Juli 2011

Besondere Chancen bieten Kunststoffe, die mit Naturfasern verstärkt sind. Naturfasern bestehen aus Biomasse. Bei ihrer Produktion wird wesentlich weniger Energie benötigt, als bei den Glasfasern der so verstärkten Kunststoffe. Wenn fossile Energieträger eingesetzt werden, setzen Glasfasern bei ihrer Produktion größere Mengen Treibhausgase frei als Naturfasern. Dabei erreichen die Eigenschaftsprofile der naturfaserverstärkten Teile die ihrer glasfaserverstärkten Pendants.
Die prognostizierten Zuwachsraten für die naturfaserverstärkten Kunststoffe sind beachtlich: So wurden in der EU im Jahr 2010 etwa 315.000 Tonnen Biofasern verarbeitet. Das entspricht einem Anteil von 13 Prozent am gesamten Markt der Composites. Bis 2020 soll die Produktion in der EU auf 830.000 Tonnen pro Jahr steigen – dies entspräche einem Anteil von 28 Prozent, so Michael Carus, Geschäftsführer des Nova-Institutes, Hürth, der allerdings nur bei geeigneten politischen Rahmenbedingungen erreicht werden kann. Das Institut beschäftigt sich mit Studien, Innovations- und Wissenstransfer zum Thema Werkstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen. Vor allem Flachs- und Hanffasern sowie Jute-, Kenaf-, Sisal- und Abacafasern werden in naturfaserverstärkten Werkstoffen verwendet. Wobei Hanf und Flachs primär in Europa angebaut werden.

Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen: Biokunststoffe

Fossile Kohlenstoffquellen wie Erdöl sind endlich. Daher ist der Wunsch, fossile Rohstoffe zu ersetzen, größer geworden und die Nachfrage nach erneuerbaren Kohlenstoffquellen ist gestiegen. Eine Antwort sind Biokunststoffe auf der Basis von nachwachsenden Rohstoffen, wie Zucker, Stärke oder Rizinusöl. Der Interessenverband der europäischen Biokunststoffindustrie, European Bioplastics, verkündete auf der vergangenen Interpack hohe zweistellige, jährliche Steigerungsraten. Bis 2015 können sich die Produktionskapazitäten weltweit auf 1,71 Millionen Tonnen pro Jahr verdoppeln, so die neue Prognose des Biokunststoffexperten Prof. Dr.-Ing. Endres von der Fachhochschule Hannover. „Der erfreulich positive Trend der Produktionskapazitäten lässt uns vermuten, dass die vorgelegten Zahlen in den kommenden Jahren sogar übertroffen werden“, erklärte Hasso von Pogrell, Geschäftsführer von European Bioplastics. Am gesamten, weltweit gefertigten Kunststoff wird das allerdings lediglich ein Anteil von etwa einem Prozent sein.
Besonders weit oben auf der Wunschliste für Werkstoffe aus biologisch angebauten Materialien stehen naturfaserverstärkte Biokunststoffe. Die Entwickler wollen dabei nicht nur die Kosten dieser Produkte senken, sondern auch geeignete Biomatrixmaterialien auswählen. Im Visier der Werkstoffforscher sind die Eigenschaften der Hochleistungskunststoffe Acrylnitril-Butadien-Styrol (ABS) und Polycarbonat (PC). Bislang steht allerdings der Biokunststoff Polymilchsäure (PLA) häufig im Fokus des Interesses. Zu seiner Herstellung werden Mais, Zucker und Stärke benötigt. Durch eine biochemische Umwandlung entsteht Milchsäure, die zum Biokunststoff polymerisiert wird.

Ökobilanz zeigt eine deutlich verringerte Kohlendioxid-Emission

Bereits 2003 stellte Toyota eine Reserveradverkleidung aus naturfaserverstärktem PLA her. Die Ökobilanz des Produktes zeigte eine um 90 Prozent reduzierte Kohlendioxidemission zum vergleichbaren fossil basierten Kunststoff. Prof. Dr.-Ing. Jörg Müssig von der Hochschule Bremen erforscht PLA-Basiswerkstoffe für Naturfasern. In seinem Labor arbeitet er mit 20 bis 30 Massenprozent Hanf und Flachs im PLA. Dabei kommt das PLA-Polymer 6203 D von Natureworks zum Einsatz.
Ein Möglichkeit zur Herstellung von naturfaserverstärkten Polymilchsäuren ist das Formpressverfahren mit PLA- Fliesen und Naturfaserfliesen. Hierzu werden zunächst Kadenbänder aus den beiden Werkstoffen erstellt. Das Pressverfahren fügt die beiden Werkstoffe zu Platten zusammen. Diese Platten lassen sich dann granulieren und im Spritzgießprozess verarbeiten.
Doch gerade für das Spritzgussverfahren sind Naturfasern im Polymer eine Herausforderung. Hierzu gibt es ein Forschungsprojekt zwischen dem Nova-Institut aus Hürth, Badische Naturfaseraufbereitung, Malsch und der Hochschule Bremen. Das Projekt wird von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert. Bernd Frank, Geschäftsführer der Badischen Naturfaseraufbereitung, entwickelt das Pentierverfahren für Hanf und Flachsfasern und meint: „In einem Doppelschneckenextruder werden zunächst in einer ersten Zone PLA-Pellets geschmolzen. In einer zweiten Zone erfolgt die Zugabe der Naturfaser Pellets. Hinzu kommen noch Additive. Es entsteht ein Gemisch aus PLA und Naturfasern in der Schmelze. Endprodukt des Prozesses ist ein Granulat. Spritzgießer können dieses weiter verarbeiten.“ So fertigt Nokia ein Handygehäuse aus PLA Kenaf-Fasern im Spritzgussverfahren. Diese naturfaserverstärkten Biokunststoffe weisen eine erhöhte Steifigkeit auf. Dabei reduziert sich die Schlagfestigkeit, wobei sich diese Eigenschaften durch die Auswahl der Fasern einstellen lassen. PLA-Werkstoffe besitzen noch eine schlechte Wärmeverformbarkeit. Diese bereitet in Automotive-Anwendungen noch Schwierigkeiten. Ziel aktueller Forschungen ist es, die Wärmeformbeständigkeit zu erhöhen.

