Februar 2012

In seinem Report „Medizintechnologie der Zukunft“ schreibt der Bundesverband für Medizintechnik: „Der medizintechnische Fortschritt ist nicht nur Hoffnungsträger für den Menschen. Er bietet auch Lösungen für die Gesellschaft und das Gesundheitssystem. Der demografische Wandel wird die sozialen Versorgungssysteme stark verändern. Durch Medizintechnologien werden ältere und chronisch kranke Menschen mehr Lebensqualität haben. Außerdem werden Menschen durch sie länger selbstständig und erwerbsfähig sein. Die Industrie für Medizintechnik ist eine der am stärksten wachsenden Branchen überhaupt.
Die Medizintechnikindustrie gilt als besonders innovativ, wachstumsstark und zukunftsträchtig. Der Gesamtumsatz der produzierenden Medizintechnikunternehmen legte in Deutschland nach Angaben der offiziellen Wirtschaftsstatistik im Jahr 2010 um 9,4 Prozent auf 20,0 Milliarden Euro zu. Im Vorjahr war der Umsatz aufgrund der Wirtschaftskrise und der Rückgänge im Export um 4,3 Prozent auf 18,3 Milliarden Euro zurückgegangen. Der Auslandsumsatz stieg 2010 um 12 Prozent auf insgesamt 12,8 Milliarden Euro. Eine BVMed-Umfrage im Herbst 2011 ergab ein Umsatzwachstum in 2011 von stabilen 5,3 Prozent. Der Inlandsumsatz lag mit 7,2 Milliarden Euro 5 Prozent über dem Vorjahresergebnis. Die deutsche Medizintechnikindustrie ist außerdem sehr exportintensiv – mit Exportquoten zwischen 60 und 65 Prozent. Im ersten Halbjahr 2011 lag die Exportquote sogar bei 68 Prozent. Mitte der neunziger Jahre waren es lediglich rund 40 Prozent.“

Rohstoff als Schlüssel zur effizienten Produktion

Kunststoffe sind neben Metallen die am häufigsten eingesetzten Werkstoffe in medizintechnischen Produkten. Auf der Fakuma 2011 präsentierten zahlreiche Hersteller ihre neuen Rohstoffentwicklungen. Allen gemeinsam ist das Ziel, möglichst wirtschaftlich eine hohe Qualität der daraus gefertigten Produkte sicher zu stellen. Dafür sollen die Zykluszeiten in der Verarbeitung möglichst kurz und die Produktion möglichst energieeffizient sein. Die Produkte sollen möglichst haltbar und für die Anwender Vorteile hinsichtlich Handhabung oder auch Verträglichkeit aufweisen.
Viele Hersteller präsentierten auf der Fakuma Rohstoffe, mit denen sich die Effizienz der Verarbeitung steigern lässt. Durch die thermische Stabilität einiger Rohstoffe sind hohe Verarbeitungstemperaturen möglich wie auch eine zügige Sterilisation bei vergleichsweiser hoher Temperatur, beispielsweise mit Heißdampf. So erlaubt der Rohstoff Ultraform H4320 im Extrusionsverfahren hohe Ausstoßgeschwindigkeiten. Mit Bormed L6609-PH wird ein Polyolefin angeboten, das besonders thermisch stabil ist und dessen Verarbeitungszyklus sich durch eine erhöhte Sterilisationstemperatur verkürzt. Außerdem reduziert die verbesserte Molekulargewichtsverteilung das Artikelgewicht beziehungsweise den Materialverbrauch. Auch mit der neuen Entwicklung Thermolast M in Härtevarianten von 30 bis 70 Shore, lässt sich die Wirtschaftlichkeit der Produktion verbessern. Das Thermoplastische Elastomer (TPE) erlaubt die Verarbeitung im Mehrkomponenten-Spritzguß und bei der MT/HD-Rohstoffvariante zudem kürzere Kühlzeiten für dickwandige Produkte. Auch Mediprene, eine TPE Produktreihe, zeichnet sich durch eine gute Kombinierbarkeit von harten und weichen Komponenten aus. Dies können Dichtungen sein, die direkt mit einem Artikel verbunden sind oder auch weiche Konturen wie bei Atemmasken. Mediprene haften gut auf PP und PE, sind frei von PVC, Latex und Silikon, lassen sich einfach einfärben und verarbeiten.  Ein gute Verarbeitbarkeit zeichnet auch das Polypropylen Purell SM170G aus. Der neue Werkstoff wurde in vergleichenden Tests auf handelsüblichen BFS-Maschinen verarbeitet. Die erreichten Taktraten sind mit dem Benchmark PE-LD vergleichbar. Purell SM 170G ist thermisch stabil und toleriert so höhere Sterilisationstemperaturen, die den Produktionszyklus verkürzen.  

