MRK_Nieten

Mensch-Roboter-Kooperation eignet sich besonders als Ergänzung zu bisher rein manuellen Tätigkeiten, bei denen leichte Werkstücke bearbeitet werden. (Bild: Fraunhofer IPA/Rainer Bez)

Fraunhofer IPA-Robotik-Versuchsfeld

In den Versuchsfeldern des Fraunhofer IPA entstehen Innovationen für die Industrierobotik der Zukunft. (Bildquelle: Fraunhofer IPA/Rainer Bez)

Das Bild, das einem typischerweise beim Thema Industrierobotik in den Sinn kommt, zeigt eine menschenleere Fabrikhalle, in der große Roboterarme Karosserien hinter Schutzzäunen handhaben. Der gesamte Ablauf wurde bis ins Detail einprogrammiert und duldet üblicherweise keine Abweichungen, denn die Roboter arbeiten „blind“ und erwarten ein Bauteil an exakter Position, um es weiterverarbeiten zu können.

Derart eingesetzte Industrieroboter haben ihre absolute Berechtigung in der Massenproduktion und sorgen für eine Produktivität und gleichzeitig Entlastung der Mitarbeiter, die ansonsten undenkbar wäre. Die seit Jahren positiven Marktzahlen belegen den Erfolg der klassischen Industrierobotik. Die Einrichtung solcher Anlagen ist aber auch mit zeitlichen und finanziellen Aufwänden verbunden und erfordert Expertenwissen. Einmal aufgebaut, sollte die Anlage abhängig vom Schichtbetrieb durchaus wenige Jahre unter gleichen Bedingungen laufen, um sich zu rentieren.

Neue Möglichkeiten

Doch es kommen zunehmend neue Anforderungen an Produktionen ins Spiel: Die Losgrößen werden kleiner, es gibt immer mehr Varianten eines Produkts bis hin zu seiner völligen Personalisierung und natürlich sollen die Zykluszeiten dennoch niedrig gehalten werden. Kurzum: Die eingangs genannte klassische Industrierobotik eignet sich hier nicht, denn die Aufwände für die genannte Einrichtung wiederholen sich mit jeder neuen Variante und jedem neuen Bauteil. Und dennoch möchten viele produzierende Unternehmen, insbesondere Mittelständler, von den Vorteilen einer roboterbasierten Ausführung profitieren. Dazu gehören unter anderem die Entlastung der Mitarbeitenden, die gleichbleibende Fertigungsqualität oder das Aufrechterhalten der Produktionskapazitäten auch in Zeiten des demografischen Wandels und Fachkräftemangels. Letztere Aspekte gelten als gesellschaftliche Megatrends und die Robotik ist eine Möglichkeit, sinnvoll auf diese zu reagieren.

Dieser „market pull“ trifft auf ein „technology push“: Nicht nur hat der Markt neue Bedarfe an die Robotik, sondern technische Innovationen und Technologieschübe ermöglichen neue Anwendungen mit Industrie- aber auch Servicerobotern, also Robotern, die außerhalb von Produktionen im Umfeld des Menschen agieren und ihn dort als Dienstleister unterstützen. Diese Technologieschübe zeigen sich beispielsweise am zunehmenden Einsatz von Sensorik. Indem Roboter ihr Umfeld selbst wahrnehmen und ein Bauteil detektieren, können sie Aufgaben flexibler ausführen und Unsicherheiten im Prozessablauf ausgleichen.

Weiterhin tut sich viel bei der Programmierung von Robotern. Während diese bisher in einer herstellerspezifischen Sprache und von einem Experten ausgeführt werden musste, geht der Trend hin zum intuitiven Instruieren eines Roboters. Beispielsweise wurde am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart, die Software Drag & Bot entwickelt: Der Anwender stellt in einer grafischen Bedienoberfläche mithilfe fertig einsetzbarer Programmbausteine ein Roboterprogramm zusammen, ohne dass er Wissen über die Programmiersprache benötigt. Drag & Bot ist für Roboter verschiedener Hersteller nutzbar und unterstützt das Parametrisieren des Programms durch Eingabehilfen. Neben Sensorik und dieser vereinfachten Programmierung beflügeln weitere Technologieschübe die Robotik. Im Folgenden werden drei von ihnen, nämlich die Mensch-Roboter-Kooperation, Open-Source-Software sowie maschinelles Lernen für das Teilehandling behandelt.

