Oktober 2012

Kunststoff hat unser Leben verändert wie kein anderer Werkstoff. Er ist so selbstverständlich, dass er heute aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Etwa 500 Jahre alt ist die älteste Anleitung zum Herstellen eines Kunststoffs auf Kaseinbasis. Um 1838 gelang es Victor Regnault PVC im Labor zu erzeugen und doch begann der Siegeszug des Kunststoffes erst in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts so richtig. 1950 wurde weltweit gerade einmal eine Million Tonnen Kunststoff hergestellt, heute werden allein in Deutschland weit über 20,7 Millionen Tonnen erzeugt. Dem Volumen nach gerechnet hat der leichte Werkstoff den Traditionswerkstoff Stahl schon in den 80er Jahren überholt.
Und so fragt man sich oft wie es früher ohne den Werkstoff Kunststoff gehen konnte. Im Sport, wo Kunststoffe Rekorde purzeln lassen, ebenso wie in der Medizin, am Bau, in der Verpackung oder in der Kommunikation.

Ein Leben ohne Kunststoff

Könnte man sich ein Leben ohne Kunststoffe vorstellen? Eine Familie aus der Steiermark hat die Herausforderung angenommen und einfach mal ausprobiert ob sie auch ohne Kunststoff leben kann. Die Physiotherapeutin Krautwaschl aus Graz hatte den Film „Plastic Planet“ von Dokumentarfilmer Werner Boote gesehen und wie die meisten Kinobesucher, war sie erstaunt, wie sehr Kunststoff unser Leben prägt – im positiven, wie im negativen Sinne. Sie hörte, dass man mit all dem Kunststoff, der bis heute hergestellt wurde, die Erde sechs Mal komplett in Folie verpacken könnte. Aber auch, dass viele Kunststoffe Substanzen enthalten, die schädlich sind.

Anfangs diente Kunststoff noch als Ersatz für andere Werkstoffe, die wertvoll oder selten waren. Der wohl Berühmteste, das Zelluloid, war ein Ersatz für Elfenbein. Da in den USA das Billardspiel in Mode gekommen war, kam der Elfenbein-Nachschub fast zum Erliegen. Deshalb versprach ein amerikanischer Hersteller von Billardkugeln demjenigen eine hohe Belohnung, der einen Ersatz für Elfenbein erfand. Zelluloid hieß das Material, welches John Wesley Hyatt 1868 erfand und das nun Elfenbein nicht nur im Billardspiel ersetzte. Schmuck, Spielzeug und anderes wurde aus dem neuen Werkstoff gefertigt. Bekannt wurde Zelluloid der breiten Öffentlichkeit jedoch erst später als das Trägermaterial für eine kulturelle Revolution. „Auf Zelluloid gebannt“ exportierten die Traumfabriken in Berlin oder Hollywood die neue Form der Unterhaltung, den Film, in alle Welt. Damit war schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt bewiesen, dass Kunststoffe weit mehr können, als nur andere Stoffe ersetzen oder nachahmen.

Die Dokumentation „Plastic Planet“ brachte die österreichische Familie Krautwaschl auf die Idee, das Experiment eines kunststofffreien Lebens zu starten. Und schnell musste man feststellen, es geht zwar, aber sonderlich einfach ist das Leben ohne Kunststoff nicht. Unzählige Dinge, die uns tagtäglich umgeben, sind aus Plastik. Darauf zu verzichten, ist eine gewaltige Herausforderung.

Von Morgens bis in die späte Nacht

Blicken wir doch einmal auf unseren ganz normalen Tagesablauf. Nach dem Aufstehen wird klar, dass ein solches Experiment einiges an Erfindergeist und Geduld abverlangt. Der morgendliche Kaffee würde schon scheitern, die Kaffemaschine dürfte ich so nicht benutzen, denn das gute Stück besteht aus Plastik. Ergo: Kein Kaffee. Oder, die kleine manuelle Espressokanne aus Aluminium wäre doch eine Alternative. Doch auch hier ist Plastik verbaut, am Henkel und am Deckel – also doch kein Kaffee. Als Alternative gäbe es Tee. Aber auch mein Wasserkocher ist komplett aus Kunststoff. Weiter ins Bad: Alle Körper-Pflegeprodukte, die Zahnpastatube und die elektrische Zahnbürste müsste ich nun verbannen.

Nur diese kurze Zeitspanne zeigt auf, Kunststoffe sind heute unverzichtbar in Haushaltswaren und in Elektro- und Elektronikanwendungen. Die Entwickler setzen sie wegen ihrer Leistungsvorteile und der effizienten Ressourcennutzung, zur Gewichtsreduzierung, zur Miniaturisierung sowie zu elektrischer und thermischer Isolierung ein. Von einfachen Kabeln über Haushaltsgeräte bis zu Handys und DVD-Playern bestehen wesentliche Teile aller modernen Geräte aus Kunststoff. Denn viele technische Entwicklungen im Elektro- und Elektroniksektor sind nur dank moderner Kunststoffgenerationen möglich.

