Moderne Duroplaste für neue Anwendungsbereiche

Wind, Wetter, Zweckentfremdung: Verteilerkästen müssen in ihrem oft jahrzehntlangen Leben viel aushalten. Schon seit über 50 Jahren werden sie daher aus hochfesten, korrosionsbeständigen Duroplast-Verbundwerkstoffen gefertigt. (Bild: elle: Michael Lorenzet - pixelio.de)

Verbundwerkstoffe in verschiedenen Konfigurationen gelten derzeit als der große Trend, nicht nur in der Automobilindustrie. Sie sind leichter als Metall, zum Teil ähnlich stabil, aber variabler in der Nutzung. Doch die scheinbare Neuheit hat eine lange Geschichte: Duroplast-Verbünde, speziell Sheet Moulding Compounds (SMC) und Bulk Moulding Compounds (BMC), wurden schon in den 1960er Jahren verwendet, etwa für Stromverteilerkästen.

Nachdem die Thermoplaste mit ihren teils einfacheren Verarbeitungsprozessen sie lange Zeit verdrängt hatten, feiern die hochstabilen Werkstoffe inzwischen in immer mehr Branchen ihr Comeback, von der Elektrotechnik bis zum Schienenverkehr. Grund dafür ist nicht nur ihr vergleichsweise niedriger Preis, sondern vor allem die hohe Flexibilität bei den Rezepturen. Die Schwindung lässt sich damit ebenso individuell einstellen wie die elektrischen Eigenschaften oder das Brandverhalten. So bieten SMC und BMC etwa gegenüber Thermoplasten eine deutlich bessere Präzision bis hin zu H7-Kugellager-Passungen auf Mehrfachwerkzeugen. Verschiedene Fertigungsverfahren, wie Spritzgießen oder Fließpressen, bieten heute zudem große Freiheit bei der Formgebung.

Ihre hohe mechanische Festigkeit und ihre Korrosionsbeständigkeit sind zwei der offensichtlichsten Eigenschaften der Duroplaste, wie das Beispiel der Stromverteilerschränke im Straßenbild zeigt: Oft jahrzehntelang ist das SMC, ein Verbund aus duroplastischen Reaktionsharzen, Glasfasern von meist 25 bis 50 mm Länge sowie diversen Füll- und Zusatzstoffen, hier Abgasen, Witterung, Kälte und Sonnen-einstrahlung ausgesetzt, ohne seine Funktion zu verlieren. Diese Robustheit macht das Material inzwischen beispielsweise auch für das Bauwesen interessant, das daraus haltbare Schalungen, Abdeckungen und Schächte fertigen lässt. Gleiches gilt für die Automobilindustrie, die unter anderem immer häufiger Verkleidungsteile, Motorhauben oder Heckdeckel aus dem stabilen Werkstoff verbaut und damit massiv Gewicht einspart, da SMC-Formteile rund 25 Prozent leichter sind als vergleichbare Stahlblechkomponenten.

Einstellbare Eigenschaften

Und noch etwas anderes unterscheidet die Duroplast-Verbundwerkstoffe von Metall oder auch anderen Kunststoffen, ihre anhand der Rezeptur sehr flexible Einstellbarkeit. Über die Art und das Mischverhältnis seiner Bestandteile lässt sich das Material vom Brandverhalten bis hin zum Oberflächenwiderstand individuell an die jeweiligen Einsatzanforderungen anpassen. So hat die Lorenz Kunststofftechnik unlängst mit dem BMC 0204 einen Kunststoff hergestellt, der nach UL 94 selbst bei nur 0,4 mm Dicke die Stufe V0 erreicht. Gleichzeitig eignet sich das Material dank eines CTI-Werts von 600 Volt und einer Wärmeleitfähigkeit von 1,35 W/m*K besonders gut für den Elektronikbereich.

Eingesetzt wird dieser Werkstoff  – ebenso wie das verwandte SMC 0208 – vor allem in sicherheitskritischen Bereichen, zum Beispiel für Schienenfahrzeuge, da beide im Brandfall kaum Rauch entwickeln und nicht schmelzen oder tropfen. Im Gegensatz zu Thermoplasten, deren Verformbarkeit durch Wärme namensgebend ist, behalten derartige Bauteile auch in Ex-tremsituationen ihre Funktionalität und tragen nicht zur Brandausbreitung bei. Sie erfüllen damit selbst die strengen Vorgaben der neuen Bahnnorm DIN EN 45545-2. Auch bleiben die verschiedenen Eigenschaften von SMC, BMC und der Mischform CIC (Continuous Impregnated compound) über einen weiten Anwendungs- beziehungsweise Einsatztemperaturbereich von -40 °C bis zu +180 °C, teils sogar +200 °C.

