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Visualisierung der Rohdaten auf einem Panel‐IPC direkt an der Maschine – mit Christian Werner, Geschäftsführer von Peiler & Klein (rechts), Christoph Schmalzl, Vertriebsbeauftragter Digital Factory bei Siemens (Mitte) und Goran Cimin, Abteilungsleiter Datentechnik bei Data Ahead (links). (Bild: alle Siemens)

Das Siemens-Elektronikwerk Amberg (EWA) in der Oberpfalz ist ein Vorzeigebetrieb des Konzerns für die Fabrik der Zukunft. „Hier wird heute schon so produziert, wie es in zehn Jahren Standard in der deutschen Industrie sein wird“, erwartet Jürgen Kramer, Vertriebsleiter in der Siemens-Division Digital Factory. Die Fertigung funktioniert bereits weitgehend automatisiert: 75 Prozent der Aufgaben bewältigen Maschinen und Computer eigenständig, lediglich ein Viertel der Arbeit wird noch von Menschen erledigt. So legt ein Mitarbeiter zu Fertigungsbeginn das Ausgangsbauteil, eine unbestückte Leiterplatte, in die Produktionsstraße. Von da an läuft alles Weitere maschinengesteuert automatisch ab.

Das EWA fertigt unter anderem speicherprogrammierbare Steuerungen vom Typ Simatic in über 1.000 Produktvarianten. Bordsysteme von Kreuzfahrtschiffen werden damit ebenso gesteuert wie industrielle Fertigungsprozesse, etwa in der Automobilindustrie, oder auch Skiliftanlagen. Jede Sekunde verlässt ein Simatic-Produkt das Elektronikwerk Amberg. Um es mit einer Qualität von 99,99885 Prozent produzieren zu können, wird sein Lebenslauf bis ins kleinste Detail verfolgt. Mehr als tausend Scanner dokumentieren in Echtzeit sämtliche Schritte im Herstellungsprozess und sammeln Produktinformationen wie Löttemperatur, Bestückungsdaten oder Prüfergebnisse.

Zulieferer in die digitale Kette einbinden

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Christian Werner, Geschäftsführer bei Peiler & Klein (rechts), erläutert Florian Göldner, Vice President Qualität bei Siemens (links), den direkten Remote-Zugriff auf sämtliche Fertigungsrohdaten.

Basis dafür ist ein ganzheitlicher Ansatz, der die traditionelle Wertschöpfungskette in einen integrierten Produkt- und Produktionslebenszyklus umgewandelt hat – von Produktdesign über Produktionsplanung und Fertigungstechnik bis hin zu Produktionsausführung und Dienstleistungen. „Nur ein vollständig digitalisiertes Geschäftsmodell mit einer durchgängigen digitalen Kette unter Einbeziehung des komplexen Netzwerks der Zulieferer hat die erforderliche Leistungsfähigkeit und Flexibilität, um Prozesse zu beschleunigen und Produktionsabläufe zu optimieren“, ist Kramer überzeugt.

Und hier kommt das Unternehmen Peiler & Klein Kunststofftechnik im fränkischen Höchstadt an der Aisch ins Spiel. Mit rund 100 Mitarbeitern produziert der 1994 gegründete Betrieb an drei Standorten technische Spritzgussteile für die Automobil-, Elektrotechnik-, Haustechnik-, Kosmetik- und Luftfahrtindustrie – unter anderem auch für Siemens. So werden im Jahr rund 17 Mio. Kunststoffteile an das EWA und das benachbarte Gerätewerk Amberg (GWA) des Konzerns geliefert.

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Florian Göldner, Vice President Qualität bei Siemens (rechts) und Ulrich Grauvogel, CMO bei Data Ahead (links), treffen sich beim Ortstermin im digitalisierten Werk des Toplieferanten Peiler & Klein in Höchstadt. Der Kunde erhält direkten Einblick in die Fertigungsrohdaten des Zulieferes.

Um seine Rolle als Top-Lieferant auch in Zukunft zu sichern, gab Peiler & Klein-Geschäftsführer Christian Werner bereits 2015 den Weg in Richtung Smart Factory vor. Die erforderliche Grundlage war dank des hochmodernen Maschinenparks bereits vorhanden, die Rohdaten aus den rund 70 Spritzgießmaschinen mussten also „nur“ noch bereitgestellt und ausgewertet werden. Der Mittelständler arbeitet dabei mit Geräten, Anlagen und Maschinen der neuesten Generation von verschiedenen Herstellern, bis hin zum Computer-Tomographen.

