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Programmierung gemäß G-Code: Die Roboter operieren mit der einheitlichen und weltweit etablierten CNC Steuerung. Weitere Systeme und Sprachen sind nicht erforderlich. (Bild: Maucher)

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Dirk Brissé (links), Maucher CNC-Robotik, und Peter Strittmatter, Maucher Formenbau, haben Roboter „fit“ für die CNC-Fertigung gemacht. (Bild: Redaktion)

Wer ein Luxusauto beispielsweise der Marke Bentley, Rolls Royce, Bugatti, Mercedes AMG, McLaren oder Audi sein Eigen nennen darf, verdankt den damit verbundenen Fahrkomfort mit großer Wahrscheinlichkeit auch einem Unternehmen vom Bodensee: Die Maucher Unternehmensgruppe ist auf die Kleinserienfertigung von Bauteilen für Automobile im oberen Luxussegment und Sonderfahrzeuge sowie auf den Prototypenbau spezialisiert. Im Jahr 1986 als Gießerei-Modellbau gegründet stieg Maucher 1991 in die Kunststofftechnik ein und zählt heute mit rund 230 Mitarbeitern zu den führenden Systempartnern in seinem Marktsegment. Von der Kofferraumauskleidung über Dachhimmel, Schallisolationen, Radhausschalen, Unterbodenverkleidungen bis hin zum Polyurethan-Kühlergrill entwickelt, konstruiert und fertigt das Unternehmen eine Vielzahl von Komponenten für spezielle Automobile, LKW und Busse. Eine Spezialität von Maucher sind Interieur-Teile für gepanzerte Fahrzeuge – aufgrund der durch die Panzerung veränderten Innenraumabmessungen handelt es dabei durchweg um Sonderanfertigungen.

Maucher besitzt mehrere Materialpatente, etwa im Bereich LWRT-Platten für den automobilen Leichtbau. Um das breite Portfolio an Spezialbauteilen abzudecken, setzt das Unternehmen verschiedene Verfahrenstechniken, wie etwa Spritzgießen (auch Mucell-Anwendungen), Vakuumtiefziehen, PU-Schäumen und textiles Umformen, ein. Im eigenen Werkzeugbau fertigt Maucher Werkzeuge und Formen auf modernen CNC-Bearbeitungsmaschinen. Die drei Standorte des Unternehmens, Friedrichshafen, Meckenbeuren und Oberteuringen, liegen in einem Umkreis von 10 Kilometern an der Nordseite des Bodensees. Die große Nähe der Werke zueinander ermöglicht eine problemlose Arbeitsteilung sowie eine außerordentlich hohe Fertigungstiefe.

CNC-Roboter für unterschiedliche Bearbeitungsprozesse

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Programmierung gemäß G-Code: Die Roboter operieren mit der einheitlichen und weltweit etablierten CNC Steuerung. Weitere Systeme und Sprachen sind nicht erforderlich. (Bild: Maucher)

Die so erworbene Fertigungskompetenz nutzten die Maucher-Experten immer wieder, um die eigenen Produktionsprozesse innovativ weiterzuentwickeln.  Schon vor rund 15 Jahren kam die Idee auf, Mehrachs-Roboter gezielt für Bearbeitungsaufgaben einzusetzen. Konkret ging es damals um die Automatisierung eines anspruchsvollen Schneideprozess.  „Die auf dem Markt erhältlichen Roboter waren viel zu schwerfällig für diese Aufgabe“, erinnert sich Peter Strittmatter, Geschäftsführer von Maucher Formenbau. Das Hauptproblem lag in der Roboter-Steuerung. „Für die Programmierung und das Teach-In hätte man viele Tage veranschlagen müssen“ sagt Dirk Brissé, Geschäftsführer von Maucher CNC-Robotic. Schon damals reifte der Gedanke, aktiv an der Entwicklung einer bedarfsgerechten Robotik mitzuwirken. Ein großer Roboter-Hersteller zeigte sich diesbezüglich aber wenig kooperationsbereit.  Deshalb und weil das wachsende Tagesgeschäft die Kapazitäten des Unternehmens stark beanspruchte, stellten die Verantwortlichen von Maucher das Projekt zunächst zurück. Bis vor rund drei Jahren Patrick Bartsch – ein mit Brissé befreundeter Automatisierungsspezialist, der seine eigene Firma verkauft hatte – den Ball wieder ins Rollen brachte. Das von Brissé und Bartsch formulierte Ziel klang einfach, war aber revolutionär: Robotergestützte Fertigungszellen, die komplett über eine einzige CNC-Steuerung ablaufen. Oder mit anderen Worten: Der Roboter sollte selbst zur CNC-Maschine werden.

