Verfahren für das Kleben von Folien

Das sogenannte Center Stack ist das Herzstück der Mittelkonsole und eine Funktionseinheit, die die Bedienung der Klimaanlage und der Infotainment-Funktionen kombiniert. Einschließlich Telefon-, Navigations-, Radio- und Musiksystemen sowie die Temperaturregelung. In der unteren Hälfte enthält die Bedieneinheit Schieberegler mit kapazitiver Touch-Funktion zum Einstellen von Lautstärke und Gebläse sowie berührungssensitive Flächen mit entsprechenden Icons für weitere Funktionen. (Bild: Preh)

Wenn sich zusatzfreie Kunststoffe trotz sauberer Oberfläche schlecht oder gar nicht verkleben oder beschichten lassen, liegt das an ihrer geringen Polarität und der folglich niedrigen Oberflächenenergie. Sie ist das wichtigste Maß für die Beurteilung der voraussichtlichen Haftung einer Klebschicht, Lackierung oder Beschichtung.

Ist die Oberflächenenergie eines Kunststoffes zu niedrig, muss die Materialoberfläche aktiviert werden, um eine haltbare Klebverbindung zu erreichen. Ob das funktioniert, zeigt sich häufig aber erst, wenn ein Stresstest wie eine Klimaprüfung ansteht. Diese Erfahrung machte der Autozulieferer Preh in der Entwicklungsphase eines neuen Bediensystems für ein Fahrzeug-Modell. Die zu Joyson Electronics gehörende Automotive-Gruppe entwickelt und fertigt Klima- und Fahrer-Bediensysteme, Sensoren, Steuergeräte und Montage-Anlagen für Automobilhersteller.

Als das Unternehmen Anfang 2011 den Auftrag zur Produktion eines Bediensystems für den Ford Lincoln MKZ erhielt, entschied es, dass der Zulieferer Preh eine der drei Versionen fertigt. Das sogenannte Center Stack ist das Herzstück der Mittelkonsole und eine Funktionseinheit, die die Bedienung der Klimaanlage und der Infotainment-Funktionen kombiniert. Einschließlich Telefon-, Navigations-, Radio- und Musiksystemen sowie die Temperaturregelung. In der unteren Hälfte enthält die Bedieneinheit Schieberegler, sogenannte Slider, mit kapazitiver Touch-Funktion zum Einstellen von Lautstärke und Gebläse sowie berührungs­sensitive Flächen mit entsprechenden Icons für weitere Funktionen.

Bei der im Spritzguss gefertigten Polycarbonat-Blende des Center-Stacks klebte der Hersteller die mit einem Klebefilm versehene PET-Touchfolie mittels einer Laminiervorrichtung auf die Blendenrückseite. Die Folie verfügt über mehrere übereinander­liegende, im Siebdruck aufgebrachte Druckschichten, die spezifische elektrische Funktionen enthalten. Das Verkleben verlief zufriedenstellend bis zu dem Punkt, als es zum Klimatest kam.

Delamination im Klimatest

Haftungstests im Automobilbau erfolgen unter Extrembedingungen und stellen hohe Ansprüche an die Folienverklebung, insbesondere beim Klimatest. Dieser simuliert das Langzeitverhalten des Produkts unter verschärften Umweltbedingungen. Dabei geht es darum, Produktschwächen zu entdecken, die sich im Praxisbetrieb erst nach einiger Zeit bemerkbar machen würden. Ford verlangte, dass sich die Haftung der Klebverbindung in einer einhundertstündigen Klimalagerung bei 85 °C und 85 Prozent Luftfeuchte beweist. Doch als die Blende die Klimakammer verließ, standen die Entwickler vor einem unerfreulichen, aber bei Experten der Folienverklebung bekannten Phänomen: In der Grenzschicht zwischen Kunststoff­träger und Folie bildeten sich große Blasen, der Kontaktkleber löste sich an diesen Stellen. Martin Geis, Fertigungstechniker bei Preh berichtet: „Eine solche Delamination würde zum Versagen der späteren Funktionen führen. Zur Lösung des Problems suchten wir zunächst nach alternativen Klebstoffen und haben unterschiedliche getestet, vom einfachen Industrieklebstoff bis hin zu Optical Clear Adhesives (OCA).“ Bei den einfachen Klebstoffen zeigten sich große Blasen, bei den Hightech-Klebstoffen kleinere, aber das Problem blieb: Der Klebefilm löste sich.

