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Bild 1: Die Prüfung der Reinheit von Medizinprodukten gewinnt durch verschärfte regulative Forderungen zunehmend an Bedeutung. (Bild: Fraunhofer IPA)

Aus diesen übergeordneten Gesetzten und Normen, die hinreichend saubere und somit sichere Produkte fordern, lassen sich aber keine konkreten Sauberkeitsgrenzwerte (Akzeptanzkriterien) ableiten. Auch ein Blick in produktspezifische Normen hilft meist nicht weiter, da sich auch hier nur sehr selten konkrete Sauberkeitsgrenzwerte finden lassen. Das heißt es besteht ein großer Bedarf nach einem übergeordneten Standard, der den Herstellern von Medizinprodukten im Bereich der Produktreinheit eine Hilfestellung bietet.

Probleme für die Hersteller

Durch den einerseits hohen regulatorischen Druck und die zum anderen fehlenden konkreten Akzeptanzkriterien haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Probleme ergeben.

Es werden vom Medizinprodukte-Hersteller selbst teils ungeeignete Sauberkeitsgrenzwerte für seine Produkte herangezogen. In einer Norm für chirurgische Implantate der ISO 19227 wird beispielsweise ein Akzeptanzkriterium von 500 µg Kohlenwasserstoff pro Produkt vorgeschlagen, unabhängig von der Größe des Produkts. Bei einem großen Implantat wie einem kompletten Hüftgelenk kann das eine extrem scharfe Anforderung bedeutet, bei einem anderen Produkt, wie einer sehr kleinen Knochenschraube schon fast ein ölig glänzendes Bauteil! Das macht sicherlich weder aus Sicht der Patientensicherheit noch der Fertigungs- beziehungsweise Reinigungstechnik einen Sinn.

Im Rahmen des Zulassungsprozesses werden mitunter nicht stichhaltige Sauberkeitsgrenzwerte im falschen Kontext gefordert. Das ist beispielsweise der Fall, wenn nicht unterschieden wird, ob es sich in der Herstellung um die Prüfung des Reinigungsergebnisses einer Zwischenreinigung eines Halbzeuges oder einer Endreinigung des fertigen Produkts vor Auslieferung handelt.

Es gibt aber auch viele Fälle, bei denen die notwendige Reinheit von Produkten nicht explizit betrachtet wird oder nur über den Nachweis der Biokompatibilität vermeintlich sichergestellt wird. Natürlich ist die Biokompatibilität (geprüft nach ISO 10993) eine notwendige Voraussetzung für den Einsatz eines Medizinproduktes aber nicht unbedingt ein zutreffendes Kriterium, um auch dem Reinheitszustand zu prüfen. Auch hier ein Beispiel: Die für medizinische Instrumente oder Implantate verwendeten Materialien wie Edelstahl, Titan oder verschiedene Kunststoffe werden im Rahmen der Biokompatibilitätsprüfung auf die sogenannten „Zytotoxizität“ geprüft, das heißt ob lebende Zellen beim Kontakt mit den Materialien in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Bestehen dieses Zytotoxizitätstests wird häufig auch zur Bewertung der Reinheit eines Produktes herangezogen, kurz gesagt, werden die Zellen nicht geschädigt, befinden sich auch keine kritischen Rückstände auf dem Produkt – zunächst erst einmal plausibel. Was aber ist, wenn ein Produkt aufgrund einer mangelhaften Reinheit Partikel aus Eigenmaterial abgibt, beispielsweise aus einem nicht entfernten Spritzgussgrat. Dieser Partikel ist sicherlich ebenfalls nicht zytotoxisch kann aber mit dem Blut an eine Stelle im Körper transportiert werden, wo er zu einem Gefäßverschluss oder einer Thrombose führt!

Probleme für die prüfenden Labore

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Extrem aufwändige und entsprechen teure Ultraspurenanalytik bringt nicht zwangsläufig die besten Ergebnisse, wenn es um die Bewertung der Produktreinheit geht – wichtig ist das zur Fragestellung passende „analytische Fenster“. (Bildquelle: Fraunhofer IPA)

Das aktuelle Problem besteht aber nicht nur bei den Akzeptanzkriterien und deren Erstellung, sondern auch bei der Prüfung der Produktreinheit, wozu meist externe Labore beauftragt werden.