Homogenisierung der Rohdaten erforderlich

Doch um den unternehmensübergreifenden Datenaustausch sicher zu gewährleisten und den Kunden jederzeit eine hohe Transparenz durch den Echtzeitzugriff auf wichtige Qualitäts- und Produktionsdaten bieten zu können, braucht es vor allem zwei Dinge: Eine zuverlässige Anbindung an das Industrial Internet of Things (IIoT) sowie eine gezielte Verwertung der von den Maschinen bereitgestellten Daten. „Aktuell sind weniger als fünf Prozent der Anlagen und Maschinen in den Unternehmen in der Lage, Daten so zur Verfügung zu stellen, dass sie sinnvoll genutzt werden können“, verweist Jürgen Kramer auf die Herausforderung.

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Ein typisches Produkt der Peiler & Klein GmbH für die Siemens-Werke EWA und GWA in Amberg: Spritzgießwerkzeug, Fertigungsdaten und Gehäuseteil sind über digitale Zwillinge und das Toolmanagement untrennbar miteinander verbunden und jederzeit verfolgbar.

Etwa mit der Siemens-Plattform Mindsphere, die Maschinendaten mithilfe eines breiten Spektrums von Apps in der Cloud umfassend analysiert. Diese Informationen tragen dann dazu bei, die Verfügbarkeit zu erhöhen sowie Produktivität und Effizienz einzelner Maschinen, ganzer Anlagen, Systeme und verteilter Maschinenparks zu verbessern. Das offene Betriebssystem für das Internet der Dinge eignet sich für zahlreiche Unternehmens- und Geräteanwendungen und verbindet Systeme, Anlagen, Maschinen und Produkte sicher und schnell. „Aber solchen neuen Funktionen und Services fehlt meist der direkte Zugriff auf die Rohdaten im Shopfloor“, weiß Ulrich Grauvogel vom Nürnberger Systemhaus Data Ahead.

Das Problem: Die in den Betrieben vorhandenen Systeme für das Enterprise Ressource Planing (ERP) oder Manufacturing Execution (MES) halten häufig mit der Volatilität des digitalen Wandels nicht Schritt. Auch, weil proprietäre Middleware und dedizierte Schnittstellen und Gateways eine transparente Bereitstellung und Auswertung von Fertigungsdaten erschweren. „Bevor sich Unternehmen ins Industrie-4.0-Thema stürzen, sollten sie deshalb zunächst einmal ihre Industrie 2.0-Hausaufgaben machen und alle teilnehmenden Datenquellen homogenisieren“, empfiehlt Grauvogel. Besonderen Wert legt er dabei auf die Feststellung, dass „Homogenisierung“ nicht mit „Formatierung“ oder „Standardisierung“ gleichzusetzen sei.

Demokratisierung der Daten als Ziel

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Am Computertomographen: Ulrich Grauvogel, CMO bei Data Ahead (links) und Steffen Duempelmann, Messtechniker bei Peiler & Klein, verfolgen den Weg eines Spritzgussteils zum digitalen Zwilling.

Elastic Gear, die Architektur der Nürnberger für das schnelle Finden und Nutzen von Daten, schließt die Lücke und leistet die Homogenisierung sämtlicher Datenformate und -quellen, ohne dass Rohdaten verloren gehen. Die HIFIVE-App von Elastic Gear erfülle dabei auch sämtliche Anforderungen von Mindsphere zur Verarbeitung von Massendaten und bilde die Brücke zwischen Massenrohdaten und der Plattform, erklärt Grauvogel.

Auch Peiler & Klein-Geschäftsführer Christian Werner stieß auf der Suche nach Hilfe auf das Nürnberger Systemhaus, dass sich als „Hybrid IIoT-Partner“ im Mindsphere-Ökosystem engagiert, und industrielle Massenrohdaten bereits „zähmte“, als noch niemand von Industrie 4.0 sprach. Doch nicht nur die umfassende Expertise sprach für die Experten: Denn wie der fränkische Zulieferer setzt auch der Dienstleister auf eine konsequente Demokratisierung sämtlicher Daten. „Maschinendaten sichtbar zu machen, ohne vorher zu definieren, wie und durch wen sie im Endeffekt ausgewertet werden sollen, war und ist der Leitgedanke und ein wichtiger Erfolgsfaktor in allen unseren Projekten“, unterstreicht Ulrich Grauvogel.