„Industrieroboter wurden entwickelt, um Teile von A nach B zu bringen“, erläutert Brissé, „für die Übernahme von Bearbeitungsprozessen sind diese, lediglich punktgesteuerten Handling Systeme aber nach wie vor zu ungenau.“ Hierfür erforderlich seien bahngesteuerte Roboter, die man auf dem Markt jedoch vergeblich suche. Weil sich die Maucher-Experten auch nicht mit den von Roboter-Herstellern angebotenen „Zwitterlösungen“ – Synchronisierung der Robotersteuerung mit der CNC-Maschinensteuerung – zufriedengeben konnten, nahmen sie das Heft selbst in Hand. „Wir wollten die Welt der Robotik mit der CNC-Welt verheiraten“, erläutert Brissé. Und das ist ihnen gelungen. In dem italienischen Roboter-Hersteller Comau fanden sie einen Partner, der ihnen 6-Achser quasi „nackt“, also ohne eigene Steuerung, zur Verfügung stellt. In Zusammenarbeit mit Siemens entwickelten und realisierten sie dann am Maucher-Standort in Friedrichshafen CNC-gesteuerte Robotik-Zellen für unterschiedliche Bearbeitungsprozesse.

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Die Wasserstrahlschneide-Anlage war die erste bei Maucher umgestzte CNC-Fertigungszelle. (Bild: Maucher)

Den Anfang machte eine Zelle für das Wasserstrahlschneiden von Fahrzeugdachhimmeln, die nach wie vor bei Maucher in Meckenbeuren in Betrieb ist. Wer hier zuschaut, staunt, wozu ein 6-Achser mit handelsüblicher Kinematik fähig ist: Nachdem der Bediener den Fahrzeughimmel-Rohling auf den Bearbeitungstisch gelegt hat, geht alles automatisch. Der Roboter beugt sich von oben seitlich in die Zelle und führt die Wasserstrahldüse unterbrechungslos und schnell in präzisen Bahnen über das Bauteil, perfekt synchronisiert mit der Bewegung des Werkzeugtisches.

Der Clou dabei: Um den Mechanismus zu solchen Leistungen zu befähigen, braucht es keine spezifischen Roboter-Programmier-Kenntnisse, und jeder Mitarbeiter mit CNC-Erfahrung kann die Fertigungszellen bedienen. „Wir müssen die Mitarbeiter lediglich in der Kinematik schulen“, erläutert Brissé, „das dauert in der Regel einen Tag.“ Ein aufwendiges Teachen des Roboters ist nicht erforderlich. Die Programmierung der Arbeitszelle erfolgt auf Basis des in der Fertigungsindustrie etablierten G-Code. Die entscheidenden Schritte finden dezentral „im Büro“ statt. Hier werden zunächst die CAD-Daten des Bearbeitungsteils eingelesen. Im zweiten Schritt erfolgt die CAM-Programmierung, die sich kaum von derjenigen einer Werkzeugmaschine unterscheidet. Schritt 3 umfasst die Simulation auf Basis der realen Kinematik und die Erstellung eines digitalen Zwillings des Fertigungsprozesses. An der Anlagensteuerung schließlich übersetzt ein Postprozessor das CAM-Programm in das Maschinenformat. Alles in allem ein Prozedere, wie es bereits millionenfach in der CNC-Industrie praktiziert wird.

