Nach dem Erfolg der Fahrzeugskulptur Genesis im Vorjahr überarbeitete Edag seine bionisch inspirierte Karosseriestruktur und bauten den Light Cocoon, ein ultraleichter Supersportwagen.

Nach dem Erfolg der Fahrzeugskulptur Genesis im Vorjahr überarbeitete Edag seine bionisch inspirierte Karosseriestruktur und bauten den Light Cocoon, ein ultraleichter Supersportwagen. (Bild: Edag)

Der Begriff des 3D-Druckens ist in aller Munde. In der Automobilindustrie, der Luftfahrt oder der Medizintechnik kommt die generative Fertigung schon seit längerem zum Einsatz. Vor allem kleine Ersatzteile und Prototypen lassen sich schnell und werkzeuglos herstellen. Trotz der Vielzahl an Verfahren am Markt folgen alle dem Prinzip, dass das Material schichtweise und werkzeuglos aufgebaut wird und als Eingangsdaten lediglich ein 3D-Daten­modell vorliegen muss. Diese Vorgehensweise räumt den Entwicklern und dem Designern große Freiheiten ein, die zuvor durch die in der Produktion vorhandenen Einschränkungen aufgrund der klassischen ur- und umformenden sowie zerspanenden Fertigungsverfahren (nach DIN 8580) nicht möglich waren. Das additive Manufacturing ermöglicht daher völlig neue Lösungswege im Sinne des funktionsorientierten Leichtbaus:

  • eine höhere Material- und Ressourceneffizienz,
  • eine höhere Wirtschaftlichkeit von komplexen Produkten,
  • eine geringere Umweltbelastung.

Daher steht die Industrie möglicherweise vor einem Paradigmenwechsel in der Produktgestaltung, denn 3D-Druck macht alle gelernten und anerzogenen Beschränkungen einer produktionsgerechten Entwicklung nahezu obsolet. Plötzlich lässt sich alles herstellen. Die neuen Verfahren ermöglichen das Nachbilden der Natur und bringen uns einen großen Schritt näher, bionische Denkmuster zu adaptieren. Es ist jedoch nötig, die zukünftigen Designer und Ingenieure an dieses Gedankengut heranzuführen und entsprechend auszubilden. Außerdem ist es gut möglich, dass sich unsere heutige computerbasierte Software nicht eignet für das Gestalten, Entwickeln, Konstruieren und Produzieren mit den neuen Verfahren.

Auf dem Genfer Autosalon zeigte der Hersteller die Karosserie „Genesis“. Sie basiert auf den bionischen Mustern einer Schildkröte, deren Panzer Schutz und Dämpfung liefert und mit dem Skelett vereint ist. (Bildquelle: Edag)

Auf dem Genfer Autosalon zeigte der Hersteller die Karosserie „Genesis“. Sie basiert auf den bionischen Mustern einer Schildkröte, deren Panzer Schutz und Dämpfung liefert und mit dem Skelett vereint ist. (Bildquelle: Edag)

Neben den neuen gestalterischen Möglichkeiten bergen die generativen Fertigungsverfahren auch Potenziale für die Produktion. So ermöglicht die direkte Nutzung des 3D-Datenmodells, welches zur Erstellung eines Bauteils ohnehin vorliegt, ein nahezu werkzeugloses, extrem flexibles und variantenreiches Fertigen. Zudem erwarten Experten eine Evolution in der Geschwindigkeit und Vergrößerung der Bauvolumina in den generativen Fertigungsverfahren und der entsprechenden Automatisierungstechnik. Diese würde zu Produktivitätssteigerungen um das 100- bis 1.000-fache in den nächsten zehn bis 20 Jahren führen. Angenommen die angesprochenen 3D-Konstruktionsdaten wären frei im Internet verfügbar, ginge es jedoch recht schnell um Urheberrechtsfragen. Ähnliches kennen Produzenten und Konsumenten aus der Musik- und Filmindustrie. Zudem ermöglichen hybride Strukturen aus klassischem Material wie Blech, Guss oder Faserverbund-Werkstoffe funktionale Eigenschaften und Effizienz. Die bionischen Gestaltungsmöglichkeiten verbessern auch die Anlagentechnik, wodurch sie leichter und energieeffizienter arbeitet. Bauteile, Werkzeuge und Spanntechnik könnten somit in Zukunft gewichtsoptimiert konzipiert und Roboter kleiner sein.

