Oktober 2011

Ein Nanometer als Größenordnung ist der Grenzbereich, bei dem die Oberflächeneigenschaften gegenüber den Volumeneigenschaften der Materialien eine immer größere Rolle spielen. Wenn die verfügbaren Materialien die hohen Ansprüche an die gewünschten Oberflächen nicht erfüllen können, bieten spezielle Oberflächenstrukturen oder Beschichtungen weitere Möglichkeiten, diese Eigenschaften kostengünstig zu optimieren. Extrem hydrophobe (wasserabweisende) Oberflächen haben beispielsweise den Vorteil, dass sie sich inert verhalten und wenig beschmutzen beziehungsweise leicht gereinigt werden können. Dies ist von großem Interesse, etwa in der:

  • Bio-Medizin (funktionelle Oberflächen für Fluidik und Sensorik),
  • Automobilindustrie (hydrophobe Oberflächen auf Verscheibungen),
  • Medizintechnik (restentleerbare Behälter),
  • Optik (selbstreinigende optische Oberflächen) oder auch in der
  • Energietechnik (selbstreinigende Medienzuführungen bei Brennstoffzellen).

Der Spritzgieß-Demonstrator und
die Definition der Mikrostrukturen

Der Arbeitsplan am KuZ in Leipzig umfasste zwei maßgebende Aspekte: Zum Einen wurden die vorgesehenen TiO2-Schichten mit nanoskaligen TiO2-Pulver den Erfordernissen einer hydrophoben Struktur angepasst und die mechanische Verschleißfestigkeit der Schicht verbessert, um den mechanischen Belastungen im Spritzgießprozess standhalten zu können. Ebenso wurde die Haftfestigkeit der Schicht auf Werkzeugstählen optimiert. Zum Anderen wurden die gefertigten Werkzeug-Oberflächenstrukturen durch Spritzgießen abgeformt; der Abformgrad der spritzgegossenen Oberflächen wurde durch geeignete Maßnahmen gesteigert. Wichtig für die Haftfestigkeit der Sol-Gel-Schicht ist eine ebene, gleichmäßige Oberfläche auf dem Werkzeugstahl. Hierzu wurden Untersuchungen bezüglich Stahlauswahl, Definition der Oberflächengüte und Oberflächenhärte durchgeführt.
Um die Abformung der Nanostrukturen nachzuweisen, wurde ein planarer Spritzgieß-Demonstrator (Bild 1a) entwickelt. Dieser Demonstrator gleicht einer Ronde, welche einseitig auf der Auswerferseite des Werkzeuges mit einer hydrophoben Oberflächenstrukturierung versehen wird. Düsenseitig erfolgt der zentrische Anguss über eine Heißkanaldüse. Dies garantiert einen gleichmäßigen Quellfluss der Kunststoffschmelze bis zum Fließwegende ohne Zusammenflusslinien, an denen Abformfehler auftreten könnten.
Innerhalb von ersten Beschichtungstests mit einer TiO2-Sol-Gel-Schicht auf Aluminium wurde die Topographie der Mikro- und Nanostruktur der beschichteten Oberfläche untersucht und auf eine Eignung zur Herstellung von Oberflächen mit hydrophoben Eigenschaften beurteilt. Dabei konnten Kontaktwinkel gegen Wasser von 168° festgestellt werden. Die erzielte Topographie weist starke Ähnlichkeit mit der eines Lotusblattes auf, bei dem Strukturen im Mikrometer-Bereich noch einzelne nanoskalige Erhebungen aufweisen. Die Strukturierung mit der Kombination aus Mikro- und Nanostrukturen muss so ausgeführt werden, dass es bei der Benetzung der Oberfläche zur Bildung von Luftkavitäten in den Vertiefungen der Topografie kommt. Man spricht dann von einer heterogenen Benetzung, auch Cassie-Baxter-Verhalten genannt. Die Mikrostrukturen sollten dabei idealerweise eine Größe von 10 bis 20 µm mit einer Nanostruktur von etwa 50 bis 100 nm aufweisen.
Um hydrophobe Oberflächen ähnlich dem sogenannten Lotus-Effekt zu erzeugen, sind nach W. Barthlott Mikrometer-Strukturen in einer Höhe von 10 bis 50 µm und einem Abstand von 5 bis 200 µm erforderlich. Andere Charakterisierungen von hydrophoben Oberflächen gehen jedoch lediglich von Strukturen im sub-µm-Bereich aus, die den essentiellen Beitrag zum hydrophoben Effekt erbringen.
In ersten Abformtests mittels Heißprägeverfahren wurde die Abformbarkeit der strukturierten Sol-Gel-Schicht in Kunststoff überprüft. Das Heißprägen ist im Vergleich zu bestehenden Replikationstechniken, wie Spritzgießen oder Spritzprägen, ein einfaches Verfahren mit wenigen Verarbeitungsparametern und Prozessschritten. Für erste Abformversuche ist dieses Verfahren geeignet, aber wegen der langen Zykluszeiten kaum für eine Massenproduktion einsetzbar.
In enger Zusammenarbeit mit der Gesellschaft zur Förderung von Medizin-, Bio- und Umwelttechnologien (GMBU) wurde ein Aufbau der Schichtsysteme in vier Grundvarianten mit jeweils mehreren Variationen der Topographie der Oberflächenstruktur vollzogen, die entsprechend im Heißpräge- und Spritzgießprozess in Kunststoff abgeformt wurden. Eine Variante erwies sich hinsichtlich der Grundhärte und Haftfestigkeit auf dem Stahlsubstrat als das optimale Schichtsystem. Im späteren Verlauf des Projektes wurden für die Spritzgießversuche nur Schichten dieser Variante eingesetzt (Bild 1b). Dabei betrug die Schichtdicke des aufgebrachten Sol-Gel-Schichtsystems etwa 20 µm. Die Oberflächentopographie der Schichtsysteme und der replizierten Abformungen in Kunststoff wurde je nach Strukturgröße mittels AFM (Atomic Force Microscopy), REM (Rasterelektronenmikroskopie) oder Auflicht-Mikroskopie beurteilt. Ein weiteres wichtiges Kriterium zur Charakterisierung der erreichten Hydrophobie ist der Kontaktwinkel gegen Wasser. Er wurde bei den strukturierten Heißprägeeinsätzen vor und nach den Prägungen, sowie bei allen replizierten Kunststoffproben bestimmt. Die Auswertungen der Messergebnisse zu den ersten Beschichtungsvarianten ergaben dabei bereits erste Erfolge bei der Abformung einer hydrophoben Sol-Gel-Struktur in Kunststoff im Heißprägeprozess.

