September 2010

Die Anspannung ist groß, bei jeder Ausschreibung aufs Neue. Wie weit muss der Preis runter, um gegenüber dem größeren Wettbewerber den Zuschlag zu erhalten? Wie weit darf der Preis runter, um am Auftrag noch zu verdienen? Im Geschäft mit Tierohrmarken zählt bei gegebenen technischen Parametern vor allem eines: der Preis. „Manchmal geht es bei der Vergabe um zehntel Cent“, so Claus Richter, Technischer Leiter bei Hauptner + Herberholz.

40 Prozent seines Umsatzes erwirtschaftet der Solinger Ausrüster von Tierzuchtbetrieben und Veterinären mit Kunststoff-Ohrmarken, jenen Labels, die Rinder, Schweine und Schafe im Sinne der Viehverkehrsverordnung weltweit einzigartig machen. Die Kunden sind in der Regel nicht die Landwirte selbst, sondern die Bundesländer sowie Provinzregierungen und Regionalverwaltungen in aller Welt. In Europa zumindest wird dieser Markt durch öffentliche Ausschreibungen und damit über den Preis gesteuert.
Der Kostendruck war so auch die Triebfeder für die bislang größte Einzelinvestition der Firmengeschichte. Zur Spritzgießfertigung von Rindermarken – bezogen auf den Umsatz machen diese den Löwenanteil im Ohrmarken-Portfolio aus – installierte Hauptner + Herberholz eine hochautomatisierte Mehrkomponentenspritzgießanlage. Diese hat einen aufwändigen, personalintensiven Prozess bestehend aus drei einzelnen Fertigungsstufen auf drei unterschiedlichen Maschinen und Werkzeugen abgelöst.
Auf einer holmlosen Victory 750H/200W/260combi von Engel werden heute alle drei Teile des Ohrlabels in einem Arbeitsgang hergestellt: Die bislang getrennt voneinander gespritzten Dorn- und Lochteile aus TPU werden nun als Paare vierfach am Streifen gefertigt und die Spitzen der Dornteile sowie die Töpfe der Lochteile aus einem Polyamid direkt mit den jeweiligen Markenteilen verbunden. Herzstück der 2K-Maschine ist ein 8+8-fach-Drehtellerwerkzeug von Polarform mit einer Impulstemperierung von Wieder.
Die fertigen Vierfach-Streifen werden von einem Linearroboter vom Typ ERS 32-F, dem so genannten Speedy, entnommen und auf zwei besonders langen Modulargurtbändern verschachtelt abgelegt. Die Produktion von neun Stunden kann hier gepuffert werden, bevor die Marken manuell in Kartons verpackt werden.

Zykluszeit fast halbiert

Einige Ohrmarken gehen blanko an Unterlieferanten und Kooperationspartner, der größte Teil jedoch, wird zurweiteren Verarbeitung nach nebenan in die hauseigene Laserkennzeichnung gebracht. Dort erhalten die Labels eine fortlaufende Nummer und einen Barcode. Die Viehverkehrsverordnung regelt, dass jede Kennzeichnungsnummer weltweit nur einmal vergeben wird. Die laufenden Nummern werden jeweils durch dieBehörden frei gegeben und direkt anden Ohrmarkenhersteller übermittelt.

