Januar 2013

Preisgünstige Werkzeuge gelten als Erfolge des Einkaufs, wobei das hier verdiente Geld häufig bei den Stückkosten in der Fertigung wieder verloren geht – bedingt durch störanfällige Produktion, Nachbesserungen am Werkzeug, instabile Spritzgussprozesse und Qualitätsprobleme. Erst der den Prozess beherrschende Spritzgießer wird ppm-Raten und Ausschuss senken, wird den Prozess bedarfsgerecht gestalten können.

Die Projektkette von der Entwicklung bis zum Serienprozess zur Herstellung eines Spritzgießteils ist komplex und wird häufig hinsichtlich möglicher Fehlerquellen unterschätzt. Im Prozess gibt es drei Kernfelder: die Formteilekonstruktion, die Werkzeug- und die Prozesskonzeption. Um gravierende, kostenverursachende Konzept- und Konstruktionsfehler beim Konstruieren und Bauen der Spritzgusswerkzeuge zu vermeiden, sollten sich Werkzeugbauer daher mehr Spritzgusswissen erwerben.

Die Entwicklung von Formteil und Werkzeug sowie die Prozesskonzeption prägen den Spritzgieß-Prozess. In der Praxis wird meist das Pferd von hinten aufgezäumt. Wer niedrige ppm-Raten und hohe Qualität fordert, muss den Prozess nicht nur ganzheitlich betrachten sondern auch leistungsoptimierte Werkzeuge einsetzen.

Strategische Werkzeugbeschaffung optimieren

Das Werkzeug entscheidet über die Höhe der Wertschöpfung wie kaum ein anderes Element der Prozesskette. Ein preisgünstiges Werkzeug ist der Nachweis, dass der Einkauf gute Arbeit geleistet hat. Bleibt die Frage, welche Kosten im Betrieb beim Produzieren entstehen. So sind hierzulande etwa die Hälfte aller Spritzguss-Werkzeuge zu schwach gebaut. Qualität hat ihren Preis – das trifft auch für prozesssichere Spritzguss-Werkzeuge zu. Inzwischen weiß man, dass asiatische Werkzeuge mit deutschem Qualitätslevel auf deutschem Preisniveau liegen.

Die zentrale Frage ist, wo die Wertschöpfung wirklich entsteht. Ein Profitcenter Einkauf wirkt für die eigentliche Wertschöpfung eines Produktionsbetriebes oft kontraproduktiv. Der Zielkonflikt baut sich dann auf, wenn der günstigste Preis eines Betriebsmittels die alleinige Entscheidungsgrundlage bildet. Mit suboptimalen Werkzeugkonzepten, abgespeckten Spritzgießmaschinen oder Prozessphilosophien, die nicht zu Ende gedacht werden, entstehen Kostentreiber für den Serienbetrieb. Doch was ist der richtige Weg?

Werkzeugkonstrukteure sollten verstärkt Spritzgieß-Seminare besuchen. Denn dieses Prozesswissen erleichtert den Dialog zwischen Werkzeug-Kon-struktion und Spritzguss-Fertigung. Es ist immer wieder festzustellen, dass viele Prozesshürden in nicht spritzgussgerechten Werkzeug-Konstruktionen begründet liegen. Diejenigen Betriebe, die die Zusammenarbeit zwischen Werkzeugbau und Spritzgieß-Betrieb intensivieren, erzielen daraus einen klaren, geldwerten Wettbewerbsvorteil, da der Werkzeugbauer oder -konstrukteur das Wissen und die Erfahrungen aus der Spritzerei bei seinen Konstruktionen verwertet und einbezieht – also ständig hinzulernt.

Zusammenarbeit intensivieren

Zur Stückkosten-Minimierung notwendig sind spritzgussgerechte, prozesssichere Werkzeuge. Es gibt beispielsweise Spritzgießer mit eigenem Werkzeugbau, der leistungsfähige Formen bauen kann. Hier sind zahlreiche Werkzeug-Konstrukteure zu finden, die den Dialog mit ihren Kollegen in der Spritzerei auf einem guten Niveau führen. Selbst wenn nicht alle Formen selbst gebaut werden können, so ist der eigene Werkzeug-Fachmann ein guter Moderator bei der externen Werkzeug-Beschaffung. Auf der anderen Seite gibt es spezialisierte Werkzeug-Bauer, die neben dem Bau von Formen, hochwertige Einfahrkapazitäten im eigenen Spritzgieß-Technikum haben oder sogar eine eigene kleine Spritzguss-Fertigung betreiben. Zu nennen sind hier beispielsweise Schweiger, Mürdter, Schneider Form, Hofmann, Braunform. Unternehmen, die den Spritzgieß-Prozess kennen und selbst das Prozessrisiko beherrschen. Neben diesen guten Konstellationen gibt es aber einen hohen Anteil an Werkzeugen, die nicht unter solchen Prämissen entstanden sind oder entstehen.

