März 2013

Immer dünner und leichter, stabiler und sicherer –  eine kurze, aber treffende Beschreibung der Anforderungen an Kunststoffe in elektrischen und elektronischen Bauteilen aus Kunststoff. Überall, wo Strom fließt sind die sicherheitstechnischen Zulassungshürden hoch und international teils unterschiedlich. Nicht ohne Grund, denn wo Strom fließt, muss dieser geschirmt sein und es kann heiß werden, womit die Gefahr für einen Brand steigt.

Sicherheit ist wichtiges Kriterium

„Bauteile aus Kunststoff für E+E Anwendungen müssen hohe Sicherheitsanforderungen erfüllen und daher die Materialien eine Vielzahl von Brand- und Entzündbarkeitsprüfungen bestehen. Diese Werkstoffe sind deshalb in der Regel mit Flammschutzmitteln additiviert, die möglichst nur geringen Einfluss auf das elektrische Isolationsverhalten und das mechanische Eigenschaftsprofil haben dürfen. Weiterhin ist das Korrosionsverhalten gegenüber Metallen bei der Verarbeitung sowie auf im Bauteil befindlichen elektrischen Kontakten von großer Bedeutung.

Die Bauteile müssen ihre elektrische Funktion auch unter kritischen Einsatzbedingungen  erfüllen, zum Beispiel unter dauerhaft erhöhten Temperaturen oder im feucht-tropischen Klima“, erklären  Dr. Jochen Engelmann und Reinhard Stransky, Business Development E/E, Engineering Plastics Europe, BASF, Ludwigshafen. Weitere Anforderungen können sein eine gute Fließfähigkeit für besonders dünnwandige oder kleine Bauteile, eine hohe Steifigkeit in Metallersatz-Anwendungen, eine gute Schlagzähigkeit. „Häufig unterschätzt wird der Grad der Reinheit von Materialien beziehungsweise die Reinheit der Monomere. Mit höherer Reinheit steigt auch die Zuverlässigkeit der Bauteile, woraus weniger Ausschuss durch Migrationseffekte resultiert“, ergänzt Wei Wang, Head of Advanced Electronics, High Performance Polymers,
Evonik, Marl.

Hinzu kommt, dass für E+E-Anwendungen nicht selten sogar mehrere Prüfnormen zu erfüllen sind, wie Antonio Nerone, Global Leader Electric and Electronic Industry, Dupont Performance Polymers, Genf, Schweiz, weiß: „Es gibt eine Vielzahl nationaler und internationaler Normen, die zum Teil signifikante Unterschiede hinsichtlich der Durchführung an sich ähnlicher Prüfungen aufweisen. Ohne gründliche Kenntnis dieser Normen lässt sich darum nur schwierig sicherstellen, dass ein ausgewählter  Thermoplast  die durch die Endanwendung spezifizierten Anforderungen erfüllt.“

Energie, Mobilität und Digitalisierung sind Entwicklungtreiber

Energiegewinnung aus erneuerbaren Rohstoffen, Elektromobilität sowie die zunehmende Digitalsierung und Automatisierung sind wichtige treibende Faktoren in der Entwicklung neuer Kunststoffe und Additive. In elektrischen Antrieben entstehen beispielsweise hohe Temperaturen, sodass hier leichte und gleichzeitig hochtemperaturbeständige, flammgeschützte Kunststoffe unverzichtbar sind. So bemühen sich Chemiker, Kunststofftechniker und Ingenieure in den Forschungsabteilungen darum, diesen Bedarf zu decken.

„Besonders intensiv arbeiten wir an innovativen Flammschutzformulierungen, die ihre Anwendung im Bereich der erneuerbaren Energie, der Elektromobilität und der Leistungselektronik finden sollen“, berichtet Engelmann. „Aufgrund fortschreitender Miniaturisierung der Bauteile bei gleichzeitig immer höheren zu isolierenden Spannungen wachsen  die Anforderungen an die Isolierfestigkeit der verwendeten Kunststoffe.