Sicherheit und Qualität

Neben Eigenschaften, welche eine effiziente Produktion unterstützen, legen Verarbeiter auch Wert auf eine verlässliche Rohstoffqualität und Sicherheit. Es ist von großer Bedeutung, dass die Werkstoffe die Anforderungen der für medizintechnische Anwendungen geltenden gesetzlichen Regelungen und Vorschriften erfüllen. Außerdem ist eine konstante Zusammensetzung der Werkstoffe für medizinische Produkte besonders wichtig. Für die Kunststoffe der Ultraform Pro-Serie hat der Anbieter die Rezeptur bei der FDA hinterlegt und sichert dem Anwender zu, den Drug Master File (DMF) nicht zu ändern. Alle im Pro-Portfolio hinterlegten Materialtypen bieten den Nachweis und die Einhaltung maßgeblicher internationaler Normen und Prüfungen zum Einsatz von Kunststoffen in der Medizintechnik, wie zum Beispiel die EU-, US- sowie japanische Pharmakopöe und DIN EN ISO 10993-5. Das gilt auch für Purell SM170G und das Polyacetal Delrin. Der Hersteller von Thermolast M verpflichtet sich für seine TPE, die Werkstoffe zwei Jahre lang mit einer Rezepturkonstanz zu liefern. Sollte es dennoch einmal eine Änderung geben, etwa, weil ein Rohstoff nicht mehr lieferbar ist, erfährt der Anwender das mindestens zwei Jahre im Voraus. Bei der Produktion von Thermolast M wird Sicherheit großgeschrieben: Eine separate Produktionsanlage verarbeitet nur Rohstoffe, die den Anforderungen des Medizinmarktes entsprechen, um Kontaminationen mit anderen Produkten oder Rohstoffen von vorneherein auszuschließen.

Neue Eigenschaften für innovative Produkte

Neben Qualität und Rohstoffsicherheit präsentierten die Fakuma-Aussteller auch einige Werkstoffe mit Eigenschaften, die neue Produkte möglich machen. So zum Beispiel eine antimikrobielle Wirkung, die durch das Additiv Hygentiv erzielt werden kann. „Die mit unseren Additiven ausgestatteten Produkte unterstützen dabei die Maßnahmen einer professionellen Krankenhaushygiene“, erklärt Edgar Eichholz, Launch Manager Medical Device Materials, BASF. Das Risiko, dass medizinische Geräte zur Entstehung von Infektionen beitragen, wird auf diese Weise verringert.
Für sensitive Anwendungen ist auch der nicht-phthalat Weichmacher Hexamoll Dinch. Das Additiv ist speziell für elastische Produkte mit engem menschlichem Kontakt entwickelt worden. Der Weichmacher weist eine geringe Migrationsrate auf und findet zum Beispiel in Produkten zur enteralen und parenteralen Ernährung Verwendung, aber auch in weiteren medizinischen Anwendungen wie Kathetern und Atemmasken. Studien haben zudem gezeigt, dass das Additiv zum Einsatz in Blutbeuteln geeignet ist. Rote Blutkörperchen überstehen eine Lagerdauer von 42 Tagen problemlos, Blutplättchen lassen sich ohne Schwierigkeiten sechs Tage lagern. Eine gute Blutverträglichkeit wird auch bei der Verwendung in Dialyse-Sets bestätigt. Außerdem bleiben bei diesen Weich-PVC-Artikeln auch nach der Sterilisation die technischen Eigenschaften erhalten.

