Weiße Moleküle dicht ineinandergedrängt

Wie wirken sich Gamma- und Betastrahlung auf die Eigenschaften von Kunststoffen aus? (Bild: Galina Nelyubova - Unsplash)

Welche Themen werden im Artikel aufgegriffen?

  • Strahlenvernetzung: Nutzung von Gamma- und Betastrahlung zur Verbesserung der Eigenschaften thermoplastischer Kunststoffe, ähnlich der Vulkanisation bei Kautschuken.
  • Verbesserte Eigenschaften: Erhöhung von Haltbarkeit, Hitzebeständigkeit, Kriechverhalten und Abriebfestigkeit durch Strahlenvernetzung.
  • Technische Anwendung: Einsatz bei der Produktion von Polyethylen, Polyamiden, Polyester und thermoplastischen Elastomeren. Geeignet für Massenproduktion und Einzelstücke.
  • Einsatzbereiche: Verwendung in Automobilkomponenten, Kabelummantelungen, und anderen Bauteilen, wo sie Metalle und teure Hochleistungskunststoffe ersetzen können.
  • Prozess: Strahlendosis wird präzise gesteuert; physikalische Vernetzung bei niedrigen Temperaturen nach der Formgebung.
  • Materialeigenschaften: Erhöhte mechanische Festigkeit, verbesserte Verschleißfestigkeit, geringere thermische Ausdehnung, und erhöhte chemische Beständigkeit.
  • Wirtschaftlichkeit: Niedrigere Herstellkosten im Vergleich zu Hochleistungskunststoffen durch einfacheren Verarbeitungsprozess und geringeren Energieverbrauch.
  • Bestrahlungstechnik: Durchführung mit Elektronenbeschleunigern, die eine schnelle und gleichmäßige Bestrahlung ermöglichen.

Wirken energiereiche Gamma- oder Betastrahlen auf Kunststoffbauteile ein, lösen sie im Material chemische Reaktionen aus, bei denen sich die Moleküle vernetzen – vergleichbar mit der Vulkanisation bei Kautschuken. Als unmittelbare Folge erhöht sich die Haltbarkeit beziehungsweise Belastbarkeit der behandelten Produkte. In gebräuchlichen Produktionsverfahren hergestellt, zeigen die Kunststoffteile nach der Bestrahlung deutlich verbesserte Eigenschaften hinsichtlich Hitzebeständigkeit, Kriechverhalten oder Abriebfestigkeit.

Mit der Strahlenvernetzung erhalten die mechanischen, thermischen und chemischen Eigenschaften von Massen- und technischen Kunststoffen sozusagen ein Upgrade, denn sie können nach dem Behandeln an die Eigenschaften von Hochleistungskunststoffen heranreichen und diese Hightechwerkstoffe in bestimmten Anwendungen sogar ersetzen. In den Anlagen von BGS Beta-Gamma-Service, Wiehl, werden Produkte aus Polyethylen (PE) und seinen Copolymeren, bestimmte Polyamide (PA) und Polyester wie PBT behandelt. Neuerdings kommen verstärkt thermoplastische Elastomere (TPE) hinzu. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über strahlenvernetzbare Polymere.

Innerhalb gewisser Grenzen bestimmt letztlich die Strahlendosis, die in der Regel mittels Elektronenbeschleuniger binnen von Sekunden aufgebracht wird, die Eigenschaften des Endprodukts. Die Strahlenvernetzung eignet sich sowohl für kleinere Stückzahlen als auch für die Massenproduktion. Da es sich bei den Verarbeitungsparametern um elektrische Größen handelt, ist der Prozess sehr gut reproduzierbar. Abhängig von der Energie der Elektronen lassen sich Kunststoffbauteile bis zu mehreren Zentimetern Wanddicke durchstrahlen und das auch im Verbund mit anderen Werkstoffen.

Diese Kunststtoffe sind strahlenvernetzbar
Tabelle 1: Strahlenvernetzbare Polymere (Bild: BGS)

Wo werden bestrahlte Kunststoffbauteile eingesetzt?