Die Eignung der eingesetzten Prüfverfahren ist in manchen Fällen nicht bekannt und wird auch nicht hinterfragt. Das sogenannte „analytische Fenster“ der Verfahren muss aber zur Prüfaufgabe passen. So liefern verschiede Messverfahren, die im Vakuum arbeiten (TOF-SIMS, REM-EDX, XPS, …) hervorragende Aussagen über fest auf der Oberfläche verbleibende Rückstände, für leicht flüchtige ölige Verunreinigungen hingegen können sie allerdings nicht eingesetzt werden, da diese Öle im Vakuum vom Produkt abdampfen und dort nicht mehr nachweißbar sind. Dies ist nur ein Beispiel und ließe sich für viele Prüfverfahren und deren Anwendung fortsetzen.

Oft ist es aber nicht das Messgerät selbst, sondern die Durchführung der gesamten Prüfprozedur einschließlich Probenvorbereitung oder Extraktion die Prüflabore vor große Herausforderungen stellen. Gerade bei sehr sauberen Medizinprodukten ist die Einhaltung und der Nachweis der notwendigen Blindwerte eine große Herausforderung.

Teilweise entsprechen die in gültigen Normen gelisteten Prüfverfahren nicht mehr dem Stand der Technik. Zum Beispiel werden in der häufig zur Prüfung von Medizinprodukten herangezogenen USP 788 Partikel auf Analysefiltern noch durch den Bediener visuell ausgezählt! Dies erfolgt in anderen Branchen wie der Automobilindustrie und deren Sauberkeitsstandards seit mehr als 15 Jahren mit vollautomatisierten Mikroskopen und Bildverarbeitung. Ebenso sind die hier gelisteten Flüssigkeitspartikelzähler nur sehr bedingt zur Erfassung von „größeren“ Partikel (mehrere zehn oder mehrere hundert Mikrometer) geeignet, die sich aber durchaus auf Medizinprodukten finden und in der Anwendung unerwünscht sein können.

Gerade bei Medizinprodukten aus Kunststoff ist es bei der Prüfung extrem wichtig, ob es um die Erfassung von Rückständen aus dem Material geht, wie es im Rahmen der Prüfung auf Biokompatibilität wichtig ist oder um Verunreinigungen auf den Bauteiloberflächen, zum Beispiel im Rahmen einer Reinigungsvalidierung. Hier stehen die Labore vor der Aufgabe, die richtigen Extraktionsmethoden einzusetzen, die für die jeweilige Fragestellung die treffenden Aussagen liefern.

Eigenverantwortliches Handeln als Ansatz

Bereits vor circa vier Jahren hatte sich in einem Workshop zur Reinheit von Medizinprodukten die Notwendigkeit gezeigt, die Thematik in einem übergeordneten Standard zu regeln. Durch den Zusammenschluss von engagierten Herstellern von Medizinprodukten im Rahmen einer  mehrjährigen Industriekooperation wurde die neue VDI-Richtlinie 2083 Blatt 21 erarbeitet. Durch das große Spektrum der hierbei vertretenen Medizinprodukte sowie die Mitwirkung von sowohl sehr kleinen Firmen bis hin zu großen Konzernen ist es gelungen, die Richtlinie sehr allgemeingültig zu formulieren. Diese liegt nun als Gründruck vor – im August 2019 soll dann der Weißdruck veröffentlicht werden. Durch den Ausschluss von kommerziellen Interessen im Projektteam und die fachliche Leitung durch das Fraunhofer IPA in Stuttgart war eine sehr sachliche und fachlich fokussierte Projektarbeit möglich, die dann in einen übergeordneten Standard unter dem Dach des VDI überführt werden konnte.

Die neue Richtlinie

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Die Richtlinie VDI 2083 Blatt 21 „Reinheit von Medizinprodukten im Herstellungsprozess“ ist seit Mitte 2018 als Gründruck erhältlich. (Bildquelle: VDI)

Im Fokus des Regelwerks steht die Reinheit von Medizinprodukten im Herstellungsprozess, die Wiederaufbereitung ist nicht behandelt. Inhaltlich gliedert sich die VDI-Richtlinie in die beiden Bereiche Reinheitsbewertung, das betrifft die Ableitung von Akzeptanzkriterien und die Reinheitsbestimmung, das ist die Prüfung der Produktsauberkeit einschließlich Auswahl und Validierung der geeigneten Prüfmethode(n).

