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Nachdem ein 3D-Drucker die Ohrenmodell hergestellt hat, härtet sie unter einer UV-Lampe aus und dient dann im Operationssaal also Vorlage für die Nachbildung. (Bild: Artec 3D)

Edinburgh ist die Heimatstadt von Ken Stewart, der den örtlichen „Ear Reconstruction Service of Scotland“ leitet. Dort verfeinert er Methoden, um die rekonstruktive Chirurgie für Kinder und Erwachsene mit Ohrfehlbildungen anzuwenden. Seit Jahren wendet Stewart verschiedene Techniken an, um die vielfältigen Formen der Ohren seiner Patienten nachzubilden. Eine der populärsten Methoden ist, Knorpel aus den Rippen der Patienten zu entnehmen und daraus etwas Ohrförmiges zu modellieren. Manchmal praktiziert und lehrt er auch unter Zuhilfenahme anderer Materialen, zum Beispiel Wachs, Silikon oder sogar Äpfeln. „Ich liebe es, Ohren zu rekonstruieren“, sagt er in einem Interview mit The Scotsman, einer schottischen Tageszeitung. Im Jahr 2014 begann er, sich mit 3D-Visualisierung zu beschäftigen. Diese sollten die präoperativen Abläufe der Ohr-Nachbildung vereinfachen. Stewart kommentiert: „Angesichts all der verfügbaren Technik mussten wir diese Arbeitsschritte verbessern. Das Team für Ohr-Nachbildungen beim Royal Hospital for Sick Children hat den Einsatz neuer hilfreicher Technologien vorangetrieben.“ Die Zweigstelle des National Health Service (NHS), das staatliche Gesundheitssystem in Großbritannien, im schottischen Lothian, wo Stewart arbeitet, hatte bereits Erfahrung mit dem Einsatz von 3D-Visualisierung für das Entwerfen von künstlichen Hüften sowie für medizinische Untersuchungen. Dort war man ebenfalls an einer Verfeinerung der Arbeit mit nachgebildeten Ohren interessiert.

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Die Herstellung des Ohrenmodells im 3D-Drucker dauert etwa drei Stunden. Danach wird es aus dem Gerät entnommen und in Isopropanol gereinigt. (Bildquelle: Artec 3D)

Stewart wandte sich an das Unternehmen von Patrick Thorn, britischer Gold-Partner von Artec 3D, Luxemburg, Luxemburg. Ausgehend von seiner langen Erfahrung mit dem Design und Re-Design von Ohrprothesen und -implantaten war Stewart skeptisch, ob die aktuellen Artec-Scanner tatsächlich ein menschliches Ohr umfassend 3D-rendern können. Um ihn vom Gegenteil zu überzeugen, fertigte Patrick eine Reihe von Nachbildungen an, mit denen die Scanner ihre Fähigkeiten in hochauflösender Visualisierung demonstrieren konnten. Thorn scannte die Ohren seiner Nachbarn und seines Enkels. Nach einigen optischen Veränderungen mithilfe der Scanning-Software Leios Elaborations von EGS, Bologna, Italien, ließ er die Muster mit dem Stereolithografie-Gerät ARM-10 von Roland, Willich, ausdrucken. Stewart und sein Team waren von den Ergebnissen begeistert und entschieden sich für Artec Spider – einen hochauflösenden 3D-Scanner, geeignet zum Erfassen von Oberflächen innerhalb des Gehörgangs sowie im Bereich zwischen Ohr und Kopf.

3D-Kopierer: 3D-Scan und additive Fertigung in Kombination

Nachdem die Sick Kids Friends Foundation erfolgreich Spenden gesammelt hatte, konnte The Royal Hospital for Sick Children schließlich einen 3D-Scanner erwerben. Innerhalb eines Nachmittags wurde der Scanner installiert, und am folgenden Tag begann die praktische Ausbildung. Stewart merkte an: „Mit 3D-Scannern zu arbeiten, war neu für uns. Und da wir ohnehin den ganzen Tag mit unseren Routinepatienten zu tun haben, blieb wenig Zeit, sich einzuarbeiten. Dennoch: Dank des Trainings und der zusätzlichen Erläuterungen von Patrick Thorn können wir die Technik vom Scannen bis zum 3D-Druck relativ sicher bedienen. Das Modell wird am Ende sterilisiert und direkt ausprobiert, damit die Genauigkeit unserer Nachbildung verbessert werden kann.“


3D-Drucker: Maschinen und Geräte für die additive Fertigung


Der Einsatz von Artec Spider für die Ohr-Nachbildungen trug dazu bei, dass die Abläufe vereinfacht und systematisiert wurden. Wenn die Erstuntersuchung mit den Patienten abgeschlossen ist, kommen diese ein zweites Mal ins Krankenhaus und lassen ihr gesundes Ohr scannen. Nachdem bei Ellie bilaterale Mikrotie, das heißt, dass beide Ohren betroffen sind, diagnostiziert wurde, scannten die Ärzte in diesem Fall das Ohr ihrer Schwester, da sie nicht an Mikrotie litt. Manchmal wird auch ein Bild des betroffenen Ohrs als Grundlage verwendet. Während des Scannens erfasst Artec Spider zunächst die Ohrmuschel mit hoher Detailgenauigkeit und arbeitet sich dann tief in den Gehörgang, um weitere, wichtige visuelle Daten zu sammeln. Anschließend werden die Bilder in die Software Artec Studio geladen und dort zusammengefügt und verschmolzen, bevor daraus ein digitales Modell des Ohrs entsteht.

