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Herman Giesser (links) und Björn Mutschler betrachten die Kunststoffgriffe der ersten Generation und freuen sich über die deutlichen Qualitätsverbesserungen. (Bild: Simone Fischer/Redaktion Plastverarbeiter)

Seit über 240 Jahren werden in Winnenden Messer gefertigt. Die Johannes Giesser Messerfabrik produziert für den Profibereich sowie Haushaltsmesser – 100 Prozent Made in Germany. In Winnenden unterhält der Messerhersteller zwei Fertigungsstandorte. Einen zur Klingenherstellung und einen zweiten, an dem die Klingen zum fertigen Produkt weiterverarbeitet werden. Und im Wareneingang von Werk 2 begann unser Rundgang. Unscheinbar liegen die Klingen unterschiedlichster Größe, Dicke und Geometrie in den Kisten. 400 unterschiedliche Klingen, die meisten gestanzt, einige auch geschmiedet, warten dort auf die Weiterverarbeitung.

Klinge für Klinge

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Gestanzte und eine geschmiedete Messerklinge warten im Wareneingang auf die Weiterverarbeitung. (Bildquelle: Simone Fischer/Redaktion Plastverarbeiter)

Zunächst erhalten die Rohklingen den Rückenschliff. Das ist der Schliff der oberen, stumpfen Kante. Anschließend erfolgt der Flächenschliff der beiden Seiten bevor der Scharfschliff der Klinge erfolgt. Sieben Maschinen, deren Magazine oder Drehteller alle von Hand bestückt werden, übernehmen diese Aufgabe. Jedoch muss, bevor das Schleifen erfolgt, jede Klinge von einem Mitarbeiter auf Verzug kontrolliert werden. Hat sich durch den Wärmeeintrag beim Härten eine Verformung ergeben, so wird die Klinge von einem Mitarbeiter durch einen oder mehrere Hammerschläge gerichtet. Nach dem Scharfschliff werden die Messer angelassen. Dadurch wird das Stahlgefüge entspannt, um Risse beim Weiterverarbeiten und beim späteren Gebrauch zu vermeiden. Außerdem kann ein entspannter Stahl nachgeschliffen werden. Der für die Messer verarbeitete Edelstahl ist rostfrei und besitzt eine Härte

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Zufuhr der Klingen zum Rückenschleifen. (Bildquelle: Simone Fischer/Redaktion Plastverarbeiter)

von 56 HRC Rockwell. Abschließend werden die Klingen maschinell poliert. Für das Polieren der Oberflächen kommt eine Polierpaste zum Einsatz, die wieder abgewaschen werden muss um die haftsichere Verbindung mit dem Kunststoffgriff sicherzustellen. Hierzu wird ein Ultraschallbad verwendet, das einen alkoholischen Reiniger enthält. Sind die Oberflächen gereinigt, so werden die Rohklingen nach einem Spülschritt im Vakuum getrocknet und sind nun bereit, um mit Kunststoff umspritzt zu werden.

Welche Klinge-Griff-Farbkombination darf es sein?

Der Weg in die Spritzerei führt am Klingenlager vorbei. Dort lagern 380.000 Klingen, von einer 10 mm langen Miniklinge für einen Wurstpellen-Schneider bis hin zur Klinge für ein Döner-Messer mit einer Länge von 55 cm. Die Variantenvielfalt der bei Giesser hergestellten Messer ist groß. Denn die verarbeiteten drei Materialtypen sind in sechs Standardfarben – Gelb, Rot, Blau, Grün, Schwarz und Weiß – verfügbar. Es werden 25 Standardgriffe an 500 Standardklingen gespritzt, sowie Sonderserien für den Consumer-Bereich oder auch Spezialgriffe aus antiallergenem Material für den Profibereich. „Für Standardklingen mit Wunschgriff beginnt die Produktionslosgröße bei 60 Stück“, führt Björn Mutschler Produktionsleiter bei Giesser Messer aus.

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Blick in das Rohklingenlager, in dem bis zu 380.000 Klingen auf ihren Griff warten. (Bildquelle: Simone Fischer/Redaktion Plastverarbeiter)

Verarbeitet werden drei lebensmittelkonforme Materialtypen: Polypropylen mit einem Glasfaseranteil von 20 Prozent, sowie Thermoplastische Elastomere mit 50 und 90 Shore. Die Hartkomponente der Messer mit einem 2K-Griff wird aus PP gespritzt, das mit dem 90 Shore TPE ummantelt wird. Die Standardgriffe besitzen eine leichte Erodierstruktur. Die 2K-Griffe sind mit einer ausgeprägten Struktur versehen, um trotz rutschhemmendem Soft-Touch einen sicheren Grip zu erzielen. Diese Grifftype ist arbeitsergonomisch ausgeführt, erleichtert die Messerführung und verringert dadurch den Krafteintrag auf das Handgelenk.

