Die Kunststoffverarbeitung gehört zu der Kernbranchen NRWs.

Die Kunststoffverarbeitung gehört zu den Kernbranchen NRWs. (Bild: Windmöller und Hölscher)

Nordrhein-Westfalen behauptet seine Rolle als Kernland der Industrie in Deutschland. Dies gilt auch für die Kunststoffbranche. Im Jahr 2015 waren in NRW 993 Betriebe in der Produktion von Kunststoffen, Gummi und Chemiefasern sowie in der Herstellung von Kunststoff- und Kautschukwaren sowie den dafür benötigten Maschinen tätig. Die Branche setzt mit rund 140.000 Mitarbeitern etwa 36 Mrd. Euro um. „NRW verfügt über Top-Unternehmen aller Größenordnungen, darunter – besonders in den ländlichen Regionen – sehr erfolgreiche Mittelständler und Hidden Champions“, erklärt Reinhard Hoffmann, Vorsitzender des Vereins Kunststoffland NRW, Düsseldorf, und Geschäftsführer von Gerhardi Kunststofftechnik, Lüdenscheid. Zudem unterstütze eine außerordentlich dichte Wissens- und Forschungslandschaft die klassischen Industriebetriebe bei relevanten Fragen, wie etwa aktuell Industrie 4.0 und Digitalisierung. Die Stärke speziell der Kunststoffbranche in NRW lässt sich somit nicht allein durch ihre horizontale Dichte, sondern vor allem durch ihre vertikale Vernetzung beschreiben: „Nur bei uns ist die gesamte Wertschöpfungskette Kunststoff von der Forschung über die Erzeugung und den Maschinenbau bis hin zur Verarbeitung und den darauf bezogenen Dienstleistungen in so hoher Qualität und räumlicher Dichte vertreten – ein enormer Vorteil im internationalen Innovationswettlauf“, betont Hoffmann.

Auch die Rohstoffindustrie (im Bild Pulver für Additiv-Produktion) hat in NRW einen bedeutenden Standort. (Bildquelle: Evonik)

Auch die Rohstoffindustrie (im Bild Pulver für Additiv-Produktion) hat in NRW einen bedeutenden Standort. (Bildquelle: Evonik)

Diesen Vernetzungsaspekt heben auch die von Plastverarbeiter befragten Industrie-Unternehmen hervor. „Die besondere Stärke der nordrhein-westfälischen Kunststoffbranche liegt in der vielfältigen Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen wie dem IKV in Aachen“, erklärt etwa Rolf Trippler, Geschäftsführer Vertrieb beim Maschinen-Hersteller Hennecke, St. Augustin.  Für das eigene Unternehmen sei die Kooperation mit dem Kunststoffzentrum in Lüdenscheid von spezieller Bedeutung. „Durch die Zusammenarbeit mit exzellenten Fachhochschulen und Universitäten, bietet NRW ein geballtes Know-How auf relativ kleiner Fläche für den Kunststoff-Sektor“, bestätigt Ulrich Reifenhäuser, Geschäftsführer des Extrusionstechnik-Herstellers Reifenhäuser, Troisdorf. Gerade dem Nachwuchs biete sich so eine Vielzahl von Berufschancen und den Unternehmen eine zukunfts-orientierte Personalplanung. Peter Steinbeck, Geschäftsführer des Verpackungsmaschinen-Herstellers Windmöller und Hölscher, Lengerich,  führt zudem die Nähe zur K als ganz speziellen Standortvorteil ins Spiel: „Die in der Region ansässigen Firmen der Kunststoffbranche nutzen die besondere Nähe zum Messestandort, um Innovationen nicht nur in Düsseldorf, sondern auch an ihren Stammsitzen in NRW zu zeigen“.

