JKU_LIT_280519_29

Beispiel einer Fertigungszelle in der LIT Factory (Bild: JKU-LIT)

Die LIT Factory des Linz Institute of Technology (LIT) hat im Sommer 2019 auf dem Campus der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz ihren Betrieb aufgenommen. Sie verfolgt das Ziel, die digitale Transformation der gesamten Kunststoff-Wertschöpfungskette von der Material- und Produktentwicklung über den Werkzeugbau, die Verarbeitung bis hin zur Wiederverwertung der Kunststoffe voranzubringen. An der Gründung und dem Aufbau der durch öffentliche und private Mittel finanzierten LIT Factory wirkten 25 österreichische und deutsche Branchenunternehmen mit.

Die Summe aus vier Faktoren dürfte diese neue Institution – zu mindestens im deutschsprachigen Raum – ein Alleinstellungsmerkmal verleihen.

  • Faktor Lage: Im Bundesland Oberösterreich herrscht eine einzigartige Dichte an Kunststofftechnikunternehmen, die über den österreichischen Kunststoff-Cluster bereits bestens vernetzt sind. Um nur drei Beispiele zu nennen: Der Maschinenbauer Engel, Schwertberg, der Werkzeug- und Formenbauer Haidlmair, Nußbach, sowie der Recyclingspezialist Erema, Ansfelden, haben ihren Hauptsitz in der Region und sind alle Gründungspartner der LIT Factory. Zu diesem Partnerkreis zählen neben weiteren Spezialisten der Kunststofftechnik auch Unternehmen der IT-, Messtechnik- und Automatisierungsbranche, wie etwa Siemens, Motan oder Sigmatek.
  • Faktor Größe: Auf einer Gesamtnutzungsfläche von 1.480 m2 umfasst die neue Forschungs-, Lehr- und Pilotfabrik die drei Hallenschiffe Smart Injection, Smart Extrusion und Smart Recycling.
  • Faktor Interdisziplinarität: Als gesamtuniversitäres Institut vernetzt das LIT Wissenschaftler unterschiedlicher Fakultäten und Fachbereiche auf dem Gebiet der Technologie. Durch kompetitive Mittelvergabe soll die interdisziplinäre Technikforschung auf hohem Niveau stimuliert werden. Dabei konzentrieren sich Lehre und Forschung am LIT auf Zukunftsthemen wie etwa Künstliche Intelligenz, Cyber-Physical-Systems, Kreislaufwirtschaft oder digitale Transformation. Hierzu bietet die Factory nun ein praxisnahes Experimentierfeld mit hochmodernem Equipment.
  • Faktor Offenheit: In der LIT Factory arbeiten Wissenschaftler und Experten aus der Industrie gleichberechtigt an gemeinsamen Projekten. Eingebettet ist sie in das neue Open Innovation Center, in dem neben den Büroarbeitsplätzen für die rund 20 Factory-Mitarbeiter mehrere Forschungslabore und weitere Einrichtungen zur Verfügung stehen.

„Wir sehen die LIT Factory als offene Plattform, in der wir gemeinsam die Potenziale der digitalen Transformation erforschen“, erklärt Prof. Dr. Georg Steinbichler, Sprecher der neuen Einrichtung. Ziel sei es, Methoden zu entwickeln, die den unterschiedlichsten Branchenunternehmen einen erkennbaren Nutzen bringen. Diesen Nutzen zu vermitteln, ist nicht zuletzt Steinbichlers ganz persönliches Anliegen.  „Es muss uns gelingen, dass die neuen digitalen Lösungen auch Eingang in kleine und mittlere Betriebe der Kunststoffverabeitung finden“, betont er, „wenn wir das nicht schaffen, machen wir unseren Job nicht richtig.“ Der Fokus liegt daher auf der Entwicklung anwendergerechter Systeme. Konsequenterweise steht die LIT Factory auch Kunststoffverarbeitern offen, die sich hier anhand von Demonstrationen informieren und mit Experten austauschen können. Darüber hinaus dient die Factory der universitären Ausbildung sowie der Schulung der Mitarbeiter der Partnerfirmen.