„Mit der neuen Produktionsanlage bewegen wir uns mit dem Produktpreis jetzt in einer Größenordnung, wo wir mit den großen der Branche mithalten können“, so lautet Claus Richters Fazit nach dem Umstellen der Produktion auf den neuen integrierten Prozess. An diesem Erfolg haben verschiedene Faktoren teil. Wichtigster Punkt für Richter ist klar der mannlose Betrieb, den die Anlage durch die große Pufferkapazität von neun Stunden ermöglicht. Nachts arbeitet die Maschine inzwischen autark, und „genau das ist der Effekt, der zur Kostensenkung geführt hat“, betont Richter. „Die Lohnkosten haben wir gedrittelt.“
An zweiter Stelle folgt dicht auf die Zykluszeit. In der Vergangenheit lag diese bei über 40 Sekunden für insgesamt16 Teile beziehungsweise vier Vierer-Streifen. Heute sind es nur noch 22,8Sekunden. „22 Sekunden, so lautete die Vorgabe für den Maschinenlieferanten und den Werkzeugbauer. Das habenwir fast geschafft“, sagt Richter. „DieAuswirkungen der restlichen 0,8 Se-kunden liegen im hundertstel Cent-Bereich, das ist für uns kein Thema mehr. Mit 22,8 Sekunden sind wir vollauf zufrieden.“
Hohe Anforderungen an das neue Anlagenkonzept stellten auch die baulichen Gegebenheiten in den alten Gemäuern in der Kullerstraße in Solingen, wo das bereits seit 150 Jahren erfolgreich am Markt agierende Unternehmen seit nunmehr 93 Jahren Tierzuchtprodukte und Veterinärinstrumente herstellt und vertreibt. Die Räume, in denen heute die Spritzgießfertigung untergebracht ist, haben eine Höhe von gerade einmal vier Metern. Abzüglich des Schwerlastkrans bleibt für Werkzeugmanöver und Roboteraktionen kaum Spielraum. Die holmlose Technik der Maschinenserie Engel Victory war daher für das Projektteam ein wichtiges Entscheidungskriterium bei der Auswahl des Maschinenlieferanten. Den zweiten Ausschlag gab das Automatisierungskonzept. „Wir hatten von zwei Anbietern Angebote eingeholt“, berichtet Jürgen Riegel, Produktionsleiter Kunststoffspritzguss und Kennzeichnung. „Das Konzept von Engel war vor allem hinsichtlich der Automation weiter durchdacht.“

Schnellläufer für die seitliche Teileentnahme

Da für ein Lineargerät über der Maschine der Platz fehlte, wurde mit einem ERS 32-F aus dem Engel-Roboterprogramm geplant. „Dieser Speedy hat den großen Vorteil, dass er seitlich in das Werkzeug einfährt“, so Matthias Hölscher, Projektingenieur bei Engel Automatisierungstechnik Deutschland. Konzipiert wurde der Schnellläufer, der hier in einer neuen Version eingesetzt wurde, ursprünglich für Verpackungsanwendungen. „Mit dieser Anlage erweitern wir nun die Einsatzmöglichkeiten“, sagt Udo Riethmüller, Verkaufsingenieur bei Engel Deutschland. „In Nordrhein-Westfalen ist das Projekt bei Hauptner + Herberholz die erste Anwendung für die neue Speedy-Generation.“ Neu ist die verlängerte Z-Achse mit einem Bewegungsfreiraum von 3,5 statt 2 Metern. Dieser wird in Solingen zum Verteilen des Outputs auf die beiden Gurtbänder genutzt. Zusätzlich zu den fertigen Labelstreifen nimmt der Roboter auch die Angüsse vom Vorspritzling auf, eine Anforderung, die sich erst bei der Abnahme der Maschine ergeben hatte. „Geplant war, dass die Angüsse einfach runterfallen“, berichtet Vorarbeiter Serdar Seyfi. „Das erschien uns während der Geisterschicht nachts dann aber doch nicht sicher genug.“ So wurde ein zusätzlicher Greifer nachgerüstet.

Aus einer Hand

Spritzgießmaschine und Automation kamen aus einer Hand von Engel, die Koordination der weiteren Zulieferer aus den Bereichen Werkzeugbau, Temperiertechnik und Granulathandling übernahm Hauptner + Herberholz selbst. „Vielleicht ein Fehler“, bedenkt Claus Richter heute nach Abschluss des Projekts. „Die Koordination der einzelnen Komponenten erwies sich doch als aufwändiger als erwartet.“ Für kommende Projekte denkt Richter nun darüber nach, den Maschinenbauer als Generalunternehmer für die gesamte Anlage zu beauftragen. „Nach unserer jetzigen Erfahrung wissen wir nun, dass der Aufpreis für diese Dienstleistung realistisch kalkuliert ist.“