Ideen für neue Anwendungen sprudeln

Das erforderliche Werkzeug für das Industrie 4.0-Projekt bei dem Spritzgießbetrieb hatte die Daten-Spezialisten mit Elastic Gear bereits im Gepäck. Es beschleunigt das Finden und Nutzen von Informationen geräteübergreifend. Gleichzeitig hält sich der Installationsaufwand in Grenzen, und es ist kein Eingriff in die jeweilige Prozesssteuerung notwendig. Anschließend muss nur noch aus der Ferne die erforderliche Software aufgespielt werden – und schon steht der direkten Auswertung der Maschinendaten nichts mehr im Weg.

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Bei Peiler & Klein sind die Stati aller Maschinen auf Rohdatenbasis direkt in einem Webservice sichtbar. Sie können von allen Mitarbeitern entsprechend ihrer Berechtigung betrachtet werden. An der Maschine erkannte Optimierungsmöglichkeiten können auch Planungen übersteuern. Sie erfüllen dabei sämtliche Prozessvorschriften und werden lückenlos geloggt.

Inzwischen homogenisiert die Architektur des Systemhauses auch bei Peiler & Klein sämtliche verteilte Datenquellen, etwa an den Trocknungsöfen, der Granulatwaage oder den Sensoren an den Spritzgießmaschinen selbst. Mithilfe von Simatic Panel PCs, die einen Industrierechner mit einer Bedienfront integrieren, ist eine Visualisierung direkt an der Anlage möglich. „Bereits die Pilotinstallation sorgte im Betrieb für Begeisterung“, erinnert sich der damalige Projektleiter Goran Cimin. Denn nun konnten die Fertigungsprozesse direkt auf Shopfloor-Ebene erstmals selbst im Team und in Echtzeit analysiert werden.

Dadurch sprudelten die Ideen und Anwendungen wie etwa die direkte Anzeige der Overall Equipment Effectiveness (OEE). Das Loadbalancing zwischen einzelnen Maschinen, eine umfassende Werkzeugüberwachung, Verfolgbarkeit (Traceability) und der Einsatz von digitalen Zwillingen wurden durch die Fertigungsmitarbeiter selbst vorangetrieben. Mit der sicheren Anbindung an Mindsphere sind nun endlich auch die dortigen leistungsstarken Analysetools zugänglich. An weiteren spannenden Einsatzmöglichkeiten zur Erschließung immer neuer Optimierungspotenziale herrscht kein Mangel. „Fast täglich werden Lösungen gefunden, nach denen gar nicht aktiv gesucht wurde“, berichtet Geschäftsführer Christian Werner.

Wichtiger Schritt für weitere Qualitätssteigerung

Inzwischen ist der Standort Höchstadt des Mittelständlers vollständig durchdigitalisiert und hat damit dem Wettbewerb einiges voraus. Sämtliche Produktionsdaten, Qualitätsmerkmale und Logbücher werden in Echtzeit genauso angezeigt, wie sich historische Parameter per Knopfdruck auswerten lassen. Dementsprechend halten die Franken in Sachen Digitalisierung unter den Lieferanten der beiden Siemens-Werke nach wie vor die Poleposition.

Doch damit nicht genug: Im nächsten Schritt will der fränkische Spritzgießbetrieb relevante Daten auch dem EWA direkt für Analysen zur Verfügung stellen – und hebt damit die Demokratisierung seiner Rohdaten auf das nächste Level. Dadurch erhält der Kunde per Link über ein rollenbasiertes Zugriffsmanagement eine transparente Durchschau auf Teile der Produktionsplanung, Werkzeugwartung und Qualitätszahlen. „Dass dies auch noch über die mit Elastic Gear Docker Container-Technologie ausgestatteten Simatic-Steuerungen in dem Spritzgießbetrieb geschieht, die in Amberg selbst hergestellt werden, erhöht den Charme des Ganzen in besonderer Weise“, freut sich Ulrich Grauvogel.

Auf Seiten des Kunden werde es sehr gerne gesehen, wenn ein Lieferant proaktiv Zeichen in Richtung Industrie 4.0 setze. Zumal wenn er mehr Daten bereitstelle, als zunächst verlangt. Und für das EWA bedeute das, noch viel weiter reichende Auswertungen und Steuerinstrumente anwenden zu können, um den ohnehin schon extrem hohen Standard der Amberger Lean Digital Factory noch weiter zu steigern.

Weiterführende Informationen

ist Fachjournalist in Düsseldorf. bm@conosco.de

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