Ursachenforschung

Klebstoffsuche und Auswertung beanspruchten viel Zeit, brachten aber keine Lösung. Darum konzentrierten sich die Beteiligten auf das zu verklebende Bauteil, die Polycarbonat-Blende. Sie vermuteten als Ursache der Blasenbildung eine Ausgasung von Additiven im Kunststoff aufgrund der hohen Temperatur im Klimatest und ein Eindringen der Luftfeuchtigkeit in die Grenzschicht. Auch Lufteinschlüsse durch nicht sichtbare Feinstäube schlossen die Experten nicht aus. Da das Material der Blende feststand, gab es nur eine Lösung: eine effektive Vorbehandlung der Kunststoffoberfläche. Für die Vorbehandlungsmethode griff Preh auf eine Technik zurück, die das Unternehmen seit dem Jahr 2002 zum Feinstreinigen und Aktivieren von Sensor-Leiterplatten vor dem Bedrucken einsetzt: die Atmosphärendruck-Plasmadüsentechnologie Openair von Plasmatreat, Steinhagen. Geis ergänzt: „Mit einer kleinen Anlage war auch unser Labor in Bad Neustadt ausgestattet, daher brachten wir unsere PC-Blende zu einem ersten Test dorthin.“

Vorbehandlung im Sekundentakt

Das Plasma arbeitet inline unter normalen Luftbedingungen. Peter Langhof, Market- und Preh-Projektmanager bei Plasmatreat erklärt: „Unser Verfahren erledigt drei Arbeitsschritte in einem einzigen, sekundenschnellen Vorgang: Es sorgt für die Feinstreinigung der Kunststoffoberfläche, bewirkt deren statische Entladung und simultan ihre Aktivierung.

Die Folge ist eine homogene Benetzbarkeit der Materialoberfläche und eine langzeitstabile Haftung der Verklebung oder Beschichtung auch bei hoher Beanspruchung.“ Unpolare Kunststoffe haben meist eine geringe Oberflächenenergie zwischen 28 mJ/m² und 40 mJ/m², zu niedrig für ein vollflächiges Benetzen mit flüssigem Klebstoff oder zum Lackieren. Die Oberfläche derartiger Kunststoffe benötigt ein Aktivieren, um deren Energie zu erhöhen. Denn laut Anwender ermöglichen erst Werte ab 38 bis 42 mJ/m² gute Haftungsvoraussetzungen.

Nachfolgende Prozesse wie das Beschichten, Verkleben oder Bedrucken lassen sich unmittelbar nach der Plasmabehandlung vornehmen. Die Einwirkzeit des mit hoher Geschwindigkeit auf die Oberfläche treffenden Plasmas ist so kurz, dass weder thermische noch andere Beeinträchtigungen an den Bauteilen auftreten. Darüber hinaus ist der Openair-Plasmaprozess annähernd potenzialfrei, was seine Anwendbarkeit vor allem im Elektronikbereich vereinfacht. „Bei elektronischen oder anderen empfindlichen Bauteilen“, so Langhof weiter, „setzen wir zudem schonend arbeitende Rotationsdüsen ein, die die Vorbehandlungswirkung durch das Rotationsprinzip sehr gleichmäßig auf die Arbeitsflächen verteilen.“

Trifft das Plasma auf eine Kunststoff­oberfläche, wie im Fall der hier beschriebenen Polycarbonat-Blende, sorgt es für zusätzliche Sauerstoff- und stickstoffhaltige Gruppierungen in der unpolaren Polymermatrix. Die Oberfläche wird somit modifiziert. Möglich machen diese Wirkung die im Plasma vorhandenen energiereichen Radikale, Ionen, Atome und Molekülfragmente. Sie geben ihre Energie an die Oberfläche des zu behandelnden Materials ab und initiieren dadurch chemische Reaktionen. Die auf diese Weise entstandenen funktionellen Hydroxyl-, Carbonyl-, Carboxyl-, und Ethergruppen gehen mit Klebstoffen und Lacken feste chemische Bindungen ein und tragen damit zu einer besseren Haftung bei.