Für die Nachbearbeitung kommt die Software Leios von EGS zum Einsatz. Mit dieser überprüfen die Ärzte die Oberfläche des Ohrmodells, entfernen überflüssige Elemente und wenden ein internes Offset an, um Dicke der Haut einzustellen. Sobald alle strukturellen und kosmetischen Veränderungen abgeschlossen sind, wird das fertige Bild gespiegelt. Danach schickt das Team eine gemeinsame Festplatte mit der Datei mit den Bildern an ein Labor. Zugleich lädt es die Datei in die Software Roland Monofab Printing, wo es noch Detailveränderungen umsetzt. Dann kann der 3D-Druck starten.

Nach etwa drei Stunden werden die nachgebildeten Ohren aus dem 3D-Drucker entnommen und in Isopropanol gereinigt. Dann werden sie für einige Minuten unter eine UV-Lampe gelegt, um den Kunststoff auszuhärten. Anschließend werden sie sterilisiert, versiegelt und als Vorlagen für Ohr-Nachbildungen in den Operationsraum gegeben.

Mikrotie

Über 100.000 Kinder werden jährlich ins Royal Hospital for Sick Children (auch bekannt als “The Sick Kids”) eingeliefert. Das in Edinburgh gelegene Krankenhaus kümmert sich um Kinder wie Ellie, die an einer angeborenen Fehlbildung am elastischen Knorpel des Ohres leiden. Ärzte sprechen hier von Mikrotie – was aus dem Lateinischen übersetzt so viel bedeutet wie „außergewöhnliche Kleinheit des Ohres“. Bei manchen von dieser Erscheinung Betroffenen kann die Ohrmuschel derart klein ausfallen, dass sie als gar nicht vorhanden erscheint. Aufgrund der Unterentwicklung sowohl des Mittelohrs als auch des äußeren Gehörgangs geht Mikrotie häufig mit Hörbeeinträchtigungen unterschiedlichen Ausmaßes einher. Eins von 6.000 Babys wird im Schnitt mit diesem Symptom geboren. In Schottland leiden mindestens zehn junge Patienten an ähnlichen Problemen wie Ellie.

3D-Scans ermöglichen bald 1:1-Kopien von Ohren

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Während des Scannens erfasst Artec Spider zunächst die Ohrmuschel mit hoher Detailgenauigkeit und arbeitet sich dann tief in den Gehörgang, um weitere, wichtige visuelle Daten zu sammeln. Anschließend werden die Bilder in die Software Artec Studio geladen und dort zusammengefügt und verschmolzen, bevor daraus ein digitales Modell des Ohrs entsteht. (Bildquelle: Artec 3D)

Man kann sagen, dass sich die Nachbildung von Ohren während der letzten 40 Jahre, in denen plastische Chirurgen an ihrer Perfektionierung gearbeitet haben, langsam aber stetig entwickelt hat. Es begann in den 70ern, als Chirurgen Knorpel aus Rippen entnahmen, um das Gewebe für die Nachbildung des Ohres zu nutzen. Damals diente eine zweidimensionale Pause des normalen Ohres auf Papier als Richtschnur, mit der ein Chirurg aus dem entnommenen Knorpel in etwa das zukünftige Ohr des Patienten formen konnte. Jedoch konnte ein solches grafisches Modell lediglich als Orientierung dienen. Die komplexen Dimensionen des Ohres erfordern aber ein ganz anderes Maß an Präzision. Mithilfe fortgeschrittener Visualisierungstechnik müssen Chirurgen für die Prothesen und Implantate, die sie erstellen, nun nicht mehr mit näherungsweisen Modellen arbeiten.

Mittlerweile arbeitet das Team mit dem Centre for Regenerative Medicine der Universität Edinburgh, wo Professor Bruno Peault und Dr. Chris West erfolgreich menschliche Stammzellen von Fett isoliert haben. Die veredelten Stammzellen wurden gegen eine Sammlung von 10.000 durch die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel FDA bestätigte Polymere getestet. Dr. West identifizierte mehrere Polymere, an die sich die Stammzellen ankoppeln. Die Zellen können genutzt werden, um auf der Oberfläche des Polymers Knorpel zu produzieren. Man hofft nun, dass es durch die Verbindung von Artec-3D-Scan-Technologie, Technologie für Gewebeproduktion und  Liposuktion möglich wird, exakt gespiegelte Kopien für das betroffene Ohr zu erstellen, wodurch die Nutzung von Rippenknorpel überflüssig wird.

Während Technologie und Wissen beim NHS Lothian immer weiter fortschreiten, freuen sich Mitarbeiter und Patienten bei Sick Children auf den Umzug in ein neues Gebäude in Little France, Edinburgh, im Herbst 2017. Dort werden die 3D-Arbeiten fortgesetzt.

ist CEO von Artec 3D in Luxemburg.

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