Prozessführung beim Spritzgießen
und eingesetzte Kunststoffe

Bei der Abformung von Nano- und Mikrostrukturen im Spritzgießverfahren besitzt die Höhe der Werkzeugwandtemperatur einen gravierenden Einfluss. So beträgt der Kontaktwinkel bei 70 °C Werkzeugwandtemperatur 146° und steigt dann weitgehend linear auf 165,6° bei einer Temperatur von 120 °C (Abformung auf LPP). Befindet sich die Werkzeugwandtemperatur kurz oberhalb der Glasübergangstemperatur (bei amorphen Kunststoffen) beziehungsweise der Kristallitschmelztemperatur (bei teilkristallinen Kunststoffen) des jeweilig verwendeten Kunststoffes, so erfolgt eine 100-prozentige Formfüllung und damit Abbildung der Mikrostrukturen. Dieses Verfahren wird variotherme Prozessführung genannt. Nach Abschluss der Einspritzphase wird die Werkzeugkavität auf Entformungstemperatur abgekühlt. Somit wurde ein geeignetes Werkzeug entworfen und gebaut, welches den Anforderungen einer variothermen Prozessführung entspricht und mit dem verschiedene Werkzeugeinsätze mit Sol-Gel-Strukturierung im Spritzgießprozess getestet werden konnten.
Spritzgießversuche mit unterschiedlichen technischen, unpolaren Kunststoffen wie COC Topas 6013 (Cycloolefin-Copolymer), LPP Resin 733-H (leicht fließendes Polypropylen) und PE Lupolen 6031 M (Polyethylen) dienten der technologischen Parameterfindung zur optimalen Abformung der hydrophoben Oberflächenstruktur. Dabei wurden im Variothermverfahren die relevanten Spritzgießparameter Werkzeugwandtemperatur, Massetemperatur, Einspritzdruck, Einspritzgeschwindigkeit und Nachdruck variiert und die Auswirkung auf den Abformgrad ermittelt. Nachfolgende Dauertests (je zirka 500 Spritzgießzyklen mit jeweils etwa 9 bis 11 Minuten Zyklusdauer) dienten dem Nachweis der Reproduzierbarkeit der Abformung und der Verschleißfestigkeit der Sol-Gel-Schicht. Der Abformgrad der Strukturen wurde dabei mit der Messung des Kontaktwinkels der gespritzten Kunststoffproben gegen Wasser charakterisiert.