Eine schwierige Aufgabe ist es daher immer weiter steigende Flammschutzanforderungen mit höchster Kriechstromfestigkeit zu kombinieren. In der Elektromobilität zum Beispiel führen sehr hohe Stromstärken zu  einer verstärkten Wärmeentwicklung in den zu isolierenden Leitern, wodurch auch die Anforderungen an die Langzeitalterungsbeständigkeit der Kunststoffe deutlich wachsen.“ Das Batteriegehäuse eines Elektromobils ist ein anderes Entwicklungsfeld für Kunststoffapplikationen. Neben dem Gehäuse selbst werden vor allem auch für die durch Anbauteile realisierten Sonderfunktionen spezielle Werkstoffe notwendig. Ein Beispiel hierfür sind Druckausgleichslemente. „Diese Bauteile ermöglichen den Ausglerich von Druckschwankungen zwischen Speichergehäuse und Atmosphäre, die zum Beispiel durch höhenbedingte Änderung des Luftdrucks oder Temperaturschwankungen hervorgerufen werden können.

Gleichzeitig halten sie Wasser zurück, sodass das Speichergehäuse weiterhin wasserdicht bis zur Schutzklasse IP67 bleibt. Erreicht werden diese Eigenschaften durch den Einsatz von Membranen aus porösen Werkstoffen, die zum Beispiel auf der Basis von gesintertem PTFE aufgebaut werden können“, erklärt Jan Groshert, Leiter Entwicklung Batterietechnologie & Elektromobilität bei Elring Klinger, Dettingen an der Ems.

Entwicklungsziel: Elektromagnetische Abschirmung

Als eine andere technologische Herausforderung sehen zahlreiche Anbieter die Entwicklung elektromagnetisch abschirmenden Kunststoffe. „Während ein Metallgehäuse Strahlung abschirmt, macht ein Kunststoff als Isolator das von Natur aus nicht. So könnten durch nah beieinander liegende elektrisch aktive Baugruppen Störsignale auftreten, die die Funktion beeinträchtigen. Dennoch besteht der Wunsch aufgrund der möglichen Gewichtseinsparungen und erhöhten Designfreiheit Metallgehäuse durch Kunststofflösungen  zu ersetzen. Auch hier stellt das Elektrofahrzeug eine große Herausforderung dar, denn hier werden bei Spannungen bis zu 1.000 Volt – im Vergleich liegen in der klassischen Autobatterie nur 12 Volt an – hohe Ströme schnell an- und abgeschaltet.

Das Kunststoffbauteil, zum Beispiel für das Batteriegehäuse, muss in diesem Fall für die geforderten Abschirmwirkung  mit einer hohen elektrischen Leitfähigkeit ausgestattet sein. An dieser Aufgabe arbeiten zurzeit viele Kunststoffhersteller und entwickeln ihre eigenen Konzepte. Eine perfekte Lösung, die bezüglich Komplexität und Preis ein Optimum darstellt, gibt es bislang noch nicht“, erklärt Stransky. Das bestätigt auch Groshert: „Die hierfür entwickelten Werkstoffe sind vergleichsweise teuer und weisen Nachteile hinsichtlich anderer wichtiger Eigenschaften wie Gewicht, mechanische Kennwerte sowie bei der Verarbeitung auf.“ Auch bei Evonik sieht man hier Entwicklungspotenzial. „Metallische Gehäuse lassen sich in vielen Fällen bisher noch nicht adäquat durch Kunststoffe ersetzen. Unser Ziel ist es, das zu ändern“, betont Uwe Kannegießer, Evonik.

