Februar 2013

„Das Werkzeug ist das Herzstück für eine effiziente Fertigung, deshalb ist es ideal, wenn wir die Werkzeuge für unsere Aufträge selbst fertigen können. Nur so lässt sich der Produktionszyklus optimal abstimmen und alle Möglichkeiten ausreizen“, bringt Bernd Rittinghaus, Formenbauer und Geschäftsführer des Halverer Kunststoffverarbeiters Rittinghaus die Vorteile auf den Punkt. Denn das Werkzeug ist der Dreh- und Angelpunkt jeder Spritzguss-Produktion. „Die Maschine, die Peripherie und das Handling sind austauschbare Komponenten – einzig die Auslegung des Werkzeugs bestimmt über die Qualität des Artikels und hat einen nicht unerheblichen Anteil an kurzen Zykluszeiten. Maschine und Handlingsystem können gut aufeinander abgestimmt sein, wenn die Fließwege, Anspritzpunkte und auch die Temperierung nicht stimmen, verpuffen diese Vorteile.“

Für die Konstruktion des Aufputzsteckdosen-Zwischendeckels wurden die Artikeldaten vom Auftraggeber im 3D?.step-Format angeliefert. „Wir haben unseren Auftraggeber von Anfang an bei der spritzgießgerechten Optimierung des Bauteils beraten“, sagt Rittinghaus. So ließen sich Schwachstellen in der Geometrie – die Einfallstellen, Verzug, Bindenähte oder Lufteinschlüsse hätten verursachen können – durch eine Simulation mit der Software Moldflow von Autodesk frühzeitig erkennen und optimieren.

Die Auslegung des Werkzeugs hat der Werkzeugbauer mit der Software Solidworks von Dassault Systèmes vorgenommen. Bei dieser CAD-Software werden parametrische Modelle erzeugt, die zu Baugruppen zusammengeführt werden können. Die Konstruktionsdaten werden an die CAM-Software Esprit Mold des amerikanischen Herstellers D.P. Technology übermittelt. Beide Programme basieren auf dem Modellierkern Parasolid, sodass eine Konvertierung der Daten ohne Ungenauigkeiten sichergestellt ist. Die CAM-Software generiert die entsprechenden NC-Daten und überträgt diese mit den im System integrierten mehreren Hundert Postprozessoren an die Fräs- und Erodiermaschinen.

Um möglichst viele Arbeiten an den Werkzeugen selbst ausführen zu können, hat der Unternehmer in dritter Generation seinen Werkzeug- und Formenbau aufgerüstet. Eine weitere CNC-Fräsmaschine C600V von Hermle und eine Studer-Rundschleif-Maschine S33 ergänzen aktuell seinen Maschinenpark. „Diese Investitionen amortisieren sich schnell, da wir alle relevanten Bearbeitungen an den Formen hausintern durchführen können“, erläutert er. Neben den neuen Maschinen stehen eine Senkerodier-Maschine Gantry Eagle 400, eine Fräsmaschine OPS Ingersoll 550 für die Hart- und Elektrodenbearbeitung sowie eine Drahterodier-Maschine Chamilles Robofill 440 und eine Flachschleif-Maschine von Elb-Schliff Werkzeugmaschinen im Werkzeug- und Formenbau.

Der Aufbau des 2-fach-Präzisionswerkzeugs für den Zwischendeckel wurde aus der rostfreien Legierung 1.2099 gefräst. „Die konturgebenden Einsätze werden zumeist aus hochverschleißfestem, rostfreiem Formenstahl 1.2083 vom schwedischen Stahl-Erzeuger Uddeholm hergestellt“, erläutert Rittinghaus. „Die Vorteile, wie jahrelange gleichbleibende Temperierung und höchste Beständigkeit gegenüber Heißgaskorrosion, überwiegen die Nachteile der erschwerten Bearbeitung im Formenbau bei weitem.“ Bei der Erstellung der Kontureinsätze wurde an maßlich kritischen Stellen bewusst ein Aufmaß vorgehalten. „Einzige Zukaufteile waren das Heißkanalsystem von Günther Heisskanaltechnik und entsprechende Normalien.“ Nach der Erstbemusterung wurden Maßkorrekturen durchgeführt und die Endoberflächen poliert. „Bevor wir das Werkzeug in der Produktion eingesetzt haben, wurde im Stammwerk von Arburg die neue Fertigungszelle abgenommen“, erklärt Rittinghaus.

