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Bild 1: Spritzgieß-Stammwerkzeug zur Variation der Spritzgießparameter mit der verwendeten Einschraubtubus-Geometrie. (Bild: IKV)

Duroplastische Formmassen stellen thermisch irreversibel vernetzte Makromoleküle mit amorpher Struktur und hoher Vernetzungsdichte dar. Aufgrund dieser Struktur weisen Duroplaste eine hohe Temperatur- und Medienbeständigkeit auf. Weiterhin bieten sie über einen großen Temperaturbereich von -40 °C bis über 200 °C nahezu konstante mechanische Eigenschaften [1–2]. In Kombination mit dem oftmals intrinsisch flammgeschützten Verhalten der Werkstoffe führen diese Eigenschaften zu einem steigenden Einsatz spritzgegossener Duroplastformteile in automobilen Anwendungen [3]. Das Fehlen von freien Elektronen in den chemischen Strukturen führt darüber hinaus dazu, dass duroplastische Formmassen eine hohe elektrische Durchschlagfestigkeit aufweisen. Sie sind daher gefragte Werkstoffe für die Isolation von elektrischen Komponenten und Sensoren [4]. Diese hervorragende Eigenschaftskombination ist vor allem im Hinblick auf die zunehmende Elektrifizierung im Automobilbau attraktiv. Zusätzlich führt der Trend zur erhöhten Leistungsdichte in Baugruppen des Motorraums zu einer zunehmenden Miniaturisierung, wodurch die Anforderungen an die Einhaltung engster Toleranzen notwendig ist [5-6]. Durch die sehr geringe Materialschwindung der Duroplaste (< 0,1 %) sind Formteile mit geringen Toleranzen und Passflächen ohne Nacharbeit herstellbar [7].

Um das Potenzial der duroplastischen Formmassen für komplexere Baugruppen nutzbar zu machen, sind geeignete Fügeverfahren notwendig. Im Bereich der lösbaren Verbindungstechniken beim Fügen flächiger Kunststoffformteile ist die Schraubverbindung für viele Anwendungsfälle die wichtigste Verbindungsart. Das Verschrauben von Formteilen zu Baugruppen kann vollautomatisch und damit sehr wirtschaftlich erfolgen. Es ermöglicht darüber hinaus die reversible Verbindung von unterschiedlichen Werkstoffen. Dabei werden Vorspannkräfte erzeugt, die beispielsweise auch zur Abdichtung einer Verbindung genutzt werden können [8–9].

Beim Verschrauben wird zwischen Direktverschraubung und dem Fügen mittels metallischer Gewindeeinsätze unterschieden. Der Vorteil der Direktverschraubung liegt im Wegfall der zusätzlichen Handling- und Montageschritte, die sich durch das Einlegen beziehungsweise Einbringen des Metall-Inserts ergeben. Allerdings existieren bisher keine Richtlinien zur Konstruktion und Auslegung von Einschraubtuben für die Direktverschraubung in duroplastische Formmassen. Dadurch sind teure und aufwendige Validierungsversuche notwendig, um eine ausreichende Prozesssicherheit zu gewährleisten. Ziel gemeinsamer Untersuchungen des Instituts für Kunststoffverarbeitung an der RWTH Aachen (IKV) und der Kunststofftechnik Paderborn (KTP) ist die Entwicklung von Gestaltungsregeln für die werkstoffgerechte Auslegung von Duroplast-Direktverschraubungen, die es den Anwendern ermöglichen, die Verschraubung betriebssicher zu gestalten.

