Skepsis überwinden

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Constance Ißbrücker (l.), Environmetal Affairs Manager, European Bioplastics, Berlin, und Peter Brunk, Managing Director, Biotec Biologische Naturverpackungen, Emmerich (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Constance Ißbrücker (l.), Environmetal Affairs Manager, European Bioplastics, Berlin, und Peter Brunk, Managing Director, Biotec Biologische Naturverpackungen, Emmerich(Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Harald Wollstadt Frau Ißbrücker, wird Biokunststoff in der Öffentlichkeit wahrgenommen? Suggeriert diese Begrifflichkeit nicht von vornherein, dass ich von bioabbaubarem Kunststoff spreche?

Constance Ißbrücker Biokunststoffe erfreuen sich immer größerer Beliebtheit und Nachfrage, nicht zuletzt aufgrund ihres Beitrags zum Klima- und Ressourcenschutz. Jedoch wird häufig angenommen, dass Biokunststoffe immer aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden und auch gleichzeitig immer biologisch abbaubar sind. Das stimmt so aber nicht ganz. Zum einen gibt es den großen Teil der biobasierten, nicht bioabbaubaren Kunststoffe, die am Ende ihres Produktlebens dem Recycling zugeführt werden, wie herkömmliche Kunststoffe auch. Zum anderen gibt es biobasierte Kunststoffe, die auch biologisch abbaubar sind. Und es gibt fossil-basierte, biologisch abbaubare Kunststoffe. Wichtig bei der biologischen Abbaubarkeit ist aber, dass dies nicht bedeutet, dass Produkte achtlos in die Umwelt oder das Meer geworfen werden könnten und sie sich dort auch problemlos abbauen würden. Das funktioniert natürlich nicht so und darf auch nicht passieren. Für die schnelle und sachgerechte Kompostierung in industriellen Anlagen gibt es strenge Standards, die viele der heute in Europa erhältlichen biologisch abbaubaren Kunststoffe erfüllen. Entsprechende Logos und Kennzeichnungen lassen sich diese schnell erkennen. Aber dennoch ist noch immer Aufklärungsarbeit nötig: Was sind Biokunststoffe, was genau bedeutet biologische Abbaubarkeit, was bedeutet Kompostierbarkeit, wie und wo werden biologisch abbaubare Kunststoffe richtig entsorgt und vieles mehr.

Prof. Dr. Andrea Siebert-Raths, stellv. Institutsleitung, IfBB, Hochschule Hannover (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Prof. Dr. Andrea Siebert-Raths, stellv. Institutsleitung, IfBB, Hochschule Hannover(Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Etwina Gandert In welchen Märkten macht der Einsatz bioabbaubarer Kunststoffe überhaupt Sinn.

Peter Brunk Zu mehr als 90 Prozent sind dies die Anwender/Hersteller von flexiblen Filmen, und die machen daraus Bio-Abfallbeutel, oder in anderen Ländern machen sie auch Einkaufstüten daraus. Einkaufstüten, wie Sie wissen, ist ein hochkontroverses Thema. Aber in Deutschland gibt es auch ein paar innovative Designer oder Unternehmen, die sich auf Biokunststoffe ganz gerne spezialisieren würden. Doch wenn man sich ein paar Muster spritzgießen lassen möchte, stellt man plötzlich fest, dass dafür in Deutschland überhaupt keine Hersteller da sind – die sitzen alle in China.

Andrea Siebert-Raths Was wir immer wieder feststellen ist, dass die interne Kommunikation bei den Spritzgießern schwierig ist. Wenn also die Geschäftsleitung beschließt, wir möchten gerne das Material umstellen, weil es zum Konzept passt, ist es schwierig alle Ebenen davon zu überzeugen. Für ein Unternehmen das vorher nur Polyolefine verarbeitet hat, ist das ein Problem. Wenn die Trockner nicht vorhanden sind und der Werkstoff nass verarbeitet wird, dann läuft die Maschine nicht und es entstehen Probleme am Werkzeug. Aber das passiert bei jedem Kunststoff, unabhängig von der Ausgangsbasis.