Die Versuchsergebnisse zeigen
die Eignung des Verfahrens

Abformungen der strukturierten Sol-Gel-Oberfläche der Variante 2 mittels Heißprägen in Kunststoff COC ergaben eine Steigerung des Kontaktwinkels von 94,4° (unstrukturierte COC-Rohplatte) auf 152,2°. Damit kann man die erstellten Oberflächen schon als superhydrophob bezeichnen. Aufgebrachte Wassertropfen perlten rückstandslos von der Oberfläche ab. Es war zu beobachten, dass mit der Anzahl der Prägungen von einer Beschichtungsprobe eine Erhöhung des Kontaktwinkels bei den abgeformten Kunststoffoberflächen einherging. Dies ist mit einer Art Reinigungseffekt während der ersten Prägungen zu erklären, bei dem lose Sinterbestandteile der Beschichtung ausgelöst werden, die sich im Kunststoff ablagern. Dies ist auch an einigen Proben gut zu beobachten. Nach einigen Prägungen stabilisiert sich der Kontaktwinkel auf einem hohen Niveau. Daraus kann gefolgert werden, dass kein signifikanter Verschleiß der strukturierten Sol-Gel-Schicht mit zunehmender Zahl von Abformungen stattfindet. Dies galt es beim Spritzgießen mit seinen höheren mechanischen Belastungen der Oberflächenschicht zu prüfen. Während des Anfahrzyklusses beim Variotherm-Spritzguss war ebenfalls eine Reinigung der Sol-Gel-Schicht auf dem Werkzeugeinsatz zu verzeichnen, einhergehend mit einem Anstieg des Kontaktwinkels der abgeformten Kunststoffproben. Nach einem Dauertest ist jedoch ein leichter Verschleiß in der Struktur zu erkennen, welcher sich aber auf ein bestimmtes Niveau einpegelt (Bild 2: Kontaktwinkel bei Spritzgießdauertests mit COC). Anfangs erfolgt bei der Abformung ein Anstieg auf einen Kontaktwinkel von zirka 152°, der sich dann auf zirka 144° einstellt.
Mit den vorhandenen Beschichtungsvarianten der Werkzeugeinsätze konnten bei Abformungen in LPP maximale Kontaktwinkel gegenüber Wasser von 165,6° nachgewiesen werden. Entscheidend für eine gute Abbildung der Nano- und Mikrostrukturen in Kunststoff war die eingestellte Werkzeugwandtemperatur während des Spritzgießens. Mit diesen Ergebnissen kann man abschließend sagen, dass stochastisch strukturierte Sol-Gel-Werkzeugbeschichtungen zur Herstellung von superhydrophoben Kunststoffoberflächen im Urformprozess geeignet sind. Wegen der planaren Gestalt der Demoteile für das Heißprägen und Spritzgießen kann jedoch noch kein Rückschluss auf die Abbildung der Struktur und deren Entformung bei dreidimensionalen Oberflächen gegeben werden.

Neue Technologie
Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Serienfertigung

Die Abformung superhydrophober Oberflächen mit Spritzgieß-Werkzeugen eröffnet ein kostengünstiges Produktionsverfahren mit hohen Stückzahlen. Die Beschichtungstechnik mit Solen ist Stand der Technik; der Aufwand dafür ist nicht hoch. Sie wird industriell beispielsweise bei der Beschichtung von Duschabtrennungen aus Glas eingesetzt. Die hergestellten Werkzeugbeschichtungen sind sehr homogen und reproduzierbar, aber stark vom Aufbringverfahren und der Werkzeugkontur abhängig. Die Spritzgießtests mit 500 Zyklen zur Abformung einer hydrophoben Oberfläche in Kunststoff zeigten eine stagnierende Veränderung der Kontaktwinkel ab zirka 300 Spritzgießzyklen, der sich bis zum Testende hielt. Die Forscher am KuZ in Leipzig gehen daher davon aus, dass die Beschichtung nach weiteren Optimierungen eine Beständigkeit für bis zu 10.000 Spritzgießzyklen haben kann.

 

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Unternehmen

Kunststoff-Zentrum in Leipzig gGmbH

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04229 Leipzig
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