Aus einer logistischen Betrachtungsweise heraus ergeben sich ebenso Vorteile von Generativen Fertigungsverfahren. Beispielsweise sind zukünftige, dezentrale Fertigungsstrukturen flexibler und effizienter hinsichtlich der Produktion. Die Möglichkeiten ­gehen über das Fertigen von Ersatzteilen weit hinaus. Beispielsweise ließen sich damit Bau- und Ersatzteile erst auf Nachfrage beziehungsweise im Reparaturfall drucken. Das birgt ungeahnte Optimierungschancen für die Lagerwirtschaft von morgen. Und schont zusätzlich Ressourcen, indem es Transportkosten reduziert. Diese Chancen ergeben für die Automobilhersteller neue Möglichkeiten, aufgrund der vorrichtungsarmen, generativen Technologie deutlich toleranter auf Kleinserienproduktion von High-Performance-Fahrzeugen, Modellvarianten und Facelifts sowie kundenindividuelle Produktvarianten zu reagieren.

Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle feststellen, dass die Entwicklungsprozesskette vom Lastenheft über die Topologieanalyse, Funktionsentwicklung sowie bionische bis hin zur fertigungsgerechten Gestaltung heute noch nicht etabliert und vergleichsweise zeitintensiv ist. Die generativen und additiven Fertigungsverfahren sind eben kein Teil der etablierten Entwicklungs- und Fertigungsprozesskette. Für Pessimismus ist hier dennoch kein Platz. Digitalkamera und Mobilfunktelefon benötigten auch Zeit, um den Durchbruch zu schaffen.

Der Skelettrahmen erinnert an natürlich gewachsene Knochengerüste. (Bildquelle: Edag)

Der Skelettrahmen erinnert an natürlich gewachsene Knochengerüste. (Bildquelle: Edag)

Die Natur als Vorbild: kompromisslos umsetzen!

Auf dem Genfer Autosalon 2014 stellte Edag seine Leichtbau-Karosserie Genesis vor. Sie war gedacht als Symbol für die Freiheiten und Herausforderungen, die sich für Designer und Ingenieure in Entwicklung und Produktion durch generative Fertigungsverfahren ergeben.

Die Karosserie basiert auf den bionischen Mustern einer Schildkröte, deren Panzer Schutz und Dämpfung liefert und mit dem Skelett verbunden ist. Der Panzer ähnelt einem Sandwich-Bauteil mit innenliegenden, feinen Knochenstrukturen, die die Schale fest und steif machen.

Das Skelett der Karosserie ist eher eine Metapher, dient hier nicht dem Bewegungsapparat, sondern in diesem Fall dem zusätzlichen Insassenschutz. Der Skelettrahmen erinnert an natürlich gewachsene Knochengerüste, die in Form und Anordnung eines deutlich hervorheben sollen: Diese organischen Strukturen kann man mit konventionellen Werkzeugen nicht herstellen. Hatte die Schildkröte Millionen Jahre Zeit, sich ihrem Zweck entsprechend zu entwickeln und zum Beispiel den Insassenschutz zu perfektionieren, sind wir Menschen gedanklich erst am Anfang eines möglichen Paradigmenwechsels.

Denn die generative Fertigung ermöglicht eine belastungsgerechte, multifunktionale und bionische Bauteilgestaltung bei optimierten Wandstärken und herausragenden Materialeigenschaften. Direkt aus den Datenmodellen entsteht werkzeuglos und flexibel ein Produkt, das anwendungsgerecht entwickelte schweißbare ­Metalle und Kunststoffe sowie Keramik den Weg für Zukunftsanwendungen ebnen.

Die Außenhaut des Light Coocon besteht aus einem dreilagigen Polyester-Jersey-Stoff, der leicht, belastbar und wasserdicht ist. (Bildquelle: Edag)

Die Außenhaut des Light Coocon besteht aus einem dreilagigen Polyester-Jersey-Stoff, der leicht, belastbar und wasserdicht ist. (Bildquelle: Edag)

Leichtbau der Zukunft

Nach dem Erfolg der Fahrzeugskulptur Genesis im Vorjahr überarbeitete Edag seine bionisch inspirierte Karosseriestruktur und baute den Light Cocoon, ein ultraleichter Supersportwagen. „Wir verfolgen die Vision der Nachhaltigkeit – so wie es uns die Natur vormacht: leicht, effizient, ohne Verschwendung und im Ergebnis deutlich gewichtsreduziert“, erläutert Johannes Barckmann, Chef-Designer bei Edag. Bei der Konzeption betrachteten er und sein Team die Karosserie des Light Cocoon nicht als eine geschlossene Fläche. Vielmehr verfolgten sie den Ansatz, nur dort Material einzusetzen, wo es für das Funktionieren, die Sicherheit und Steifigkeit notwendig ist. „Im Ergebnis verfügt der Light Cocoon über eine stabile, verästelte Tragstruktur, die trotz geringem Materialeinsatz die Anforderungen an strukturrele­vante Teile des Automobilbaus erfüllt“, ergänzt Barckmann.

