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Jörg Weinheimer, Vice President Enterprise Market bei Sage und Geschäftsführer von Sage Bäurer: „ERP steht für optimale Ressourcenplanung.“ (Bild: Sage)

Herr Weinheimer, braucht wirklich jeder Kunststoffverarbeiter ein dediziertes ERP-System?

Jörg Weinheimer: Ganz unabhängig von der Kunststoffbranche sollte eigentlich jedes Unternehmen ab einer bestimmten Größenordnung über ein ERP-System nachdenken. Denn ERP steht für optimale Ressourcenplanung, also für einen möglichst effektiven Einsatz etwa von Rohstoffen, Anlagen und Arbeitskräften. Viele Unternehmen arbeiten hierbei immer noch mit Excel-Listen – wobei auf der Hand liegt, dass mit solchen Tools keine durchgängige Steuerung von Prozessen und Ressourcen möglich ist. Außerdem geht es heute nicht mehr allein darum, Kunststoffe und Kunststoffprodukte effizient herzustellen, sondern diese auch verzögerungsfrei an die Kunden auszuliefern. Kunststoffverarbeitende Unternehmen sind häufig als Automobilzulieferer tätig. Das heißt, sie sind Teil einer sehr komplexen Lieferkette. Genau das aber erfordert vielerorts eine sehr exakte Disposition der jeweils benötigten Formen, Werkzeuge und Maschinen. Der Aufwand dafür ist natürlich umso größer, je detaillierter die Produktion ist – bis hin zur Einzelanfertigung. Ob ein Auftrag bei den vergleichsweise geringen Margen der Branche rentabel ist oder nicht, hängt bei vielen unserer Kunden hauptsächlich davon ab, wie präzise sie die dafür benötigten Ressourcen im Einzelfall planen können. Unserer Erfahrung nach führt die Implementierung eines ERP-Systems fast überall zu höherer Profitabilität. Verantwortliche erhalten hierüber beispielsweise Echtzeitinformationen zur Auslastung von Maschinen und Werkzeugen und können so die internen Fertigungsabläufe bestmöglich disponieren.

„Jedes Unternehmen ab einer bestimmten Größenordnung sollte über ein ERP-System nachdenken.“

Welche Parameter sind für die Auswahl eines geeigneten ERP-Systems relevant?

Weinheimer: Zunächst stellt sich hier die Frage, wie breit ein Kunststoffverarbeiter aufgestellt ist und wie komplex seine Herstellungsprozesse in ihrer Gesamtheit sind. Eine große Rolle für die Systemauswahl spielen aber auch aktuelle Entwicklungen innerhalb der Lieferkette. Nehmen Sie nur das Beispiel Elektromobilität: Hier weiß jeder Automobilzulieferer schon heute, dass er seine Prozesse in den nächsten zwei bis fünf Jahren sehr wahrscheinlich umstellen muss. Er benötigt demzufolge ein besonders offenes ERP-System mit standardisierten Schnittstellen, das sich flexibel an die zu erwartenden Veränderungen anpassen lässt. In diesem Kontext hat man es oft mit einer mehrstufigen Lieferantenkette zu tun – das heißt, dass in der Supply Chain mehrere Hersteller miteinander kooperieren, bis das betreffende Produkt dann tatsächlich im Auto eingebaut werden kann. Zur Produktion einer Rückleuchte etwa bezieht ein Hersteller in diesem Zusammenhang viele Einzelteile von einem oder mehreren Partnern, die dafür ihrerseits diverse Ausgangsbauteile bei eigenen Lieferanten einkaufen – und so fort. In der Summe entsteht so ein übergeordneter Gesamtprozess, der sich entlang der Supply Chain nur bei nahtloser Integration aller Einzelprozesse flexibel genug steuern lässt. Nur mit standardisierten Schnittstellen ist eine solche systemübergreifende Prozesssteuerung möglich. In diesem Zusammenhang geht es in einem kunststoffverarbeitenden Betrieb nicht nur darum, die eigene Produktionsinfrastruktur über entsprechende Schnittstellen an ein ERP-System anzubinden und die Abläufe in der Fertigung besser steuern zu können. Darüber hinaus gilt es bei derart komplexen Lieferketten, alle an der Supply Chain beteiligen Parteien und Hersteller über ein ERP zu integrieren. Das heißt, ein ERP-System wird in diesem Szenario zu einem unternehmensübergreifenden Kommunikationstool, über das alle Betriebe, die Teil der Lieferkette sind, ihre Prozesse koordinieren. Dies ist unerlässlich, um beispielsweise die großen Autokonzerne an der Spitze der Supply Chain ohne kostspielige Vorratswirtschaft flexibel genug bedienen zu können – bis hin zur Just-in-Time-Belieferung.

„Von entscheidender Bedeutung bei der ERP-Einführung ist die Datenmigration.“

Offene Schnittstellen sind demnach ein Muss für jedes zukunftsfähige ERP-System?

