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 Natalie Hangel und Helmut Gehr erläutern die Strategie des Unternehmens in Bezug auf die
Filament-Fertigung für die additive Fertigung. Der Geschäftsführer Gehr hat das Potenzial
früh erkannt und kräftig in Maschinen und Personal investiert. (Bild: Redaktion Plastverarbeiter/Dr. Etwina Gandert)

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Helmut Gehr ist Geschäftsführer der Gehr Group in dritter Generation. (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter/Dr. Etwina Gandert)

Der Geschäftsführer Helmut Gehr hält sich an den Rat der Gründer und baut mit der Herstellung von Filamenten ein weiteres Standbeine für sein Unternehmen auf. Beim Besuch des Halbzeuge-Herstellers Gehr Kunststoffwerk in Mannheim ist sofort zu spüren, dass sich hier ein bodenständiges Unternehmen mit innovativem Geist präsentiert. Im Verwaltungsgebäude hängen zwei Portraits der Gründerväter – nicht als konventionelles Foto, sondern als modernes Bild im Warhol-Stil. Ganz klar in die Zukunft gerichtet ist der Blick des Geschäftsführers Helmut Gehr, der gerne noch viele Jahre rührig das Unternehmen voran treiben möchte: „Ich habe keine Lust aufzuhören, aber ich muss“, schmunzelt der Enkel des Gründers.

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Gehr Kunststoffwerk wurde 1932 von Eduard Gehr gegründet. Aus dem Familienunternehmen entstanden weitere Zweige. Darunter die Gehr GmbH mit Sitz in Mannheim, die derzeit von Helmut Gehr in der dritten Generation geführt wird. (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter/Dr. Etwina Gandert)

Der Geschäftsführer der Gehr GmbH, Mannheim, wird seine Unternehmensanteile bald an seine Tochter Anette Gehr und damit an die vierte Generation übergeben Annette Gehr arbeitet bereits seit 10 Jahren im Unternehmen. Das mittelständige Familienunternehmen verfolgt eine bodenständige Philosophie und pflegt mit dem Ohr am Puls der Zeit enge Kundenkontakte. Gegründet 1932, hat sich der Kunststoffverarbeiter auf die Herstellung von Halbzeugen wie Stäbe, Rohre, Profile und Platten aus POM, PEEEK und anderen technischen Kunststoffen spezialisiert.

Filamente bieten Zukunftschancen für Gehr

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Natalie Hangel erläutert am Datenblatt, wie die Qualität der Filamente dokumentiert wird. Das Datenblatt enthält die Messergebnisse derkontinuierlichen Dickenmessung während der Produktion des Filaments. (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter/Dr. Etwina Gandert)

Die Herstellung von Filamenten für den 3D-Druck ist das jüngste Kind der Gehr-Produkt-Familie. Der Geschäftsführer sieht das pragmatisch: „Ich sehe da den natürlichen Feind von unseren Halbzeugen.“ Und um den Anschluss nicht zu verpassen, hat er sich bereits vor mehr als drei Jahren entschlossen, in diese neue Technologie zu investieren. Seit Ende 2016 bietet das Unternehmen nun Filamente für die additive Fertigung an. Aus der Expertise über die Extrusion von Kunststoffen sowie die sehr guten Kontakte zu den Entwicklungsabteilungen der führenden Granulathersteller hat das Unternehmen nun die Produktfamilie Fil-A-Gehr aufgeebaut.

Damit hatte Helmut Gehr Natalie Hangel beauftragt. Die Maschinenbauingenieurin hat 2010 zunächst als Azubi zur Industriekauffrau bei Gehr angefangen und sich später im dualen Studium Maschinenbau mit Schwerpunkt Kunststofftechnik weitergebildet. Die Filamente sind ihr Thema und das spürt man im Gespräch sehr deutlich. „Weil wir das können, PEEK extrudieren“, antwortet sie auf die Frage, was das Unternehmen vom Wettbewerb unterscheidet. Gehr bietet ABS, PLA und noch andere Kunststoffe als Filamente an und eben auch PEEK, was recht anspruchsvoll in der Verarbeitung ist.