Griffe in fünfter Generation

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Fünf Generationen Messergriffe: rechts der Holzgriff, dem die ersten Griffe aus Kunststoff nachempfunden worden waren. Ganz links ein Messer der heutigen Griffgeneration. (Bildquelle: Simone Fischer/Redaktion Plastverarbeiter)

Doch seit wann besitzen Messer eine Kunststoffgriff und warum? Dies erläutert Hermann Giesser, Geschäftsführer Giesser Messer, Winnenden: „Die Wirtschaftlichkeit in der Produktion war einer der Gründe. Denn bei Messern, deren Griff aus zwei Halbschalen besteht sind außerdem drei Nieten erforderlich, um aus Klinge und Schalen eine Einheit herzustellen. Das heißt diese Messer bestehen aus sechs Einzelteilen und zahlreichen Fertigungsschritten. Steigende Hygienestandards forderten ebenfalls eine verbesserte Lösung. Und so kam der Spritzguss ins Spiel, mit dem beide Forderungen – wirtschaftliche Fertigung, optimale Reinigungsmöglichkeit und stoffschlüssige Verbindung – erfüllt werden konnten.“ Dieser Schritt ist nahezu 50 Jahre und fünf Griffgenerationen her. War die erste Generation des Kunststoffgriffs aus Polypropylen eine 1-zu-1-Nachbildung des Holzgriffs, so orientiert sich die heutige Version an Funktion und Ergonomie.

Die Hygieneanforderungen werden durch die Verordnung EN10/2011 für Kunststoffe im Lebensmittelkontakt vorgegeben. Die Messer müssen Temperaturzyklen von -10 °C bis 100 °C formstabil überstehen. Es darf zu keiner Ablösung und Unterwanderung des Griffmaterials kommen. Weiter müssen die Messer sterilisierbar, laugenstabil und spülmaschinengeeignet sein. Die eingesetzten Materialien sind für diese Eigenschaften ausgelegt. Ebenso für die gute Anbindung an den Klingenstahl. Der Klingenerl wurde nicht oberflächenbehandelt, sodass aufgrund seiner Rauigkeit die Kunststoffe gut haften. Außerdem besitzt der Erl nach wie vor die drei Löcher, die für die Nieten vorgesehen sind, die für eine gute Kraftschlüssigkeit sorgen.

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Vier Messer, zwei Farben, ein Zyklus – die Zweikomponenten-Maschine macht es möglich. (Bildquelle: Simone Fischer/Redaktion Plastverarbeiter)

Gefertigt werden die Messer auf vier horizontalen und einer vertikalen Spritzgießmaschine mit Schließkräften von 130 bis 200 Tonnen. Im 2-Schicht-Betrieb werden auf den fünf Maschinen täglich 8.000 Messer hergestellt. Die Klingen werden alle von Hand in die Kavitäten eingelegt bevor der Griff angespritzt wird. Die Prozesszeit beträgt 1,5 Minuten, davon entfallen 55 Sekunden auf die Kühlzeit. Die Seele des rund 2,5 cm breiten Griffes erstarrt nach der Entnahme an der Luft. Damit beim Abkühlen der großvolumigen Teile keine Einfallstellen entstehen, werden die Griffe chimisch geschäumt und die Form bleibt stabil. Technisch anspruchsvoll ist in der Werkzeugtechnik das Abdichten der Kavität zur Klinge hin, um eine Schwimmhautbildung vermeiden.

Farbe mit Bedeutung

Orientieren sich die Grifffarben der Messer für den Consumer-Bereich an Modetrends, so gibt es für die Profi-Messer Vorgaben, die durch das HACCP-Konzept (Hazard Analysis Critical Control Point = Risiko-Analyse kritischer Kontroll-Punkte) festgelegt werden. HACCP ist ein systematischer Ansatz, um unbedenkliche Lebensmittel zu gewährleisten. Durch das Konzept sollen Gefahren, die mit dem Verarbeitungsprozess von Lebensmitteln zusammenhängen oder von fertigen Produkten ausgehen betrachtet und Risiken abgeschätzt werden. Sind alle Faktoren, die die Lebensmittelreinheit beeinträchtigen können erkannt, so können die entsprechenden Maßnahmen eingesetzt werden, um die Risikofaktoren auszuschalten.

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Messer aus dem Consumer-Bereich in den Trendfarben für das Jahr 2019 und individueller Lasergravur. (Bildquelle: Simone Fischer/Redaktion Plastverarbeiter)

So steht jede Farbe für einen anderen Arbeitsprozess und –bereich bespielsweise an einer Bedientheke. Rote Messer mit roten Griffen sind für Fleisch und Wurst vorgesehen, blaue für den Fisch, gelbe für Geflügel und Gegartes und die grüne Serie kommt für Obst und Gemüse zum Einsatz. Die Messer mit weißen Griffen sind für Backwaren und Molkereiprodukte gedacht, die mit braunem Griff für Wurzelgemüse und der hellviolette Griff für die Halal-Verarbeitung oder die Zubereitung allergenfreier Speisen. Auf diese Weise ist sofort ersichtlich, wenn ein Messer an einem anderem als seinem Bestimmungsort verwendet wurde. Ist dies der Fall, so sollten alle Messer der Reinigung zugeführt werden. In Schlachtereien ist die Handhabung nochmals anders. Hier erfolgt die Farbcodierung nach der Abteilung, dem Schnittgut oder nach den Schichten. Die Farbgebung bei Giesser erfolgt über die Zugabe von Masterbatches.

