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Lasergesintertes TPU als digitales 3D-Druck-Material, Luvosint TPU X92A (Bild: Lehvoss Group)

Der lagenweise Aufbau von Formteilen, auch vereinfacht als 3D-Druck bezeichnet, hielt mittlerweile in nahezu allen Branchen Einzug. Es gibt kaum ein Unternehmen, welches sich nicht mit additiver Fertigung auseinandersetzt. Die Kunststoffbranche träumt zu Recht von gedruckten Ersatzteilen, Kleinserien und neuen Produkten. Sie muss sich jedoch von der Vorstellung verabschieden, dass dies mit Werkstoffen möglich ist, die identisch sind mit denen, die heute auch in Spritzguss und Extrusion eingesetzt werden. Denn mittlerweile geht es nicht mehr nur um Machbarkeit, sondern vielmehr um Eigenschaften, Qualität und Kosten. Die additive Verarbeitbarkeit von Kunststoffen ist in diesem Zusammenhang von elementarer Bedeutung, jedoch noch nicht in einem einzelnen Wert erfassbar.

3D-Druckfähigkeit vorhanden

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3D-druckfähiges Luvocom 3F PA HT im Einsatz für den Bootsbau (Bildquelle: Ocore)

Aktuell druckt der italienische Bootsbauer Livrea eine Rennyacht von 6,5 m Länge aus Kunststoff. Tragende Elemente und Strukturen werden aus Luvocom 3F PA HT direkt durch einen robotergesteuerten Extruder lagenweise aufgebracht. Bei dem Werkstoff handelt es sich um ein Hochtemperaturpolyamid, welches PA6-ähnliche Eigenschaften aufweist und mit 25 Prozent Kohlenstofffaser verstärkt ist. Der Druck erfolgt direkt aus Granulaten, bei Umgebungstemperatur und verzugsfrei auf einer Holzplatte. Diese Aspekte zeigen, dass sich dieses Material gut 3D-drucken lässt.

Um zu demonstrieren, wie ein teilkristalliner Werkstoff ohne äußere Temperaturkontrolle verarbeitet werden kann, wurde eine Versuchsreihe durchgeführt. Verglichen wurden ein an den 3D-Druck angepasstes PA6 ähnliches Material in unverstärkter Ausführung und ein handelsübliches PA6-Filament. Beide wurden unter identischen Bedingungen in einem Filamentdrucker mit beheizter Bauplattform, allerdings ohne Bauraumheizung verarbeitet.

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Mikro-CT-Scan eines handelsüblichen PA6 Materials (unten) und Luvocom 3F PA HT (oben). Die 3D-Druckversuche wurden auf einer identischen Maschine mit gleichen Parametern durchgeführt (Geschwindigkeit, Filamentdicke, Extrusionsfaktor und andere). (Bildquelle: Lehvoss Group)

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Die ersten Lagen des PA6-Filaments wurden nahe der beheizten Bauplattform als dichtes Volumen gedruckt. Bei größerem Abstand zur Bauplattform entstehen regelmäßige Poren, trotz eines eingestellten Füllgrades von 100 Prozent. Der abgelegte Strang schwindet bei Abkühlung und es besteht kein Kontakt mehr zum benachbarten Strang. Resultat ist eine Porosität von circa 25 Prozent und eine daraus resultierende reduzierte Festigkeit in xy- und ganz besonders in z-Richtung. Ergebnisse, die so auch oft an anderen Materialien zu beobachten sind. Das Beispiel des gut druckfähigen Materials zeigt hingegen eine hohe Dichte. Die Porosität beträgt nur 2 bis 4 Prozent, die in dieser Größenordnung auch an Spritzgussbauteilen messbar ist. Das üblicherweise erforderliche Temperaturmanagement mit beheiztem Bauraum kann dadurch entfallen, da es sozusagen im Werkstoff integriert ist.