CNC-Robotik reif für den Markt

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Hochpräzise und reproduzierbar: CNC-Robotor im Klebe-Klett-Einsatz. (Bild: Maucher)

„Wir haben in unserer eigenen Fertigung bewiesen, dass unsere Anlagen funktionsfähig und sehr flexibel einsetzbar sind“, sagt Peter Strittmatter. Mit dem Ziel, die Systeme für einen breit gefächerten Kundenkreis auf den Markt zu bringen, gründete das Unternehmen im Juni 2020 als zusätzliches Standbein die Maucher CNC-Robotic mit Sitz in Meckenbeuren. Das Angebot der neuen Firma umfasst komplette Standardmodule mit Roboter, Arbeitszelle und CNC-Steuerung. Die Module lassen sich für verschiedene Bearbeitungsprozesse, wie etwa Wasserstrahlschneiden, Klebe-Klett-Montage, Entgraten, Schweißen oder Montieren, adaptieren. Um den industriellen Anwendern eine höchstmögliche Flexibilität und Flächeneffizienz zu bieten, setzten die Entwickler auf eine sehr kompakte Bauweise. Dadurch, dass der Roboter nicht in der Zelle, sondern auf einem seitlichen Podest postiert ist, wurde ein maximaler Bearbeitungsraum auf minimalster Fläche realisiert.

8-Achs-Bearbeitungsmaschine passt auf einen LKW

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Die CNC-Fertigungsmodule lassen sich für unterschiedliche Bearbeitungsprozesse adaptieren. (Bild: Maucher)

Der gut zugängliche Bearbeitungsraum erlaubt die Integration von Dreh-, Drehkipp- oder Wendetischen, sodass die mit 6-Achs-Robotern ausgestatteten Module auf bis zu acht Achsen interpolierend erweitert werden können. Und dennoch gilt: „Auch die größte unserer Zellen passt komplett auf einen LKW“, betont Brissė. Sämtliche Fertigungszellen sind ab Werk CE-zertifiziert. Für die Sicherheit sorgen unter anderem einprogrammierte virtuelle Schutzräume, innerhalb derer der Roboter agieren darf.

„Die leichte Programmierbarkeit auf Basis von Standard-CAD/CAM-Programmen machen den Roboter-Einsatz nun auch bei kleinsten Losgrößen wirtschaftlich“, hebt Strittmatter hervor. Die auf Kleinserien spezialisierte Fabrik von Maucher in Meckenbeuren liefert dafür das ideale Testumfeld. Die Ideen für neue Applikationen entstehen direkt in der Produktion. Neben dem CNC-Wasserstrahlschneiden setzt Maucher die neue Technologie unter anderem bereits für Klebe/Klett-Prozesse zur Dekoration von großen Pressteilen ein. Dabei trägt der Roboter Heißkleber auf die Bauteilfläche auf und appliziert anschließend Klett-Zuschnitte darauf – in genau definierten Abständen und immer mit exakt gleichem Druck. „Ein so präziser, reproduzierbarer Klebeprozess ist weltweit einzigartig“, betont Strittmatter. Im eigenen Betrieb realisiert hat das Unternehmen weitere CNC-Robotik-Zellen, beispielsweise für das Ultraschall- und das Laserschweißen. Bei der Ausrüstung der jeweiligen Applikationen setzt Maucher auf die Zusammenarbeit mit etablierten Spezialisten, wie etwa Rinco und Sonotronic im Bereich US-Schweißen, Merkle im Bereich MIC-MAC-Schweißen, KMT im Bereich PUR-Wasserstrahlschneiden und 3M im Bereich Kleben-Kletten.

Interessant auch für den Mittelstand

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Ultraschallschweißen mittels CNC-Robotik.(Bild: Maucher)