Die Geräte können so immer kleiner und leichter gebaut werden. Ein gutes Beispiel dafür, wie Kunststoff mehr mit weniger Ressourcen leistet. Kunststoffe in elektrischen und elektronischen Geräten sieht man oft auf den ersten Blick, so bei Telefonen, Computern und Fernsehgeräten. Es gibt jedoch zahlreiche Kunststoffkomponenten, die im Verborgenen die Basis bilden, die unser Leben verbindet. Fast die Hälfte des hierbei verwendeten Kunststoffs wird für das Ummanteln von Kabeln und elektrischen Instrumenten eingesetzt. Die einzigartige elektrische Isolierfähigkeit von Kunststoffen sowie ihre Belastbarkeit, Widerstandsfähigkeit, Flexibilität und Beständigkeit sind ideal für eine sichere und effiziente Stromversorgung.

Inhalt schützen und Hygiene sichern

Der Blick ins Bad und in den Kühlschrank zeigt zudem, Kunststoff ist ein ideales Verpackungsmaterial für alle möglichen gewerblichen und industriellen Zwecke. Über 50 Prozent aller Waren in Europa sind in Kunststoff verpackt, und dennoch macht Kunststoff gewichtsmäßig nur 17 Prozent der verwendeten Verpackungsmaterialien aus. Das durchschnittliche Gewicht der Verpackung wird durch Kunststoff immer weiter reduziert. Heute ist die Kunststoffverpackung unverzichtbar für die Verarbeitung, die Lagerung, den Transport, den Schutz und die Konservierung von Produkten. So ist es nicht verwunderlich, dass die Verpackungsindustrie der größte Kunde der Kunststoffindustrie ist. Inhalt schützen ist hierbei zweifellos die wichtigste Aufgabe.

Kunststoffverpackungen bewahren in der gesamten Logistikkette bis hin zum Verbraucher Milliardenwerte vor Beschädigung, Verlust und Verderb, garantieren Hygiene, erhalten die Frische und den Nährwert von Lebensmitteln und helfen den Einsatz von Konservierungsmitteln zu reduzieren. Auch lässt sich die Ware in verbraucherfreundliche Größenordnungen besser portionieren – ein Vorteil für die Singles dieser Welt.

Apropos Hygiene, schon wichtiger ist diese in der Medizin. Und auch hier kommen die Eigenschaften der Kunststoffe wieder zum tragen: Ob hygienische Einwegspritzen, Blutbeutel, Infusionsflaschen, Handschuhe, oder auch Kontaktlinsen und künstliche Herzklappen. Dank ihrer außergewöhnlichen Barriereeigenschaften, ihrem geringem Gewicht, den niedrigen Kosten, ihrer Dauerhaftigkeit, Transparenz und Kompatibilität mit anderen Materialien. Kunststoffe halten das Verpackte wenn nötig steril und die unbeschädigte Packung zeigt an: Hier ist alles in Ordnung. Generell kann man sagen, dass Kunststoffe auch einen wesentlichen Anteil an der chirurgischen Revolution haben.

Mitte des vergangenen Jahrhunderts erkannte man das Potenzial und heute dominieren in der Medizintechnologie weitgehend speziell angefertigte Polymere. Auch für orthopädische Zwecke, wo sie begradigen, stützen (Bauchwand), Deformierungen korrigieren (Fersensporn), oder die Funktion beweglicher Körperteile verbessern oder gar ersetzen (Hüftgelenk). Kunststoffprothesen oder -orthesen können einen Körperteil ersetzen und seine Hauptfunktion übernehmen.

In der Herzchirurgie zum Beispiel wird eine dünne Röhre (Katheter) in ein verstopftes Blutgefäß eingeführt. Ein kleiner Ballon, der über einen zweiten Katheter aufgeblasen wird, drückt Ablagerungen gegen die Gefäßwand. Der Durchgang wird wieder freigemacht, aber die Ablagerungen werden nicht entfernt. Ein dünnes, spiralförmiges Implantat (eine Gefäßstütze), das aus einem Kunststoff besteht und ist mit aktiven Substanzen geladen ist, wird in der behandelten Arterie platziert. Die Gefäßstütze gibt ihre Substanzen ab, die langsam die Ablagerungen zersetzen. Nach und nach löst sich die Stütze von selbst auf. Und es gibt unzählige Beispiele mehr, die ein Überleben ohne Kunststoffe erschweren würden.

Ob stationär oder mobil

Etwa ein Viertel des in Deutschland verbrauchten Kunststoffs findet Anwendung im Hoch- und Tiefbau, wird unter anderem als Fensterprofil, Kabelkanal, Dacheindeckung, Leitungsrohr, Bodenbelag oder Dämmstoff verarbeitet. Kunststoff schützt vor Hitze und Schall, ob als mehrfach verglastes Kunststoff-Fenster, Isoliermaterial oder Außenwandpanel. Und so wird zudem der Energiebedarf fürs Heizen, die Heizkosten und den Ausstoß von Kohlendioxid gesenkt. Auch im Bereich der alternativen und regenerativen Energiegewinnung bietet unser Werkstoff neue Wege und Lösungen. Sei es in modernen Brennstoffzellen, mit Windkraftanlagen oder Photovoltaik-Kunststofffolien.