Die Grundlage für die Reinheitsbewertung bildet ein risikobasierter Ansatz unter Berücksichtigung von Stakeholder-Anforderungen wie Gesetzen, Zweckbestimmung oder Marktanforderungen, dem Herstellprozess mit seinen Prozessen und Hilfsstoffen und Beherrschungsansätzen wie Reinigungsprozessen oder Reinraumtechnik. Um diese Bewertung zu strukturieren finden sich weiterhin Hilfestellungen, bei denen medizinische, aber auch technische und sonstige Anforderungen in Betracht gezogen werden. Wird im Rahmen dieser Vorgehensweise die Notwendigkeit für Sauberkeitsanforderungen ermittelt, steht am Ende ein konsolidiertes Akzeptanzkriterium. Es kann sich aber auch zeigen, dass für das betrachtete Produkt keine Sauberkeitsvorgaben notwendig sind.

Bei der Reinheitsbestimmung (zur Prüfung der Einhaltung der abgeleiteten Akzeptanzkriterien) werden sowohl biologische, filmisch/chemische Rückstände als auch Partikel betrachtet, wobei detailliert nur auf die beiden letztgenannten eingegangen wird. Die Prüfung der biologischen Reinheit ist bereit umfassend über etablierten Standards geregelt, auf die lediglich verwiesen wird. Die Auswahl eines geeigneten Prüfverfahrens richtet sich maßgeblich nach dem sogenannten Prüfzweck. Hierbei wird unterschieden, ob es sich um eine In-Prozess-Kontrolle, die Ursachenforschung oder eine Reinigungsvalidierung handelt. Die möglichen Prüfverfahren sind in Tabellen gelistet, in denen sowohl die Eignung für bestimmte Fragestellungen als auch die entsprechenden Einschränkungen genannt sind. Weiterhin finden sich Hinweise auf sinnvolle Kombinationsmöglichkeiten von Prüfmethoden.

Um den Anwender des neuen Blatt 21 den Einstieg in die Reinheitsbewertung und Reinheitsbestimmung zu erleichtern, finden sich hier zahlreiche Checklisten, die sich in folgende Unterpunkte gliedern:

  1. Identifizierung von potenziellen Verunreinigungen
  2. Identifizierung von kritischen Verunreinigungen
  3. Festlegung Akzeptanzkriterium
  4. Prüfstrategie

Abschließend wird der Umgang mit den Checklisten an zahlreichen Fallbeispielen von unterschiedlichsten Medizinprodukten demonstriert, eine weitere Hilfestellung für den Anwender.

Der Mehrwert der Richtlinie

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Moderne Prüfmethoden, wie die Bestimmung der Partikelgrößenverteilung mit automatisierten Mikroskopen, halten nun auch Einzug in die Medizintechnik. (Bildquelle: Fraunhofer IPA)

Für Labore, die die Reinheit von Medizinprodukten prüfen, bieten das neue Blatt der VDI 2083-Reihe eine wichtige Hilfestellung bei der Auswahl und Anwendung von Prüfmethoden. Insbesondere im Bereich der Analyse von Partikeln, die zunehmend durch Gesetze und Normen adressiert werden, wird hier dem Stand der technischen Entwicklung Rechnung getragen. Dies betrifft sowohl die Anwendung von automatisierten Mikroskopen als auch die Prüfmethodik, wo die Bestimmung der Extraktionseffizienz, der Blindwert und die Validierung des Prüfverfahrens wichtige Bausteine darstellen. Der Hersteller von Medizinprodukten hat durch die umfangreichen Informationen in der neuen Richtlinie wesentlich besser als in der Vergangenheit die Möglichkeit, die von Prüflaboren ausgewählten Messtechniken zu hinterfragen und die Messergebnisse zu Interpretieren.

Durch die vorgegebene Struktur der Richtlinie und die enthaltenen Checklisten bekommen sowohl die Hersteller als auch die Fachleute der benannten Stellen eine Hilfestellung und Basis für einen gemeinsamen Dialog zur Festlegung von Akzeptanzkriterien und zur Prüfung der Produktreinheit.

 

Kontakt

Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung, Stuttgart

info@ipa.fraunhofer.de

ist Gruppenleiter Reinheitstechnik am Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart. markus.rochowicz@ipa.fraunhofer.de

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