Reinhard Hoffmann. (Bildquelle: Kunststoffland NRW)

Reinhard Hoffmann, Vorsitzender des Vereins Kunststoffland NRW, Düsseldorf und Geschäftsführer von Gerhardi Kunststofftechnik, Lüdenscheid (Bildquelle: Kunststoffland NRW)

Obwohl kaum eine Branche die Globalisierung ihrer Produktion so konsequent vorangetrieben hat wie die chemische Industrie, haben auch große Polymer-Hersteller wie etwa Evonik, Essen, weiterhin eine starkes Standbein in NRW. „Unsere größte Produktionsstätte für High-Performance-Polymere befindet sich in Marl“, hebt Dr. Matthias Kottenhahn hervor, der bei Evonik für den Bereich Hochleistungs-Polymere verantwortlich ist. „Wir finden in NRW einen funktionierenden Verbund vom Rohstoff, zum Beispiel mit dem Cracker in Scholven, bis zur Abnehmerindustrie vor und können eine gut ausgebaut Infrastruktur nutzen.“

Klaus Geimer. (Bildquelle: Dr. Boy)

Klaus Geimer, stellvertretender Geschäftsführer von Dr. Boy, Neustadt-Fernthal (Bildquelle: Dr. Boy)

Der Umfrage zufolge bietet NRW eine gute Plattform für Zukunftstechnologien der Kunststoffbranche. „Alle für die Branche wichtigen Themen werden in unserem Bundesland vorangetrieben“, sagt Helmut Gries, der beim Wärme- und Kältetechnik-Spezialisten GWK, Meinerzhagen, für Vertrieb und Marketing verantwortlich zeichnet. Leichtbau, optische Anwendungen, Funktionsintegration und Industrie 4.0, führt er als Beispiele an.  „In NRW sind viele große und kleine Firmen an zukunftsträchtigen Entwicklungen wie diesen beteiligt.“
Den klassischen Innovationsthemen komme eine zentrale Rolle zu, bestätigt Reinhard Hoffmann von Kunststoffland NRW. Hier gelte es, ganz vorne mitzuspielen. „Der Leichtbau ist immer noch ein Treiber“, so Hoffmann, „da sein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist. Hier geht es nicht nur um reine Kunststofflösungen, sondern um hybride Strukturen.“ Der Verein versuche übergreifend auch die Bereiche Architektur und die Bauindustrie

Rolf Trippler. (Bildquelle: Hennecke)

Rolf Trippler, Geschäftsführer Vertrieb bei Hennecke, St. Augustin (Bildquelle: Hennecke)

mit in die Diskussion zu bringen. „Die Digitalisierung wird funktionale Oberflächen erfordern, und hier hat der Kunststoff erhebliches Potential“, präzisiert Hoffmann. Neben Themen wie etwa nachwachsende Rohstoffe oder 3D-Druck wollen die Standort-Förderer dem Aspekt der Kreislaufwirtschaft verstärkt Nachdruck verleihen. „Wir haben uns das Thema Kunststoffrecycling auf die Fahnen geschrieben, nicht als Einzelkämpfer, sondern in branchenübergreifender Kooperation unter anderem mit der Abfall- und Recyclingwirtschaft in NRW Playern“, erklärt Hoffmann.

Asiatische Konkurrenz im Blick

Auch die beste Standort-Struktur schützt nicht vor dem rauhen Wind des globalen Wettbewerbs. Insbesondere die zunehmende Konkurrenz aus

Ulrich Reifenhäuser. (Bildquelle: Reifenhäuser)

Ulrich Reifenhäuser, Geschäftsführer von Reifenhäuser, Troisdorf (Bildquelle: Reifenhäuser)

Fernost fordert die Branche heraus – auf den Weltmärkten ebenso wie vor der „eigenen Haustür“. „Ziel der asiatischen Staaten ist es, in Marktsegmente der Hochtechnologie vorzudringen, in denen auch NRW-Unternehmen führend sind“, betonen Axel Fehling, Gebietsverkaufsleiter Deutschland West, und Christoph Pischel, Head Business Development Manager Asia & Americas, vom Normalien- und Heißkanal-Spezialisten Hasco Hasenclever, Lüdenscheid. Zur raschen Umsetzung dieses Ziels dienten u. a. Akquisitionen von technologischen Marktführern in Deutschland. Mit weitreichenden Folgen: „20 Jahre nach Beginn der Globalisierung“, so prognostizieren  die Hasco-Vertreter, „wird in den kommenden Jahren eine neue Art von Wettbewerb zwischen Anbietern aus Asien und NRW entstehen – dieses Mal technologisch und qualitativ auf Augenhöhe. Das wird die große Herausforderung für die Industrie in NRW sein, die Unternehmen aber auch zu neuen Höchstleistungen und Innovationen antreiben.“

