Heckklappen-Elemente aus langfaserverstärktem PP.

Heckklappen-Elemente aus langfaserverstärktem PP. (Bild: Trinseo)

Leichtbau mit glasfaserverstärkten Thermoplasten findet sich beispielsweise in der Heckklappe des Renault Clio. Bei der vierten Generation des Modells, vorgestellt im Herbst 2012, hat der französische Automobilhersteller seine ehrgeizige Vorgabe realisiert und das Gewicht der Heckklappe um 10 % reduziert. Funktionale und gestalterische Aspekte, aber auch geltende Recyclingrichtlinien haben den Rahmen für die Entwicklung zusätzlich eng gesteckt. Der Automobilhersteller hat bereits in der Engineering-Phase der Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit Trinseo (ehemals Styron) kooperiert. Seine Engineering-Kompetenz dokumentierte der Materialhersteller im Vorfeld mit der Strukturentwicklung des vorderen Fahrgestells am VW Golf unter Einsatz von Langglasfaser-Polypropylen (LGF-PP). Bei dieser Anwendung bestand eine ähnliche Komplexität der Anforderungen im Design- wie im Herstellungsprozess: Verschiedene Metall- und Thermoplast-Bauteile mussten auch dort zu einer homogenen Einheit zusammengefügt werden. Auch bei der Heckklappe des Clio wurde eine Materialsystem mit LGF-PP eingeführt. Der hohe Anteil von Glasfasern im Compound verbesserte die Zähigkeit und Festigkeit der Bauteile. Auch bei der Teilekonstruktion, dem Werkzeugdesign und der Optimierung der Spritzgussmaschine hat Renault mit dem Kunststoffproduzenten zusammengearbeitet.
Ein komplexes Fahrzeugbauteil wie die Heckklappe muss nicht allein hohen visuellen Ansprüchen genügen, ihre Passform muss perfekt sein. Eine Vielzahl an Funktionen (z. B. Scharniere, Verschlussmechanismen, elektrische Leitungen) müssen sich unsichtbar integrieren lassen. Stoßfestigkeit, Ausdehnungsverhalten und Strapazierfähigkeit des strukturellen Teils der Heckklappe sind entscheidende Faktoren. Sie ist mechanischen und klimatischen Belastungen ausgesetzt, die Verformungen verursachen können und soll dabei stabil sowie wasserdicht bleiben.

 

Leichtes Material für hohe Belastung
Bis 2012 waren für Heckklappen im Allgemeinen Konstruktionen aus Metall/Kunststoff-Verbindungen gebräuchlich:

  • Außenhaut und Trägerteil aus Metall, verbunden mit thermoplastischem Innenteil aus Polypropylen (PP) und ABS
  • Außenhaut und Trägerteil aus Duroplast, kombiniert mit thermoplastischem Innenteil (TF-TPO, ABS)
  • Thermoplastische Außenhaut (PC/TF-ABS, TF-TPO) auf stahlverstärktem, thermoplastischem Träger (LGF-PP) mit thermoplastischem Innenteil (TF-TPO, ABS).

Für die Innenverkleidung des Clio wurde ein 15% TF-TPO eingesetzt. Es ist UV-stabil und weist eine hohe Kratz- und Schlagfestigkeit ebenso wie einen niedrigen Glanzwert auf. Seine im Vergleich zu anderen Interieur-TF-TPOs geringe Dichte von nur 1,01 g/ccm und die guten Fließeigenschaften ermöglichen dünne Wandstärken und somit ein besonders leichtes Bauteil, das dennoch alle Vorgaben erfüllt.

Materialeigenschaften des LGF-PP-Konzentrat (40% LGF-Anteil). (Quelle: Trinseo)

Materialeigenschaften des LGF-PP-Konzentrat (40% LGF-Anteil). (Quelle: Trinseo)

Ein anderes Material dominiert beim strukturellen Element, dem hauptsächlich hohe Dimensionsstabilität, Zugfestigkeit und Haltbarkeit abverlangt werden. Hier wird 60 % LGF-PP-Konzentrat verwendet. Dies wird auf der Spritzgussanlage mit dem Polypropylen PP-LGF8100 vermischt. Das langglasfaserverstärkte Polypropylen wird im Pultrusionsverfahren hergestellt, das die Glasfasern imprägniert und verkapselt. Damit verteilen sich die Fasern im Werkstück gut.

Schema der At-Press-Technologie. (Quelle: Trinseo)

Schema der At-Press-Technologie. (Quelle: Trinseo)

 