Ganzheitliche Entwicklung von Formteil und Werkzeug

Die Projektkette beginnt mit der sinnvollen, spritzgussgerechten Konstruktion eines Formteiles. Dazu bedarf es des fachlichen Austausches von Kon-strukteuren und Spritzgieß-Fachleuten. Kleine Variationen als Ergebnis dieses Dialoges können großen Einfluss auf die Stückkosten haben. Für Werkzeugkonstrukteure ist es insofern wichtig, Spritzgusswissen erwerben. Sie müssen verstehen, was die plastische Seele des Kunststoffes beim Füll- und Ausformprozess der Kavität bewirkt.

Die Hauptfehlerbilder beim Spritzgießen sind nicht voll ausgeformte Teile, Brenner, Gratbildung, und Maßschwankungen. Mit sinnvollen Betriebsmitteln und ausreichend Prozesswissen sind die ursächlichen Faktoren heute beherrschbar. Dazu bedarf es einer in den Prozess eingebundenen Werkzeugsensorik mit Gut-/Schlechtteile-Separation. Nur der Entstehungsprozess des Teiles in der Kavität entscheidet kausal über die Qualität. Der Maschinenprozess ist nur das Mittel zum Zweck. Ein Beispiel: Durch Beratung und Mitarbeiter-Qualifikation konnte ein Spritzguss-Unternehmen binnen Jahresfrist nicht nur die ppm-Rate halbieren, sondern auchZykluszeiten und Ausschussquoten verbessern. Was aber noch wichtiger ist: Es entsteht ein spürbares Plus an Kundenzufriedenheit. Spritzgießer und ihre Abnehmer, die sich weiterhin der Werkzeugsensorik verweigern, werden die Qualitätssicherungs-Probleme auch morgen haben. Auch viele Werkzeugbauer müssen sich mit der Werkzeugsensorik aktiver beschäftigen. Nur gemeinsam kann dieser seit 30 Jahren versäumte Wandel mittelfristig geschultert werden.

Es muss ein Umdenken bei den Spritzgießern stattfinden – weg vom Maschinen- hin zum Teileprozess im Werkzeug.

 

Checkliste

Thesen und Stichwörter zur Prozesskette beim Spritzgießen

Prozessphilosophie: Die Vorgehensweise beim Füllprozess der Kavität wird noch zu oft falsch gelehrt, wie beispielsweise der Übergang vom Füllen in die Verdichtung bei etwa 97 Prozent. So sind Fehlerbilder wie Grat, nicht voll ausgeformt und Brenner vorprogrammiert. Umschalten auf Nachdruck darf nur bei „volumetrisch voll“ erfolgen.

Qualität: Qualität ist das Ergebnis des Prozesses und nicht von Kontrolle und Dokumentation! Somit muss die Entstehung des Formteiles im Werkzeug wiederholgenau sein, um stabile Qualität zu gewährleisten!
Mit Null-Fehler-Produktion wird sichergestellt, dass keine Schlechtteile in den Gutteile-Fluss gelangen.

Viskosität: Viskositätsschwankungen sind normal und werden, mit zunehmender Einmischung von Rücklaufmaterialien in A-Waren, verstärkt auftreten. Sie sind heute im Spritzgussprozess beherrschbar und kompensierbar. Es gibt eine nachrüstbare Technik, mit der automatisiert die Nachdruckhöhe über den Innendruck (WID) den Viskositätsschwankungen angepasst wird.

Werkzeugsensorik und -konzepte: Werkzeugkonzepte müssen prozess-
orientiert entstehen. Werkzeugsensorik lohnt sich. Es kommt nicht darauf an, alle Kavitäten abzusichern, sondern die richtigen Kavitäten und darauf, dass die Messung nahe am Fließwegende ansetzt.
Werkzeugbauer sollten sich Gedanken machen, wie sie sich Spritzgusswissen erwerben, um gravierende Konzept- und Konstruktionsfehler beim Konstruieren und Bauen der Spritzgusswerkzeuge zu vermeiden.

IR-Messung: Im Prozess lässt sich die Entformtemperatur des Teiles mit einfachen IR-Sensoren erfassen. Dies sichert konstante Maße und macht die Überwachungssysteme an Temperiergeräten sowie Kühltechnik überflüssig.

Kurvendiagramme und Trendanalysen: Sind unabdingbar für Prozessanalyse und -betrachtung. Ohne Kurven und Trendgrafik keine Prozessbeherrschung. Hier sind die Maschinenhersteller aufgefordert, Parameter-Istwerte einer ausreichenden Anzahl an Zyklen (mindestens 20.000 Zyklen), für die Abbildung der Prozesse an der Maschine gespeichert, verfügbar zu machen.

Gutteile- und Schlechtteile-Separierung: Diese Automation ist eine wesentliche Voraussetzung der Null-Fehler-Produktion.
Temperaturbalance: Eine Thermografie-Kamera sollte zum Standard bei Musterungen, Optimierungen und auch bei der Produktionsfreigabe gehören.

Kaltkanal als Energievernichter: Ein konventioneller Kaltkanal gilt als potenzieller Prozess- und Energievernichter. Nur der Einsatz der Heißkanaltechnik kann bei vielen Kavitäten das Ziel sein.
Teilekosten: Entscheidend sind die Teilekosten über den Lebenszyklus. Wer bei preiswerten Werkzeugen ansetzt, muss meist in der Produktion dafür bezahlen.

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