teleskopbruecke

Beispiel einer patientenindividuellen Arbeit aus dem zahntechnischen Labor: Die Teleskopbrücke hat zwölf Glieder, das heißt Zähne aus Kunststoff. Zur ästhetischen Vervollkommnung erfolgte eine Verblendung mit Bariumglaskomposit. (Bild: Hubermann)

Am Anfang standen die Pioniere der Reifenindustrie (Goodyear) und die Vorläufer des Kinofilms (Celluloid) Pate. Denn einen Weg zu Prothesenwerkstoffen eröffneten der US-Amerikaner Charles Goodyear und der Engländer Thomas Hancock durch Erhitzen von Naturkautschuk auf 140 bis 160 °C unter Beimengung von Schwefel in einem Polymerisierkessel (Vulkanisierung) – elastisch und wärmebeständig, aber wegen des Schwefelaromas Abzüge in der B-Note. Ähnlich das Celluloid des Schotten McIntosh: Zur Herstellung dieses halbsynthetischen Kunststoffs behandelte man Baumwolle mit Salpetersäure und mischte das gewonnene Cellulosenitrat mit Kampfer (als Weichmacher). Ergebnis: plastisches Material – Geschmack schwer erträglich.

Zu ihrer Zeit markierten diese Werkstoffe aber einen Fortschritt. Schon 1856 ließen sich Kautschuk-Prothesenbasen für den komplett zahnlosen Kiefer herstellen und später Teilprothesen; diese befestigte man mit Metallklammern an den noch verbliebenen Zähnen des Patienten. Im Einzelnen sollte es gemäß dem ursprünglichen Patent von Charles Goodyear etwa folgendermaßen funktionieren [1]: Der zahnlose oder teilbezahnte Kiefer des Patienten wird vom Zahnarzt abgeformt (damals: in Wachs oder Gips, heute: Alginat oder Elastomer). Das Ergebnis ist ein Negativ der Mund-Situation. Dieses Negativ wird anschließend in ein Gipsmodell umgesetzt (neues Positiv). Auf dieses Modell stellt man die künstlichen Zähne (Material: bei Goodyear unbestimmt, heute: Prothesenzähne aus verschiedenen Polymeren) in Wachs auf. Anschließend fügt man weiteres Wachs hinzu, bis der Prothesenkörper vollständig aufgebaut ist. Danach wird das Modell inklusive Wachsaufstellung mit Zähnen in Gips eingebettet. Von dieser Situation fertigt man nun einen Gegenguss in Gips an. Dann werden die Gipsplatten − das Originalmodell und Gegenguss mit den inliegenden Zähnen − auseinandergenommen und vom Wachs befreit. Nun stellt der Hohlraum zwischen Originalmodell und Gegenguss ­−inklusive Zähnen − die Form der späteren Prothesenbasis dar. Es handelt sich genau um das Volumen, welches zuvor das Wachs eingenommen hat (verlorene Wachsmethode). Der Hohlraum wird mit einem Kautschuk-Schwefel-Gemisch ausgefüllt und dieses unter Hitzeeinwirkung verfestigt.

PMMA seit über 75 Jahren im Einsatz

Seit den 30er Jahren begann der Siegeszug des Polymethylmethacrylate (PMMA). Diese Kunststoffe kamen zunächst in Form von Platten auf den Markt; die Form der Prothese musste zunächst in einer ersten Annäherung an die endgültige Geometrie herausgesägt werden.

Eine Vereinfachung bot danach PMMA in Pulverform, doch die entscheidende Innovation bestand schließlich in einer Zweikomponenten-Mischung: Zusammengegeben wurden ein vorpolymerisiertes Kunstharzpulver mit einer unpolymerisierten Flüssigkeit (Nassverfahren), was unter Erhitzen eine gut stopfbare, teigige Masse ergab. Die Polymerisation nahm man zunächst in einem Vulkanisierkessel vor, bis man merkte: Ein Wasserbad tut es auch. Die beim Polymerisieren übliche Materialschrumpfung war vernachlässigbar. In Europa wie auch in Nord- und Südamerika sowie Australien stieß das PMMA-Prothesenmaterial (Paladon) auf eine große Nachfrage. Noch heute hat dieses Heißpolymerisat international seine Bedeutung. Ein Grund dafür liegt in der Möglichkeit zur Verarbeitung in einfachen Geräten. Zum Beispiel erfolgt das Einbetten der Zahnaufstellung in Wachs mittels Gips in einer Küvette, anschließend wird das Wachs ausgebrüht, das heißt mit heißem Wasser entfernt. Das spätere Einfüllen des PMMAs kann im Gießverfahren oder, für noch bessere Passgenauigkeit, im Injektionsverfahren vorgenommen werden. Anschließend folgen die Wasserbad-Polymerisation und das Ausbetten.