Direktverschraubung von Kunststoffen

Bei der Direktverschraubung werden gewindefurchende Schrauben eingesetzt, die mit einer speziellen Flankengeometrie ausgestattet sind und dadurch das Gegengewinde bei der Montage in das Kunststoffbauteil selbst formen. Bei Thermoplasten erfolgt die Gewindeausformung durch Materialverdrängung ohne Spanabhebung [10]. Für spröde Kunststoffe, wie etwa Duroplaste, werden gewindefurchende Schrauben mit Scheidelementen eingesetzt. Dabei wird das Gewinde zunächst mit Spanabhebung geschnitten, wodurch die radiale Spannungskomponente reduziert und eine Montage in spröde Werkstoffe ermöglicht wird. Durch die gewindefurchende Zone wird das final zu erstellende Gewinde erzeugt. Hierbei werden die Schrauben in runde Einschraubtuben eingebracht, die im Spritzgießprozess hergestellt werden. Um mit der Verschraubung reproduzierbare Verbindungen zu gewährleisten, wird der Einschraubprozess in der Regel über das Drehmoment geregelt. Die charakteristischen auftretenden Momente sind hierbei das Eindreh- und das Überdrehmoment (ME bzw. MÜ). Das Eindrehmoment setzt sich aus einem konstanten Moment zum Formen des Gewindes und dem mit steigender Einschraubtiefe linear ansteigenden Reibmoment zusammen. Beim Aufliegen des Schraubkopfes auf dem Verbundbauteil ist das Eindrehmoment erreicht. Um eine sichere Verbindung zu erzielen, wird die Schraube weiter eingedreht. Dabei wird eine Vorspannkraft aufgebaut, die benötigt wird, um Relativbewegungen der Fügepartner zu verhindern und unterschiedliche Wärmeausdehnungen abzufangen. Zur Bestimmung der Überdrehmoments wird die Schraube weiter eingedreht, bis die Verbindung versagt. Um eine hohe Prozesssicherheit zu ermöglichen, muss die Differenz zwischen Überdreh- und Eindrehmoment (ΔM) möglichst groß ausfallen.

Obwohl die Direktverschraubung von Duroplasten bereits industriell eingesetzt wird, liegen keine fundierten Erkenntnisse über eine werkstoffgerechte Auslegung der Einschraubtuben von Duroplastbauteilen vor. Neben dem Einfluss der Schrauben- und Tubusgeometrie auf die Verschraubung sowie deren mechanischen Eigenschaften ist der Einfluss der Spritzgießparameter auf die Qualität der Verschraubung Ziel der durchgeführten Untersuchungen.

Im Folgenden soll der Fokus auf die Variation der Spritzgießparameter gelegt werden. Bei der Herstellung der Einschraubtuben werden der Füllvorgang, die Füllstofforientierung sowie das Vernetzungsverhalten stark durch den Spritzgießprozess beeinflusst. Da duroplastische Formmassen einen hohen Füllstoffgehalt von bis zu 80 % vorweisen, ist das Prozessverhalten in hohem Maße abhängig von der gewählten Formmasse und dem Harzsystem. Daher ist auch die Festigkeit des Tubus von den verwendeten Prozessparametern abhängig. Für die Auslegung von Direktverschraubungen ist es deshalb essentiell, dass diese Einflüsse bekannt sind, sodass sie bei der Bauteilgestaltung berücksichtigt werden können.

Versuchsdurchführung

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Bild 2: Versuchsaufbau für die Zugprüfung und die auftretenden Versagensbilder.

Für die Herstellung der Probekörper wird als Material eine Phenolharzformmasse (Typ: PF 1110; Hersteller: Hexion, Iserlohn) mit einem Füllstoffanteil von 80 % n und Glaskugeln verwendet. Als Schraubentyp wird eine gewindefurchende Schraube mit Schneidnut (Typ: Delta PT-DS; Hersteller: Ejot, Bad Berleburg) eingesetzt. Diese Schraubengeometrie hat in Vorversuchen ein gutes Einschraubverhalten mit einer hohen Momentendifferenz bei geringen Streuungen gezeigt. Als Werkzeug wird ein natürlich ausbalanciertes Werkzeug mit neun Kavitäten verwendet. Um verschiedene Tubusgeometrien abbilden zu können, ist dieses modular aufgebaut, sodass über den Wechsel von Einsätzen und Auswerferstiften unterschiedliche Geometrien abgebildet werden können. Das eingesetzte Werkzeug sowie die für die Versuche konstanten Geometrieparameter des Einschraubtubus sind in Bild 1 dargestellt.

