PV0218_MES_Fraunhofer IPA

MES verarbeiten sie Informationen prozessnah und schnell, um diese dem Benutzer zur Verfügung zu stellen. Außerdem verknüpfen sie Daten aus der übergeordneten Planungsebene mit der Automatisierungsebene und schaffen so insgesamt Transparenz in der Produktion. (Bild: Fraunhofer IPA)

Um die Jahrtausendwende entstanden Manufacturing Execution Systeme (MES), um die Werkstattsteuerung zu unterstützen. Davon haben sie sich bis heute zwei Kernaufgaben erhalten: Zum einen die Forderung nach einer realistischeren Einplanung der Fertigungsaufträge. Ursprünglich erfolgte diese manuell über sogenannte Plantafeln. Elektronische Leitstände automatisierten diese Funktion schrittweise und entwickelten sich mittels Planungsalgorithmen zur heutigen APS-Software. Zum anderen sollen MES die Unternehmen bei produktionsnahen Aufgaben administrativ unterstützen. Denn Branchen wie die Prozessindustrie automatisierten bereits sehr frühzeitig Rückmeldesysteme oder Auswertefunktionen, um ihr operatives Produktionsmanagement umfassend zu überwachen. Heute ist der Begriff MES in der Industrie als eigenständiger Bereich des Produktionsmanagements etabliert und dessen relevanten Aufgaben bekannt (vgl. [VDI1]).

Nachdem MES zwischenzeitlich in den Hintergrund traten, lenkten die unter dem Stichwort Industrie 4.0 diskutierten Konzepte die Aufmerksamkeit wieder stärker darauf. Denn die Digitalisierung der Produktion bildet den Kerngedanken von MES. Schließlich verarbeiten sie Informationen prozessnah und schnell, um diese dem Benutzer zur Verfügung zu stellen. Außerdem verknüpfen sie Daten aus der übergeordneten Planungsebene mit der Automatisierungsebene und schaffen so insgesamt Transparenz in der Produktion. Mit dem Vordringen der Digitalisierung in die Unternehmen unter dem Leitbegriff Industrie 4.0 streben die Anwender eine echtzeitnahe Verbindung von MES mit den Produktionsprozessen und -einrichtungen an, um ihre Lieferzeit, Termintreue und Produktivität zu erhöhen.


Marktübersicht Manufacturing Execution Systeme (MES)

Diese Marktübersicht enthält die wichtigsten MES, um die Fertigung in der Kunststoff-verarbeitende Industrie zu steuern, zu überwachen und zu regeln. Im Idealfall lassen sich damit die Fertigung effizienter gestalten und das Einhalten von Terminen vereinfachen. Die in der Marktübersicht enthaltenen MES-Anbieter lassen sich beispielsweise nach Einsatzbereich, Zielsetzung oder Funktionsumfang sortieren.

MES: Alleskönner und Spezialisten stehen zur Wahl

Die Produktionsanwender sehen sich mit einer nahezu unübersichtlichen Fülle von Anbietern und IT-Werkzeugen mit unterschiedlichem Funktionsumfang und Branchenausrichtung konfrontiert. Allein im deutschsprachigen Raum existieren derzeit über 150 MES-Lösungen (vgl. [MES17]). Der Markt lässt sich dabei nach verschiedenen Kriterien unterteilen. Eine eingängige Unterteilung bildet die nach Funktionsumfang. So existieren einerseits Generalisten-MES, die ein breites Funktionsspektrum anbieten und sich oftmals auch branchenneutral positionieren. Andererseits existieren spezialisierte MES, die sich entweder auf ausgewählte Funktionen oder auf branchentypische Funktionskombinationen konzentrieren.

PV0218_Funktionsumfänge von MES-Lösungen_Fraunhofer IPA

Die Analyse nach Branchenfokus zeigt, dass sich nur wenige Anbieter auf eine oder zwei Branchen beziehungsweise Branchensegmente konzentrieren (Spezialisten). Die Hälfte der MES-Anbieter fokussiert zwar mehrere, aber dennoch wenige Branchen, um spezifische Anforderungen zu erfüllen (Mitte). Immerhin 43 Prozent der Anbieter gaben an, ihre Lösung branchenunabhängig anzubieten (Generalisten). (Quelle: Fraunhofer IPA)

Beispielsweise zeigt die Analyse nach Branchenfokus, dass sich nur wenige Anbieter auf eine oder zwei Branchen beziehungsweise Branchensegmente konzentrieren (ca. 7 Prozent der analysierten MES-Anbieter). Die Hälfte der MES-Anbieter (52 Prozent) fokussiert zwar mehrere, aber dennoch wenige Branchen, um spezifische Anforderungen zu erfüllen. Immerhin 43 Prozent der Anbieter gaben an, ihre Lösung branchenunabhängig anzubieten – trotz der doch beträchtlichen Unterschiede in den Branchenanforderungen. Auch bezüglich anderer Kriterien, wie Unternehmens- und Kundengröße, Fertigungstyp (Stückgut-, Batch-, Prozessfertigung) oder Fertigungsart (Großserien- und Massenfertigung sowie Einmal- und Projektfertigung) zeigt sich ein heterogenes Bild.

