferer lang und das macht deutlich, wie schwierig es ist, die relevanten Informationen zu bekommen. Dies ist genau das Problem welches Circularise versucht zu lösen. Wir wollen Automobilkonzerne und deren Kunden Zugang zu diesen relevanten Informationen ermöglichen. Dies beginnt mit Informationen zum Ursprung der Materialien und reicht bis zu Nachhaltigkeitszertifizierungen“, führt Igor Konstantinov, Growth & Business Development Manager bei Circularise, aus. Dafür nutze das Softwareunternehmen derzeit Daten aus den Life Cycle Assessments von unabhängigen Prüfern, ergänzt er. Dies beinhalte auch Daten zur CO2-Emissionen und über Wassereinsparungen sowie über die geografische Information zur Rohstoffquelle. Der Fokus des Unternehmens liegt dabei nicht auf der Vereinheitlichung der Daten, sondern auf dem Aufbau eines sicheren Datenkanals, welcher es der Wirtschaft ermöglicht, transparent zu sein ohne die Datensicherheit oder Verschwiegenheit zu gefährden. Der Datentyp sowie die Spezifizierungen der Datenformate werden dabei von der Automobilbranche selbst festgelegt. Rohstoffkonzerne und Zulieferer der Automobilindustrie sind aufgerufen, sich an dieser Initiative zu beteiligen, so wie es bereits Covestro und Domo Chemicals getan haben. „Circularise Plastics baut ein Datenaustauschprotokoll auf, bei dem der Datenschutz im Mittelpunkt steht, was unserer Meinung nach eine kluge Strategie ist, da es die Sorge um den Datenschutz ist, die Unternehmen oft davon abhält, transparenter zu werden“, sagt Thomas Nuyts, Director of Global Product Management bei Domo Chemicals, der dort auch das Projekt mit Circularise Plastics betreut. Und Konstantinov fügt hinzu, dass der Datenschutz durch die patentierte Technologie „Smart Questioning“ sichergestellt werde.

Wie Nachhaltigkeit zum Wettbewerbsvorteil werden kann

In der Automobilindustrie wächst der Bedarf, die Nachhaltigkeit ihrer Produkte auch gegenüber den Verbrauchern nachzuweisen. Infolgedessen wird dieser Bedarf an die Zulieferer adressiert und kann dann auch zu einem Wettbewerbsvorteil werden. „Für OEMs und Markeninhaber ermöglicht ‘Circularise Plastic’ das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen und ein gestärktes Markenimage durch die Offenlegung der Herkunft des Produkts und Transparenz bezüglich dessen Umwelteinflusses“, wie Dr. Burkhard Zimmermann, Head of Strategy, Sustainability and Digital, Covestro Polycarbonates, darlegt. Für Nuyts liegt der Wert zudem darin, dass dieser Standard durch die Industrie anstelle von nur zwei Firmen entwickelt wird, und dass dadurch zentralisierte Institutionen vermieden werden und stattdessen alle Teilnehmer gleiche Rechte haben.

In einem Modellprojekt mit Porsche hat Circularise bereits gezeigt, wie die Transparenz der Daten zu einem Kaufargument beim Verbraucher werden könnte. Die Daten aller Bauteile des Fahrzeugs werden in einer App zusammengefasst, so dass der Käufer klar informiert ist über das Nachhaltigskeitslevel seines Fahrzeugs. Zudem ist es vorgesehen, mit der App Nachhaltigkeitspunkte zu sammeln, was den Nutzer motivieren soll, nachhaltiger zu agieren, so die Zielsetzung des Autobauers nach Aussage von Konstantinov. Ein spannender Ansatz, wenn Nachhaltigkeit zum Wettbewerbsvorteil werden kann.

ist Redakteurin Plastverarbeiter. etwina.gandert@huethig.de

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