März 2013

Die Stellung zwischen den beiden großen Werkstoffgruppen erfordert ein besonderes Know-how der Experten sowohl auf der Herstellerseite als auch auf der Seite der Entwickler und Verarbeiter. Ein thermoplastisch zu verarbeitendes Material mit elastischen Eigenschaften einzusetzen erfordert Wissen über die Werkstoff- und Verarbeitungstechnik sowohl der Elastomere als auch der Thermoplaste. Der große Vorteil von TPE liegt in der Möglichkeit der thermoplastischen Verarbeitung insbesondere in Mehrkomponentensystemen. Neben der Extrusion kommt vorrangig das Spritzgießverfahren zur Anwendung.

Einsparpotenzial durch Mehrkomponenten-Verfahren

Die sonst zusätzlichen Montageschritte, wie beispielsweise von Dichtelementen, entfallen bei der Verarbeitung und bieten einen sehr hohen Anreiz, da mit unmittelbaren Kosteneinsparungen gerechnet werden kann. Die Einsparungen beziehen sich zum einen auf die vereinfachte Montage, zum anderen aber auch auf die entfallende Herstellung, Beschaffung und Logistik eines zusätzlichen Bauteils. Darüber hinaus bietet insbesondere der Spritzgießprozess die Möglichkeit, durch Mehrkomponenten-Prozesse in Parallelzeit, also kostenneutral, zusätzliche Funktionalitäten zu gewährleisten. Demgegenüber stehen sicherlich die höheren anteiligen Werkzeug- und Anlagenkosten, die jedoch in Anhängigkeit der Produktionsmenge betrachtet werden müssen.

Thermische und mechanische Belastbarkeit

Für eine umfangreiche Anwendung von TPE in der Zukunft ist es nicht nur für einen großen Automobilzulieferer wie Bosch von Interesse, in welche Richtungen sich die Eigenschaften thermoplastischer Elastomere entwickeln werden. Dabei ist es wichtig, Anforderungen hinsichtlich der Eigenschaften aus heutiger Sicht zu formulieren, um den Einsatz von TPEs in größerem Umfang zu ermöglichen. Hierfür ist die gemeinsame Weiterentwicklung und Charakterisierung von Eigenschaften in Kooperationen von Rohstoffherstellern, Verarbeitern, Anwendern und Forschungsinstituten im Rahmen industrieller sowie öffentlicher Forschung wünschenswert, vieleicht sogar erforderlich.

Da die thermoplastischen Elastomere in der Regel als Alternative zu einem reinen Elastomeren eingesetzt werden, ist die elastische Werkstoff-Performance insbesondere bei kombinierter thermischer und mechanischer Last für die Anwendung von großer Bedeutung. Dabei steht als charakteristische Größe, insbesondere bei Dichtanwendungen, der Druckverformungsrest DVR im Mittelpunkt des Interesses. Die große Herausforderung für die Werkstoffentwicklung besteht darin, die elastischen Eigenschaften so gut zu gestalten, dass sie das Kriechen der thermoplastischen Anteile unter dem Lastkollektiv kompensieren.

Beständigkeit auch gegen sehr hohe Temperatur

Nicht zu erwarten ist jedoch, dass die elastische Performance eines TPE besser ist als die eines reinen Elastomeren, da die Elastizität aus der vernetzten Polymerstruktur resultiert. An dieser Stelle sind den Wünschen der Anwender Grenzen gesetzt. Die größten Hemmnisse für den Einsatz von thermoplastischen Elastomeren in Bauteilsystemen für motornahe Anwendungen bestehen in der vergleichsweise geringen Temperaturstabilität der meisten bisher erhältlichen Materialtypen.

Sobald eine Dauereinsatz-Temperatur von >110°C gefordert wird, kommen letztlich nur sehr wenige Handelstypen in Frage. Hier besteht Handlungsbedarf, wenn die Kostenreduzierung durch TPEs genutzt werden soll und Bauteile aus reinen Elastomeren ersetzt werden sollen. Typische Anforderungen liegen derzeit bei 150 °C. Um dieses Ziel der höheren Temperaturbeständigkeit bei guten elastischen Eigenschaften zu erfüllen, bedarf es jedoch in der Breite sicherlich einer umfassenden Materialentwicklung, die voraussichtlich nicht mittelfristig, sondern eher langfristig erfolgen kann.

Für Bosch als Automobilzulieferer unter anderem für motornahe Anwendungen spielen die Beständigkeiten gegenüber herkömmlichen Kraftstoffen, Biokraftstoffen, Ölen und anderen aggressiven Medien eine entscheidende Rolle. Die Herausforderung besteht darin, die guten chemischen Beständigkeiten der thermoplastischen sowie der elastomeren Anteile zu kombinieren.
Um beispielsweise dauerhafte Beständigkeiten in Kraftstoff zu realisieren, sind Kombinationen (Compounds, Blends) aus Hochleistungswerkstoffen (zum Beispiel PA, PPA, PPS mit FKM oder FFKM) interessant, wobei insbesondere die Herausforderungen für die Polymerchemiker hoch sind. Ob sie auch wirtschaftlich darstellbar sind, hängt von diversen Faktoren ab.

