April 2013

Eine regelmäßige Werkzeugwartung verhindert unnötige Produktionsstillstände und sichert die Qualität der produzierten Spritzgießteile. In vielen Unternehmen erfolgt die Werkzeugwartung nach festen Intervallen. Das Unternehmen BW engineering, Hagen, hat gemeinsam mit der Fachhochschule Südwestfalen eine zustandsorientierte Methodik entwickelt, mit der sich Wartungsintervalle genauer identifizieren lassen. Dafür haben die Partner die sogenannte Körperschall-Sensorik an die Anforderungen in der Spritzgieß-Industrie angepasst und weiterentwickelt.

Die Körperschall-Sensorik kommt bereits in anderen Industriezweigen zur Überwachung von Produktionsprozessen zum Einsatz, beispielsweise in der Metallindustrie. Dort funktioniert das Prinzip folgendermaßen: Bewegt sich ein Fräser über ein Werkstück, entstehen durch das Herausbrechen der Späne Schwingungen. Diese breiten sich als Körperschallwellen im Festkörper aus und können mithilfe eines Sensors erfasst werden. Anschließend lassen sich die aufgenommenen Signale in Echtzeit in einem dreidimensionalen Koordinatensystem (Frequenz, Zeit, Intensität) darstellen. Das ermöglicht Rückschlüsse auf den Zustand des Fräsers und die Materialgüte des Werkstückes. Ist beispielsweise eine Schneide im Fräsprozess beschädigt worden, verursacht sie andere Schwingungsmuster als die intakten Schneiden des Fräsers. Das Frequenzbild weicht vom ursprünglichen Bild ab.

Diese Methode haben die Kooperationspartner zur Überwachung der Spritzgießwerkzeuge angewandt. Dazu nutzten sie das Messsystem Optimizer 4D der Firma Qass, Wetter. Dieses dient dazu, Körperschall aufzunehmen und in Frequenzbildern darzustellen. Das System hatte sich vor allem in der Prozessüberwachung beim Zerspanen, Schweißen und Induktionshärten bewährt.

Charakteristische Frequenzen als Fingerabdruck

Im Mittelpunkt der Methodenübertragung standen Auswerfer, Schieber und Führungssysteme der Spritzgießwerkzeuge. Diese Elemente weisen den höchsten Verschleiß auf und sind damit ausschlaggebend für die Wartungszyklen. Zunächst wurden die Frequenzbilder der einzelnen Werkzeugelemente in fehlerfreiem Zustand unter Laborbedingungen ohne störende Nebengeräusche identifiziert. So ließen sich anschließend im Spritzgießprozess die Bewegungsvorgänge von Auswerfer, Schieber und Führungssystem von den Grundschwingungen der Maschine trennen.

Die Frequenzanalyse ergab für jedes Werkzeugelement ein charakteristisches Frequenzbild, eine Art Fingerabdruck. Weitere Ergebnisse aus einer Störungssimulation, einem Langzeitversuch sowie einer Untersuchung an einem Versuchswerkzeug im Praxistest an mehreren Spritzgießmaschinen mit unterschiedlichen Antriebstechniken ließen die unterschiedlichen Frequenzbilder bei Normal- und Schadensbetrieb erkennen.

Praxistest bei Verarbeitern

Derzeit testen drei Unternehmen die Körperschall-Sensorik. Zu Beginn wird ein Referenzbild der frisch gewarteten Werkzeuge erstellt. Danach erfolgt alle 14 Tage ein neues Frequenzbild – bis der übliche Wartungszyklus erreicht ist. Anschließend werden die Bilder und das Werkzeug auf Verschleißerscheinungen ausgewertet. Gemeinsam können nun Grenzwerte festgelegt werden, welches Frequenzbild auf kritische Verschleißerscheinungen verweist. Voraussichtlich ab März 2013 können Unternehmen das System unter dem Namen Toses Sensor erwerben.

Kunststoffverarbeiter haben dann die Möglichkeit, Verschleißprozesse während der laufenden Produktion zu bewerten. Denn der Sensor lässt sich jederzeit am Werkzeug für eine Analyse anbringen. Ist der Maschinenbediener einmal mit dem kritischen Frequenzbild vertraut, kann er den optimalen Wartungszeitpunkt erkennen. Bleibt der Sensor am Werkzeug, können Unternehmen Auswerfer, Schieber und Führungssysteme auch serienbegleitend, vollautomatisch überwachen.

Sobald der festgelegte Grenzwert überschritten wird, übermittelt das System ein Warnsignal. Die Methodik löst noch ein weiteres Problem in der Kunststoffverarbeitung. Hohe Belastungen im Produktionsprozess führen immer wieder zu Rissen oder Brüchen im Spritzgießwerkzeug. Vor allem so genannte Formkerne neigen dazu. Sie kommen beispielsweise bei der Herstellung von Lautsprechergittern und in der Kontaktstecker-Herstellung zum Einsatz. Bricht ein Kern weg, bleibt dies zunächst oft unbemerkt und das Werkzeug produziert fehlerhafte Teile.

Die Körperschall-Sensorik ermöglicht eine dauerhafte Qualitätskontrolle bei laufender Produktion. Knickt ein Formkern weg, erfasst das System in Echtzeit die Abweichung zum Frequenzbild des vorherigen Zyklus und erzeugt ein Warnsignal oder stoppt die Produktion.

Danksagung: Die Autoren bedanken sich bei der Allianz Industrie Forschung (AiF) für die finanzielle Unterstützung des Forschungsvorhabens „Werkzeugsensorik und -fernortungssystem in der Kunststofftechnik“.

 

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