Bis heute hat sich also keine branchen- und anforderungsübergreifende Anbieterstruktur wie bei den ERP-Anbietern herausgebildet, wo allgemein bekannte Systeme den Markt dominieren. Somit ist eine detaillierte Softwareauswahl deutlich wichtiger als beispielsweise im erwähnten ERP-Bereich.

Kategorisierung nach Branche hilft nicht weiter

Die Kategorisierung nach Branchen grenzt die Auswahl an MES-Lösungen daher nur sehr bedingt ein und greift oftmals zu kurz: Beispielsweise sehen sich ca. 75 Softwareanbieter als Spezialisten für Spritzgussfertiger und somit als Teil der Branche Gummi- und Kunststoffwaren. Deshalb ist eine systematische Auswahl nötig, um diese Investitionsentscheidung auf eine sichere Grundlage zu stellen. Die hierzu vom Fraunhofer IPA, Stuttgart, entwickelte Vorgehensweise nutzt die Software IT-Matchmaker von Trovarit, Aachen. Hinter dem IT-Matchmaker steht eine Software, die die Anforderungen des Anwenders mit den Leistungsprofilen der MES-Lösungen abgleicht. Während der Erstselektion geschieht dies eher grob, dann immer detaillierter. Dies gibt den Unternehmen die Sicherheit, dass sie den Markt hinreichend untersucht haben. Dieses Zusammenspiel zwischen Methode und Werkzeug hat sich mittlerweile in vielen Projekten bewährt. Das frühzeitige Einbinden eines Auswahl- und Einführungsspezialisten vermeidet dabei viele Fehler, die in der Regel schwerer wiegen als die aufgewendeten Beratungskosten.

PV0218_Bewertung (Software und Anbieter)_Fraunhofer IPA

Die Feinselektion grenzt den Kreis der infrage kommenden MES auf ca. drei ein, die im Rahmen der Endauswahl detailliert analysiert werden. Relevant sind hier neben dem Anforderungsprofil auch erste Kostenabschätzungen. (Quelle: Fraunhofer IPA)

MES-Auswahl und -Einführung in fünf Stufen

Stufe 1, Ausgangssituation erheben: Zu Beginn ist eine durchgängige, klar strukturierte Projektorganisation aufzusetzen. Diese beinhaltet vor allem Projektziele, das Projektteam und ein Projektplan.

Der zweite Schritt der ersten Stufe erfasst bestehende Organisationsstrukturen und Prozesse bezogen auf Unternehmensziele, Kundenanforderungen und eingesetzte IT. Außerdem werden Schwachstellen und ihre Ursachen  identifiziert.

Stufe 2, Sollkonzept erstellen: Das ausgewählte MES sollte die identifizierten Schwachstellen in den Geschäftsprozessen beziehungsweise innerhalb der Planungslogik beheben können. Das erfordert ein Konzept, um Geschäftsprozesse zu verbessern und/oder die Planungslogik und -methoden anzupassen.

Stufe 3, Anforderungskatalog erstellen: Diese Ergebnisse bilden die Grundlage für die Anforderungsformulierung an das MES. Dazu gehören auch unternehmensspezifische Informationen, wie der Einsatzbereich, Funktionsumfang, das Mengengerüst etc.

Die Anforderungen an das auszuwählende System erarbeiten und gewichten die jeweiligen Fachabteilungen gemeinsam. Die Funktionsanforderungen lehnen sie dabei an die Funktionsbausteine der VDI 5600 an und definieren sowie dokumentieren sie entsprechend.