Wenn es um die Branchen an sich geht, können wir sagen, dass die Automobilindustrie eher die klassischen Biokunststoffe wie Biopolyamide einsetzt. Da geht es um Langzeitbeständigkeit. Das kann PLA nicht. Ich kann es zwar modifizieren, aber für die Automobilindustrie und für deren Langzeittests zum Beispiel in der Wüste, ist es problematisch PLA einzusetzen. Schließlich muss der Kunststoff überall, also auch in allen Klimazonen, einsatzfähig sein. Wenn wir mit der Büroartikelbranche sprechen, ist die Frage nach Kosten vorrangig. Wo bin ich bereit, sozusagen in die Tasche zu greifen und wie kann ich das Ganze vermarkten, dass ich auch noch einen Benefit davon habe? Wenn es eine Firma ist, die sowieso in dem Bereich ganz viel macht und sich auch nach außen entsprechend grün positioniert, dann kann mit diesem Trend sozusagen schwimmen und kann es auch so kommunizieren. Wir haben allerdings auch festgestellt, dass durch zahlreiche Presseartikel, Stichwort Deutsche Umwelthilfe, eine gewisse Unsicherheit herrscht, mit PLA-Produkten auf den Markt zu kommen.

Harald Wollstadt, Chefredakteur Plastverarbeiter, Hüthig, Heidelberg (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Harald Wollstadt, Chefredakteur Plastverarbeiter, Hüthig, Heidelberg(Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Bei den Spielzeugartikeln ist es tatsächlich einfacher. Allerdings bedeutet es nicht, dass Biokunststoffe auch umweltfreundlicher sind und automatisch die FDA-Zulassungen haben. Da gehören noch ganz viele andere Tests dazu, wie zum Beispiel Speicheltests. Zwar haben wir uns viel damit beschäftigt, es ist aber noch eine Menge an Hausaufgaben zu machen.

Etwina Gandert Sie haben ein gutes Stichwort geliefert, das Thema Marketing. Woran liegt es, dass sich biologisch abbaubare Kunststoffe nicht so gut durchsetzen? Liegt es daran, dass die Kunden „Bio“ als eine Marketingidee empfinden? In der Praxis ist es ja so, dass selbst, wenn die Norm EN 13432 erfüllt wird, die Lagerzeiten in den Kompostieranlagen der Norm entsprechend gar nicht eingehalten werden können oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht eingehalten werden?

Jöran Reske, ISD Interseroh Diensleistung, Umweltmanagement Bioplastics, Köln (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Jöran Reske, ISD Interseroh Diensleistung, Umweltmanagement Bioplastics, Köln(Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Jöran Reske Ich denke, Frau Siebert-Raths hat so einige Kontexte angesprochen, die tatsächlich für denjenigen, der Biokunststoff anwenden möchte, problematisch sind. Die Umweltdiskussion war vor 10 bis 15 Jahren sehr viel virulenter und ist heutzutage mehr oder weniger von der Agenda verschwunden. Dies wirkt sich auch auf die Bereitschaft der Unternehmen aus, solche Rohstoffe einzusetzen. Herkömmliche Kunststoffe decken im Grunde das ganze Anwendungsspektrum ab. Aus dem Markt kommt viel Gegenwind, wenn es um den Einsatz neuer Bio-Werkstoffe geht.

Etwina Gandert Ja, selbst die bioabbaubaren Beutel haben sich nicht durchgesetzt.