Starke Verbindung durch Plasma

Schon die ersten Labortests verliefen positiv. Die mittels Test-Tinten gemessene Oberflächenspannung stieg von 25 mN/m im unbehandelten Zustand auf über 50 mN/m nach der Plasmabehandlung. Ob dieser Wert ausreicht, um eine Blasenbildung und die Delamination der Folie zu verhindern, musste sich noch zeigen. Zunächst bestellte Preh eine größere Leihanlage, dann begannen die zahlreichen Spezifikationsversuche. Alles lief gut und der atmosphärische Plasmaprozess erwies sich als prozesssicher und ließ sich reproduzieren. Doch noch stand der Klimatest aus, er musste den endgültigen Haftungsbeweis erbringen.

Als die Entwickler diesmal die PC-Blende nach über vier Tagen Lagerung in extremer Hitze und Luftfeuchtigkeit der Klimakammer entnahmen, atmeten sie auf. Markus Ledermann, Ingenieur für Fertigungstechnik bei Preh, erinnert sich: „Nicht eine Blase war erkennbar. Die Folienhaftung war zu einhundert Prozent gegeben und damit hatte die Verklebung die Anforderungen erfüllt.“ Ein zusätzlicher, sich anschließender Funktions-Klimatest des fertig bestückten Center Stacks verlief ebenso positiv. Zum einen hatte das Plasma eine mikrofein gereinigte Oberfläche sichergestellt. Zum anderen, und das war der entscheidende Punkt, war die plasmaaktivierte Kunststoffoberfläche eine festere Verbindung mit dem Klebstoff eingegangen. Die Haftung von Folie und Blende war jetzt so stark, dass Ausgasungen aus dem Kunststoff oder Luftfeuchte aus der Folie nicht mehr bis in die Grenzschicht vordrangen.

Plasma in Serie

Aufgrund dieser positiven Erfahrungen erwarb der Automobilzulieferer eine eigene Anlage und die Serienproduktion begann. Das Plasmasystem reiht sich im Werk Bad Neustadt nahtlos in die halbautomatische Fertigungslinie ein. Auf die im hauseigenen Spritzguss produzierte Polycarbonat-Blende werden zunächst im Heißstemmverfahren die Slider-Chromspangen fixiert. Im zweiten Arbeitsschritt erfolgt das Vorbehandeln mit dem Atmosphärendruck-Plasma. Eine von einem Dreiachsroboter gesteuerte Rotationsdüse des Typs RD1004 verteilt das Plasma orts­selektiv auf der Innenseite der Blende in dem Bereich, wo die anschließende Folienverklebung passiert.

Der rotative Düsenstrahl erfasst jeden Winkel der 3D-Kontur. Nach 10 s ist die Kunststoffoberfläche porentief gereinigt und aktiviert. Etwa alle zwei Minuten entnimmt ein Arbeiter ein behandeltes Bauteil und legt ein neues ein. Die Fertigungslinie verfügt über ein Monitor-Controlling, mit dem die Mitarbeiter jede Etappe überwachen. Nach der Plasmabehandlung kommt das Verkleben mit der Touchfolie. Da das Plasma eine hohe Anfangshaftung sicherstellt, lässt sich die Presse schnell wieder öffnen, was kurze Taktzeiten ermöglicht.

 

Autorin

Inès A. Melamies
ist Fachjournalistin aus Bad Honnef.
info@facts4you.de

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Plasmatreat GmbH

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