„Jede unserer standardisierten Fertigungszellen ist in der Lage, mehrere verschiedene Prozesse durchzuführen“, hebt Strittmatter hervor – eine Option, die auch mittelständigen Industriebetrieben einen Investitionsentscheid zugunsten CNC-Robotik erleichtern soll. In der Praxis könnte das zum Beispiel so aussehen, dass ein Roboter zunächst Schweißarbeiten ausführt, dann den Schweißkopf durch einen Tucker ersetzt und an der Belederung eines Bauteils arbeitet. Zudem lassen sich die Fertigungsmodule nach dem Baukastenprinzip in Insel- oder Linienformationen zusammenstellen. Installiert auf einer Portalachse kann ein Roboter so abwechselnd in benachbarten Zellen agieren, oder mehrere in Linie geschaltete Roboter führen unterschiedliche Bearbeitungsprozesse aus und übernehmen zudem das Teile-Handling.  Strittmatter zufolge kann der CNC-Robotik-Einsatz sogar für reine Handling-Aufgaben in der Kleinserienfertigung sinnvoll sein. Umgesetzt wird dies bei Maucher in Meckenbeuren derzeit bei der Umformung von textilen Teilen in Wickert-Pressen. Das Potenzial der neuen Technologie sei riesig, sagen die Entwickler. Angedacht sind zum Beispiel Anwendungen auch in der additiven Fertigung.

Eigenentwicklung eines getriebelosen CNC-Roboters

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MIC-MAC-Schweißen mittels CNC-Robotik.(Bild: Maucher)

Noch nicht für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt aber als Prototyp bereits existent ist das neueste Zukunftsprojekt des Unternehmens am Bodensee. In Eigenregie entwickelt und baut Maucher eine ganz neue Robotergeneration mit CNC-Steuerung: Bei dem neuen „M-Robot“ handelt es sich um den ersten komplett getriebelosen Industrieroboter der Welt. „Die Kinematik bildet bei Robotern in der Regel die größte Fehlerquelle“, erläutert Dirk Brissé, „denn die in den Achsenantrieben verbauten Getriebe haben immer ein gewisses Spiel“. In dem neuen 6-Achs-CNC-Roboter werden deshalb alle Achsen von getriebelosen Direktantrieben bewegt. Um Temperaturdifferenzen während des Betriebs vorzubeugen, die ein weiteres Störpotenzial für bahntreue Bewegungen bilden, werden im M-Robot alle Motoren aktiv wassergekühlt. Weil der gesamte – komplett symmetrische – Roboter „hohl“ ist, kann das Kühlmittel ungehindert zu- und abgeführt werden. Mit einem Bewegungsradius von 3,10 m hat Maucher den Prototypen absichtlich sehr groß dimensioniert. „Wir wollten die technische Machbarkeit unter möglichst schwierigen Randbedingungen testen“, erklärt Brissé. Die bisherigen Ergebnisse sind mehr als ermutigend. Die in den Testläufen per Lasertracking ermittelten Bahngenauigkeiten lagen bei deutlich unter +/- 0,05 mm.

Damit arbeite der neue CNC-6-Achser bereits heute fünf Mal genauer als alle auf dem Markt befindlichen Industrieroboter, sagt der Entwickler. Mit der Entwicklung eines Kalibriersystems und weiteren Feinabstimmungen soll die Präzision noch weiter gesteigert werden.

Diese Genauigkeit ist umso bemerkenswerter, als es sich um einen Roboter mit offener Kinematik handelt, der ohne Verbindung zu einem Maschinenbett frei im Raum agiert. Neben der CNC-Steuerung und den Direktantrieben sichert ein Absolut-Weg-Messsystem an jedem Achsenantrieb die Bahntreue während des gesamten Arbeitsprozesses. Die Nachteile einer offenen Kinematik – der Roboter muss alle mechanischen Impulse selbst absorbieren – werden auf diese Weise minimiert und sollen laut Strittmatter bis zur Markteinführung des neuen Systems „auf Null“ reduziert werden. In drei bis vier Jahren, so die Kalkulation, könnten M-Robots in verschiedenen Größen und Kundenadaptionen die Robotik-Anwendungen in der Industrie revolutionieren. Der anvisierte Branchenfokus geht dabei weit über das angestammte Automotive-Segment von Maucher hinaus. Strittmatter und Brissé halten unter anderem auch Anwendungen in der Medizintechnik oder der Aerospace-Industrie für möglich.

Fazit: Nicht auszuschließen, dass in einigen Jahren Übereinkunft herrscht: Der aktuelle Standard der Industrierobotik wurde in Meckenbeuren am Bodensee geschaffen.

 

ist Chefredakteur Plastverarbeiter. ralf.mayer@huethig.de

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