Um das Leichtbau-Potenzial der bionisch ausgelegten Struktur zu quantifizieren und zu verifizieren, verwendeten und berechneten die Entwickler im Vorfeld die Auslegungskriterien einer Serienfahrzeug-Motorhaube. Dies diente dazu, bei der Leichtbau-Karosserie die Anforderungen an die Torsions- und Biegesteifigkeit sowie den Fußgängerschutz zu erfüllen. Im Ergebnis entstand eine spinnennetzartige, entkernte Struktur aus unterschiedlich starken Aluminiumprofilen. Die Ergebnisse der Berechnung bestätigten die Stabilitätsanforderungen und erbrachten eine Gewichtsersparnis bei der Motorhaube von circa 25 Prozent.

Für die Außenhaut ließen sich die Designer von der Natur inspirieren. Ein Pflanzenblatt diente als Blaupause. Wie auch die Struktur eines Blattes mit einer leichten Abschlusshaut überspannt ist, besitzt der Light Cocoon eine schützende und leichte Hülle – in diesem Fall aus einem Textilmaterial. Der Hersteller von Outdoor-Kleidung Jack Wolfskin, Idstein, bot sich als Projektpartner an, und steuerte einen wetterbeständigen und dehnbaren Stoff als Außenhaut bei. „Die Faszination liegt für uns in der Kombination zweier Technologie-Innovationen – der von Edag bionisch optimierten Fahrzeugstruktur und unseres leichten Wetterschutz-Materials Texapore Soft­shell O2+“, erzählt Elke Stein, Marketingchefin von Jack Wolfskin. „Für uns ist es eine Möglichkeit, über die Outdoor-Branche hinweg Zeichen in Sachen Innovation zu setzen.“

Die Außenhaut besteht aus einem dreilagigen Polyester-Jersey-Stoff, der leicht, belastbar und wasserdicht ist. Durch seine hohe Elastizität eignet sich das Material dafür, die bionische Struktur des Autos passgenau zu überziehen und in Szene zu setzen. „Auch wenn es im ersten Moment futuristisch klingt, hat der Ansatz seinen ganz eigenen Reiz: Die Materialien von Jack Wolfskin unterstützen mit einem Minimalgewicht von 19 g/m² die Leichtbauansprüche. Das eingesetzte Material ist mit 154 g/m2 eines der leichtesten Texapore-Stoffe“ unterstreicht Jörg Ohlsen, CEO von Edag, und fügt hinzu: „In Kombination mit der bionisch inspirierten und 3D-gedruckten Struktur ergeben sich große Potenziale und Impulse für den Leichtbau der Zukunft.“n

Quellenverzeichnis

[1] Hillebrecht, M.; W. Reul, C. Emmelmann und J. Kranz: Laseradditive Fertigung von multifunktionalen Komponenten. Lightweight Design 1/2014. Springer Vieweg Verlag, Wiesbaden. 2014.
[2] Emmelmann, C.; M. Petersen, J. Kranz und E. Wycisk: Bionic lightweight design by laser additive manufacturing (LAM) for aircraft industry. Proc. SPIE 8065, 80650L. 2011.
[3] Emmelmann, C.; P. Sander, J. Kranz, E. Wycisk: Laser Additive Manufacturing and Bionics – Redefining Lightweight Design. Physics Procedia 12, Part A. 2011.
[4] Gebhardt, A.: Generative Fertigungsverfahren: Rapid Prototyping – Rapid Tooling – Rapid Manufacturing. München 2007.
[5] Leistner, M.: Herstellung von Funktionsprototypen und Werkzeugen mit serien­identischen Eigenschaften durch Selective Laser Melting. Forschungszentrum Karlsruhe, Dresden, 2004.

 

Autoren

Dr. Martin Hillebrecht
ist Leiter CC Leichtbau, Werkstoffe & Technologie bei Edag.

Michael Begert
ist Innovationsmanager Polymer Material Concepts, CC Leichtbau, Werkstoffe & Technologie bei Edag.

Johannes Barckmann
ist Leiter Design Studio bei Edag.

Dr. Frank Breitenbach
ist Fachexperte für Planungsmethodik bei Edag PS.

Martin Kraft
ist Kundenteamleiter Technologieentwicklung bei FFT.

Michael Pollner
ist Leiter Marketing bei Edag.

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EDAG Engineering GmbH

Reesbergstraße 1
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