Mineralstoff-lastige Rezeptur spart Kosten

Einen Teilaspekt davon, die hohe Dimensionsstabilität, macht sich die Automobilindustrie schon seit längerem zunutze: Scheinwerferreflektoren nehmen im ungenutzten Zustand die Umgebungstemperatur an, die leicht auch unter 0 °C liegen kann. Werden die Lampen jedoch eingeschaltet, erwärmen sie sich schnell auf über 100 °C. Damit sich die Reflektoren trotz dieser Temperaturveränderung nicht verziehen oder springen, werden sie überwiegend aus BMC gefertigt und millionenfach in Fahrzeugen aller Klassen verbaut. Eine der Grundlagen für die Temperaturstabilität und Feuerfestigkeit ist neben der starken Vernetzung der Polymere im Duroplast der hohe Anteil an Mineralstoffen. Dieser wirkt sich aber nicht nur auf die Eigenschaften der Werkstoffe aus, sondern sorgt auch für ihren gleich bleibend niedrigen Preis. Während andere Kunststoffe vornehmlich auf Erdölderivaten basieren und damit an den steigenden Ölpreis gebunden sind, machen diese Grundstoffe bei SMC und BMC je nach Rezeptur teilweise nur noch 20 Prozent oder weniger aus und haben entsprechend wenig Einfluss auf die Kosten.

Verarbeitungsmöglichkeiten und Designfreiheit

Dass die Duroplast-Werkstoffe bei all diesen Vorteilen heute nicht weiter verbreitet sind, liegt wohl vor allem in Vorurteilen bezüglich der Verarbeitungsmöglichkeiten begründet, die auf die Anfänge der Verbundwerkstoffe zurückgehen. Frühe Duroplaste konnten nur als Pressmassen verarbeitet werden, zudem war die notwendige Vorgehensweise – Ausformung bei niedrigen, Härtung bei höheren Temperaturen – vor allem in Bereichen, die sonst mit Metall arbeiteten, ungewohnt. Die heutige Situation allerdings lässt sich damit nicht mehr vergleichen: Längst gibt es etablierte und vor allem wirtschaftliche Fertigungsverfahren, mit denen auch große Stückzahlen erreicht werden können. SMC lässt sich zum Beispiel zuschneiden und per Fließpressen in Form bringen, wobei andere Elemente bereits in die Pressform gelegt und so im selben Prozessschritt integriert werden können.

BMC kann per Heißpressverfahren oder mittels Spritzgießen verarbeitet und auch zum Umspritzen verwendet werden. Das Spektrum möglicher Formen reicht vom 1 cm² kleinen Stecker bis zu Platten mit mehreren Quadratmetern.

Gleichzeitig sind die modernen Rezepturen auf gute Fließwerte ausgerichtet, das neue BMC 0204 beispielsweise erreicht einen Fließwert von mindestens 1.000 mm in der Fließspirale bei 100 MPa. Die Werkstoffe sind damit leicht zu verarbeiten und füllen Werkzeuge dreidimensional bis in die äußersten Kavitäten zuverlässig aus. Durch die Zugabe von Styrol und weiteren Stoffen lässt sich zudem die Schwindung bei der Fertigung nahezu ausheben und eine hohe werkzeugfallende Genauigkeit erreichen. Dies minimiert nicht nur den Nachbearbeitungsaufwand, in Verbindung mit dem geringen Wärmeausdehnungskoeffizienten von Duroplasten können so auch Präzisionskomponenten, etwa für Einsspritzsysteme oder Motoren, innerhalb enger Toleranzen hergestellt werden. Die Taktzeiten sind dabei im Allgemeinen etwas länger als bei Thermoplasten, was aber durch den geringeren Materialpreis und die anpassbaren Eigenschaften ausgeglichen wird.

Darüber hinaus sind einige Varianten der Verbundstoffe auch durchaus umweltfreundlich: Die Mischungen von Lorenz enthalten weder Halogene noch Schwermetalle und lassen sich zudem recyceln. Das Unternehmen hat dazu ein Konzept entwickelt, bei dem das Material schonend zerkleinert wird, sodass die Glasfasern möglichst gut erhalten bleiben und problemlos wieder als Ausgangsstoff für SMC und BMC verwendet werden können. Zum Zurückschicken der Stoffabfälle an den Hersteller wurde sogar eine eigene Transportbox konstruiert – natürlich aus glasfaserverstärktem Duroplast.

 

Autor

Peter Ooms
ist Vertriebsleiter bei
Lorenz Kunststofftechnik, Wallenhorst.
info@lomix.de

 

Fakuma 2014: Halle/Stand B2/2209

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