Weinheimer: Aus meiner Sicht schon. Denn abgesehen von der Flexibilität entlang der Lieferkette und hinsichtlich der unmittelbar produktionsbezogenen Abläufe verbessern offene ERP-Schnittstellen auch die Integrationsmöglichkeiten in die übrige IT-Landschaft. So sorgt zum Beispiel eine vergleichsweise einfache Anbindung der Arbeitszeiterfassung an das ERP-System für maximale Transparenz in Bezug auf diese wichtige Unternehmensressource. Die Führungsetage hat damit jederzeit einen Überblick über die momentane Personalverfügbarkeit – und zwar vor dem Hintergrund der aktuellen Auftragslage. Je mehr Anwendungen mit dem ERP-System kommunizieren, desto vollständiger wird das Bild.

Bekanntlich ist eine ERP-Einführung alles andere als ein Kinderspiel. Was gilt es, bei der Vorbereitung zu beachten?

Weinheimer: Von entscheidender Bedeutung ist hier zweifellos die Datenmigration. Viele ERP-relevante Daten liegen ja bereits vor – entweder in den bereits erwähnten Excel-Listen oder in anderen Programmen. Wie groß der Aufwand für die Harmonisierung dieser oftmals heterogenen Datenquellen ist und wie gut ihre Angleichung in das ERP-Format gelingt, hängt im Einzelfall auch davon ab, wie diese Daten bisher gepflegt wurden. Aus vielen Kundenprojekten wissen wir, dass der Aufbau einer einheitlichen ERP-Datenbasis die größte Herausforderung und zugleich der wichtigste Erfolgsfaktor jeder ERP-Einführung ist.

Welche Hilfestellung bietet dabei ein Systemintegrator? Und was muss der Kunde selbst erledigen?

Weinheimer: In der Regel übernehmen wir die komplette Implementierung unserer ERP-Lösungen beim Kunden, inklusive Integration. Das heißt, wir sind für den gesamten Einführungsprozess verantwortlich bis hin zur Inbetriebnahme des Systems für den Produktivbetrieb. Die Anzahl derjenigen Unternehmen, die lediglich eine Lizenz bei uns kaufen und den Rest ganz allein regeln, hält sich im einstelligen Prozentbereich. Wir legen großen Wert darauf, dass alle Implementierungs- und Integrationsleistungen stets in engem Kundenkontakt erfolgen und somit schon in dieser Phase ein Knowhow-Transfer in Gang kommt. Außerdem führen wir Schulungen durch, um die künftigen Anwender bestmöglich auf den Live-Start vorzubereiten. Aus dem Einführungsprojekt entwickelt sich dann meist eine langjährige Kundenbeziehung, in deren Rahmen wir spätere Anpassungen vornehmen und Zusatzmodule wie die schon angesprochene Zeiterfassung, aber auch die Buchhaltung oder Gehaltsabrechnung in die ERP-Lösung integrieren.

„Offene Schnittstellen sind ein Muss für jedes zukunftsfähige ERP-System.“

Die ERP-Einführung berührt fast alle Unternehmensprozesse. Ist da nicht auch mit Widerständen vonseiten der Belegschaft zu rechnen?

Weinheimer: Viele Beschäftigte in der Kunststoffindustrie sind schon Jahre und Jahrzehnte in demselben Unternehmen tätig. Dies hat den Vorteil, dass viele Betriebe über großes Knowhow innerhalb der Belegschaft verfügen und viele Prozesse sehr eingespielt sind. Wenn sich nun ein Unternehmen dazu entscheidet, ein ERP-System einzuführen, um effizienter zu werden, dann ist es zunächst absolut nachvollziehbar, wenn dies zu Fragen oder gar Irritationen führt, wenn gewohnte Abläufe und Zuständigkeiten zur Disposition stehen. Umso wichtiger ist es, die bevorstehenden Veränderungen im Zuge der ERP-Einführung im gesamten Unternehmen rechtzeitig zu kommunizieren. Insbesondere gilt es, die Vorteile für die Mitarbeiter überzeugend herauszuarbeiten. In jedem Fall empfiehlt es sich, ein begleitendes Change-Management-Projekt aufzusetzen.

Wie unterstützen Sie Ihre Kunden, diesen Change-Prozess zum Erfolg zu führen?

Weinheimer: Wir achten bereits von der ersten Einführungsveranstaltung darauf, dass die späteren Anwender möglichst frühzeitig mit ins Boot geholt werden. Als Faustregel gilt hierfür: Zu jedem Tag, den wir im Unternehmen verbringen, sollten vom Kunden noch einmal zwei dedizierte ERP-Tage eingeplant werden. Diese Zeitinvestition für eine intensive Diskussion der bevorstehenden Prozessveränderungen macht sich während der Systemeinführung meist doppelt und dreifach bezahlt. Und sie hilft, anfängliche Widerstände bei den Mitarbeitern schnell zu überwinden. Mit unseren vielfältigen Erfahrungen aus etlichen ERP-Projekten stehen wir unseren Kunden natürlich auch zur Seite, wenn es um die interne Kommunikation und einen erfolgreichen Change-Prozess geht.

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