Neue Teams

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Mensch-Roboter-Kooperation eignet sich besonders als Ergänzung zu bisher rein manuellen Tätigkeiten, bei denen leichte Werkstücke bearbeitet werden. (Bildquelle: Fraunhofer IPA/Rainer Bez)

Entgegen dem eingangs erwähnten Bild des Industrieroboters kann eine Roboteranwendung auch so aussehen: Ein Werker steht an einem Montagearbeitsplatz und nutzt diesen wie gewohnt für manuelle Tätigkeiten wie zum Beispiel das Nieten – eine körperlich beanspruchende Aufgabe. Für Entlastung sorgt ein kleiner Industrieroboterarm, ein sogenannter Leichtbauroboter, am gleichen Arbeitsplatz. Er ist mit einer passenden Vorrichtung und einer Nietpistole ausgestattet, sodass der Werker die zu nietenden Teile einlegen und automatisch nieten lassen kann. Auf die Anwendung abgestimmte Sicherheitstechnik sorgt dafür, dass der Arbeitsplatz allen Sicherheitsanforderungen genügt. Auch in Kombination mit mobilen Plattformen kommen Leichtbauroboter inzwischen daher und lassen sich an unterschiedlichen Stationen zum Entnehmen oder Bestücken von Bauteilen oder für Montageprozesse andocken.

Mensch-Roboter-Kooperation (MRK), also die unterschiedlich ausgeprägte Zusammenarbeit von Mensch und Roboter am gleichen Arbeitsplatz, macht diese neue Form von teilautomatisierten Anwendungen möglich. Experten sehen sie als entscheidenden Treiber künftiger Automatisierung mit Robotern. MRK bietet verschiedene Mehrwerte. Dazu gehören ein flexiblerer Produktionsprozess, ein schlankes und mobiles Robotersystem und die verbesserte Ergonomie am Arbeitsplatz. Zur Wirtschaftlichkeit gibt es keine pauschal gültige Antwort. Eine MRK-Anwendung muss sowohl gegenüber einer vollmanuellen als auch einer vollautomatischen Lösung kalkuliert werden. Einflussgrößen wie Taktzeit, ISO-konforme Sicherheitsvorkehrungen und der daraus resultierende Invest beeinflussen die Kennzahlen. Entscheidend ist also immer eine passgenaue Planung der MRK-Anwendung, um die unternehmensspezifischen Anforderungen und Kriterien bestmöglich in die Umsetzung einzubeziehen. Das Fraunhofer IPA berät hier umfassend, auch was das Thema Sicherheit angeht.

So haben die Experten beispielsweise das Tool CARA (Computer Aided Risk Assessment) entwickelt. Es hilft dabei, die Risikoanalyse für MRK-Anwendungen etwa für die Montage und Handhabung ein Stück weit automatisiert zu unterstützen. CARA prüft die einzelnen Prozessschritte verbunden mit den eingesetzten Ressourcen (Werkzeugen), sogenannten Produkt-Prozess-Ressource-Tupeln, die bereits in einer zentralen Datenbank hinterlegt sind und die ein Systemintegrator auswählen kann. Darauf basierend gibt das Tool mögliche Gefährdungen sowie geeignete Sicherheitsmaßnahmen aus. Zudem berät das Fraunhofer IPA im Rahmen des Forschungsprojekts Robo Shield bei der sicheren Umsetzung von MRK-Anwendungen und startet in diesem Sommer eine Webinarreihe zum Thema Sicherheit.

