März 2011

Eine hohe Prozessstabilität und Wirtschaftlichkeit kann bei Spritzgießprozessen durch eine stabile und homogene Temperaturverteilung im Werkzeug sichergestellt werden. Wichtige Formteileigenschaften wie die mechanische Festigkeit, die Oberflächengüte und die Maßhaltigkeit werden durch die Qualität der Werkzeugtemperierung bestimmt. Die richtige Werkzeugtemperierung ist darüber hinaus maßgeblich für die Zykluszeit eines Spritzgießprozesses und bestimmt damit auch dessen Wirtschaftlichkeit.

In der Praxis liegt selten eine gleichmäßige Temperaturverteilung über das gesamte Formteil vor. Deshalb wird die notwendige Kühlzeit jeweils von der höchsten am Formteil vorliegenden qualitäts- und prozessrelevanten Temperatur diktiert. Die Ursache für die heterogene Temperaturverteilung liegt in der Regel in der Auslegung und konstruktiven Gestaltung des Werkzeugs.
Mit gebohrten Temperierkanälen (konventionelle Temperierung) ist es manchmal nur bedingt möglich eine homogene Temperierung zu erreichen. Dies kann zu einer Verlängerung der Zykluszeit und einer unzureichenden Teilequalität führen. Die konventionelle Temperierung ist jedoch industriell weit verbreitet, weil solche Temperierkanäle einfach herstellbar sind. „Durch generative Fertigungsverfahren wie dem Lasercusing können kontur-angepasste Temperierkanäle in Werkzeugen realisieret werden, die eine wesentlich bessere Temperierung im Vergleich zu konventionell hergestellten Kanälen bieten können“, erklärt Stefan Hofmann von der Werkzeugbau Siegfried Hofmann. Mit dieser Technik kann also die Formteilqualität erhöht und die Zykluszeit verringert werden.

Konturnahe Temperierkanäle ohne Erfahrungswissen gezielt konstruieren

Die Positionierung der Temperierkanäle erfolgt heutzutage häufig manuell durch erfahrene Konstrukteure, weil es bislang keine automatisierte Methode zur Identifikation eines geeigneten konturnahen Kanalverlaufs gibt. Im Rahmen eines Forschungsprojektes, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert wird, wird nun eine Methode zur automatisierten Positionierung des Temperierkanals auf Basis von Algorithmen der „Künstlichen Intelligenz“ (KI) eingesetzt. Die Methode wird exemplarisch für Spritzgießwerkzeuge im Kunststoffbereich entwickelt. Durch diese neuartige Software sollen Werkzeugbauer in die Lage versetzt werden, konturnahe Temperierkanäle zu konstruieren ohne auf langjähriges Erfahrungswissen zurückgreifen zu müssen. Diese Software wird vom IPH – Institut für Integrierte Produktion Hannover in Zusammenarbeit mit der Werkzeugbau Siegfried Hofmann, der Simcon kunststofftechnische Software und dem Ingenieurbüro Reinhardt entwickelt und getestet.

Wissensabbildung: Lernen von den Experten

Die Methode zur automatisierten Temperierkanalpositionierung soll das Wissen und die Entscheidungen der Werkzeugkonstrukteure abbilden, um die Temperierkanäle bedarfsgerecht anzuordnen. Zur Modellierung dieses Wissen wird ein künstliches neuronales Netz (KNN) mit zusätzlichen Regeln genutzt. KNN können aus Daten lernen, sind jedoch schwer interpretierbar. Sie sind für den Anwender eine Art Black-Box. Regel-Systeme dagegen bestehen aus interpretierbaren Regeln, sind jedoch nur eingeschränkt lernfähig. Durch die Kombination von KNN und Regeln entsteht ein lernfähiges KI-System, auf das der Anwender durch Integration von Regeln Einfluss nehmen kann, beispielsweise dass ein Temperierkanal nicht dort verlaufen darf, wo eine Schraube platziert werden soll.