Designfreiheit durch Kunststoffe

Mit Blick auf die Designfreiheit, die auch, aber bei weitem nicht nur für Consumer-Artikel wichtig ist, sehen Engelmann und Stransky ein weiteres Entwicklungsziel darin, die Eigenfarben von Flammschutzmitteln neutraler zu gestalten. „Eine sehr wichtige Produktklasse in unserem Flammschutzsortiment stellen die sogenannten Ultramid A3X- Marken dar. Aufgrund eines hoch-effizienten Flammschutzmittels ergibt sich ein herausragendes mechanisches  Eigenschaftsprofil und die Produkte werden im Markt sehr breit für stark beanspruchte elektrische Schaltgeräte eingesetzt. Wegen der Eigenfarbe des Flammschutzsystems lassen sich jedoch keine hell gefärbten Bauteile realisieren. Unser Wunsch wäre nun, ein vergleichbar effizientes farbneutrales Flammschutzsystem zu finden, um die wachsenden Designanforderungen unserer Kunden mit einem optimalen Produkt erfüllen zu können.“

Neben dem Einsatz in Elektromobilen sind digitale Geräte, LED-Reflektoren, Relais oder Mikroschalter weiter Produkte für Kunststoffapplikationen, wie Wang ergänzt: „Zukünftig eines der wichtigsten Anwendungsgebiete sind interne und äußere Gehäuseteile von mobilen oder elektronischen Geräten wie Smartphones, Tablets oder Laptops.“ Hier seien neben den bisher genannten Eigenschaften auch die Lackierbarkeit und Oberflächenhärte wesentliche Einsatzkriterien. „Aber auch die Faserorientierung mit Blick auf den Verzug des Kunststoffs, stellt derzeit eine der technologischen Herausforderungen dar“, merkt er an.

Nachhaltig sollte nicht nur die Anwendung sein

„Generell ist die größte Herausforderung für die Branche die Bereitstellung nachhaltiger Lösungen für Kunden entlang der gesamten Wertschöpfungskette, die den geforderten Eigenschaftsprofilen entsprechen und dabei ohne Leistungseinbußen zusätzliche Vorteile mitbringen.

Dazu gehören verringerte Emissionen, der Einsatz von Materialien auf Basis nachwachsender Rohstoffe, die Erhöhung der Energieeffizienz, eine Verringerung des ökologischen Fußabdrucks und eine Steigerung der Sicherheit“, fasst Nerone zusammen. Wie hier auch andere Anbieter Handlungsbedarf sehen: „Insbesondere im Bereich der alternativen Antriebstechnologien sollten Werkstoffe verwendet werden, die sich umweltfreundlich recyceln oder  entsorgen lassen“, so Groshert.

Und mit dem Anspruch auf Nachhaltigkeit knüpfen die produktrelevanten Eigenschaften an die Anforderungen hinsichtlich der Verarbeitung an. Denn ein „nachhaltiger“ Kunststoff sollte nicht nur möglichst aus nachwachsenden Rohstoffen und material- wie energie-effizient hergestellt, sondern auch unter diesen Kriterien verarbeitbar sein. Mehr dazu aus Sicht der Kunststoffverarbeiter und der Maschinenanbieter lesen Sie in einer der nächsten Ausgaben des Plastverarbeiter unter dem Thema „Effiziente Kleinteile-Produktion“.

 

Jens Fischer,
Abteilungsleiter Kunststoffeinzelteilfertigung im Bereich Geräteanschlusstechnik, Phoenix Contact, Blomberg

„Für die Produkte von Phoenix Contact sind ein Flammschutzsystem, gute Wärmeleitfähigkeit und Umweltverträglichkeit sowie eine Hydrolysebeständigkeit und Recyclebarkeit wichtig.

Zudem spielen die elektrischen Eigenschaften, die hohe Dauergebrauchsfähigkeit sowie die Vielseitigkeit in der Farbe eine Rolle. Bei der Verarbeitung – insbesondere beim Flammschutz – erweisen sich eine gute Entformungssteifigkeit und geringe Ausgasungen von Kunststoff-Bestandteilen als hilfreich.  Uns interessiert, welche der vorhandenen Eigenschaften so kombiniert werden können, dass sich ein Kunststoff für bestimmte Prozess-Rahmenbedingungen nutzen lässt. Zur Anwendung bei Produkten mit dünner Wandstärke wäre das die Wärmeleitfähigkeit in Kombination mit guten elektrischen Isolierungseigenschaften. Auf längere Sicht sollte es vielleicht möglich sein, mit entsprechend elektrisch leitfähigen Kunststoffen in einem Verfahrensschritt Produkte herzustellen, die komplett aus Kunststoff bestehen.“