Peter Brunk Ich denke mal, da beziehen Sie sich vielleicht auf den deutschen Markt. Es gibt ja Märkte, in Italien zum Beispiel, wo per Gesetz kompostierbare, biologisch abbaubare Einkaufstüten zugelassen sind. Vermutlich wird es in Frankreich ab 2016 nur noch kompostierbare Obst- und Gemüsebeutel geben. Dort bereits die ganz normalen, konventionellen Kunststoffeinkaufstüten, egal aus welchem Material, komplett verboten. In Deutschland, denke ich mal, gibt es ein einziges Produkt für biologisch abbaubare Kunststoffe, das ist der Bio-Abfallbeutel, der gemäß der Bioabfall-Verordnung ganz klar definiert ist. Er muss nach der EN 13432 zertifiziert sein und sich abbauen. Zudem muss er zu mehr als 50 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen sein. Das ist das einzige Produkt, das ich für biologisch abbaubare Compounds kenne, was auch wirklich zugelassen ist. Und hier gibt es aber noch unglaublich viele Probleme.

Ein Problem, das wir im Verbund gelöst haben, ist ein einheitliches Design in Deutschland, so dass jeder Müllmann sofort sieht, das ein zugelassener Beutel ist, der die Bioabfall-Verordnung erfüllt. Ein großes Hindernis ist zudem, dass die Entscheidung über die Akzeptanz des Bio-Beutels in den Kommunen getroffen wird. Das heißt, man muss mit vielen hunderten Kommunen sprechen, wenn ein Unternehmen einen Bio-Abfallbeutel platzieren möchte.

Anna Dörgens (l.), Anwendungszentrum für Holzfaserforschung, Fraunhofer Institut für Holz­faserforschung, Hannover, und Jöran Reske, ISD Interseroh Diensleistung, Umweltmanagement Bioplastics, Köln (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Anna Dörgens (l.), Anwendungszentrum für Holzfaserforschung, Fraunhofer Institut für Holz­faserforschung, Hannover, und Jöran Reske, ISD Interseroh Diensleistung, Umweltmanagement Bioplastics, Köln (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Etwina Gandert Aber die DIN für die Kompostierung geht an der Praxis vorbei. Die vorgesehenen zwölf Wochen Lagerzeit werden in der Praxis nicht eingehalten, so die Auskunft eines Betreibers einer Kompostieranlage. Dieser war an einem Pilotprojekt mit der BASF beteiligt und schloss andere Beutel kategorisch aus, da andere Materialien den Praxistest von weniger als 12 Wochen nicht bestanden haben.

Jöran Reske Ich würde sagen, ein klares Jein zu der Aussage. Ja, die Norm ist wie sie ist, und da sind zwölf Wochen definiert. Das heißt, wenn der Kompostierer zwölf Wochen liest, dann sagt er sich: ich kompostiere nur drei bis fünf Wochen, somit kann es bei mir nicht funktionieren. Die Praxis allerdings aus deutschen Tests, zeigt, dass entsprechend zertifizierte Materialien deutlich schneller abbauen. Das hängt ein wenig auch damit zusammen, dass die normierten Labortests nur einen relativ kleinen Umfang haben und somit nicht so effektiv sind. Auf einer großen Anlage, wo deutlich mehr Kompost umgesetzt wird und sehr viel mehr Sauerstoff in den Kompost geführt wird, ist der Zersetzungsprozess erheblich effektiver. Erfahrungswerten geben bei einer Folie an, dass diese innerhalb von drei bis vier Wochen biologisch abgebaut ist. Es ist also wieder eine Frage der Kommunikation. Wie kriege ich tatsächlich die Informationen, die inzwischen vorliegen, an die Öffentlichkeit?

Anna Dörgens Wobei, öffentlich kommuniziert wird ja immer wieder, Abstand davon zunehmen, die biobasierten Abfallbeutel zu verwenden. So sollte man den Biomüll beispielsweise in Zeitung packen, weil die Anlagen mit Kunststoffbeuteln keinen zertifizierten Kompost herstellen könnten.