Neues Prinzip

ROS-Fraunhofer-IPA

Mithilfe des freien Betriebssystems ROS hat das Fraunhofer IPA gemeinsam mit Partnern eine Polieranwendung umgesetzt. (Bildquelle: Fraunhofer IPA)

Neben der MRK ist Open-Source-Software ein weiterer Enabler neuer Roboteranwendungen. Hier ist insbesondere das Robot Operating System (ROS) zu nennen. Es besteht aus einer Sammlung von Funktionalitäten, Treibern und einer Kommunikationsschicht. ROS bietet Komponenten für Manipulation, Navigation oder Bildverarbeitung, aber auch Treiber, Algorithmen sowie Diagnose- und Entwicklungswerkzeuge. Diese sind frei verfügbar, herstellerunabhängig, standardisiert und entstehen partizipativ. Einmal entwickelte Komponenten können mehrfach verwendet werden, was die Entwicklung und Inbetriebnahme von Robotersystemen effizienter macht. Und jedermann kann die Komponenten als Basis für die Neu- oder Fortentwicklung nutzen. Auch eine kommerzielle Nutzung ist bereits recht verbreitet und beinhaltet häufig sowohl Open-Source- als auch Closed-Source-Komponenten.

Veröffentlicht 2007, war es ursprünglich für den Einsatz im Forschungsbereich und die schnelle Prototypenentwicklung gedacht. Aufgrund seiner Offenheit und einfachen Erweiterbarkeit konnte ROS sehr schnell eine breite Entwickler- und Anwendergemeinde anziehen und wurde zum De-Facto-Standard in der universitären Roboterforschung. Entsprechend dem vorgesehenen Einsatzzweck standen Aspekte wie Echtzeitfähigkeit oder Safety- & Security-Funktionen nicht im Fokus der ursprünglichen Entwicklung. Vielmehr sollte ROS einfach zu erlernen sein und dem Entwickler möglichst wenig Steine im Aufbau und Umbau, in der Analyse und Beobachtung seines Systems in den Weg legen. Mit dem kürzlich erschienenen ROS 2 werden genau die Themen Echtzeitfähigkeit und Safety & Security adressiert, die für den industriellen Einsatz hochrelevant sind.

Auch dank Initiativen wie dem ROS-Industrial-Konsortium mit aktuell über 70 Mitgliedern wurde die Anwendung von ROS auf den Industrierobotikbereich ausgebaut, sodass allein 2018 1,6 Mio. Downloads von ros.org gezählt wurden und es heute für über 120 verschiedene Roboter ROS-Treiber und viele Applikationen mit einem sehr hohen Reifegrad gibt. Das Fraunhofer IPA betreut den europäischen Ableger des ROS-Industrial-Konsortiums. In dieser Funktion richtet das Institut jährlich im Dezember eine große ROS-Veranstaltung aus, die einen breiten Überblick über den aktuellen Stand an industriellen Anwendungen mit ROS gibt. Darunter waren in den vergangenen Jahren auch Referenten von Firmen wie Amazon und Google, denn auch diese IT-Giganten setzen mittlerweile auf ROS – ein starkes Zeichen. Um Anwendern den Umstieg von ROS 1 auf ROS 2 zu erleichtern oder das Betriebssystem ganz neu kennenzulernen, bietet das Institut regelmäßig Trainings an.

Neues Lernen

Fraunhofer-IPA_ML_BinPicking

Maschinelles Lernen hilft, den Griff-in-die-Kiste performanter und auch für die Bildverarbeitung schwierig zu erkennende Bauteile gut sichtbar zu machen. (Quelle: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez)

Der dritte hier vorgestellte Technologieschub geht vom maschinellen Lernen (ML) aus. Es hat das Potenzial, Roboteranwendungen auf ein ganz neues, autonomeres Niveau zu bringen. Beispielsweise der Griff-in-die-Kiste, also das roboterbasierte Vereinzeln ungeordnet chaotisch gelagerter Bauteile in einem Werkstückträger, ist eine typische und zugleich immer noch herausfordernde Anwendung für Roboter, die in zahlreichen Branchen gefragt ist. Aktuell basieren die Algorithmen noch auf expliziter Programmierung sowie geschickten und effizienten Suchalgorithmen. Die Nutzung von ML kann den Griff-in-die-Kiste noch performanter machen in Form von kürzeren Zykluszeiten, mehr gegriffenen Objekten pro Stunde und weniger Umrüstaufwand für neue Werkstücke.