Norman Bartholemy,
Materialentwicklung, U.I. Lapp, Stuttgart

„Wie in jedem wirtschaftlich denkenden Unternehmen sind die Kosten ein wichtiges Kriterium. Bei uns kommen hochwertige Materialien zum Einsatz. Je nach Anforderung, Richtlinien, Vorgaben oder Gesetzen werden die jeweiligen Materialien ausgewählt. Selbstverständlich müssen unsere eingesetzten Materialien immer die Anforderungen treffen – dazu ist eine gleichbleibende Qualität, gleiche Rezepturen und ein gleichbleibender Prozess essentiell. Hierzu haben wir eine starke Kunden-/ Lieferantenbeziehung und einen Prozess der Rohmaterialfreigabe eingeführt.

Zum Beispiel setzen wir verschiedenste Polyurethane ein – je nachdem welche Produkteigenschaft zugesichert wird. Mit unserer Ölflex H-Serie haben wir ein umweltfreundliches „Green-Produkt“ geschaffen.  Alle Produktfamilien der H-Serie sind halogenfrei, sind im Falle eines Brandes „rauchgasarm“ und besitzen dazu eine geringe Toxizität. Weiter sind diese hochflammwidrig ausgestattet und erfüllen durchweg den Bündelbrandtest nach der IEC 60332-3.“

 

 

Technik im Detail

Touch Me – Wenn Kunststoffe Gefühl vermitteln

„Jeder kennt die Tonaufnahme vom Herzschlag eines Babys im Mutterleib. Genauso kann man den tatsächlich gefühlten Puls aufnehmen und dank unserer Technologie auf mobilen Geräten spürbar machen“, erläutert Dirk Schapeler, Leiter des Vivi Touch Teams, Bayer Material Science, Leverkusen. Während HD-Fernsehen und Surround-Audio heute zum alltäglichen Standard gehören, gab es zu haptischem Feedback in den vergangenen 15 Jahren kaum technische Fortschritte. Für diese Lücke wurde Vivi Touch entwickelt. Das Material verändert künftig auch die Audio-Video-Erfahrung. Kopfhörer mit der Technologie ermöglichen ein lebendigeres Hören – und das in ohrschonender Lautstärke.

Musik, Spiele- und Filmgeräusche werden nun körperlich fühlbar. Die Technologie beeinflusst dabei nicht die Schallwellen an sich, sondern wirkt durch direkten Kontakt mit der Kopfhaut und Übertragung des Tons auf den Schädelknochen. „Die Wirkung ist vergleichbar mit großen Live-Konzerten, bei denen die Fans die Bässe im ganzen Körper spüren“, erläutert Schapeler. „Nur dass ViviTouch keinen Schalldruck erzeugt und man den Live-Effekt überall und mobil genießen kann.“ Die Technologie basiert auf sogenannten elektro-aktiven Polymeren (EAP).

Diese Kunststoffe verändern unter elektrischer Spannung ihre Form und wandeln damit elektrische Energie direkt in Bewegung. Entsprechend dieser Funktionsweise werden sie oft auch als künstliche Muskeln bezeichnet.  Für die Herstellung von Aktoren wird eine Polymer-Folie auf beiden Seiten mit Elektroden beschichtet. Der Aufbau ist ähnlich wie bei einem Plattenkondensator: Wird an die Elektroden eine Spannung angelegt, dann ziehen sie sich gegenseitig an und drücken dabei auf die elektrisch nicht leitende Folie zwischen ihnen, die sich flächig ausdehnt. Nach Ausschalten der Spannung kehrt die Folie wieder in ihren Ursprungszustand zurück. Kontrollierte Bewegungen mit Ansprechzeiten im Millisekundenbereich sind das Ergebnis, das sich dann für die Simulation von haptischen Effekten gezielt nutzen lässt.

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