„Besonders wichtig ist eine enge Toleranz des Durchmessers der Filamente. Das ist das Allerwichtigste bei der Produktion. Wenn der Durchmesser schwankt, hat man beim Einzug vom Drucker unterschiedliche Materialförderung. Dann kann die Düse verstopfen und der Druckprozess einfach nicht gleichmäßig laufen. Die Oberflächen müssen in Ordnung sein, es darf keine Lunker geben. Dazu muss der Kunststoff konstant abgekühlt werden.“

Das Kühlen der Filamente ist ein ganz besonders wichtiger Punkt bei der Herstellung. Gehr hat in eine komplett neue Extrusionsanlage investiert, diese angepasst und eine mehrere Meter lange Kühlstrecke aufgebaut. Die Kühlung erfolgt teilweise über Luft und über Wasser. „Wir passen außerdem die Schnecken an und bauen unsere Werkzeuge selbst“, erläutert die Ingenieurin. Zur Qualitätssicherung ist ein zweiachsiger Laser an der Linie aufgebaut, der den Durchmesserverlauf über die gesamte Länge aufzeichnet. „Jede Spule bekommt dann ein Prüfprotokoll beigelegt, das der Verarbeiter dann zur Dokumentation erklärt“, berichtet die Expertin.

Qualität ist entscheidend für den Erfolg

Qualität ist in dem Geschäft sehr wichtig. „Das stellen wir nicht nur bei der Produktion der Filamente sicher, sondern auch bei der Materialauswahl“, betont Hangel. „Wir haben gleichbleibende Lieferanten und machen Wareneingangskontrollen. Zum Beispiel messen wir den Schmelzindex und bestimmen den Feuchtigkeitsgehalt, um gegebenenfalls eine Trocknungsstufe in den Prozess einzuschalten.“ Beim Endprodukt sorgen aluminiumkaschierte und entlüftete, wiederverschließbare Beutel, in die Silikasäckchen eingelegt sind, dafür, dass die Filamente trocken bleiben. Außerdem zeigt ein Feuchtesensor farbig an, ob der Beutel „gesättigt“ ist.


Marktübersicht 3D-Druck und additive Fertigung

Der Begriff 3D-Drucker umfasst hier alle Geräte und Maschinen, mit denen Teile aufbauend erstellt werden können. Diese Teile können Modelle, Prototypen, Kleinserienteile, Serienteile in unbegrenzter Zahl, Prototypen-Werkzeuge, Werkzeug-Einsätze und andere Produkte sein. Verarbeitbare Materialien sind neben Kunststoffen auch Metalle, Keramik, Holz und andere Werkstoffe. Damit folgt die Definition der Drupa 2016.


Für die Qualitätsüberwachung werden außerdem Schulterstäbe gedruckt. „Hiermit wird dann in einer Zugprüfmaschine getestet, wie gut die Schichtenhaftung ist“, so Hangel. Die Einflüsse des Druckers dürfen dabei nicht unberücksichtigt bleiben, denn Düsengrößen, Lüfter, Schrittmotor, Druckbett und Temperierung beeinflussen die Qualität des Prüfstabes. Dazu erklärt Hangel: „Wir haben drei Drucker im Haus und sind mit den Druckerherstellern in engem Kontakt. Generell können unsere Filamente in jeden Open-Source-Drucker eingesetzt werden. Allerdings kristallisieren sich unserer Meinung nach ein paar Drucker heraus, die in der Industrie eingesetzt werden. Mit jedem Muster unserer Filamente senden wir auch eine Druckempfehlung für den Anwender.“ Als Parameter werden in der Druckempfehlung Temperatur des Betts, Temperaturbereich für die Düse, Drucker-Geschwindigkeit und teilweise Infill und die Daten von Simplify. „Diese Daten geben dem Anwender eine Orientierung und wir stehen immer für Rücksprachen zur Verfügung.“

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Gehr hat eine Extrusionslinie für Filameten aufgebaut und nennt das Portfolio Fil-A-Gehr. (Bildquelle: Gehr)

Zum Werkstoffportfolio der Fil-A-Gehr-Filamente gehören PLA, ABS, PC/ABS, PPA, PA12 und PEEK. Letzteres ist das Material, wovon sich Gehr am meisten erhofft und worin das Unternehmen eine große Expertise besitzt. Beim Rundgang durch die Produktion und die Lager, wird deutlich warum. „Hier lagern ein paar Einfamilienhäuser“, kommentiert die Maschinenbauingenieurin stolz mit Blick auf mindestens 90 Regalmeter, die mit Stäben und Platten verschiedenster Dimensionen aus PEEK gefüllt sind. Die Halbzeuge aus PEEK werden meist im Maschinen- und Anlagenbau verwendet, um daraus Maschinenteile zu fertigen. Als Filament hat der Werkstoff sehr viel Potenzial, das noch nicht erschlossen ist. Denn die hohe Schmelztemperatur macht das Drucken mit dem Material technologisch anspruchsvoll. Das können bisher nur wenige Drucker leisten.

Ziel ist es das Portfolio zu erweitern, um ein möglichst komplettes Programm der technischen Kunststoffe liefern zu können. „Unterstützt werden wir dabei auch von unseren Rohstofflieferanten, die mit neuen Materialien auf uns zukommen“, so der Geschäftsführer.