Wertstoffkreislauf geschlossen

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Björn Mutschler bei der Qualitätskontrolle eines frisch gespritzten Tortenmessers. Im Hintergrund werden bereits die nächsten Klingen – 1x Tortenmesser, 2x Stechmesser – in die Form eingelegt. Angespritzt wird ein Griff aus PP20GF. (Bildquelle: Simone Fischer/Redaktion Plastverarbeiter)

Im Hause Giesser wird auch auf Nachhaltigkeit geachtet. Die Angüsse werde alle eingemahlen und das Mahlgut sortenrein in den Prozess rückgeführt. Gleiches gilt für das Material von Ausschussmessern. Bei der Entnahme aus dem Werkzeug erfolgt die erste Qualitätskontrolle des Messers. Zu diesem Zeitpunkt ist die Seele des Griffs noch plastisch, sodass sie von der Klinge gezogen werden kann. Nach dem Abkühlen wird sie gemahlen und rückgeführt. Die viel diskutierten Anfahrklumpen werden ebenfalls im Haus zerkleinert, wenn es sich um sortenreines Material handelt. Björn Mutschler berichtet: „Wir zerteilen die noch warmen Anfahrklumpen in Stücke, die unsere Mühlen verarbeiten können. Die richtigen Messer für die Vorzerkleinerung haben wir ja zur Hand!“ Lediglich gemischtes Material vom Anfahren wird thermisch verwertet.

An der letzten Station unseres Rundgangs erhalten die Klingen noch das Endfinish. Zum einen wird nochmals die Schärfe der Klinge geprüft und zum anderen wird das Logo eingebracht. Bei großen Stückzahlen wird es geätzt und für die Kleinserien sind zwei Lasersysteme im Einsatz. Die Lasertechnik ermöglicht die Klingen mit einer fortlaufenden Seriennummer zu versehen. So lässt sich der Weg jedes Messers von der Herstellung über den Gebrauch bis zur Entsorgung nachverfolgen.

 

Kontakt

Johannes Giesser Messerfabrik, Winnenden.

info@giesser.de

 

Unternehmen im Detail

 

Johannes Giesser Messerfabrik

Der Unternehmensgrundstein wurde bereits 1776 gelegt, als Johannes Giesser in Winnenden eine kleine Schmiede für Messer und Werkzeuge für den landwirtschaftlichen Gebrauch eröffnete. Knapp 100 Jahre später ließ sein Enkel, Gottlob Giesser den Handwerksbetrieb im Handelsregister eintragen. 1920 wurden die ersten Stahlwaren nach Dänemark und Österreich geliefert. Seit 1934 werden Messer mit feststehender Klinge produziert. Zu dieser Zeit wurde das Unternehmen geteilt in die Alfred Giesser Messerfabrik, die Maschinenmesser produziert, und die Johannes Giesser Messerfabrik. Bereits 1936 wurde zusammen mit Böhler der rostfreie Messerstahl aus Edelstahl entwickelt. 25 Jahre später wurde der erste Erweiterungsbau eingeweiht und weitere 20 Jahre später die erste Vakuumhärtungsanlage in Betrieb genommen. Diese Anlage sorgte für eine Qualitätsverbesserung, da dadurch die Schnittqualität deutlich erhöht werden konnte. 1980 wurde ein neues Firmengebäude eingeweiht und die damals 60 Mitarbeiter produzierten circa 2.000 Messer – täglich. Seit einer erneuten Erweiterung in 2003 ist es möglich, die Kunststoffgriffe in Eigenfertigung an die Klingen zu spritzen. Im Jahr 2016 wurde im thüringischen Bad Liebenstein ein Messerwerk übernommen. Dort werden von 25 Mitarbeitern jährlich 1,8 Mio. Messer für den Consumer-Markt gefertigt. Die Produktionskapazitäten des in siebter Generation von den Brüdern Hans-Joachim und Hermann Giesser geführten Unternehmens wurde in 2016 erneut erweitert. Die 120 Mitarbeiter stellen heute rund zwei Mio. Messer pro Jahr her. Das aktuelle Sortiment umfasst mehr als 2.500 geschmiedete und gestanzte Messer und Zubehörteile.

ist Redakteurin Plastverarbeiter. simone.fischer@huethig.de

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Unternehmen

Johannes Giesser Messerfabrik GmbH

Johannes-Giesser-Straße 1
71364 Winnenden
Germany