Peter Steinbeck. (Bildquelle: Windmöller und Hölscher)

Peter Steinbeck, Geschäftsführer von Windmöller und Hölscher, Lengerich (Bildquelle: Windmöller und Hölscher)

Das gilt namentlich für den europäischen Maschinen-Markt, in den derzeit zahlreiche fernöstliche Anbieter drängen: „Dies treibt uns bereits heute zu enormen innovativen Entwicklungen an. Wir können daher technisch bessere Gesamtlösungen anbieten“, meint Klaus Geimer, stellvertretender Geschäftsführer des Spritzgießmaschinen-Herstellers Dr. Boy, Neustadt-Fernthal. Für einen nicht unerheblichen Vorsprung sorgten aber auch „unsere Beratungsqualität, die Kundennähe und Sicherstellung von einer schnellen Ersatzteillieferung sowie der zeitnahe Einsatz von hoch qualifizierten Servicetechnikern“, hebt Greiner hervor.
Frank Asmuss, Global Product Manager beim Maschinen- und Anlagenbauer Nordson, Münster, sieht in der asiatische Konkurrenz nicht zuletzt einen Impulsgeber für die eigene Portfolio-Politik: „Standard-Anwendungen werden immer schwieriger zu bedienen, der Preisdruck wächst hier immer weiter.“ Es sei erforderlich, „sich durch technologische Vorteile sowie durch langfristige Kostenvorteile, die im Zusammenspiel erstklassiger Qualität mit exzellentem Service entstehen, von asiatischen Herstellern abzusetzen“. Produkte müssten kontinuierlich weiterentwickelt werden, um den Technologievorsprung zu erhalten und auszubauen. Nicht zuletzt auch mit Blick auf die asiatischen Märkte, die laut Umfrage von vielen NRW-Unternehmen auch in Zukunft als wichtige Wachstumstreiber gesehen werden.  Aber auch Europa wird nach wie vor als bedeutender Absatzmarkt genannt.

Prägnante Branchentrends

Dr. Christian Wenzel. (Bildquelle: Innolite)

Dr. Christian Wenzel, Gechäftsführer von Innolite, Aachen (Bildquelle: Innolite)

Die aktuellen Branchentrends werden von den angefragten NRW-Unternehmen je nach technologischem Segment unterschiedlich beschrieben. Spritzgieß-Spezialist Klaus Geimer, Dr. Boy, betrachtet den wachsenden Automatisierungsgrad sowie die Vernetzung der Dinge zur Steigerung der Produktionseffizienz als prägende Trends. Wichtige Impulse liefere die innovative Medizintechnik mit ihren exzellenten Zukunftsaussichten. Die Fertigung muss zum Teil neu organisiert werden: „Es werden kleine und flexibel einsetzbare Produktionseinheiten benötigt, um die immer größer werdende Anzahl von Aufträgen mit kleinerer Stückzahl wirtschaftlich zu produzieren,“ beschreibt Geimer die Herausforderung.
Miniaturisierung, Funtionsintegration und im Speziellen die Silikon-Optik stehen für Dr. Christian Wenzel, Gechäftsführer des Aachener Kunststoff- und Metalloptik-Spezialisten Innolite an oberster Stelle der Trend-Pyramide. Frank Asmuss von Nordson macht u. a. eine steigende Nachfrage nach angepassten Compounds für kleinere Durschsätze sowie nach Mikrogranulaten für die Gebäudedämmung und die Verpackungsindustrie aus.  Zahlreiche befragte Unternehmen sehen im

Helmut Gries. (Bildquelle: GWK)

