Februar 2012

Eine Spritzgieß-Simulation berechnet in der Regel das Füllverhalten und den Verzug des Bauteils. Simuliert wird meist mit 2,5D-Ansätzen und Vereinfachungen nach Hele-Shaw. Diese sind für große und flächige Bauteile sinnvoll, um die Rechenzeiten in Grenzen zu halten. Für komplexe Bauteile entsprechen sie jedoch nicht dem Stand der Technik. Die Ansprüche an Simulationen sind entsprechend gering: Eine einfache Simulation wird meist nach der Coloured-Picture-Philosophie durchgeführt. Die reale Bauteil-, Werkzeug- und Prozessoptimierung findet immer noch, nach einem iterativen Prozess, erst am Stahl statt.

CAD-Informationen gehen für die Simulation verloren

Sowohl Kunststoffbauteile als auch Werkzeuge werden heute in 3D-Softwaresystemen (CAD) konzipiert. Deswegen liegen die Informationen über Geometrie und Eigenschaften aller relevanten Komponenten in 3D-Modellen vor. Natürlich sind nicht alle Werkzeugelemente vom Anfang an verfügbar, aber mit fortschreitender Produkt- und Werkzeugentwicklung werden immer mehr Informationen generiert und können nachträglich aufgenommen werden. Leider gehen diese 3D-Informationen des CAD-Systems bei konventioneller Simulationssoftware häufig verloren, da sie aufgrund der Hele-Shaw-Vereinfachungen auf Schalelemente reduziert werden. Ein Grund dafür liegt in den Vernetzungsalgorithmen, denn es ist eine Herausforderung, eine komplexe 3D-Geometrie komplett zu vernetzen und dabei die Konsistenz zwischen allen Komponenten – Kavität, Werkzeugplatten, Schieber, Temperierkanäle – zu erhalten. Normalerweise ist daher eine manuelle Nacharbeitung erforderlich. Die Simulationssoftware wird so nach wie vor nur für die Bauteilauslegung verwendet. Aufgrund des Aufwands der Netzerstellung nicht aber für das gesamte Werkzeug. Im Klartext heißt das: Während der Bauteilauslegung verfügt der Konstrukteur über Geometrieinformationen für das Bauteil. Eine konventionelle Spritzgieß-Simulation kann in diesem Fall verwendet werden, um eine erste Füllanalyse durchzuführen und damit Faktoren wie Bindenähte oder Verzug grob abzuschätzen. Für großflächige Bauteile ist dieser Ansatz durchaus geeignet. Für komplexe, dickwandige Bauteile ist das Ergebnis eher fragwürdig, besonders wenn Einlegeteile integriert werden sollten. Wegen der erheblichen Vereinfachungen kann dann die Simulation von der Realität signifikant abweichen.

Prozessorientierte Simulation mit Hilfe von 3D-Daten

Dem Stand der Technik entspricht daher eher der 3D-prozessorientierte Ansatz. Hierbei werden neben der Bauteilgeometrie alle relevanten Einflussfaktoren – wie Werkzeugkomponente und -werkstoff, Temperierkonzepte und -medien, Heißkanäle und tatsächliche Prozessführung – physikalisch erfasst und in die Simulation integriert. Die von Sigmasoft durchgängig genutzte Finite-Volume-Methode, erlaubt es, in jeder Phase des Produktentstehung-Prozesses alle verfügbaren geometrie- und prozessrelevanten Einflussfaktoren zu integrieren. Das so gewonnene Modell wird automatisch, ohne Nacharbeit, vernetzt. Ein deutlicher Produktivitätsvorteil für den Anwender. Mit dem Simulationsmodell werden dann thermische Werkzeuganalysen durchgeführt. Grundlage für die bauteilbezogene Werkzeugoptimierung und Minimierung der Zykluszeit. Aussagen zur Effizienz des Temperierkonzeptes unter energetischen Gesichtspunkten sind so im Detail möglich. Darüber hinaus können Auswerferkräfte bei der Entformung definiert, und die Auswirkungen nachgelagerter Prozesse auf die Spannungsverteilung und Maßhaltigkeit im Bauteil analysiert werden.
Grundlage für die 3D-Simulation ist, dass das Fließverhalten anhand der 3D-Navier-Stokes Gleichungen abgebildet werden kann. Sinnvoll, wenn bereits andere 3D-Geometriedaten verfügbar sind. Der Füllvorgang ist umso genauer abgebildet, je besser lokale scherungsinduzierte Erwärmungen mit berechnet werden, die zum Beispiel für die Bilanzierung von Anguss-Systemen bedeutsam sind. Gekoppelt mit einer Fließsimulation, kann die 3D-Wärmeübertragungs-Simulation die genauen lokalen und transienten Temperaturfelder im Bauteil, Werkzeug und Anguss-System vorhersagen. Diese gekoppelte Simulation ist wichtig, um den Einfluss des Werkzeugs auf die Rheologie des Kunststoffs – unter anderem bezogen auf die Bilanzierung des Anguss-Systems, Erstarrung, Verzug, Einfallstellen – zu evaluieren, aber auch um verschiedene Temperierungsansätze zu bewerten.

