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Die Kabeldurchführung mit der Materialienkombination TPE/PP wird im Verbundspritzguss als einbaufertiges Serienteil produziert. (Bild: alle Günther Heisskanaltechnik)

Die Anforderungen an die Zulieferer in der Automobilindustrie werden sich zunehmend ändern, da komplette Module und Systeme von den Abnehmern erwartet werden, die gezielt für ihre konkreten Anforderungen entwickelt und gefertigt wurden. Dafür müssen von den Zulieferern zukünftig auch komplexe Engineering- und Fertigungsprozesse abgedeckt werden. Dadurch wird das Bestreben nach „einbaufertigen“ Serienteilen in naher Zukunft größer werden. Der Mehrkomponenten-Spritzguss ermöglicht die Fertigung von Kunststoffbauteilen mit spezifischen Werkstoffeigenschaften unter Einsparung von Handling-, Füge- oder Montagevorgängen und führt zu starken Rationalisierungseffekten in der Prozesskette. Jedoch sind beim Mehrkomponenten- und 2K-Spritzguss viele Einflüsse zu berücksichtigen, beginnend beim Komponentendesign bis hin zur Werkzeugauslegung. So hängt die Verbindung der Komponenten miteinander von Faktoren wie etwa den Verbindungseigenschaften der Kunststoffe, der Formteilgeometrie und auch den Verarbeitungsparametern im Spritzguss ab. Wenn man diese jedoch beachtet und über das entsprechende Know-how verfügt, sind die Möglichkeiten, „einbaufertige“ Serienteile zu erhalten fast unerschöpflich, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen.

Zwei Verteilersysteme in einem Verteilerblock

Einen Namen bei der Auslegung von Mehrkomponenten-Werkzeugen hat sich das Familienunternehmen S & S Werkzeugbau mit Sitz im osthessischen Schlitz gemacht. Eine hohe Kompetenz in der Konstruktion und Fertigung von komplexen 2K-Werkzeugen ermöglichen es dem Unternehmen in zweiter Generation, die Herausforderungen namhafter deutscher Automobilzulieferer, Unternehmen aus der Medizinbranche und der Elektroindustrie zu meistern. „Viele Kunden aus der Automobilindustrie kommen auf uns zu, weil wir uns den Ruf eines 2K-Spezialisten erarbeitet haben“,erklärt Harald Starch, Geschäftsführer und Leiter der Konstruktion bei S & S Werkzeugbau, und nennt ein Beispiel: „Woco Industrietechnik, eine weltweit tätige Unternehmensgruppe aus der Automobilbranche, wollte, dass wir ein 2K-Werkzeug für eine Kabeldurchführung mit der Materialienkombination TPE/PP (Thermoplastische Elastomere/Polyprophylen) entwickeln und bauen.“ Wichtig für Unternehmen wie Woco Industrietechnik seien die wirtschaftlichen und logistischen Vorteile beim 2K-Spritzguss. „Und da ist das Know-how des Werkzeugbauers hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und Produktionseffizienz gefragt“, fügt Starch an.

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Mit diesem Familienwerkzeug werden in einem Schuss jeweils zwei Kabeldurchführungen in zwei verschiedenen Größen hergestellt.

Diese Kabeldurchführung muss im Fahrzeug ein umfassendes Eigenschaftsprofil erfüllen, was sich auf das Produktdesign und damit auch auf die Werkzeugauslegung auswirkt. Die Tülle dient dem Schutz von Kabeln oder Zügen bei Karosseriedurchführungen und muss eine gewisse Dichtigkeit aufweisen, weshalb eine weiche Schicht aus einem gummiähnlichen Material auf einen harten Träger aufgespritzt wird. In der Projektbesprechung übergab Woco neben der Artikeldaten auch die Fertigungsanforderungen für ein 2K-Familienwerkzeug, welches im Core-Back-Verfahren arbeiten sollte. Beim Core-Back, auch Verbundspritzgießen genannt, werden die unterschiedlichen Materialien in Reihe gespritzt. Nachdem die erste Kavität durch das Material gefüllt ist, öffnen linear bewegte Sperrelemente den bereits gefüllten zu dem noch ungefüllten Kavitätenbereich. Die Restfüllung des Bauteils erfolgt durch einen weiteren Anguss mit dem zweiten Material. Voraussetzung für das Core-Back-Verfahren ist eine Formteilgeometrie, die es ermöglicht, dass der Hohlraum für die zweite Komponente über eine lineare Kernzugbewegung freigestellt werden kann und dass beide Materialien aneinanderhaften.