Charakterisierung und Qualitätssicherung

Nicht nur aus der Sicht eines Automobilzulieferers ist die Charakterisierung von Werkstoffen im Rahmen von Bestellvorschriften und des dazugehörigen Normenwerks ein wichtiges Thema. Auch hier stehen die Beteiligten vor der Fragestellung, wie ein TPE-Material zu charakterisieren ist. Ist es eher ein thermoplastisches Material oder doch ein Elastomer? Die Antwort liegt wahrscheinlich genau in der Mitte, sodass für diese neue Werkstoffklasse werkstoffspezifische Richtlinien erarbeitet werden müssen, die einen Rahmen für die Erstellung von Bestellvorschriften geben. Die Plattform dafür könnte ein entsprechender Arbeitskreis (zum Beispiel VDI-K, Deutsche Kautschuk Gesellschaft) sein, in dem sowohl Rohstoffhersteller als auch Verarbeiter vertreten sind. Insbesondere das Ermitteln von belastbaren Viskositätswerten ist derzeit nicht zufriedenstellend geklärt und könnte ein Betätigungsfeld eines solchen Expertenkreises sein.

Um das Eigenschaftsprofil optimal ausnutzen zu können, ist es erforderlich, das komplexe Werkstoffsystem der TPE zu verstehen. Dabei stehen auf der einen Seite die sehr ausgeprägte Strukturviskosität von TPE-Schmelzen für Fließsimulationen und auf der anderen Seite die nicht-linerar-viskoelastischen mechanischen Eigenschaften für die Struktursimulation im Mittelpunkt.

Werkstofftechnik und Simulation

Als mittel- und langfristige Ziele für die nächsten zehn Jahre können hier das optimierte Modellieren des Fließverhaltens von TPE-Schmelzen und die Verfügbarkeit der Daten für die gängigsten Fließsimulationstools angesetzt werden sowie die Modellierung des mechanischen Verhaltens sowohl für kurz- als auch langzeitige statische und dynamische Belastungen und das Entwickeln einer vereinfachten Methode zur Bestimmung der relevanten Materialparameter in Form von Materialkarten für die Simulationstools.

Wenn Spritzgießaggregate an die unteren Grenzen im 2-K-Verfahren stoßen

Ein insbesondere für 2K-Anwendungen wichtiges Thema ist die Verbundfestigkeit zwischen einem Thermoplasten und einem TPE. Obwohl es auf dem Markt schon verfügbare Lösungen gibt und es damit letztlich zunächst eine Frage der Materialauswahl ist, muss der Verbindung im urformenden Prozess große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Herausforderung ist grundsätzlich ähnlich zu der im reinen Mehr-Komponenten-Thermoplastspritzgießen und betrifft die Verträglichkeit der Polymerketten in der Fügezone.

Die Verarbeitung von TPE in Kunststoff verarbeitenden Unternehmen stellt bis dato kein merkliches Problem dar. Die Verfügbarkeit in Form von Granulaten ermöglicht die Anwendung der bekannten Verfahrenstechniken für Thermoplaste. Da es sich häufig um Mehrkomponenten-Anwendungen handelt, bei denen eine TPE-Komponente auf eine Thermoplastkomponente aufgespritzt wird, stellt sich jedoch sehr häufig die Frage nach einer geeigneten Verfahrens- und Maschinentechnik. Ist die TPE-Komponente bezüglich des Volumens deutlich kleiner als die Thermoplast-Komponente, kann es zu Problemen in der Wahl der Verarbeitungsaggregate kommen.

Insbesondere bei Spritzgießanwendungen kann die TPE-Komponente so klein sein, dass man mit handelsüblichen Spritzgießaggregaten an die unteren Grenzen stößt. Hier liegt die Innovationskraft in der Werkzeug-, Maschinen- und Prozessgestaltung. Der Trend zu kleinen Zusatz-Spritzgießaggregaten, die an das Werkzeug angeflanscht werden und eigentlich mehr zum Werkzeug gehören als zur Spritzgießmaschine ist nicht völlig neuartig, darf aber in den verantwortlichen Engineering-Abteilungen weiter vertieft und umgesetzt werden.

Koordiniertes Zusammenspiel

Um bei den thermoplastischen Elastomeren ein tiefes Werkstoffverständnis zu erlangen, ist ein Zusammenspiel zwischen Rohstoffherstellern, Verarbeitern, Anwendern und Hochschulinstituten unumgänglich. Die praxisorientierte Forschung für TPE darf sich hier sowohl an die Erfolgskonzepte der Thermoplaste als auch an diejenigen der Elastomere im Rahmen der Drittmittel finanzierten Forschung anlehnen. Das große Interesse an den komplexen Wirkzusammenhängen der TPE muss jedoch von industrieller Seite klar formuliert und sowohl durch die Mitarbeit in Gremien als auch durch eigene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in Kooperation mit Hochschulinstituten untermauert werden.

Sie möchten gerne weiterlesen?