„Allerdings ist bislang der Einsatz der Filamente zum Teil patentrechtlich eingeschränkt beim Einsatz in manchen Druckern“, sagt der Geschäftsführer Helmut Gehr, doch er sieht große Chancen, wenn in den nächsten 2 bis 5 Jahren einige Patente auf temperierte Druckräume fallen. „Ich hoffe, dass wir in spätestens fünf Jahren relevante Umsätze mit den Produkten machen. Der Trend für den 3D-Druck geht definitiv in die Produktion und dann schätze ich, werden auch relevante Material-Volumen von einigen hundert Kilo pro Monat nachgefragt.“

Zielmarkt Automobildproduktion

Die Zielmärkte sieht Gehr in der Automobilproduktion, auch Handlingshilfen, und in der Medizintechnik. Das Unternehmen engagiert sich in einigen Forschungsprojekten und sucht den engen Kontakt zu Anwendern. Allerdings sieht er auch, dass es aufseiten der Ingenieure noch viel Zeit braucht, bis die additive Fertigung in den Köpfen angekommen ist. Wenn es über die Fertigung von Prototypen hinausgeht, müssen ganz andere Konstruktionsansätze gedacht werden.

Der Produktionsprozess eines additiv gefertigten Bauteils wird ganz anders aufgesetzt, als beispielweise ein Spritzgussprozess. „Daher ist der Kontakt zum Anwender besonders wichtig für Gehr“, ergänzt Hangel. In der additiven Fertigung sind außerdem Geometrien möglich, die sich mit üblichen Verfahren nicht herstellen lassen. „Überhänge oder Hinterschneidungen lassen sich im 3D-Druck realisieren. Auch beim Füllgrad haben sie im Druck ganz andere Möglichkeiten mit einer Gitterstruktur. Das sind wichtige Themen hinsichtlich Leichtbau und Materialeinsparungen“, so die Maschinenbauingenieurin.

Eine weitere große Chance für die additive Fertigung sieht die Produktmanagerin in der immer stärkeren Vernetzung der Maschinentechnik. „Industrie 4.0 verspricht für die Produktion im 3D-Druck erhebliches Einsparpotenzial. Die Drucker kleinerer Bauteile sind vergleichsweise günstig in der Investition. Wenn sie solche Druckerstationen digital vernetzten, lassen sich sehr gute Herstellgeschwindigkeiten realisieren und Personal einsparen. Im Vergleich zum Spritzguss eine preiswerte Lösung, denn Maschinen, Werkzeugkosten und Personalkosten sind deutlich geringer.“

Kooperation mit dem Kunden als Markenzeichen

Für all diese Themen hat sich das Unternehmen geöffnet und investiert. Projekte mit SKZ und Fraunhofer sind in Arbeit, um den Einsatz der additiven Fertigung weiter voranzutreiben. Dabei bleibt das mittelständische Unternehmen seiner Leitlinie treu, mehr Service, Vielfalt und Kompetenz zu liefern. „Wir verkaufen anders und nehmen unsere Kunden nicht in den Schwitzkasten“, beschreibt Helmut Gehr die Firmenphilosophie. Er sieht darin einen klaren Vorteil gegenüber sehr großen Unternehmen. „Viele der kleineren Kunden mögen es nicht vom Material-Zulieferer dominiert zu werden.“ Gleichwohl betreibt Gehr eine zielgerichtete Wachstumsstrategie. Derzeit hat das Unternehmen in Deutschland zwei Produktionsstätten in Deutschland und eine in Nordamerika. Dazu unterhält das Unternehmen in Honkong ein großes Lager.

„Im Rahmen der Planung für die kommenden Jahre haben wir uns entschlossen, eine neue Produktionshalle zu bauen. Diese zusätzliche Halle von 2.500 m² wird zukünftig für unsere Profil- und Rohrfertigung genutzt. Dies gibt uns dann auch durch die frei werdende Fläche die Möglichkeit, im Bereich der Platten- und Vollstab-Produktion weiter zu wachsen. Die Bauarbeiten haben inzwischen begonnen. Wir hoffen, bereits ab Herbst 2018 beide Hallen für Kapazitätserweiterungen nutzen zu können“, erläutert der Geschäftsführer.“ Die Anlagen für die Filament-Herstellung bieten noch ausreichend Kapazität für die Zukunft. „Hier investieren wir vor allem in die Entwicklung und Kooperation mit Anwendern. Für Anfragen aus der Automobilindustrie und Medizintechnik zu gemeinsamen Projekten sind wir jederzeit offen.“

 

 

ist Redakteurin Plastverarbeiter. etwina.gandert@huethig.de

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