Für die Schraubversuche wird ein Stabschrauber (Typ: ERS12EL; Hersteller: Desoutter, Maintal) eingesetzt und eine konstante Schraubenanpresskraft von 75 N eingestellt. Die Einschraubdrehzahl beträgt 50 U/min. Der Einfluss der Spritzgießparameter auf die Verschraubungsqualität wird anhand von Einschraubuntersuchungen und Zugprüfungen hinsichtlich der Verschraubungskennwerte sowie der Auszugskraft bewertet. Für die Zugprüfung erfolgt die Einspannung des Tubus über zwei verschraubte U-Profile, wie in Bild 2, links, dargestellt. Da neben den Messwerten das auftretende Versagensbild zusätzliche Informationen zum Werkstoffverhalten des Einschraubtubus liefert, sind die möglichen auftretenden Versagensfälle in Bild 2, rechts, abgebildet.

Tabelle

Tabelle 1: Spritzgießparameter für den vollfaktoriellen 24 Versuchsplan.

Für jeden Versuchspunkt werden zur Bestimmung des Eindreh- und Überdrehmomentes sowie für die Zugprüfung drei Probekörper verschraubt. Neben den absoluten Messwerten der Verschraubung wird für eine Aussage über die Qualität der Verschraubung zusätzlich die Standardabweichung sowie die Momentendifferenz herangezogen.

Der Einfluss der Spritzgießparameter auf die Verschraubung wird anhand eines vollfaktoriellen 24-Versuchsplans untersucht. Variiert werden die Parameter Werkzeug- und Düsentemperatur, Einspritzvolumenstrom und Nachdruckzeit, da diese Parameter einen großen Einfluss auf die Vernetzung sowie Füllstofforientierung vorweisen. Die variierten sowie die weiteren konstant gehaltenen Spritzgießparameter sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Die Höhen der Parameterstufen werden basierend auf den Datenblättern sowie durch im Vorfeld durchgeführte Versuchsreihen gewählt.

Einfluss der Spritzgießparameter auf Verschraubbarkeit und Prozesssicherheit

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Bild 3: Effektdiagramm zum Einfluss der Spritzgießparameter auf die Verschraubung.

Um die Einflüsse und Wechselwirkungen der Prozessparameter auf die Verschraubungsqualität zu analysieren, werden das Eindrehmoment (Bild 3, links) sowie die Momentendifferenz (Bild 3, rechts) statistisch ausgewertet. Dabei basieren die statistischen Analysen auf einem Signifikanzniveau von 5 %.

Mit einer geringeren Werkzeugtemperatur kann das Eindrehmoment signifikant reduziert werden. Begründet werden kann dies mit dem Vernetzungsverhalten der duroplastischen Formmasse. Eine erhöhte Werkzeugtemperatur führt dazu, dass die benötigte Initialtemperatur der Vernetzungsreaktion früher erreicht wird. Dadurch liegt am Ende der Zykluszeit ein höherer Vernetzungsgrad vor, der mit einem spröderen Werkstoffverhalten einhergeht. Somit wird zum Schneiden des Gewindes ein höheres Moment benötigt. Die Momentendifferenz zeigt keinen signifikanten Einfluss der Werkzeugtemperatur. Folglich kann mit einer Reduktion der Temperatur des Spritzgießwerkzeugs eine bessere Verschraubungsqualität erreicht werden. Die restlichen variierten Parameter zeigen keinen signifikanten Einfluss auf die Drehmomente.

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Bild 4: Ergebnisse des Effektdiagramms zum Einfluss der Spritzgießparameter auf die Auszugskraft.

Ein weiteres Qualitätsmerkmal neben den Verschraubungswerten ist die erreichbare Auszugskraft der verschraubten Einschraubtuben. Die Auswertung der statistischen Analyse zum Einfluss der Spritzgießparameter auf die Auszugskraft wird in Bild 4, links, dargestellt. Lediglich die Nachdruckzeit beeinflusst die Auszugskraft signifikant. Dabei zeigt sich eine erhöhte Auszugskraft bei Verlängerung der Nachdruckzeit. Dieser Aspekt spricht für eine Verbesserung der Verschraubungssicherheit. Weiterhin ist auffällig, dass mit einer Erhöhung der Nachdruckzeit vermehrt ein Schraubenauszug als Versagensfall auftritt (Bild 4, rechts). Eine kürzere Nachdruckzeit führt in etwa 30 % der Fälle zu einem Aufplatzen des Tubus und damit zum Ausfall des Bauteils. Bei einem Schraubenauszug besteht die Möglichkeit der Reparatur durch die Verschraubung mit einer größeren Schraube.