Die rosafarbenen Heißpolymerisate dienen nach wie vor zur Herstellung von Totalprothesenbasen. Den bei weitem höheren Anteil halten jedoch inzwischen Kaltpolymerisate, aus denen man insbesondere auch Teilprothesen fertigt. Gebräuchlich sind daneben Unterfütterungsmaterialien zur Korrektur schlecht sitzender Prothesen oder Thermoplasten für allergiesensible Patienten. Neuerdings schicken sich bestimmte Kunststoffe an, die einfachere Verarbeitung der Kaltpolymerisate mit der hohen Schlagfestigkeit und Farbbeständigkeit von Heißpolymerisaten zu verbinden – praktisch ein hochschlagfestes Kaltpolymerisat.

Mit speziellen lichthärtenden Kunststoffen entfallen die Arbeitsschritte Einbetten und Ausbrühen. Stattdessen können konfektionierte Prothesenzähne auf der ausgehärteten Basis aufgestellt werden, und die fertig ausmodellierte Prothese lässt sich anschließend direkt endpolymerisieren. Diese lichthärtenden Kunststoffe haben sich insbesondere für Schienen, wie etwa Aufbiss- und Knirscherschienen, als Material der Wahl erwiesen.

Additive Verfahren in der Zahnheilkunde

In jüngerer Zeit hat die additive Fertigung an Bedeutung gewonnen. Eine schon länger gebräuchliche Variante stellt die Stereolithografie dar, zum Beispiel für Modelle, Schienen, Bohrschablonen sowie Gießgerüste für den Metallguss. Das Prinzip ähnelt dem Lasersintern, doch während bei diesem das schichtweise aufgetragene Material aufgeschmolzen wird, kommt bei der Stereolithographie die Lichtpolymerisation von Kunststoff zum Zuge. Ein verwandtes Verfahren, das Digital Light Processing, weist die folgende Besonderheit auf: Als Lichtquelle wird ein sogenannter DLP-Projektor verwendet, eine Erfindung von Texas Instruments. Man verarbeitet auf diese Art vor allem acrylatbasierte Harze.

Daneben erweisen sich unter anderem die Multi-Jet-Technologie, das Schmelzschichten (Fused Deposition Modeling, FDM; Fused Filament Fabrication, FFF) und das Maskenbelichtungsverfahren als interessant. Die Multi-Jet-Technologie funktioniert nach dem Tintenstrahldrucker-Prinzip. Zum Beispiel werden annähernd zweidimensionale Pulverschichten ausgewalzt und dann mit Bindemittel bedruckt – genau an den Stellen, die laut Bauplan (virtuelle Modellation) zum betreffen­den zahntechnischen Objekt gehören: Das nicht gebundene Pulver lässt sich einfach entfernen. Auf diese Weise druckt man annäherend zweidimensionale Photopolymere auf und härtet sie gemäß einem digitalen Bauplan aus, sodass auch hier Schicht für Schicht das Objekt entsteht.

Beim Schmelzschichten extrudiert man zum Beispiel Formwachse oder Kunststoffe aus einer Düse oder man tropft das Material auf, wonach es sich beim Abkühlen verfestigt – die nächste Schicht kann folgen. Die Maskenbelichtung schließlich funktioniert ähnlich wie die bekannten stereolithographischen Verfahren. Der entscheidende Unterschied: Statt mit einem Laser wird der Kunststoff mithilfe einer UV-LED-Lampe ausgehärtet.

Kombinierte additive und substraktive Fertigung

Neben den acrylatbasierten Harzen gewinnen in jüngster Zeit andere Hochleistungskunststoffe für Zahnersatz eine größere Bedeutung – bis hin zu weitspannigem Zahnersatz über einen ganzen Kiefer. Namentlich PEEK (Polyetheretherketon), ein Vertreter der PAEK, kam bereits in Pilotstudien und -behandlungen zum Einsatz. Grundsätzlich lässt sich dieser Werkstoff mit für Thermoplaste üblichen Verfahren, wie etwa  Spritzgießen oder Extrudieren, verarbeiten. Das Fügen mehrerer Bauteile durch Ultraschall- und Reibungsschweißen ist bei hohen Anpressdrücken möglich. Seit Kurzem ist es auch möglich, Formteile aus PEEK additiv unter Verwendung der FFF (Fused Filament Fabrication) zu fertigen. Die hierfür geeigneten 3D-Drucker sind transportabel und leicht bedienbar. Für das zahntechnische Labor und für die Zahnarztpraxis gibt es ebenfalls Ansätze, wobei hier das Fused Deposition Modelling oder das DLP-Verfahren (Digital Light Projection) zum Zuge kommen. Mit dem letzteren werden zurzeit Aufbissschienen und Modelle gefertigt; demnächst sollen zunehmend auch provisorischer und langfristiger Zahnersatz möglich sein.


Marktübersicht 3D-Druck und additive Fertigung

Der Begriff 3D-Drucker umfasst hier alle Geräte und Maschinen, mit denen Teile aufbauend erstellt werden können. Diese Teile können Modelle, Prototypen, Kleinserienteile, Serienteile in unbegrenzter Zahl, Prototypen-Werkzeuge, Werkzeug-Einsätze und andere Produkte sein. Verarbeitbare Materialien sind neben Kunststoffen auch Metalle, Keramik, Holz und andere Werkstoffe. Damit folgt die Definition der Drupa 2016.