Das Wissen, um den Betrieb schneller als bisher mit expliziter Programmierung aufnehmen zu können, hat die Software dank Verfahren des Deep Learnings erhalten. Deep Learning, das heißt tiefe neuronale Netze, sind aktuell das größte Teilgebiet maschineller Lernverfahren. Für eine gute Performanz benötigt ein neuronales Netz viele Beispiele eines bestimmten Objekts, um dieses selbstständig erkennen zu können. Soll die Software für den Griff-in-die-Kiste so trainiert werden, dass sie die zu handhabenden Werkstücke selbstständig erkennt, braucht auch sie dafür große Mengen an Beispieldaten. Mit realen Roboterzellen ist ein solches Training des neuronalen Netzes nicht effizient umsetzbar, in einer virtuellen Trainings- oder Lernumgebung, wie sie im Projekt Deep Grasping vom Fraunhofer IPA und der Universität Stuttgart entstanden ist, hingegen schon.

ML-Simulationen

In einer Simulationsumgebung werden Algorithmen zum Beispiel für den Griff-in-die-Kiste trainiert und das Gelernte dann auf die reale Anwendung übertragen. (Bildquelle: Fraunhofer IPA/Kilian Kleeberger)

Anhand von Objektbeispielen lernt die Software zu verallgemeinern und auch zuvor nicht gesehene Objekte zu erkennen. Die Schritte für die Objekterkennung reichen dabei von der Segmentierung der Pixel, also dem Zuordnen von Bildpunkten zu Klassen, über das Erkennen von zusammenhängenden Flächen als Objekt bis hin zum Klassifizieren der erkannten Objekte. Für die Objektlageerkennung ist es nützlich, Werkstücke von der Umgebung zu trennen, um mehr und genauere Ergebnisse liefern zu können. Insbesondere bei den letzten verbleibenden Teilen in einer Kiste – beispielsweise dünnen Blechteilen, die mit ihrer Umgebung verschmelzen – ist dies von besonderer Bedeutung. Liegen bereits gelabelte oder klassifizierte Daten vor, lernt das neuronale Netz schneller: Hat es zum Beispiel bereits hunderte gelabelte Bilder eines zu greifenden Blechteils gesehen, wird es auch nicht gelabelte Bilder des Blechteils schneller erkennen. Unter www.bin-picking.ai stellt das Fraunhofer IPA übrigens kostenfrei einen sehr großen Datensatz gelabelter Trainingsdaten bereit. In der zugehörigen Schulung Cognitive Robotics vermittelt das Institut, wie sich der Datensatz am sinnvollsten für eine anwendungsspezifische Herausforderung einsetzen lässt.

Neue Systeme

Die Roboter der Zukunft werden vernetzt sein, als cyber-physische Systeme agieren und reagieren können, sie werden wandlungsfähige Produktionen ermöglichen und intuitiver nutzbar sein als bisher. Sie werden weniger explizite Programmierung benötigen, sondern implizit verstehen, was sie zu tun haben und wie sie eine Problemstellung lösen. Dadurch setzt der Roboterbetrieb weniger Roboter-Expertenwissen voraus. Insbesondere bei sinkenden Losgrößen im Maschinen- und Anlagenbau lassen sich Roboter so schneller umprogrammieren und damit wirtschaftlich einsetzen. Die Vision dahinter ist, die Automatisierung immer weiter zu automatisieren. Eine weitere Beobachtung im Maschinen- und Anlagenbau sind hochautomatisierte Fertigungsstationen, deren Materialfluss untereinander noch manuell erfolgt. Für die Verkettung der Maschinen werden wir in Zukunft mobile Roboter sehen, die Insellösungen in durchgängige Lösungen verwandeln.

M. Sc., leitet die Gruppe Handhabung und Intralogistik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA.

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