Aber nicht nur beim Bauen und Wohnen ist Kunststoff Wegbereiter des Fortschritts. Kommen wir doch noch einmal kurz auf das Experiment eines kunststofffreien Lebens zurück. Auch der Weg zur Arbeit, in den Urlaub oder in die Stadt zum Einkaufen würde wohl zu unserem Versuch gehören. Auf Kunststoff verzichten, hieße dann auch auf das Auto verzichten. Der Kunststoffanteil eines Durchschnitts-PKW beträgt derzeit bis zu 15 Prozent. Und dieser Anteil wird noch weiter steigen, und die Autos werden leichter, sparsamer und sicherer zugleich.

Ein mit Fasern verstärktes Kunststoffteil wiegt weitaus weniger als ein entsprechendes Stahlteil und jedes Kilo weniger Gewicht verringert den Kraftstoffverbrauch sowie den Ausstoß an Treibhausgasen. Hinzu kommt, dass Kunststoff-Teile nicht rosten. Und einen ganz anderen Vorteil bieten sich in der Verarbeitung, denn anders als herkömmliche Materialien, können Kunststoffe oft ganz einfach miteinander verklebt statt aufwändig verschweißt werden.

Und wie uns glauben gemacht wird, gehört die mobile Zukunft denn Elektrofahrzeugen. Laut einer Analyse von Frost & Sullivan wird dann mit steigender Produktion von Elektrofahrzeugen das Marktvolumen von Kunststoffen bis 2017 auf über 23.613 Tonnen anwachsen. Das wäre gegenüber dem letzten Jahr eine Verdreißigfachung. Vor allem das Thema Leichtbau ist hier Innovationstreiber, verbunden mit dem Ziel, die Reichweite der Elektrofahrzeuge zu erhöhen. Erwirtschaftete der europäische und nordamerikanische Markt für Kunststoffe im Elektrofahrzeugbau im Jahr 2010 noch Umsätze von 0,5 Millionen US-Dollar, werden diese bis zum Jahr 2017 auf 73 Millionen US-Dollar anwachsen.

Auf der einen Seite besteht also die Notwendigkeit, Autos leichter zu machen, um die Reichweite der Elektrofahrzeuge zu verbessern. Andererseits verlangt die ELV-Recycling-Richtlinie jedoch, dass Autohersteller wiederverwertbare Materialien verwenden. Und dieser Trend spricht ebenso wieder für den Werkstoff des 21. Jahrhunderts.
„Ein Heim ohne Plastik“ hieß der Versuch der Familie Krautwaschl, und er dauert nun schon fast drei Jahre. Alles hat sich verändert, und doch auch wieder wenig. Als Fazit bleibt: Auf Plastik zu verzichten, ist oft nicht möglich.

Viel Lust auf Kunststoff

Die einen haben keine Lust mehr, andere wiederum haben viel Lust auf Kunststoff und alles, was mit Investitionen zu dessen industrieller Verarbeitung zu tun hat – auf diesen einfachen aber treffenden Nenner ließ sich im letzten Jahr das Resümee am Ende der der 21. Fakuma ziehen. In ihrer mehr als 30-jährigen Geschichte hat sich die internationale Fachmesse für Kunststoffverarbeitung zum Begleiter der Kunststoffverarbeitenden Industrie gemausert. Wenn sich also vom 16. bis 20. Oktober 2012 auf dem Messegelände Friedrichshafen am Bodensee, wieder die Türen zur großen weiten Welt sämtlicher Kunststofftechnologien öffnen, rücken die Experimente der Familie Krautwaschl zwar nicht in den Hintergrund, aber zukunftsweisende Themen der Branche wie Ressourcenschonung, Recycling oder Energie-Effizienz erlangen eine besondere Aufmerksamkeit.

Rund 1.700 Aussteller zeigen die ganze Prozesskette zur wirtschaftlichen Fertigung von Produkten aus dem Werkstoff des 21. Jahrhunderts. Sie zeigen aber auch, dass Kunststoffe sind in vielfacher Hinsicht ökoeffizient sind. Selbst am Ende ihrer Nutzungsdauer haben Kunststoffprodukte noch viel zu bieten – denn sie sind einfach zu wertvoll, um weggeworfen zu werden. Der Brennwert von Kunststoff ist nämlich so hoch wie der von Kraftstoff oder Heizöl. Und die Kunststofferzeuger unterstützen ein ökologisch-ökonomisches, das heißt ökoeffizientes Abfallmanagement mit einem Verwertungsmix aller Arten der Abfallbehandlung, sei es die werkstoffliche, rohstoffliche oder energetische Verwertung.n

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