Durch den Einsatz des Core-Back-Verfahrens war aber der Abstand zwischen den Anspritzpositionen beider zu spritzender Komponenten begrenzt. „In dem sehr engen Zwischenraum von 35 mm zwischen Hart- und Weichkomponente zwei Heißkanalsysteme zu platzieren, ist schwer möglich,“ erläutert Harald Starch. „Die Möglichkeit, in die Höhe zu bauen, war aufgrund der vorgegeben geringen Einbauhöhe nicht machbar. Eine Umstellung auf ein anderes Fertigungsverfahren, wie den Einsatz eines Drehtellers, war nicht gewünscht.“ Eine weitere Herausforderung bestand in der ungewöhnlichen Reihenfolge. Es sollte zuerst die „weiche“ Komponente (TPE) und im Anschluss die „harte“ (PP) gespritzt werden. Da der bewegliche Kern, der in der Form die Weich- von der Hartkomponente trennt, aufgrund der Artikelgestalt nur für die Hartkomponente konstruiert werden konnte, war die Reihenfolge, zuerst das TPE und dann das PP einzuspritzen, notwendig.

In enger Zusammenarbeit erarbeiteten die Konstrukteure von S & S Werkzeugbau und der Anwendungsberater von Günther Heißkanal, Walter Ehlert, dann eine praktikable Lösung. Dabei wurden die beiden Verteilersysteme in einen Verteilerblock gebracht. So ließ sich ein äußerst flacher Höhenaufbau auf der “Heißen Seite“ realisieren. „So konnten wir das Werkzeug kompakt halten,“ merkt Walter Ehlert an.

Für die Weichkomponente sind die Günther Düsen 5DTT3-80C-1.0 und für die Hartkomponente mit Nadelverschluss die Düsen 6NTT3-100LAZ-1.4 verbaut. Die Länge der Düse für die Weichkomponente beträgt 80 mm und die der Hartkomponente 100 mm. Die Funktion des Düsenkopfes ist in beiden Fällen gleich. Die Bauform “TT“ der Heißkanaldüsen ermöglicht, aufgrund der Frontmontage der Düsen, den kompakten Werkzeugaufbau. Dazu trug auch bei, dass keine Zwischenplatte benötigt wird. „Die Bauform bietet zudem im Servicefall den Vorteil, dass aufgrund der Frontmontage einzelne Düsen bei Bedarf aus dem Werkzeug entnommen werden können, ohne dass das komplette Heißkanalsystem demontiert werden muss. Durchlässe in der Werkzeug-Aufspannplatte ermöglichen es, die Eintauchtiefe der Verschlussnadeln von außen einzeln zu justieren. „Von der Aufgabenstellung her bereitete uns zum einen die Lage der Heißkanaldüsen beider Komponenten zueinander Kopfzerbrechen, weil diese so eng zusammenliegen,“ erklärt Harald Starch, „zum anderen aber auch das Ansteuern der Kombination Core-Back mit dem Auswerfersystem. Denn wir nutzen den Core-Back ja nicht nur zur Rückzugsfunktion, sondern auch als Auswerfer. Aber wir haben Erfahrungen mit solchen Aufgabenstellungen.“

Prozesssichere Heißkanallösung gewährleistet Sauberraumfertigung

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Durch den Metallanteil im Sensorgehäuse wird ein „Faradayscher Käfig“ erzeugt, der den Sensor abschirmt.

Unternehmen wie Bosch und ZF Friedrichshafen sind bekannt für das Einbetten von Metalleinlegeteilen in Elektrokomponenten. Das Unternehmen Procoplast in Lontzen, Belgien, ist auf Mehrkomponenten-Kunststoffteile, insbesondere für die Automobil- und Elektroindustrie, spezialisiert. Der Kunststoffverarbeiter ist eine Tochtergesellschaft der Methode Electronics Gruppe, ein weltweit tätiger Entwickler von mechanischen und elektronischen Lösungskonzepten. Durch die Übernahme des Kunststoffverarbeiters im Jahr 2017 stärkte die Methode Electronics Gruppe ihre Nähe zum deutschen und belgischen Markt und öffnete so auch Procoplast den Zugang zu führenden Automobilzulieferern wie Bosch oder ZF Friedrichshafen. Was sich auszahlt, wie Firmenchef Geoffrey Boonen von Procoplast bestätigt: „Jeder zweite Pkw ist mit einem Kunststoffteil von uns ausgestattet.“