Helmut Gries, beim Wärme- und Kältetechnik-Spezialisten GWK, Meinerzhagen, für Vertrieb und Marketing verantwortlich (Bildquelle: GWK)

Leichtbau sowie in der Additiven Fertigung prägnante Branchentrends. Als direkten Wettbewerb zum Spritzguss im Produktionsbereich wird man dies sicher auch mittelfristig nicht erleben. „Aufgrund der derzeit starken Bemühungen der Materialhersteller zur Verbesserung der Materialien wird die additive Fertigung in den Bereichen Konstruktion, Prototypenherstellung und Ersatzteilfertigung eine starke Bedeutung finden“, meint Klaus Geimer. Im Produktionsbereich werde die neue Methode aber auch mittelfristig wohl nicht in den direkten Wettbewerb mit dem Spritzguss treten.

Industrie 4.0 ein großes Thema

Durchaus unterschiedlich beurteilen die NRW-Unternehmen das Veränderungspotenzial von Industrie 4.0. Einige messen dem Projekt einen hohen Stellenwert zu und haben eigene Programme zur Umsetzung von Industrie-4.0-Zielen installiert. Bei Windmöller und Hölscher z. B. laufen diese Aktivitäten unter dem Label Packaging 4.0. „Heute ist das noch eine Vision, die aber langsam Gestalt annimmt“, kommentiert Peter Steinbeck. „Intelligente Maschinen, integrierte Prozesse und intuitive

Dr. Matthias Kottenhahn. (Bildquelle: Evonik)

Dr. Matthias Kottenhahn, bei Evonik, Essen, für den Bereich Hochleistungs-Polymere verantwortlich (Bildquelle: Evonik)

Bedienung werden den Arbeitsalltag in den Fabriken erleichtern, gleichzeitig aber die Geschwindigkeit und Effizienz massiv steigern. Gemäß Rolf Trippler wird die zunehmende Verzahnung der industriellen Produktion zu Veränderungen im gesamten Industriebereich führen. Bei Hennecke werden nicht nur die Verkettung von Maschinen- und Anlagentechnik, sondern auch die Vernetzung im After-Sales-Bereich etwa durch Möglichkeiten zum Anlagen-Fernzugriff vorangetrieben. Konkrete Vorstellungen haben auch Axel Fehling und Christoph Pischel von Hasco: “Die Bereitstellung der bisher relevanten Daten im Spritzgießprozess muss weiter ausgebaut werden und zudem werden Erfassungsmethoden gebraucht, um die weicheren Produktionsdaten zu erfassen.“ Andere Unternehmen betonen zwar die Bedeutung weiterer Automatisierung und Vernetzung, sehen das Label Industrie 4.0 aber eher skeptisch. „Produktionsinformations- und leitsysteme gibt es ja schon recht lange und werden von vielen Verarbeitern bereits erfolgreich eingesetzt. Die Konzepte der Maschinenhersteller zu Industrie 4.0 basieren auf diesen Systemen“, gibt Helmut Gries zu bedenken. Bei aller Euphorie müsse gefragt werden, welchen konkreten Nutzen Industrie 4.0 für die Verarbeiter bringt.

Kritik an die Adresse der Politik

Reinhard Hoffmann vom Verein Kunststoffland NRW sieht es als wichtigste Aufgabe an, den Industriestandort in den nächsten Jahren fit für die Zukunft zu machen. Dies sei aber leider keine Selbstverständlichkeit, sagt er mit Seitenblick vor allem auf die Politik. Es fehle an „ehrlichen Aktivitäten der Politik, die der Kunststoffindustrie und ihren Betrieben weiterhelfen.“ Welcher Politiker stelle sich z.B. beim Thema EEG (Erneuerbare Energie Gesetz) wirklich hinter die besonders betroffenen mittelständischen Kunststoffverarbeiter, fragt Hoffmann. Er bedauert zudem, dass NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft der K fernbleibt – und so auf eine Chance verzichtet, die Galubhaftigkeit der NRW-Industriepolitik unterstreichen zu können.

Redaktion Plastverarbeiter

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