August 2011

Bei manchen Fahrzeugen ist schon fast eine Lupe nötig, um vor allem im Innenraum jedes Detail erkennen zu können. Vom Schaltknüppel bis zum Getränkehalter gleichen die Modellfahrzeuge im Maßstab 1:87 den Originalen, und sogar die Sitze sind beweglich. „Das Hauptaugemerk aber gilt der Karosserie“, betont Andrè Lemke, Leiter der Kunststofffertigung bei Sieper. „Wir brauchen perfekte Oberflächen, der Fahrzeuglack muss glänzen. Bei den Modellautos bewegen wir uns mit der Automobilindustrie auf Augenhöhe.“ Denn die Sammler sind anspruchsvoll.
Zwei Marken vereint Sieper unter einem Dach. Wiking steht für den detailgetreuen Modellbau, Siku für robustes Kinderspielzeug. Wenn sich auch die Zielgruppen und deren Anforderungen unterscheiden, eines haben die beiden Produktlinien gemeinsam: Die Fahrzeuge und Zubehörteile bestehen größtenteils aus polymeren Werkstoffen. Verarbeitet werden vor allem ABS, PS sowie SEBS für die Reifen. Nach dem Spritzguss werden die Kleinteile lackiert, bedruckt oder per Hand bemalt und schließlich montiert.
30 Spritzgießmaschinen mit Schließkräften zwischen 15 und 80 Tonnen umfasst der Maschinenpark in Lüdenscheid. Erst Anfang dieses Jahres wurde die Kapazität um drei Maschinen vom Typ Engel victory 80/40 aufgestockt. Eine dieser neuen Maschinen produziert die Kotflügel für den Leiterwagen der Lübecker Feuerwehr aus der aktuellen Wiking-Kollektion. Bei einer Gesamtfahrzeuglänge von 11 cm messen die Kotflügel gerade einmal 10 mm. Jeweils acht Kotflügel werden in einem 4+4-fach-Werkzeug in einem Zyklus gespritzt. Mit Anguss fallen die Achtersets aus der Maschine. Für den versierten Spritzgießer mag dieser fast ein bisschen zu groß geraten wirken. Doch weit gefehlt, der Anguss ist in diesem Prozessstadium noch kein Abfall. „Wir nutzen den Anguss beim nachfolgenden Lackieren als Halterung“, verrät Lemke. „Müssten wir die Kleinteile zum Lackieren, Bemalen oder Bedrucken jeweils mit einer Pinzette greifen, würde die Oberflächenveredelung deutlich mehr Zeit beanspruchen und außerdem wäre das Ausschussrisiko größer.“

Sonderlösung mit einem vertikalem Spritzaggregat

Um die Werkzeuge trotz des überdimensionalen Angusses kompakt zu halten, hat der hausinterne Werkzeugbau entschieden, dass der plastifizierte Kunststoff nicht wie herkömmlich horizontal, sondern von oben eingespritzt wird. Standardspritzgießmaschinen können für diese Anwendung bei Sieper nicht punkten. „Die realisierte Lösung ist im Prinzip eine abgespeckte Mehrkomponentenmaschine“, berichtet Otto Tewes, Projektingenieur bei Engel Deutschland in Hagen, der gemeinsam mit seinem Kunden die Sonderlösung entwickelte, die victory 80/40 V. „Die Flexibilität von Engel, die Maschine individuell an unsere Anforderungen anzupassen, war ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Anbieters“, sagt Lemke. Ein weiterer wesentlicher Aspekt war die holmlose Schließeinheit der victory-Baureihe. „Unsere Mitarbeiter waren sofort von dem großen, frei zugänglichen Werkzeugeinbauraum begeistert.“ Auf ein und derselben Maschine lassen sich nun sowohl sehr kleine Formen als auch große, komplexe Werkzeuge mit Kernzügen aufspannen. Speziell dafür wurde ein Zentrierring entwickelt. „Manche der kleinen Formen sind so leicht, dass wir sie manuell in die Maschine hängen können“, sagt Lemke. „Dafür müssen sich unsere Mechaniker jetzt nicht mehr durch die Holme bücken. Die Rüstzeiten sind dadurch deutlich kürzer geworden. Die Effizienz unserer Fertigung hat sich erhöht.“
Kleine Losgrößen bestimmen das Geschäft. Für den Sammlermarkt werden zum Teil Auflagen von gerade einmal 3000 bis 5000 Stück produziert. Hinzu kommt die große Modellvielfalt. 350 Fahrzeuge umfasst der aktuelle Wiking-Katalog, und über 400 Modelle werden unter dem Label Siku gefertigt. So kommt Sieper auf 80 bis 100 Werkzeugwechsel in der Woche, die von vier Mitarbeitern vorgenommen werden.

Perfekte Oberflächen für einen brillanten Glanz

Acht Spritzgießformen gehören alleine zum aktuellen Touareg-Modell. Als Exklusivpartner von VW stellt Sieper schon zur Markteinführung der neuen Fahrzeugmodelle die Miniaturen her. Beim Lackieren der Kunststoffkarosserie werden die Originalfarbtöne von VW verarbeitet, von Campanellaweiß bis Night Blue Metallic. Voraussetzung für einen perfekten Glanz sind ebenmäßige Oberflächen der Kunststoffbauteile ohne Bindenähte und Einfallstellen. Bei den dünnen Wandstärken der Fahrzeugdächer von zum Teil nur 0,2 mm stellt das eine große Herausforderung dar. „Wir bewegen uns hier bereits im Bereich des Dünnwandspritzgusses“, so Lemke. Die Maschinen arbeiten deshalb mit hohen Drücken und Einspritzgeschwindigkeiten. Wichtig ist Lemke zudem eine hohe Prozessstabilität. „Zwischen Spritzguss und Lackierung können mehrere Tage liegen. Stellen wir erst beim Lackieren Oberflächendefekte fest, müssen wir die gesamte Charge entsorgen.“
Weniger filigran als im Modellbau für den Sammlermarkt geht es im Geschäftsbereich Siku zu. Neben den winzigen Kotflügeln für das Feuerwehrauto fallen aus der zweiten der drei neuen victory-Maschinen goldgelbe Rundteile mit einem Durchmesser von etwa 3 cm. Diese entpuppen sich beim Zusammenstecken zweier Hälften als Heuballen, die später im Kinderzimmer auf Traktoranhänger verladen werden. „Die Landwirtschaft gehört im Kinderzimmer zu den Trendthemen“, weiß Lemke. Auch wenn die kleinen Endanwender vielleicht nicht alle den Originallack von John Deere oder Claas erkennen, hinsichtlich der Funktionalität akzeptieren sie keine Kompromisse. Auch das Zubehör ist ihnen wichtig, und Seilzüge oder Schaufeln der Nutzfahrzeuge müssen ihren Zweck erfüllen. So sind es am Ende nicht unbedingt die Sammler, die die höheren Ansprüche an Sieper stellen.

 

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