In dem speziellen Fall wird wiederum deutlich, dass es bei der Herstellung von Mehrkomponenten-Kunststoffteilen auf die Erfahrung im Werkzeugbau und Spritzguss ankommt. Für einen elektronischen Sensor sollte ein Gehäuse aus einem speziellen PBT-Metall-Compound mit 10 mm langen Stahlfasern hergestellt werden. Durch den Metallanteil wird ein „Faradayscher Käfig“ erzeugt, der den Sensor auf die erforderliche Art abschirmt. Die Materialien wurden speziell auf Kundenanforderung von dem führenden Spezialitätencompoundeur RTP Company entwickelt. Das Schussgewicht betrug 5,3 g. Das Dichtungselement wird mit einem 1,9 g schweren Gemisch aus Thermoplastischen Polyesterelastomeren (TEEE) angespritzt, welches ebenfalls einen Stahlfaseranteil enthält.

Vorgabe für das Produkt war eine Sauberraumfertigung, bei der keine Materialreste in den Produktionsraum abgegeben werden. Dazu musste sichergestellt werden, dass die Metallkomponenten an keiner Stelle aus der Kunststoff-Ummantelung herausragen. Aus diesem Grund kam für die Produktion nur eine hochgradig prozesssichere Heißkanallösung mit Nadelverschluss in Frage. Das Heißkanalsystem von Günther Heisskanaltechnik gewährleistete hierfür die geforderte Sauberkeit und Effizienz, und man erreichte zudem eine hervorragende Anspritzpunktkosmetik. Die Verarbeitbarkeit wurde vorab im Technikum des Frankenberger Unternehmens überprüft.

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Das im Werkzeug verbaute Heißkanalsystem stellt die geforderte Sauberkeit und Effizienz sicher. Zudem wurde eine optimale Anspritzpunkt-Kosmetik realisiert.

Um die geforderte Prozesssicherheit und Präzision zu erzielen, entschied man sich für den Einsatz von Günther Heißkanaldüsen des Typs 8NHF80LA-2.0 mit einem Materialrohr-Durchmesser von 8 mm, einem Anspritzpunkt-Durchmesser von 2 mm und der präzisen Nadelverschlusstechnik. Für jede Komponente kommt jeweils ein 2-fach T-Verteiler zum Einsatz. Der Nadelverschluss wird dabei über Einzelzylinder des Typs ENV3/10/L/G betrieben. Dank einfacher Wartung und kurzer Stillstandzeiten führt der Einsatz der Nadelverschlusstechnik zu großer Zeit- und Kostenersparnis. Sollen die Nadelführung oder die Nadel gewechselt werden, ist keine Werkzeugdemontage erforderlich. Dank langer Standzeiten der Nadelführung sind Ausfallzeiten sehr gering. Auf der Produktseite garantiert die Nadelverschlusstechnik über längere Zeiträume hohe Angussqualität, und das auch bei gefüllten Kunststoffen. Auf Materialänderungen kann durch eine unkomplizierte Anschnittanpassung leicht reagiert werden. Das eindeutige Öffnungsverhalten macht sequenzielles Einspritzen und Kaskadenspritzguss möglich.

2K-Technik erfordert Heißkanal- Know-How

Gerade bei den genannten Problemstellungen ist eine kompetente Beratung beim Heißkanalsystem sinnvoll. Denn der Erfolg der Mehrkomponenten-Verbindungen hängt von Faktoren wie Formteilgeometrie und Verbindungseigenschaften der Kunststoffe sowie von den Verarbeitungsparametern im Spritzguss ab, wie Geschäftsführer Harald Starch von S & S Werkzeugbau betonte: „Die Anwendungsberater von Günther sind tief in der Technik und haben jahrelange Erfahrung im Werkzeugbau und Spritzguss. Gerade bei solchen Problemstellungen ist eine kompetente Beratung von Heißkanalspezialisten unumgänglich.“

 

 

ist Leiter Anwendungstechnische Beratung und Vertrieb bei Günther Heisskanaltechnik in Frankenberg (Eder).

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Unternehmen

GÜNTHER Heisskanaltechnik GmbH

Sachsenberger Straße 3, Industriepark Nord
35066 Frankenberg-Eder
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