Beim außen liegenden Element der Heckklappe setzt der Verarbeiter die At-Press-Technologie des Materialproduzenten ein. Ein 70 % Talkum-Masterbatch, ein PP-Copolymer und das erforderliche Farbkonzentrat werden während des Spritzgusses auf der Maschine beigemischt. Damit lässt sich die mechanische Belastbarkeit gut einstellen. Soll beispielsweise die Steifigkeit des Materials mit höheren Talkumgehalten gesteigert werden, bleibt dennoch seine Schlagfestigkeit erhalten. Verschiedene Talkumanteile, die einen Einfluss auf Passform, Aussehen oder Schrumpfungseigenschaften der Komponenten haben, sind auf diese Weise möglich.
Virtuelles Prototyping für greifbaren Erfolg
Das Anwendungs-, Entwicklungs- und Design Center (AEDC) des Materialherstellers hat Renault mit seiner Expertise in Prozesssimulation unterstützt. Bei der Prozessoptimierung haben die CAE-Tools des AEDC eine wichtige Rolle gespielt – nicht nur in der Auswahl der geeigneten Plastifizierungsschnecke, sondern auch beim verbesserten Design des Heißkanalsystems und der Lage der Einspritzöffnungen. Diese Faktoren haben einen großen Einfluss auf die Längenverteilung der Glasfasern im spritzgegossenen Bauteil. Besonders der untere Bereich des strukturellen Bauteils ist wegen der Spaltmaße genau zu beachten und erlaubt nur geringe Toleranzen. Mithilfe virtuellen Prototypings wurde daher unter anderem der zu erwartende Verzug bei der Verwendung von LGF-PP kalkuliert. Auf dieser Basis kalulierten die Entwickler in den Bauteilen zusätzliche Rippen ein, die den Verzug um 50 % reduzieren und die Dimensionsstabilität verbessern.
Geht es noch leichter?
Die Erkenntnisse aus dem Clio-Projekt und die positiven Erfahrungen mit den Heckklappen aus LGF-PP „auf der Straße“ haben die Ingenieure bestätigt. Daher wird auch die neue Generation Espace serienmäßig mit einer ähnlichen thermoplastischen „Einstoff-Lösung“ unter Verwendung von TF- und LFG-PP ausgestattet und die Gewichtsreduktion des Clio weiter vorangetrieben – beispielsweise mit noch geringeren Wandstärken der Heckklappenbauteile. Dabei haben die Beteiligten darauf geachtet, beim Teiledesign mit jeweils bestmöglich angepassten Werten den Vorgaben für den Fertigungsprozess und dem Eigenschaftsprofil der Heckklappe zu entsprechen. Unter diesem Aspekt wurde ein ABS-basierter mit dem bereits verwendeten PP-basierten Ansatz verglichen.

Optimierung des Teiledesigns mit Prozesssimulation. (Quelle: Trinseo)

Optimierung des Teiledesigns mit Prozesssimulation. (Quelle: Trinseo)

Es wurde deutlich: Bei gleichen Wandstärken würde ABS zwar bessere Kennwerte als PP liefern können, jedoch würde  das Heckklappenelement gleichzeitg schwerer werden. In der Folge hat der Materialhersteller unterschiedliche Wandstärken zur Gewichtsoptimierung bei Raumtemperatur und bei höheren Temperaturen simuliert. Im Ergebnis zeigte sich, dass mit glasfaserverstärktem ABS dünnere Wandstärken möglich sind als mit PP-basierten Material. Zudem übertreffen die Simulationsergebnisse zum Teil die geforderten Werte bei Belastungssimulationen. So lassen sich das Kunststoffgewicht im Bauteil und die Materialkosten bei höheren Temperaturen signifikant senken. Der Gewichtsanteil des Kunststoffs wäre bei höheren Temperaturen je nach verwendetem LGF-ABS bis zu 30 % geringer als bei einem PP-basierten Teil. Dies entspräche rund 15 % Materialkosteneinsparung. Auch bei Raumtemperatur ließen sich mit ABS-Basis laut Simulationsergebnissen verglichen mit PP-basierten Teilen immerhin rund 15 % Materialgewicht sparen.
Neben Gewichts- und Kosteneinsparungen bietet eine ABS-basierte Lösung auch andere Vorteile. Beispielsweise weist das Material eine geringe Entformungsschwindung auf und eine Plasmavorbehandlung zur Imprägnierung der Glasfaser kann entfallen. Der Werkstoff hat gute ästhetische Eigenschaften und kann auch unlackiert eingesetzt werden.
LGF-TPO auch für semi-strukturelle Anwendungen
Gegenüber der PP-Lösung für eine Heckklappe ermöglicht die LGF-ABS-Basis eine Gewichtsreduzierung von 20 % oder mehr. Die Materialkosten ließen sich in diesem Vergleich um 10 % verringern. Was für die Heckklappe gilt, ist auch auf andere automobile Anwendungen übertragbar, bei denen LGF-ABS auch für semi-strukturelle Teile genutzt werden kann: Träger für die Armaturentafel, Rückenlehne und Sitzschale, Türverkleidung und Einstiegsleiste, vorderes Fahrgestell oder Stoßfänger – um nur einige der Optionen für diese Form des Leichtbaus aufzuzählen.
Eine LGF-verstärkte thermoplastische Lösung ermöglicht, den Treibstoffbedarf und die CO2-Emissionen ohne Einbußen beim Design, der Sicherheit oder der Funktion zu verringern. Und darüberhinaus lässt sich ein komplett thermoplastisches Bauteil mit geringem Aufwand im Materialkreislauf recyceln.

 

Hier und hier finden Sie Informationen zu den Werkstoffen.

 

 

Autoren
Gerhard Slik und Berend Hoek
sind Senior Entwicklungs-Spezialisten
bei Trinseo Automotive, Schwalbach.

 

Aus Styron wird Trinseo: Das global tätige Werkstoffunternehmen Styron, Hersteller von Kunststoffen, Latex und Kautschuk, wurde mit dem 01.02.2015 zu Trinseo. Qualität und Bandbreite der Produkte und Dienstleistungen bleiben von der Namensänderung unbeeinflusst.

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Trinseo Deutschland GmbH

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