Haftung, fertig, los!

Das Anspritzen von Dichtungen oder Weichkomponenten zur besseren Haptik und Handhabung des Bauteils haben sich in den unterschiedlichsten Marktsegmenten fest etabliert. Wichtigster Faktor für die Verbindungsqualität ist dabei die korrekte Auswahl der Werkstoffe. Innovative Fertigungstechnologien wie das Hinterspritzen von Folien, Holzdekoren und Metallen treibt die Hersteller an, neue Materialverbindungen zu entwickeln. Die Herausforderung bei der Verbindung zweier unterschiedlicher Komponenten ist deren Verträglichkeit. Die Grenzfläche spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Sie definiert sich als Fläche zwischen zwei festen Phasen, deren freie Oberfläche durch die Verbindung verschwindet. Die Haftung an dieser Grenzfläche wird durch die Grenzflächenspannung gekennzeichnet. Diese kann jedoch nicht direkt gemessen werden. Für die Adhäsion gibt es in der Wissenschaft verschiedene Theorien.

Grenzfläche und Adhäsion

Für die praktische Umsetzung einer Materialauswahl dient die Polarisationstheorie nach de Bruyne. Quintessenz dieser Theorie ist, dass eine gute Haftung zwischen unpolaren und polaren Komponenten nicht möglich ist. Hierbei muss zunächst näher auf die Verbindungsqualität an der Grenzfläche eingegangen werden. Die Verbindung zweier unterschiedlicher Werkstoffe kann stoffschlüssig (spezifische Adhäsion) oder formschlüssig (mechanische Adhäsion) realisiert werden. Dies hängt primär von den Anforderungen an das Bauteil und den zum Einsatz kommenden Werkstoffen ab.

Für Anwendungen mit einer hohen Anforderung an Dichtigkeit oder hohen mechanischen Abzugskräften ist die stoffschlüssige Verbindung am besten geeignet. Hierbei entsteht eine chemische Bindung an der Grenzfläche. Im Gegensatz dazu gehen die beiden Materialien bei der formschlüssigen Verbindung keinen Haftungsverbund ein. Die Verbindung entsteht lediglich durch eine mechanische Verankerung der beiden Werkstoffe. Dies lässt sich zum Beispiel durch Durchbrüche im Vorspritzling und Hinterschneidungen optimieren.

Werkzeugtechnologie – welche Möglichkeiten existieren

Die produktionstechnischen Verfahren reichen vom manuellen Umsetzen über Drehtellerwerkzeuge bis hin zu neuen, innovativen Verfahren wie zum Beispiel das Dolphin-Verfahren des Maschinbauers Engel.

Mit dem Werkstoff Polypropylen (PP) lassen sich vielfältige Materialkombinationen realisieren. Klassische Anwendungsfelder sind Dichtlippen mit der Materialkombination PP TV20 oder PP TV40 mit einem TPE, z.B. für Lüfterklappen in der Automobilindustrie. Mittlerweile existieren für eine Fülle von vermeintlich ungünstigen Werkstoffkombinationen Sonderlösungen. Die Werkstoffe POM und PA gelten als Herausforderung für die Verbindung mit TPE. Spezielle TPE-Compounds mit eingearbeiteten Haftvermittlern sorgen dafür, dass auch stoffschlüssige Verbindungen realisiert werden können. Da die Weichkomponente in der Regel den kleineren Mengenanteil am Gesamtbauteil ausmacht, ist dabei ein höherer Materialpreis für diese Komponente vertretbar.

Eine optimale Verbindung lässt sich durch den Einsatz von gleichartigen Kunststoffen erzielen. Mit Softell hat LyondellBasell eine neue Produktklasse auf Basis von Polyolefinen entwickelt. „Bei dem Material selbst handelt es sich um ein Polypropylen-Compound, das heißt einen weiterveredelten Kunststoff auf Basis eines Polyolefins. Der Hauptbestandteil ist ein Copolymer, das mit unserer eigenen Catalloy-Technologie hergestellt wird. Dieses wird anschließend durch Zugabe von Verstärkungsfasern, weiteren Polymeren, speziellen Additiven und Farbpigmenten noch weiter in seinen Eigenschaften verbessert“, so Dr. Erik Licht, Head of Business Development Europe bei LyondellBasell.

Am Beispiel eines Schraubendrehergriffs wird über den Grad der Glasfaserverstärkung die Kombination hart/weich realisiert. Die notwendige Festigkeit erreicht man durch Zugabe von Glasfasern als Verstärkungsstoff. Die Weichkomponente ist unverstärkt und wird auf das vorgefertigte Bauteil aufgespritzt. Neben der optischen Ausgestaltung hochwertiger Gebrauchsgeräte ist die Haptik ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Die angenehme und sichere Griffigkeit eines Produktes entscheidet häufig bei der Auswahl. Besonders unter ergonomischen Gesichtspunkten entscheidet der Tastsinn des Konsumenten über die Griffsicherheit und Handhabbarkeit eines Gerätes. Die Oberflächenbeschaffenheit eines Produktes des täglichen Gebrauchs wird sehr emotional bewertet. Eine zu glatte Oberfläche kann hier kalt und abstoßend, ein zu raues Material unangenehm und verletzend wahrgenommen werden.