Im Rahmen der zu entwickelnden Methode soll das KI-System Zusammenhänge zwischen Werkzeuggeometrien, Temperierkanalpositionen und Temperaturverlauf (und somit der Temperierleistung) aus Beispieldaten und vorgegebenen Regeln lernen. Hierzu werden Beispielgeometrien und zugehörige Werkzeugkonstruktionen angefertigt sowie deren Temperierverhalten mit Hilfe der Simulationssoftware Cadmould abgebildet. Die Werkzeuge, Temperierkanäle und Temperaturverläufe müssen durch Parameter beschrieben werden können. Des Weiteren werden dem KNN Simulationsergebnisse von „guten“ und „schlechten“ Temperierkanalpositionen übergeben. Die unterschiedlichen Werte der erforderlichen Parameter werden für Beispielwerkzeuge aus Cadmould extrahiert und dem KNN zum Training zur Verfügung gestellt. Die Regeln werden aus dem Erfahrungswissen der Konstrukteure generiert, um dem KI-System Restriktionen vorgeben zu können.
Die Festlegung der für das Training des KNN relevanten Parameter wurde in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Unternehmen durchgeführt. Hierbei musste darauf geachtet werden, die Bauteilgeometrie wie auch die Einflüsse der Temperierung mit Hilfe der Parameter vollständig abbilden zu können. Die Werkzeugwandtemperatur vorher bestimmter Punkte auf der Bauteiloberfläche wurde als Zielparameter des KNN-Trainings bestimmt.

Gezielter Konstruieren heißt schneller und kostengünstiger Konstruieren

Das trainierte KI-System soll bei der Konstruktion neuer Spritzgießwerkzeuge zur Unterstützung der Positionierung der Temperierkanäle genutzt werden. In der Anwendung werden Konstruktionsdaten extrahiert und dem KI-System vorgegeben. Ausgehend von diesen Daten gibt das KI-System eine geeignete Position des Temperierkanals und die damit zu erreichende Temperierleistung für die betrachtete Werkzeugkonstruktion vor. Die vom KI-System ausgegebenen Parameter und Konstruktionsvorschläge für das Temperiersystem werden vom Konstrukteur anschließend in die CAD-Konstruktion übernommen. Das KI-System kann durch das abgebildete Expertenwissen auch die Temperierkanalpositionen und Temperierleistung von Werkzeugen bestimmen, die sich zu den in der Trainingsphase verwendeten unterscheiden. Somit wird jedem Konstrukteur ermöglicht, schnell und einfach einen endkonturnahen Temperierkanal auszulegen. Ziel ist, die bisherige iterative manuelle Auslegung und anschließende Simulation zu ersetzen, so dass nur noch eine abschließende Simulation zur Überprüfung des Temperierverhaltens durchgeführt werden muss.

Die ersten Testläufe

Derzeit befindet sich das KNN in der Trainingsphase. Parallel dazu werden die benötigten Regeln extrahiert, um die ersten Testläufe mit der Software durchführen zu können. Ziel ist eine Werkzeugkonstruktion in die Software einzuladen, um sich die entsprechenden Temperierkanäle berechnen zu lassen. Das so konstruierte Werkzeug wird im Anschluss bei dem beteiligten Werkzeugbauer hergestellt und im praktischen Versuch das Temperaturverhalten des Werkzeugs untersucht. Dadurch wird die Validierung der Ergebnisse der Software sichergestellt.

Die Autoren danken dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie für die Förderung des Forschungsprojektes sowie den Projektpartnern Werkzeugbau Siegfried Hofmann, Simcon kunststofftechnische Software und Ingenieurbüro Reinhardt für die Unterstützung.

Neue Technologien
Künstlich-intelligente Systeme für konturnahe Temperierkanäle

Durch eine neuartige Software, die Algorithmen der künstlichen Intelligenz verwendet, sollen konturnahe Temperierkanäle im Werkzeug sehr gut und automatisiert ausgelegt werden. Derzeit werden erste Testläufe mit dieser Software absolviert. Die bisher meist manuelle, iterative und versuchsbasierte Auslegung der Temperierkanäle soll in mehrfacher Hinsicht verbessert werden: Die Konstruktion der Kanäle erfolgt zielgerichtet und schnell – bei gleichzeitig technisch sehr guter Auslegung. Der bislang hohe konstruktive Aufwand wird vermindert; so werden erhebliche Kosteneinsparungen im Werkzeugbau möglich. Der gefundene Temperierkanalverlauf ermöglicht kürzere Zykluszeiten sowie bessere oder konstantere Formteilqualitäten und stabilere Fertigungsprozesse.

 

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