Weniger Reibung für eine bessere Handhabung

Daneben spielen auch optische und mechanische Eigenschaften eine wesentliche Rolle in der Entwicklungsarbeit der Rohstofflieferanten. So ist eine Lasermarkierbarkeit für manche Anwendungen von Vorteil. Damit lässt sich beispielsweise auf einem Insulin-Pen die Einstellskala für die Dosis auf die Hülse aufbringen. Der verwendete Werkstoff Delrin zeichnet sich außerdem wie viele andere durch seine guten Gleitreibeeigenschaften aus. Auf Grund seines geringen Reibungskoeffizienten erleichtert das Material die Handhabung des Insulin-Pens UnoPe von Ypsomed. Dazu Stefan Burren, Leiter Produktentwicklung bei Ypsomed: „Die guten Gleiteigenschaften des für die Stellhülse verwendeten Werkstoffs bilden die Basis für die einfache Handhabung des Pens. Durch Minimierung der Reibung zwischen den einzelnen Bauteilen verringert sich der erforderliche Kraftaufwand für den Patienten zur Dosierung und Injektion des Medikaments.“ Für gute Gleitreibeeigenschaften sorgen auch das Polyactal Ultraform N2320 oder das TPE Thermolast M, die auch für den Einsatz in Injektionssystemen geeignet sind.
Um Sililkon gleitfähiger zu machen, bietet sich eine Beschichtung mit Silmade-LowFriction an. Durch die Applikation dieser transparenten Beschichtung auf Form- und Extrusionsteilen aus Silikon ist es gelungen, die hohen Reibungseigenschaften von Silikonoberflächen signifikant, um bis zu 70 Prozent, herabzusetzen – gleichzeitig aber deren Elastizität aufrechtzuerhalten. Und somit  die Funktion und Eigenschaft  der Oberfläche entscheidend zu verbessern. Im Testverfahren wurde die gute Haftung zwischen Silikonoberfläche und Beschichtung bestätigt (Gitterschnitttest 70° C/H2O/2h). Die applizierte Oberfläche mit hoher Elastizität ist gut zu reinigen, abriebfest und resistent gegen Staub und Schmutzpartikel. Desinfektion und Sterilisation erfolgen durch Autoklavierung, Elektronen- und Gammastrahlung.
Auch PEEK weist einen niedrigen Reibungskoeffizienten auf. Vestapeek wird beispielsweise in Auftragegeräten für Zahnfüllungen verwendet, damit der Anwender ermüdungsfrei arbeiten kann. Der Werkstoff ist zudem besonders stabil und sorgt für eine lange Nutzungsdauer der daraus hergestellten Produkte.
Die Stabilität spielt auch bei elastischen Produkten eine große Rolle. Eine Alternative zu PVC ist Medalist MD-500. Der Werkstoff ist für viele Schlauchanwendungen geeignet, da er die Schläuche knickstabil und kristallklar macht. Auch die Farbe ändert sich nach der Bestrahlung mit Gammastrahlen zur Sterilisation nur geringfügig. Die Elastomere lassen sich effizient auf  kommerziellen Hochgeschwindigkeits-Schlauchextrusionslinien verarbeiten. Der Anbieter hat drei Systeme zum Verkleben von Schläuchen aus diesen Elastomeren mit herkömmlichen Verbindungsstücken entwickelt, darunter ein bei Raumtemperatur aushärtender Klebstoff, ein mithilfe von Licht aushärtender Klebstoff und ein lösungsmittelbasierter Kleber.
Eine andere Alternative für PVC bietet der Rohstoff Bormed SC820CF für Beutel. Die Produkte sind dampfsterilisierbar und behalten ihre optischen wie mechanischen Eigenschaften auch nach der Sterilisierung. Das Polypropylen wird als Mischkomponente oder Co-Extrusionsschicht für primäre Beutel, die intravenöse, Nähr- oder Dialyselösungen beinhalten, empfohlen. Außerdem wird er als Sekundärverpackungsfolie zum Schutz vor Staub und als Dampfsperre verwendet.

Am Ende zählt der Anwender

Bei der Entwicklung neuer Rohstoffe stehen nicht nur die Verarbeiter, sondern auch die Anwender medizintechnischer Produkte im Fokus. Anforderungen an eine möglichst effiziente, kostensparende Verarbeitbarkeit wirken sich letztendlich auch auf den Preis der hergestellten Produkte aus. Hier gilt es, neben einer hohen Qualität, wie Anwenderfreudlichkeit und Nutzungsdauer, die wirtschaftlichen Möglichkeiten von  Krankenkassen und Patienten nicht aus dem Auge zu verlieren. Die Rohstoffanbieter präsentierten hierfür zahlreiche Lösungen, mit denen sich auch innovative Produkte schaffen lassen.

 

KOSTENEFFIZIENZ

Hohe Ausstoßraten

Ein Schwerpunkt in der Entwicklung neuer Produkte auf dem Rohstoffmarkt, sind Kunststoffe, die die Verarbeitung erleichtern. Hier setzen viele Anbieter auf höhere Verarbeitungstemperaturen bei thermostabilen Rohstoffen. Diese lassen sich einfacher verarbeiten und besonders wichtig bei medizintechnischen Produkten: bei höherer Temperatur sterilisieren. Das kann die Sterilisationszeit verkürzen und reduziert damit die Produktionszeit. Die Ausstoßraten werden erhöht, die Effizienz für den Verabeiter steigt.

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