Multi-Zyklussimulation eröffnet neue Möglichkeiten

Das Potenzial der prozessorientierten Methode liegt darin, über die Simulation mehrerer aufeinander folgender Spritzgieß-Zyklen den thermisch-rheologischen Zustand des Werkzeugs im tatsächlichen Produktionsbetrieb zu bestimmen. Um dies zu erreichen, wird das Aufheizen des Werkzeugs über mehrere komplette Zyklen – Werkzeug schließen, Einspritzen, Abkühlen, Werkzeug öffnen, Entformen, Werkzeug schließen – simuliert und der Energieein- und -austrag der Komponenten entsprechend berechnet.
Damit ist es möglich zu bestimmen, wie viele Anfahrzyklen beim Anfahren des Werkzeugs oder bei Produktions-unterbrechungen benötigt werden, um einen stationären Zustand zu erreichen. Ein einfacher Ansatz, Ausschuss zu minimieren. Auf diese Weise wird auch die tatsächliche Effizienz des Temperiersystems deutlich und kann hinsichtlich Wirtschaftlichkeit, Artikelqualität und Energieeffizienz bewertet werden.

Temperierung eines Spritzgießwerkzeugs auslegen

Für das Bauteil aus der Abbildung wurde eine Füllsimulation durchgeführt und es wurden unterschiedliche Aspekte der Werkzeugtemperierung ausgelotet. Die Geometrie ist sehr komplex, das Bauteil verfügt über mehrere Masseanhäufungen und sprunghafte Änderungen der Dicke. Deswegen stand neben der einfachen Temperierung auch eine Konturnah-Temperierung als mögliche Variante zur Auswahl. Hierbei war das Abkühlverhalten der Kerne im Werkzeug besonders wichtig. Diese beiden Varianten wurden simulativ verglichen.In einem ersten Schritt wurde die Standardkühlung simuliert und ausgewertet. Ziel war es, das thermische Verhalten des Werkzeugs besser zu verstehen, und „problematische“ Stellen, die die Zykluszeit verlängern könnten, zu finden. Das Temperierungsmedium wurde auf eine Temperatur von 95 °C gesetzt. Das Simulationsbild zeigt eindeutig, dass die Oberflächentemperatur an manchen Stellen deutlich über 140 °C liegt, auch wenn die Zieltemperatur des Werkzeugs 95 °C war. Die heiße Kunststoffschmelze erhitzt diese Zonen, und die Temperierung ist unzureichend. Die hohen Temperaturen werden in der Praxis zu Qualitätsproblemen führen. Hinzu kommt, dass die Temperatur über die gesamte Kavität sehr inhomogen ist. Unterschiede bis zu 60 °C sind feststellbar. Das Ergebnis zeigt eindeutig, dass weder die gewünschte Dimensionierung noch eine wirtschaftliche Zykluszeit mit diesem Temperierungskonzept erreicht werden können.
Bei der zweiten Simulation wurden einerseits unterschiedliche Steigbohrungen mit in das Kühlsystem integriert, anderseits wurden eine Konturnahtemperierung und Kupferstifte eingebracht. Die Wirkung ist im Bild deutlich erkennbar. Nochmals wird die Temperatur in der Kavität nach 22 Zyklen betrachtet. Die Temperaturverteilung ist mit dieser Temperierungsvariante deutlich homogener, und die Temperatur in den Werkzeugkernen niedriger. Da die Temperaturgradienten signifikant gesenkt wurden, ergibt sich somit eine gleichmäßigere Schwindung des Bauteils – eindeutig die bessere Lösung für diesen Spritzgießprozess.

 

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