Denisa Bellušová, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, IfBB, Hochschule Hannover (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Denisa Bellušová, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, IfBB, Hochschule Hannover(Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter)

Etwina Gandert Ist es nicht auch eine Frage der Kunststoff-Menge, also der Kompost-Beladung. Bei den bioabbaubaren Folien in der Landwirtschaft beispielsweise habe ich ja eine vergleichsweise geringe Belastung. Wenn ich mir aber vorstelle, dass jeder Haushalt bioabbaubare Beutel benutzt, dann würde die Belastung in der Kompostanlage sehr hoch und entsprechend die gewünschte Komposte-Güte nicht mehr erreichbar. Die andere Seite ist aber, dass mit dem Bio-Abfallbeuteln mehr organischer Abfall gesammelt wird.

Jöran Reske Noch mal zu der Frage: Kann das in den Anlagen funktionieren? Das eine ist, in jedem Beutel, der dann befüllt in die Biotonne wandert, sind 2,5 bis 3 kg Bioabfall. Der Beutel trägt nur etwa zehn Gramm Folienmaterial bei. Das Potenzial für das Verwenden von Bio-Abfallbeutel wird in Deutschland auf etwa zehn Prozent geschätzt. Denn die Beutel sind noch vergleichsweise teuer, sogar erheblich teurer als ein PE-Beutel. Das bedeutet, dass der Bio-Beutel nicht flächendeckend von allen angewendet wird. In anderen Ländern ist es anders. In den Niederlanden beispielsweise ist man froh, endlich die PE-Säcke aus dem Kompost loszuwerden und freut sich über die Bio-Alternative.

Peter Brunk All die Unternehmen, die sich mit biologisch abbaubaren Werkstoffen oder Produkten beschäftigen, da kommen wir in Deutschland vielleicht auf 15 bis 20 Unternehmen, und dessen muss man sich bewusst sein, das biologisch abbaubare Compounds und Produkte weiterhin eine Nische bleiben werden. Selbst mit den Herstellern von Papiertüten zusammen ist es eine Nische. Der Vorteil ergibt sich durch die Eigenschaft der biologischen Abbaubarkeit und Kompostierbarkeit. Der Bioabfallbeutel ist eine Chance. Dadurch schafft man es, dass mehr Bioabfälle gesammelt werden. Auch bei biologisch abbaubaren Mulchfilmen gibt es einen Vorteil.

Was extrem interessant ist, ist die Kombination von Papier und Kunststoff. Warum muss das PE sein? Das kann natürlich auch ein komplett biobasierter Kunststoff sein, der auch biologisch abbaubar ist, so dass man diese bestimmten Eigenschaften, die eine beschichtete Papiertüte hat, trotzdem erreicht. Oder Verpackungen, ich denke gerade an eine Kaffeekapsel. Muss diese aus Aluminium sein? Kann es nicht doch auch nachhaltiger sein, die gebrauchte Kaffeekapsel auf den Kompost zu geben? Das sind ebenso interessante Anwendungen für biologisch abbaubare Produkte. Wir müssen uns aber klar darüber sein, das es eine Nische bleiben wird.

Harald Wollstadt Wir haben im Verpackungsmarkt einen großen Abnehmer für Kunststoff. 70 Prozent der Kunststoffe gehen in die Verpackungsbranche. Wären die die Verpackungshersteller nicht ideal als Vorreiter?

Peter Brunk Ja, aber lesen Sie doch mal die Presseberichte dazu. Nach der Plastiktüte ist der Becher für das Coffee-to-go stark in der Kritik. Da gibt es auch den Trend, Verpackungen, die kurz nur benutzt und danach weggeworfen werden, möglichst zu reduzieren. Bei Lebensmittelverpackungen sind generell die Anforderung an Barriereeigenschaften und Temperaturstabilität enorm hoch. Leider muss man sagen, gibt es hier noch ein paar funktionelle Nachteile von biologisch abbaubaren Produkten gegenüber bereits existierenden, konventionellen Verpackungen. Da muss also noch viel dran gearbeitet werden.

ist Redakteurin Plastverarbeiter. etwina.gandert@huethig.de

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Harald Wollstadt

ist Chefredakteur des Plastverarbeiter. harald.wollstadt@huethig.de

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