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Bild 5: Exemplarische Probekörper vor der Verschraubung.

Ursächlich für die geringere Auszugskraft bei kurzer Nachdruckzeit ist die reduzierte Verdichtung des Materials. Durch den Nachdruck wird beim Duroplastspritzgießen das Material verdichtet. Wie in Bild 5 exemplarisch dargestellt, führt eine kürzere Nachdruckwirkung zu einer geringeren Kompaktierung des Materials am Kopf des Einschraubtubus. Durch die radiale Spannung beim Einbringen der Schraube führt das weniger verdichtete Material dazu, dass die Dome vermehrt Aufplatzen und insgesamt geringere Auszugskräfte ertragen.

Fazit und Ausblick

Bei der Auslegung von Direktverschraubungen in duroplastische Formmassen zeigt sich, dass sich neben der geometrischen Optimierung des Einschraubtubus die Qualität der Verschraubung ebenfalls durch eine werkstoffgerechte Anpassung der Herstellungsparameter signifikant verbessern lässt. Dabei spielt neben einer ausreichenden Verdichtung des Materials durch den Nachdruck die eingestellte Werkzeugtemperatur und der dadurch erzielbare Vernetzungsgrad im Bauteil eine entscheidende Rolle. Der Fokus weiterer Untersuchungen liegt auf dem Verlauf der Vorspannkraft. Dabei wird der Einfluss des weniger ausgeprägten Kriechverhaltens von Duroplasten analysiert. Zusätzlich wird überprüft, ob sich ähnliche Einflüsse der Spritzgießparameter auf die Verschraubung auf andere duroplastische Formmassen übertragen lassen.

Dank: Das IGF-Forschungsvorhaben 20222 N der Forschungsvereinigung Kunststoffverarbeitung wird über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Allen Institutionen gilt unser Dank.

Literatur

[1]         Hoster, B./ Thienel, P.: Leichtbau trotzt den Widrigkeiten – Hochleistungsduroplaste im Motorraum. Lightweight Design 1 (2008) 2, S. 17–21.

[2]          Kraus, J./Kural, C.: Mediendichtes Umspritzen elektronischer Bauelemente. MM MaschinenMarkt (2013).

[3]          Witten, E./Kraus, T./Kühnel, M.: Composites-Marktbericht 2015. Firmenschrift: Industrievereinigung verstärkte Kunststoffe (AVK), 2015.

[4]          Bartz, W./Wippler, E./Gardziella, A.: Duroplastische Harze, Formmassen und Werkstoffe. Renningen: Expert Verlag, 2000.

[5]          Hopmann, Ch./Michaeli, W.: Einführung in die Kunststoffverarbeitung. München, Wien .

[6]          Späth, M.: Duromere schließen werkstoffspezifische Lücke. Plastverarbeiter 70 (2019) 05, S. 62–64.

[7]          Baur, E./Brinkmann, S./Osswald, T. et al. Kunststoff Taschenbuch. München 2013.

[8]          Erhard, G: Konstruieren mit Kunststoffen. München 2004.

[9]          Potente, H.: Fügen von Kunststoffen. München, 2004.

[10]        Spur, G./Feldmann, K./Schöppner, V.: Handbuch Fügen, Handhaben, Montieren. München 2007.

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen und Leiter der Arbeitsgruppe Sonderwerkstoffe/Fluidinjektionstechnik.

ist Inhaber des Lehrstuhls für Kunststoffverarbeitung an der RWTH Aachen und Leiter des Instituts für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Aachen.

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunststofftechnologie der Fakultät für Maschinenbau an der Universität Paderborn und bearbeitet dort den Themenbereich mechanisches Fügen.

ist Leiter des Lehrstuhls für Kunststofftechnologie der Fakultät für Maschinenbau an der Universität Paderborn.

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Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen (Hauptsitz)

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