Alle hier durchgeführten Projekte sind perspektivisch in die Zukunft gerichtet. Die große Zukunftsaufgabe besteht gemäß Prof. Steinbichler darin, „die physische, reale Welt mit der digitalen, virtuellen Welt zu vernetzen“. Die Chancen, dies zu erreichen, seien heute sichtbar und müssten genutzt werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür sieht der LIT-Factory-Sprecher in der weiteren Etablierung offener standardisierter Schnittstellen wie zum Beispiel OPC UA. Bis alle Maschinen, Komponenten und Peripheriegeräte in der industriellen Praxis über OPC UA kommunizieren können, sei aber noch einige Arbeit zu leisten. Der Spritzgießbereich gilt hier zu Recht als Vorreiter. „Aber auch in anderen Bereichen passiert diesbezüglich viel“, merkt Steinbichler an (erst kürzlich haben der Branchenverband Euromap und die OPC Foundation eine Reihe neuer Schnittstellen für die Extrusion veröffentlicht).

Datenmangament und Datenanalyse

Georg Steinbichler ENGEL

Prof. Dr. Georg Steinbichler, Sprecher der LIT Factory: "Die große Zukunftsaufgabe besteht darin, die physische, reale Welt mit der digitalen, virtuellen Welt zu vernetzen.“ (Bildquelle: Engel)

Ganz unabhängig von der Schnittstellenproblematik bleiben Datenmanagement und Datenanalyse eine Herausforderung auf dem Weg zur digitalen Transformation. Angesichts der enormen Datenmengen, die beispielsweise bereits eine einzelne Spritzgießmaschine generiert, erscheint es sinnvoll, nicht den gesamten Informationsfluss in zentrale Rechenzentren oder die Cloud weiterzuleiten, sondern ihn zu komprimieren und relevante Prozessdaten sofort „an Ort und Stelle“ zu analysieren. Darauf ausgerichtet sind Edge-Computing-Systeme, bei denen dezentrale Plattformen an der Peripherie des Netzwerks, das heißt, in der Nähe der Fertigungseinheiten, agieren. Neue Netzwerkstrategien wie das Edge Computing werden in der LIT Factory in Hinblick auf ihren Einsatz in der Kunststoffindustrie untersucht. Die Daten werden von den Partnern unter anderem via Cloud geteilt – innerhalb eines zuvor vereinbarten Rahmens. „Unser Ziel ist es, möglichst offen zu bleiben“, betont Steinbichler. Dabei sei es aber unabdingbar, genau zu definieren, wer welche Daten erhält.

Wer die Vernetzung von realer und virtueller Welt vorantreiben will, muss nicht unbedingt „alle Räder neu erfinden“. Bereits seit langem werden in der Kunststoffindustrie leistungsfähige Simulationsprogramme für die Produktentwicklung und die Prozessoptimierung eingesetzt. Klassische Simulationen können aber niemals exakt die Realität widerspiegeln, da nicht alle Details, etwa schwankende Materialeigenschaften oder das Betriebsverhalten von Maschinen, erfasst werden. In letzter Zeit werden daher hybride Ansätze verfolgt, bei denen sich Simulation und realer Prozess wechselseitig optimieren und ergänzen sollen. Dies geschieht durch Einsatz prozessbasierter physikalischer Modelle in Simulationsprogrammen, kombiniert mit dem anschließenden systematischen Abgleich von Simulationsergebnissen mit realen Messdaten. „Solche Hybridmodelle sind aus unserer Sicht ein Erfolgsrezept, auf dem wir aufbauen“, sagt Steinbichler.

Einsatz von KI wird untersucht

In der LIT Factory wird zudem untersucht, wie sich die Künstliche Intelligenz (KI) für die Verbesserung von Spritzgieß- und Extrusionsprozessen einsetzen lässt. Dabei werden Simulations- und Versuchsdaten in mathematische Funktionen (Algorithmen) transferiert, die die wesentlichen Prozessparameter und deren Einfluss auf die Produkteigenschaften beschreiben. Idealerweise lassen sich so Maschineneinrichtungszeiten verkürzen und Prozesse optimieren. „Bei der Anwendung von Methoden der Künstlichen Intelligenz in der Kunststoffverarbeitung stehen wir noch am Beginn der Entwicklung“, räumt der LIT-Factory-Sprecher ein, Ansätze seien aber bereits vorhanden. So sei es beispielsweise bereits gelungen, mittels KI-Tools die Oberflächenqualität von geschäumten Spritzgießbauteilen zu optimieren. Um weitere Potenziale der KI zu heben, bietet das LIT eine maßgeschneiderte wissenschaftliche Umgebung. Im Rahmen gemeinsamer Projekte können die Kunststofftechnik-Ingenieure „vor Ort“ mit Mathematikern, Informationswissenschaftlern oder Cyber-Physical-Systems-Spezialisten kommunizieren. Solche Kooperationen seien zwar herausfordernd, aber sehr wichtig, betont Steinbichler, gestatteten sie es den Kunststofftechnikern doch, sich auf ihr eigentliches Metier – das Verständnis von Materialeigenschaften und Prozessen – zu konzentrieren. Die Johannes Kepler Universität bietet neu auch einen Bachelor- und Master- Studiengang für Artificial Intelligence an.