Stufe 4, Software auswählen: Dies erfolgt in drei Schritten:

  1. Grobauswahl: Zunächst werden die vielen angebotenen Software-Pakete auf eine zweckmäßige und überschaubare Anzahl reduziert. Die potenziellen Softwareprodukte werden auf deren Eignung bezüglich Technologie, Funktionalität und Branchenpassung hin untersucht. Gemeinsam mit weiteren Anbieterinformationen, Produktbeschreibungen und Referenzprojekten entsteht so ein erstes umfassendes Bild von geeigneten Software-Lösungen für den individuellen Bedarfsfall.
  2. Die Feinselektion grenzt den Kreis der Kandidaten auf ca. drei ein, die im Rahmen der Endauswahl detailliert analysiert werden. Eine standardisierte detaillierte Lastenheftvorlage im Rahmen einer Ausschreibung bildet alle Anforderungen an die Software ab. Zusätzlich werden eine projektspezifische Lösungskompetenz sowie erste Kostenabschätzungen seitens der MES-Anbieter abgefragt.
  3. Die Endauswahl unter den Favoriten erfolgt im Rahmen von Anbieterpräsentationen und Referenzkundenbesuchen. Die Anbieter stellen in einer ein- bis zweitägigen Präsentation sich und ihre Lösung vor. Dazu gehören insbesondere das auf die Anforderungen im Kriterienkatalog bezogene Aufzeigen der funktionalen Möglichkeiten des Systems und ein Hinterfragen diverser Funktionalitäten. Ein Referenzkundenbesuch analysiert den Systemeinsatz in der Praxis und ermöglicht einen Erfahrungsaustausch über die Einführung und den täglichen Betrieb.

Darauf aufbauend wird das System detailliert untersucht und die Ergebnisse werden in Form einer Entscheidungsanalyse aufbereitet. Die Hauptkriterien sind dabei der funktionale Erfüllungsgrad (im Standard) sowie die Investitions- und Wartungskosten.

Stufe 5, Software einführen: Die Softwareauswahl umfasst nur einen geringen Teil des gesamten Einführungsaufwands. Die darauf folgenden Etappen umfassen die Systemimplementierung und gegebenenfalls die Software-Anpassung sowie Umstellung der Anwendungsgebiete. In diesem Rahmen sind im Wesentlichen folgende Arbeiten zu erledigen:

  • Schulung des Projektteams (Prozesse und Softwarebedienung)
  • Festlegung der Einführungsstrategie und des Terminplans
  • Installation und unternehmensspezifische Konfiguration der Software (Customizing)
  • Aufbereitung und Übernahme von Daten aus etwaigen Altsystemen
  • Echtbetrieb des neuen MES

Das beschriebene Fünf-Stufen-Konzept gibt die wesentlichen Aufgaben vor, die jedes Unternehmen allerdings noch individuell ergänzen muss. Eine Meilenstein-Entscheidung schließt die einzelnen Stufen jeweils ab. Wobei die beschriebenen Arbeitsschritte nicht notwendigerweise in der genannten Reihenfolge durchgeführt werden müssen. Typisch sind durch Lerneffekte ausgelöste Iterationsschleifen, die für eine erfolgreiche Einführung Voraussetzung sind.


Die beliebsteste Software der Kunststoffverarbeiter 2017


Das richtige MES erhöht die Produktivität

MES leisten einen Beitrag, um die Produktivität in der Produktion zu erhöhen, und sind ein wichtiger Baustein für die Digitalisierungsbestrebungen unter dem Leitbegriff Industrie 4.0. Die Investitionsentscheidung in eine solche Software stellt hohe Anforderungen an die Projektbeteiligten: Zum einen sind MES-Auswahlprojekte bezüglich des Anforderungsprofils sehr individuell. Zum anderen ist das Angebot an MES extrem heterogen. Gerade im traditionell kostensensiblen Produktionsbereich müssen die Entscheidungen aber auf einer verlässlichen Grundlage stehen. Die hier vorgestellte Methodik gewährleistet dabei Sicherheit und Effizienz. Durch die strukturierte Vorgehensweise, etablierte Werkzeuge und nachvollziehbare Ergebnisse, das Einbinden der relevanten Fachabteilungen in den Unternehmen und nicht zuletzt das erfahrene Beraterteam ermöglichen belastbare Auswahlentscheidungen und damit ein gutes Fundament für eine erfolgreiche Einführung eines MES.

Literatur

[VDI1]    VDI-Richtlinie 5600 Bl. 1: Fertigungsmanagementsysteme (Manufacturing Execution Systems (MES). VDI Fachgesellschaft Produkt- und Prozessgestaltung, 2016 (1. Version 2007)

[MES17] Trovarit AG; Wiendahl, H.-H.; Kluth, A.; Kipp, R. (2017): Marktspiegel Business Software: MES – Fertigungssteuerung 2017/2018. Aachen 6., vollst. überarb. Aufl.

ist Gruppenleiter am Fraunhofer IPA in Stuttgart.

ist Projektleiter am Fraunhofer IPA in Stuttgart.

ist Senior Consultant bei Trovarit in Aachen.

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Unternehmen

Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA

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