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Vergleich von spritzgegossenen und 3D-gedruckten Zugstäben aus Luvocom 3F PA HT (unverstärkt). (Bildquelle: Lehvoss Group)

Die hohe Dichte des gedruckten Bauteils ist der entscheidende Faktor. Gelingt es, ein dichtes Bauteil zu drucken, besitzen die Formteile Eigenschaften, die denen von spritzgegossenen entsprechen. Aus dem oben beschriebenen Werkstoff Luvocom 3F PA HT wurden Norm-Zugstäbe spritzgegossen und gedruckt. Die Analyseergebnisse zeigen, dass es keinen signifikanten Unterschied mehr zwischen den beiden Varianten gibt.

Die 3D-Druckfähigkeit von Polymeren lässt sich somit wie folgt beschreiben: additiv verarbeitbare Polymere ermöglichen den Druck dichter Bauteile ohne aufwändige Prozessregulierung. Die Eigenschaften kompakt gedruckter Bauteile unterscheiden sich nicht mehr von spritzgegossenen. Voraussetzung ist jedoch, dass Anwender umdenken und nicht nach den klassischen Kriterien den Werkstoff auswählen, sondern vielmehr nach den Eigenschaften, die das Formteil für seine Anwendung mitbringen muss.

3D-Druckfähigkeit und die Praxis

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Angepasste Schmelzestabilität des Luvocom 3F PA HT ermöglicht die Fertigung extremer Winkel ohne Einsatz von Stützmaterial. (Bildquelle: ColorFabb)

Die Dichte der Bauteile ist der Schlüssel für gute Bauteilqualitäten. Gleichzeitig erleichtert eine auf den Druckprozess hin optimierte Schmelzestabilität die Verarbeitbarkeit. So wird es beispielsweise möglich, Formteile mit extremen Winkeln zu drucken, ohne dass der Einsatz von Stützmaterial erforderlich wird.

Die angepasste Rheologie der Schmelze hat ebenfalls Einfluss auf die Oberflächenqualität der gedruckten Bauteile. Mit einer hohen Druckauflösung lassen sich dann Oberflächenqualitäten erzeugen, die sich ohne Nachbehandlung für technische Anwendungen eignen. Gleichzeitig reduziert die geringe Oberflächenrauigkeit die Kerbwirkung, was die mechanischen Eigenschaften weiter verbessert.

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Die Rheologie steuert die Oberflächenqualität, hier am Beispiel eines ungefüllten Luvocom 3F PA HT (oben) und Luvocom 3F PEEK (unten). (Bildquelle: Lehvoss Group)

Die fehlende Notwendigkeit beheizter Bauräume in Kombination mit der einfachen Verfahrenstechnik eines FFF-Druckers ermöglicht es, nahezu beliebige Bauteilgrößen zu realisieren.

Unterschiede verschiedener Druckverfahren

Polymere mit hoher 3D-Druckfähigkeit sind solche Materialien, die exakt an die Anforderungen generativer Verfahren und gleichzeitig an die Anforderungen der jeweiligen Endanwendung angepasst sind. In der Konsequenz bedeutet dies, dass Materialien, die für extrusionsbasierte Verfahren, wie der Filamentdruck (FFF) entwickelt wurden, nicht in pulverbasierten Verfahren, wie beispielsweise dem Lasersintern, eingesetzt werden können.

Darüber hinaus gibt es auch ganz offensichtliche Unterschiede zwischen FFF- und Lasersintermaterialien. Ausgangsform für FFF ist ein Granulat, welches eventuell noch in ein Filament umgeformt wird. Es besteht somit die Möglichkeit Additive, funktionale Füllstoffe, wie PTFE, und Verstärkungsmittel, wie Kohlenstoff- oder Glasfasern, in ganz ähnlicher Weise einzumischen, wie es auch für Spritzgießmaterialien der Fall ist.