Smart Lab für Materialanalysen

Polymere Stoffkreisläufe nachhaltiger zu gestalten, ist ein weiteres Ziel der LIT Factory. Aus den Versuchen an der großen Anlage im Hallenschiff Smart Recycling wurden bereits wesentliche Schlüsse gezogen. Es stellte sich heraus, dass auch mit perfekt vorbehandelten Kunststoffabfällen aus oberösterreichischen Sammelzentren keine Regranulatqualität zu erzielen war, die im Spritzgießprozess wirklich überzeugte. „Wir müssen es zukünftig schaffen, aus den Recycling- und Compoundierprozessen Werkstoffe mit definierten Eigenschaften und reproduzierbaren Qualitätsniveau zu erhalten“, betont Steinbichler. Hierzu wird derzeit ein „Smart Lab“ für Materialanalysen eingerichtet, das zukünftig auch den Projektpartnern sowie Unternehmen der Recycling- und Kunststoffbranche als Dienstleistungslabor zur Verfügung stehen wird.

Schon nach der kurzen Zeit ihres Bestehens kann die LIT Factory auf einige erfolgreiche Projekte verweisen. Realisiert wurde zum Beispiel eine flexible Tischkonstruktion für den Innenraum von autonom fahrenden Automobilen. Ober- und Unterseite des wegklappbaren Tisches bestehen aus endlosfaserverstärkten thermoplastischen Composites von Covestro sowie einem Sandwichkern aus einem PUR-Integralschaum des gleichen Herstellers. Für die Produktion der Tischkonstruktion wurden in der LIT Factory zwei Fertigungszellen verwendet – eine zur Umformung von Composite-Zuschnitten für die Tischoberseite mit dem Organomelt-Verfahren von Engel und eine weitere zum Aufbau der Sandwichstruktur. Für die Umformung des Composite-Zuschnitts im Spritzgießwerkzeug entwickelte Dr. Schneider Kunststofftechnik ein Werkzeug mit variothermer Temperaturführung. In einem nächsten Schritt wollen die Projektpartner die Tischfertigung auf eine rein thermoplastische Basis stellen, nicht zuletzt, um die Rezyklierbarkeit des Bauteils zu verbessern. Dazu sollen die umgeformten Einleger in einem wirtschaftlichen One-Shot-Prozess direkt in der Spritzgießmaschine über- und hinterspritzt werden.

Die Zukunft der neuen Forschungs-, Lern- und Pilotfabrik in Linz scheint gesichert. Garant dafür sind unter anderem die attraktiven Modelle des österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), das konsequent auf den Schulterschluss zwischen Wissenschaft und Industrie setzt. Erfolge stellen sich kontinuierlich ein. So ist die LIT Factory mit ihren wissenschaftlichen und industriellen Partnern auch mit großen Anteilen in das neu gegründete Kompetenzzentrum Chase (Chemical Systems Engineering), das sich in enger Kooperation zwischen der Johannes Kepler Universität Linz und der Technischen Universität entwickelt, eingebunden. Die digitale Transformation neuer Verarbeitungsprozesse, wie zum Beispiel die Fertigung wiederverwertbarer thermoplastischer Leichtbauteile, die Prozessintensivierung, nachhaltige Rohstoffe und Kreislaufwirtschaft zählen hier zu den Schwerpunkten.

Viele der 25 Partnerfirmen der LIT Factory, die über einen Call der FFG gewonnen wurden, haben sich verpflichtet, über die dreijährige Aufbauphase hinaus während einer siebenjährigen Projektphase „an Bord“ zu bleiben. Kapazitäten für neue Projekte sind ebenso vorhanden wie die grundsätzliche Bereitschaft des Konsortiums, weitere Partner aufzunehmen.

 

Kontakt

Linz Institute of Technology/LIT Factory, Johannes Kepler Universität Linz, Linz, Österreich,

factory@jku.at

ist Chefredakteur Plastverarbeiter. ralf.mayer@huethig.de

Sie möchten gerne weiterlesen?