Bestrahlte Produkte sind sehr beständig, sodass selbst Metallteile durch strahlenvernetzte, spritzgegossene Kunststoffbauteile wie PA 66, PA 6 oder PBT ersetzt werden können. Sogar im Motorraum eines Automobils befinden sich inzwischen zahlreiche, strahlenvernetzte Komponenten wie Ladeluftkomponenten, Abdeckungen und Befestigungselemente oder E&E-Anwendungen (Kabelummantelungen, Steckverbinder). Hinzu kommen Interieur- und Exterieurbauteile.

Verglichen mit Duroplastwerkstoffen, die oft ein aufwendiges Nachbearbeiten erfordern, oder komplex zu verarbeitenden Hochleistungskunststoffen, bietet die Strahlenvernetzung von thermoplastischen Massenkunststoffen Verarbeitungsvorteile bei reduzierten Kosten. Die Verarbeitungsroutinen der Rohbauteile bleiben nahezu gleich, denn es wird nur das Endprodukt behandelt.

Was das Bestrahlen mit Elektronen bewirkt

Um die gewünschten Materialeigenschaften zu erzielen, wird die Vernetzung der Kunststoffmoleküle mit einer exakt festgelegten Strahlendosis gesteuert. Das Material absorbiert im Vernetzungsverfahren die Energie der Betastrahlen. Chemische Bindungen werden gespalten, es entstehen freie Radikale. Diese gehen im nächsten Schritt die gewünschte Molekularverbindung ein und es entsteht ein extrem belastbares dreidimensionales Polymernetzwerk (Bild 1).

Das Verfahren eignet sich grundsätzlich für alle Kunststoffe, bei denen auch die chemische Vernetzung mittels radikalischer Initiatoren beispielsweise Peroxiden möglich ist. Anders als beim chemischen Vernetzen erfolgt die physikalische Strahlenvernetzung bei niedrigen Temperaturen.

Die Strahlenvernetzung findet grundsätzlich nach der Formgebung statt – das Spritzgießen, Extrudieren, Blas- oder Thermoformen nimmt der Kunststoffverarbeiter mit den üblichen Polymeren vor. Welches Eigenschaftsspektrum sich erzielen lässt, hängt vom jeweiligen Basispolymer ab. Für Kunststoffe mit geringer Reaktivität sind spezielle Additive erforderlich. Die Zugabe der Vernetzungsadditive kann beim Herstellen des Kunststoffgranulates oder unmittelbar vor der Formgebung als Masterbatch erfolgen. Die Additive ermöglichen oder verbessern die Vernetzbarkeit und können die Eigenschaftsprofile des Werkstoffs weiter optimieren. Zum Einsatz kommen die aus der Kunststoff- und Kautschukindustrie bekannten Vernetzungshilfen, wie zum Beispiel TAIC. Um die erzielten Eigenschaftsveränderungen zu ermitteln, durchlaufen die Produkte im Anschluss an das Bestrahlen spezielle Werkstoffprüfverfahren.

Schema zur Strahlenvernetzung von Molekülen
Bild 1: Die Strahlenvernetzung von Makromolekülen verläuft in vier Schritten. (Bild: BGS)

Was Sie über PFAS wissen müssen

Übersichtsgrafik zu PFAS.
Wissenswertes zu PFAS finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: Francesco Scatena – Stock.adobe.com)

Fluorpolymere und weitere fluorhaltige Substanzen sollen verboten werden. Eine ihrer herausragenden Eigenschaften – die Beständigkeit – könnte ihr Verbot bedeuten. Für Sie haben wir das Thema PFAS aus verschiedenen Blickwinkeln während der Widerspruchsfrist beleuchtet und halten Sie künftig zu PFAS-Alternativen auf dem Laufenden. Alles, was Sie zum Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.

Welche Eigenschaften werden durch das Bestrahlen bei Kunststoffen verbessert?