Automatisierung bis auf die Sekunde

Auch den eigentlichen Spritzgusszyklus hat man bis auf die letzte Sekunde ausgereizt. Durch den Einsatz eines Heißkanal- anstelle eines Kaltkanalsystems verkürzt sich bereits die Zykluszeit. Weiterhin sind Werkzeugöffnung und Greiferbewegung so exakt aufeinander abgestimmt, dass Totzeiten minimiert werden. Noch während sich das Werkzeug öffnet, wird der Dreh-Schwenk-Greifer in Position gefahren, um die beiden Bauteile herauszuholen. „Bei etwa 320.000 Zyklen pro Jahr kommt es auf jede Sekunde an“, sagt Rittinghaus. Zeit ist Geld. Er rechnet vor: „Wir konnten durch eine exakte Abstimmung die Zykluszeit auf unter 35 Sekunden senken. Eine Einsparung von nur einer Sekunde pro Zyklus ergibt im Jahr bei diesem Projekt etwas über 88 Stunden – 88 Stunden, die ich die Maschine mit einem anderen Projekt wieder auslasten kann.“ Die automatisierte Anlage ist auf 16 Stunden autarkes Fertigen ausgelegt.

Dieses Ziel war am einfachsten erreichbar, indem eine komplette Fertigungszelle bei Arburg geordert wurde, die neben der elektrischen Spritzgießmaschine, einem Allrounder 520e, auch die Robotik und Verpackungstechnik enthält. „Diese Lösung aus einer Hand ist zu Anfang zwar teurer als eine Anlage bestehend aus mehreren unterschiedlichen Lieferanten, hat aber Dank der Steuerung Selogica den Vorteil, dass damit gleichzeitig Daten von Automation und Maschine verarbeitet und die agierenden Elemente bestmöglich aufeinander abgestimmt werden können.“ Selbst eine nachträglich installierte Wendestation zum Drehen der Bauteile um 180 Grad vor dem Ablegen in der Stapelbox war kein Problem. Der Entnahmeroboter gibt die beiden Zwischendeckel an die Wendestation, greift diese nach dem Drehen wieder auf und legt sie in eine Stapelbox zu jeweils 24 Artikeln pro Zwischenlage.

Eine mit einer Schutzfolie kaschierte Pappe trennt die insgesamt acht Zwischenlagen, sodass die Artikel nicht beschädigt werden. Eine weitere Anforderung an die Fertigungszelle war die Minimierung des Platzbedarfs. Dieses Ziel konnte mit dem Einsatz eines senkrechten Bunkers von Schuma, Laichingen, der weniger Standfläche benötigt als die üblicherweise horizontalen Bunker, erfolgreich gelöst werden. So können 18 gefüllte Stapelboxen übereinander bis zur manuellen Entnahme gelagert werden.

Energieeffizienz ein zunehmend wichtiger Faktor

Einzusparen galt es bei diesem Projekt nicht nur an der Zykluszeit oder der Standfläche der Anlage, sondern auch an der dafür eingesetzten Energie. Dafür zieht man die vollständige Kette der Produktion in Betracht, nicht nur den reinen Spritzgießprozess. Die Rohstofftrocknung wird mittels leistungsgeregelten Trockenluft-Trocknern von Werner Koch Maschinentechnik durchgeführt. Die Granulate werden außerhalb der Produktionshalle in die Trockner gesaugt, getrocknet und an die Maschinen gefördert. Die Werkzeugtemperierung wird über Temperiergeräte von HB-Therm bedarfsgerecht geregelt, und die nachträglich isolierten wasserführenden Schläuche der Werkzeugkühlung senken die Energieverluste bis zum Werkzeug. Abschließend hat das effiziente Temperierlayout des Werkzeugs einen hohen Anteil an der kostengünstigen Fertigung.

Medizintechnik im Blick

Neben den klassischen Artikeln hauptsächlich für die Elekroindustrie aber auch für den Maschinenbau, möchte man neue Aufträge für die Medizintechnik generieren, da hier die Margen höher sind als in den anderen Branchen. Aber dies erfordert Investitionen: „Ein Alleinstellungsmerkmal unseres Unternehmens ist es, dass wir nahezu alle Neuprojekte in Eigenleistung durchführen. Insbesondere Projekte für die Biotechnologie und Medizintechnik wickeln wir ausschließlich intern ab, das Know-how bleibt im Unternehmen“, sagt Rittinghaus und weiter: „Die Anforderungen an Genauigkeit und Maßhaltigkeit, Reinheit und Qualität medizintechnischer Produkte sind sehr hoch.“

Dazu wurde vor einem Jahr in einen Reinraum der Klasse ISO 7 nach DIN 14644 investiert. Die Umsetzung wurde mit dem Reinraumbauer Alpha Ionstatex realisiert und gleichzeitig die Validierung durchgeführt. Die Kapazität ist für maximal sieben Spritzguss-Maschinen ausgelegt. Eine modulare Erweiterung ist jederzeit ohne Unterbrechung der Produktion möglich. Der klimatisierte Reinraum übernimmt zudem die Klimatisierung der vorgeschalteten sogenannten Grauraumhalle, was wiederum Energiekosten spart und die Prozesssicherheit erhöht. Erste Aufträge mit Reinraumtechnik wurden bereits erfolgreich durchgeführt und neue Projekte sind in der Planung.

 

„Das Werkzeug ist das Herzstück für eine effiziente Fertigung.“
Bernd Rittinghaus, Geschäftsführer Rittinghaus in Halver

Bernd Rittinghaus, Geschäftsführer Rittinghaus in Halver

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