Auch die Griffvarianten der Gartengeräte Serie Terraline aus dem Hause Gardena werden mittels 2-K-Spritzguss hergestellt und vereinen weiche und harte Softtouch-PP-Typen. Diese Kombination ermöglicht eine effiziente Handhabung des Geräts auch unter extremen Outdoorbedingungen. Beide PP-Compounds haften sehr gut, ohne zu delaminieren.

Hochwertige Oberflächen ohne Beschichtung und Lackierung

Softell ermöglicht hochwertige Oberflächen ohne zusätzliche Beschichtung und Lackierung. Besonders in der Automobilindustrie, im Bereich der Kfz-Innenausstattung, findet dieses Produkt bereits zahlreiche Anwendungen. Hier steht das Wohlbefinden des Fahrers im Fokus der Konstrukteure. Neben einer perfekten Oberflächen-, Design- und Farbabstimmung der einzelnen Kunststoffoberflächen ist auch eine möglichst angenehme Haptik für ein elegantes Erscheinungsbild ohne Kratzspuren entscheidend und prägend.

Die geringe Emission des Materials trägt zudem zu einer Wohlfühlatmosphäre bei. Aber auch für Konsumgüter des täglichen Bedarfs findet der Werkstoff immer mehr Einsatzgebiete. „Softell ist ein Produkt, welches sich durch hohe Designfreiheit auszeichnet. Durch seine hohe Schlagzähigkeit und angenehme Oberflächenanmutung ohne Lackierung ist es auch optimal für die Ausstattung hochwertiger Konsumgüter geeignet“, so Marc Swatosch, Bereichsleiter Distribution bei K.D. Feddersen. „Wir haben gemeinsam mit unseren Kunden bereits zahlreiche Grifflösungen für Messer, Werkzeuge oder auch Isolierkannen realisieren können“, so Swatosch weiter.

Verbindung von Kunststoff und Metall

Das Verbinden von Metall und Kunststoff ist etwas heikler, da die Längenausdehnung bei Wärmeeinwirkung oder Veränderung der Luftfeuchtigkeit stark differiert. Eine neue, interessante Entwicklung ist hier die Pneumatik Impact Treatment (PIT) Technologie. Dieses Verfahren zur Verbindung von Polymerbauteilen mit Dekorwerkstoffen unterschiedlichster Art ermöglicht neue Materialkombinationen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Verbindungsverfahren wie Kleben, Lackieren oder Galvanisieren lassen sich mit der PIT-Technologie ohne aufwändige Fertigungsschritte Thermoplaste mit Papier, Folien, Kork, Holzfurnier, Leder, Linoleum, Glas, rostfreiem Stahl und Aluminium verbinden.

Eine Motorabdeckung wurde mit der Materialkombination PP und einer Aluminiumfolie mit dieser Technologie gefertigt. Neben dem enormen Einsparpotential dieses einstufigen Fertigungsverfahrens bietet die PIT-Technologie aber noch einen entscheidenden Vorteil bei der Entsorgung. Die Verbindung lässt sich bei Temperaturen zwischen 200 und 300 °C wieder lösen und die Werkstoffe können so getrennt voneinander, umweltgerecht wiederverwertet oder entsorgt werden.

Ideen für morgen

Um unterschiedliche Materialien miteinander im Spritzgussprozess zu verbinden, sind neben neuen Technologien und Verfahrensansätzen in den letzten Jahren auch immer mehr die Werkstoffe selbst und ihre Eigenschaften auf den Prüfstand gestellt worden. Vor einigen Jahren noch als „unmögliche“ Verbundpartner benannte Werkstoffe können heute dank entsprechender Modifikation gute Verbindungen eingehen. Doch nach wie vor gilt in Bezug auf das Basispolymer in der 2-K Spritzgusstechnik der Leitspruch „Gleich und gleich gesellt sich gern“. Aber auch hier haben Forschung und Entwicklung neue Möglichkeiten hervorgebracht, durch die sich Optik und Haptik mittels weiterer Polymere, spezieller Additive und Verstärkungsstoffe beeinflussen lassen.

 

Praxis-Tipp

Bei der Umsetztechnik sollte man den Vorspritzling erwärmen, um die Haftung zu verbessern. Bei TPE auf Basis von Styrol sollte man in Kombination mit PP darauf achten, dass kein Weißöl im TPE zum Einsatz kommt. Dies kann unter Umständen zum Quellen des PPs führen.

 

Fakuma 2014: Halle/Stand B2/2209

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