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Ohne Bauraumheizung wird der Druck großer Geometrien möglich, Material Luvocom 3F PEEK CF. (Bildquelle: Roboze)

Bei Pulvern sind die Einsatzmöglichkeiten konventioneller Füll- und Verstärkungsstoffe stark limitiert, da deren Korngröße im Mikro- oder Submikrobereich liegen muss. Auch die zulässige Füllstoffkonzentration ist begrenzt, da Rheologie- und Oberflächenkräfte, welche das Zusammenfließen der Pulverpartikel zu einem dichten Bauteil ermöglichen, negativ beeinflusst werden. Viele Materialien im Markt enthalten daher niedermolekulare Anteile, wie beispielsweise Wachse, welche die Rheologie verbessern und gute Oberflächenqualitäten an gedruckten Bauteilen bei nur geringem Energieeinsatz in der Maschine gewährleisten. Die Verarbeitbarkeit solcher Materialien in den Maschinen ist komfortabel einfach. Im Resultat am gedruckten Bauteil sind die mechanischen Eigenschaften trotz guter Bauteildichte allerdings unzureichend. Für den Prototypenbau ist das zulässig, nicht aber in Produktionsanwendungen.

Bei pulverbasierten Lasersintermaterialien wird die gute 3D-Druckfähigkeit eines Materials dadurch charakterisiert, dass ein Polymer verarbeitet wird, welches trotz hohem Molekulargewichts zu einem dichten Bauteil verarbeitet werden kann. Es soll letztendlich Eigenschaften besitzen, die mit denen von spritzgegossenen Formteilen vergleichbar sind. Die Realisierung ist möglich. Ein Beispiel ist Luvosint TPU X92A, ein TPU Pulver, welches aktuell im 3D-Druck für den Schuhmarkt eingesetzt wird.

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Lasergesintertes TPU als digitales 3D-Druck-Material, Luvosint TPU X92A (Bildquelle: Lehvoss Group)

Die Möglichkeiten der Modifikation von Lasersintermaterialien sind stark begrenzt. Jedoch bieten pulverbasierte Verfahren nahezu 100 Prozent Designfreiheit. Über komplexe Strukturen, erzeugt durch spezielle Software, werden Materialeigenschaften in einem weiten Bereich einstellbar. Es ist somit zwischen intrinsischen, im Datenblatt des Materials aufgeführten, und „digitalen“ Eigenschaften des gedruckten strukturierten Bauteils zu unterscheiden. Diese Möglichkeit bieten Verfahren wie FFF nicht beziehungsweise nur sehr rudimentär. Der Nutzer verschenkt, wenn er ein für das Spritzgießen konstruiertes Bauteil lasersintert, somit Potenzial, welches das Verfahren bietet. Solche Materialien bieten sogar die Möglichkeiten andere Polymereigenschaften nachzuempfinden, wie zum Beispiel weiche Strukturen mit einem harten TPU zu drucken. Die Merkmale können über die intrinsischen Materialeigenschaften hinausgehen, indem beispielsweise für die Schuhanwendung neuartige Dämpfungseigenschaften durch Strukturen erzielt werden, die bisher weder im Spritzguss noch mit Schäumen erreicht wurden.

Die Zukunft kann beginnen

Additiv gefertigte Bauteile können Qualitäten aufweisen, die solchen von spritzgegossenen Formteilen in Nichts nachstehen. Im Gegenteil bietet die geometrische Freiheit des 3D-Drucks Möglichkeiten neue Funktionalitäten zu realisieren. Die hierfür erforderlichen gut druckfähigen technischen Polymere sind nun verfügbar. Noch fehlen 3D-Drucker mit industriellen Standards und Softwarelösungen, um die gesamte Prozesskette zu digitalisieren, von der Datenerfassung zum fertigen Bauteil. Jede neue Anwendung bringt uns diesem Zeil einen Schritt näher.

 

 

 

Fakuma: Halle B1, Stand 1109

arbeitet in der Marktentwicklung Luvosint der Business Unit Customized Polymer Materials bei Lehmann & Voss, Hamburg

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