Hoher Schmelzpunkt des Basis-Polymers gefährdet Naturfasern

Eine weitere mögliche Matrix für Naturfasern sind Polyamide (PA) auf der Basis von nachwachsenden Rohstoffen. Diese haben einen deutlich höheren Schmelzpunkt. Als technischer Werkstoff haben sie am gesamten produzierten Biokunststoff einen Anteil von etwa fünf Prozent. Natürliche Quelle des Rohstoffs ist der Samen des afrikanischen Wunderbaums. Vor allem in Indien, Brasilien und China wächst die Rizinuspflanze. Sie liefert den Rizinusöl Rohstoff. Aus dem Pflanzenöl kann Sebacinsäure als Ausgangsstoff für die PA gewonnen werden.
Die Herstellung ist vergleichbar mit der Produktion von PA auf der Basis von fossilen Rohstoffen. Sie kann in den gleichen Anlagen durchgeführt werden. Die Biowerkstoffe haben dann ein ähnliches Leistungsvermögen wie erdölbasierte PA, so Dr. Jürgen Herwig, Evonik Degussa. Ein Grund für das Engagement des Chemieunternehmens in diesem Bereich ist die Endlichkeit der Erdölreserveren, meint Herwig weiter. Die Verarbeiter, die der Rohstoffhersteller beliefert, stellen zurzeit mitunter eine ihrer Produktionslinien auf Biokunststoffe um.
Wegen des relativ hohen Schmelzpunktes des PA bereitete es zunächst Schwierigkeiten, es als Matrix für Naturfasern zu nutzen. Die Naturfasern werden beim Vermischen mit der Schmelze des Biokunststoffs thermisch beschädigt.
Evonik Degussa präsentierte auf der vergangenen K ein mit Bambusfaser verstärktes Polyamid auf Basis seiner Produktreihe Vestamid Terra DS. Die Anteile an Bambusfaser variieren zwischen 5 und 50 Prozent. Die Matrix ist ein PA 10.10 auf Basis nachwachsender Rohstoffe. Erste potenzielle Anwendungen liegen im Lifestyle-Bereich: Sportartikel und Brillen.
Bei der Einarbeitung der Naturfasern muss auf eine möglichst schonende Behandlung geachtet werden, das heißt, kurze Verweilzeiten im Extruder und möglichst niedrige Temperaturen, denn die Naturfasern müssen geschont werden. Der Kunststoff besitzt nach Aussagen des Unternehmens gute mechanische Eigenschaften und ist mit anderen technischen Kunststoffen vergleichbar. Die Formmassen sind semikristallin und zeichnen sich durch hohe mechanische Festigkeit und Beständigkeit gegenüber Chemikalien und Spannungsrissen aus. Auch die PA typischen Werkstoffmerkmale, wie eine hohe Wärmeformbeständigkeit und ein geringes Wasseraufnahmevermögen sind Produkteigenschaften. So lässt sich nach Angaben des Herstellers das Granulat des naturfaserverstärkten Biokunststoffs auf Spritzgussmaschinen verarbeiten, die für PA geeignet sind. Auch weist es eine günstige CO2-Bilanz im Vergleich zu fossil hergestellten Produkten auf. Nach dem Prüfverfahren der TÜV Gesellschaft Din Certco ist es zu 100 Prozent biobasiert.
Allerdings sollte man eines nicht aus den Augen verlieren: die Diskussion über Anwendungen und Markt für Biokunststoffe erfordert einige Präzision. Denn wenn lange Transportwege notwendig sind, der Produktionsprozess große Energiemengen verschlingt oder giftige Stoffe freigesetzt und produziert werden, sind die ökologischen Vorteile unter Umständen schnell dahin.

„Der positive Trend der
Produktionskapazitäten lässt vermuten, dass die vorgelegten Zahlen sogar übertroffen werden.“

Hasso von Pogrell, European Bioplastics

„Bis 2015 können sich die Pro-
duktionskapazitäten weltweit auf 1,71 Millionen Tonnen pro
Jahr verdoppeln.“

Prof. Dr.-Ing. Hans-Josef Endres, FH Hannover

Neue Technologien
Hohes Potenzial vorhanden

Es hört sich an, wie das Non-Plus-Ultra der Nachhaltigkeit: Naturfaserverstärkte Biokunststoffe. In der Tat ist die Ökobilanz dieser Werkstoffe ausnehmend gut – betrachtet man beispielsweise die Kohlendioxidemission. Doch ihr Anteil am Markt ist – noch – verschwindend gering. Kunststoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe haben einen Anteil von etwa einem Prozent, die Biofasern machen derzeit etwa 13 Prozent der Faserverstärkungen aus. Doch die Vorhersage der Produktionskapazitäten ist für beide stark steigend. Möglicherweise entwickelt sich hier eine Werkstoffklasse der Zukunft.

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Unternehmen

European Bioplastics e.V.

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