Thermoplastische Materialien werden bei der Strahlenvernetzung thermoelastisch. Durch die Vernetzungsreaktion entsteht ein Netzwerk, das die Fließfähigkeit des Kunststoffs unterbindet, sodass sich das Material bei höheren Temperaturen wie ein Elastomer verhält. Die verbesserte Temperaturbeständigkeit und die bei erhöhten Temperaturen deutlich verbesserten mechanischen Kennwerte sind wesentliche Kennzeichen des Verfahrens. Bei unvernetztem PA 66 fallen die Module oberhalb der Kristallitschmelztemperatur praktisch auf Null (Bild 2). Dagegen gewährleisten die wesentlich höheren Module eines vernetzten Kunststoffes eine ausreichend hohe Festigkeit auch bei Temperaturen von mehr als 350 °C. Zusätzlich verringert sich der thermische Ausdehnungskoeffizient. Ein vernetztes PA 66 weist einen um 20 °C verbesserten Temperaturindex auf (5.000 h; 60 % Abfall der Bruchdehnung).

Die Strahlenvernetzung erhöht die mechanische Festigkeit verstärkter Kunststoffe schon bei Raumtemperatur. Hierzu trägt vor allem die leichtere Ankopplung der Füllstoffe an die Polymermatrix bei, die durch eine Aktivierung der Grenzflächen verursacht wird. Auch die Schweißnahtfestigkeit an vibrationsgeschweißten Bauteilen sowie die Verbundfestigkeit zwischen Materialkombinationen wie Polymer/Polymer und Polymer/Metall werden durch die Strahlenvernetzung optimiert. Die Anforderungen an die Werkstoffe für die Getriebe und Gleitkomponenten, wie Zahnräder, Lager- und Gleitbuchsen, haben sich deutlich gesteigert. Strahlenvernetzte Bauteile können hier eine wirtschaftliche Alternative zu metallischen Werkstoffen oder teuren Hochleistungskunststoffen wie PEEK oder PAI sein.

Temperaturkurve von strahlenvernetztem PA66.
Bild 2: Strahlenvernetztes PA66 weist auch bei sehr hohen Temperaturen eine ausreichend hohe Festigkeit auf. (Bild: BGS)

Wie wirkt sich das Strahlenvernetzen auf das Verschleißverhalten von Bauteilen aus?

Ein wichtiges Auswahlkriterium für Maschinenelemente aus Kunststoff ist deren Reibungs- und Verschleißverhalten. Bei immer höheren Einsatztemperaturen verkürzen Reibung und Verschleiß die Lebensdauer von Gleitlagern oder Zahnrädern. In der Regel weisen die herstellungsbedingt an der Oberfläche von Kunststoffbauteilen erhöhten amorphen Anteile im Material ein ungünstiges Verschleißverhalten auf. Gerade diese amorphen Bereiche sind jedoch besonders gut strahlenvernetzbar, wodurch sich deutlich bessere Gleitgeschwindigkeiten bei gleichzeitig reduziertem Verschleißkoeffizienten erzielen lassen, beispielsweise hat unvernetztes Polyamid bei einer Belastung durch Reibung eine Einsatzgrenze von 120 °C. Die Strahlenvernetzung verhindert ein Aufschmelzen des Werkstoffs und erhöht die Dauereinsatztemperatur bei gleichzeitig verringerter Verschleißrate. Zahnräder aus strahlenvernetztem Kunststoff können somit metallische ersetzen und das bei niedrigerem Gewicht.

Die Löslichkeit und Quellung durch Lösungsmittel sind bei vernetzten Kunststoffen deutlich geringer. Dies wird beispielsweise im Extraktionsversuch zur Bestimmung des Vernetzungsgrads genutzt. Der so ermittelte Gel-Wert korreliert direkt mit dem Vernetzungsgrad: Nimmt der Vernetzungsgrad zu, sinkt gleichzeitig der Quellungsgrad. Gleichermaßen verbessert die Strahlenvernetzung die Beständigkeit gegen aggressive Medien, wie Bremsflüssigkeit und Hydrolyse. Dies zeigt sich etwa in verbesserter Spannungsrissbeständigkeit und deutlich reduziertem Festigkeitsabfall nach Einwirkung von Lösungsmitteln.