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Prinzipiell ist die additive Fertigung eine attraktive Zukunftsoption. Allerdings ist stets zu bedenken, dass bei diesen Verfahren die Schichtdicke die Präzision begrenzt und die Rauigkeit der Oberfläche vorgibt. In der Regel wird für feine Gewinde, Bohrungen und allgemein für höchste Passgenauigkeit eine zerspanende Nachbearbeitung nötig. Dies betrifft Dichtflächen, Montageflächen und andere Funktionsflächen im industriellen Bereich ebenso wie zahntechnische Objekte. Ein wesentliches Problem besteht darin, dass die Nachbearbeitung generativ aufgebauter Werkstücke meist auch manuelle Schritte umfasst – obwohl man doch von einem durchgängig automatisierten CAD/CAM-Workflow profitieren möchte. Es wurden aber bereits Software-Lösungen  für eine kombinierte additive/subtraktive Fertigung entwickelt. Dabei entsteht das Werkstück zunächst grob in einer additiven Fertigung. An den Stellen, wo eine höhere Präzision gefragt ist, erfolgt dann automatisch das Nachfräsen beziehungsweise das Beschleifen der Oberfläche. Denn mit den klassischen zerspanenden Verfahren kann man im Mikrometer- oder sogar im Submikrometerbereich arbeiten.

Aktuell sind im zahntechnischen Labor vor allem die frästechnische oder die presstechnische Bearbeitung im Einsatz. Zum Beispiel wird aus einer PEEK-Ronde in einer Fünf-Achs-Maschine mit Servo-Antrieb die gewünschte Struktur herausgefräst. Die dafür erforderlichen Hard- und Softwaretools sind grundsätzlich verfügbar.

Kunststoff-Materialien für Implantate

Neben Zahnersatz lassen sich grundsätzlich auch Implantate aus PEEK herstellen und werden bereits kommerziell angeboten. Über diesen Kunststoff hinaus könnte in Zukunft auch das verwandte PEKK (Polyetherketonketon) als Hochleistungspolymer für die Versorgung auf Implantaten eine größere Bedeutung gewinnen, wobei die Fertigung in einem zentralen Fräscenter erfolgt. PEKK hat zum Beispiel den Vorteil, dass es in Kombination mit einem Verblendkomposit ähnliche Eigenschaften aufweist wie verblendetes Zirkonoxid. Dieses wiederum ist in der Zahnheilkunde als Kronen- und Brückenmaterial gebräuchlich und hat seit der Jahrtausendwende entscheidend zur Substitution hochgoldhaltiger Legierungen durch Keramik beigetragen.

Noch einmal zurück zur additiven Formgebung von Polyaryletherketonen: Zukunftschancen besitzt sie durchaus. Denn Fallbeispiele zeigen heute, dass eine implantatgetragene Oberkiefer-Totalprothese durchaus im 3D-Druck aus PEEK (Polyetheretherketon) gefertigt werden kann. Kunststoff-Verblendschalen verleihen ihr eine ansprechende Ästhetik.

Ein vollständiger Überblick über die Innovationen von Kunststoffen und ihre Verarbeitung in der Zahnheilkunde ginge weit über die obigen Zeilen hinaus. Er müsste zum Beispiel auch plastische Composite-Harzmatrix und Füllerpartikel − für die „ganz alltäglichen“ Zahnfüllungen umfassen, darüber hinaus zahlreiche ästhetische Aspekte. So werden Kunststoffe und Komposite auch zum Verblenden der Gerüste (Unterkonstruktionen) etwa von Kronen oder Brücken  eingesetzt. Zu erwähnen wären auch Prothesenzähne; sie stellt man beispielsweise auf den oben beschriebenen Prothesenbasen auf oder stellt mit ihnen implantatprothetische Arbeiten fertig. Die Materialbasis dafür bilden industriell polymerisierte Thermoplasten ebenso wie Polyacetale, Polyetheretherketone, Polyethylen-Polypropylen-Blends oder interpenetrierte Polymer-Netzwerke (IPN). Dies sind Kunststoffe auf Acrylbasis ohne anorganische Füllstoffe, aufgebaut aus quervernetzten Polymerketten.

Innovation und Ästethik im Fokus

Das Bemühen um eine ästhetische Gestaltung begann bereits bei den Kautschukprothesen. Dem Grundmaterial wurden zur Färbung etwa Zinnober, Zinkoxyd oder Eisenoxyd beigemischt. Heute stehen Kunststoffe mit einem nuancierten intrinsischen Farbverlauf ebenso zur Verfügung wie Zahnfleischimitationen mit „Blutgefäßen“. So kann die moderne Zahnheilkunde heutigen Patienten ein natürliches Erscheinungsbild selbst bei stark zerstörten Zähnen sowie bei geringem oder nicht vorhandenem Restzahnbestand zurückgeben. Gleichzeitig stellt sie auch eine Brutstätte für Werkstoffinnovationen in Kunststoff und für dessen Verarbeitung dar.

Literatur

[1] Heinrich Schnettelker: Die Geschichte der Kautschukprothese. Inaugural-Dissertation, Freiburg im Breisgau (2001)

 

ist Fachjournalist für Wissenschaft und Technik in Frankfurt

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