Wie wirtschaftlich ist das Strahlenvernetzen von Polymeren?

Ein direkter Vergleich der Beschaffungskosten von Hochleistungskunststoffen und strahlenvernetzten Polymeren zeigt ein klar erkennbares Einsparpotenzial. Dieses wird noch deutlicher, wenn neben dem Granulatpreis auch die Prozesskosten für das Herstellen der Bauteile betrachtet werden. Gegenüber Hochleistungskunststoffen zeichnen sich strahlenvernetzbare Compounds vor allem durch ihre einfachere Verarbeitung aus. Insbesondere die geringeren Verarbeitungstemperaturen wirken sich positiv auf die Herstellkosten aus (Tabelle 2).

Niedrigerer Energieverbrauch, kürzere Zykluszeiten sowie geringere Werkzeugkosten bei einer längeren Standzeit haben einen direkten Einfluss auf die Herstellkosten der Bauteile. Der größte Nutzen der Strahlenvernetzung kann ausgeschöpft werden, wenn das strahlenvernetzte Material schon zu Beginn des Entwicklungsprozesses eingeplant wird und nicht erst durch einen Substitutionsprozess zur Anwendung kommt.

Auflistung von Polymeren mit unterschiedlichen Verarbeitungstemperaturen
Tabelle 2: Verarbeitungstemperaturen unterschiedlicher Polymere. (Bild: BGS)

Wie funktioniert ein Elektronenbeschleuniger?

Bild 3: Schematischer Aufbau eines Elektronenbeschleunigers. (Bild: BGS)

Betastrahlen sind beschleunigte Elektronen und werden durch Elektronenbeschleuniger erzeugt, die im Prinzip mit einer Braunschen Röhre vergleichbar sind: Eine Glühkathode emittiert Elektronen, die in einem Hochvakuum und unter Einfluss eines starken elektrischen Feldes beschleunigt werden. In diesem zyklischen Wechselfeld erreichen die Elektronen in mehreren Stufen eine maximale Energie von 10 MeV (4,45e-19 kWh). Der aus dem Beschleuniger austretende Elektronenstrahl wird in einem magnetischen Wechselfeld so abgelenkt, dass er aufgefächert auf die zu bestrahlenden Produkte trifft (Bild 3).

In den Bestrahlungsanlagen bewegen automatisierte Transportsysteme die Produkte durch das Bestrahlungsfeld. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Teile etwa in einzelnen Kartons verpackt sind, oder als loses Schüttgut durch den nur wenige Sekunden dauernden Bestrahlungsprozess geführt werden. Die mögliche Schichthöhe des Bestrahlungsgutes hängt dabei von der Dichte, dem Packschema und der verwendeten Energie der Elektronen ab. Bestrahlungsprozesse dieser Art sind aufgrund der komplexen Anlagentechnik und der hohen Investitionskosten zum Betrieb eines Beschleunigers grundsätzlich an spezialisierte Dienstleister ausgelagert.

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Die große Übersicht zum Studium der Kunststofftechnik

Junge Menschen beobachten gemeinsam einen 3D-Drucker bei der Arbeit
(Bild: Dalle 3 / OpenAI)

Die Kunststoffindustrie sucht händeringend nach Fachkräften. Und auch die Hochschulen melden immer weniger Einschreibungen für ein Studium der Kunststofftechnik. In unserer Übersicht gehen wir für alle Interessierte den Fragen nach:

  • Was macht eigentlich ein Kunststoffingenieur?
  • Wie viel verdient ein Kunststoffingenieur?
  • Wo kann ich Kunststofftechnik studieren?

Neugierig geworden? Dann folge diesem Link.

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