Insgesamt 850000 Euro investierte Hauptner + Herberholz in Solingen – in eine Anlage, die fast schon an Osteuropa verloren schien. Die ursprüngliche Planung sah vor, einen Teil der Ohrmarkenproduktion zu einem Partner in die Slowakei auszulagern. So auch dieses Projekt. Nachdem die Fördergelder dafür nicht bewilligt wurden, musste man schließlich in Deutschland bleiben. „Zum Glück“, sagt Richter heute. „Die Anlage hier in Solingen zu errichten, das war der einzig richtige Weg. Wir sehen heute, dass man auch in Deutschland günstig und damit wettbewerbsfähig produzieren kann. Auf slowakische Abenteuer sind wir nicht mehr angewiesen.“

Sechs Millionen Rinderohrmarken pro Jahr schafft die neue Anlage im Dreischichtbetrieb bei einer Fünf-Tage-Woche. Bei Vollauslastung inklusive Samstag und Sonntag sind sogar neun Millionen drin. Derzeit liegt der Output bei vier bis fünf Millionen Rindermarken jährlich. Claus Richter und sein Team sind nun also bestens gerüstet, wenn dank kostenoptimierter Fertigung künftig noch mehr Ausschreibungen für Hauptner+ Herberholzentschiedenwerden.Christine Koblmiller

Bilder:Redaktion

„Auch unsere Zulieferer dürfen nicht zu groß sein.“

Plastverarbeiter:Herr Richter, in den Ohrmarken zur Kennzeichnung von Nutztieren steckt viel technologisches Know-how und stetig kommen neue Anforderungen auf Sie zu. Mit welchem Thema befassen Sie sich aktuell?
Richter: Zur Bekämpfung von Tierkrankheiten haben Ohrmarken, die gleichzeitig mit dem Einziehen eine Gewebeprobe gewinnen, große Bedeutung erlangt.Die Probe wird in ein mit der Tiernummer versehenes Probengefäß transferiert, welches dann an Labors zur Untersuchung geschickt wird. Ein teilautomatisiertes System zur Produktion dieser Marken – das ist es, woran wir zur Zeit arbeiten.

Plastverarbeiter: Wie groß ist Ihre Entwicklungsabteilung?
Richter:Sehr klein. Diese besteht aus unserem Spritzgießleiter, Jürgen Riegel, unserem Vorarbeiter,Serdar Seyfi, und mir selbst. Wir haben keine eigene Konstruktionsabteilung und deshalb viel Konstruktions-Know-how direkt im Fertigungsteam aufgebaut.

Plastverarbeiter:Sie behaupten sich im hart umkämpften Markt für Tierohrmarken gegenüber größeren Wettbewerbern. Ist da Ihre kleine Organisationsstruktur vielleicht gerade ein Vorteil, weil Sie spontaner und flexibler auf die Anforderungen des Marktes reagieren können als größere Unternehmen?
Richter:Das ist sicher einer der Gründe. Wenn wir alle unsere Themen nach den Regeln desProjektmanagements betreiben wollten, bräuchten wir erstens mehr Mitarbeiter und würden zweitens deutlich höhere Kosten erzeugen. Wo unsere eigenen Kapazitäten oder unser Know-how nicht ausreicht, arbeiten wir mit externen Partnern zusammen. Dabei ist es uns wichtig, dass auch diese Unternehmen nicht zu groß sind. Wir erwarten, dass auch unsere Partner schnell und flexibel auf unsere Wünsche reagieren können, so wie wir dies für unsere Abnehmer tun. Durch die Niederlassung in unserer Nähe war dafür auch der große Engel klein genug.

Plastverarbeiter: Welche Projekte stehen als nächstes an?
Richter:Beim Spritzgießen vonRindermarken haben wir alles ausgereizt. Noch kostengünstiger werden wir nicht produzieren können. Jetzt denken wir aber darüber nach, auch die nachfolgenden Verarbeitungsschritte zu optimieren. Die Ohrmarke ist schließlich erst dann fertig, wenn die Nummer aufgedruckt ist. Das ist jetzt eine Aufgabe, die noch vor uns liegt. Desweiteren könnten auch einige andere, kleinere Ohrmarken eine ähnliche Fertigung vertragen, was wir zur Zeit aus Kostengründen jedoch noch nicht umsetzen können.

Erhöhte Marktchancen
Drei in einem

Bisher wurden die nur wenige Millimeter großen Spitzen aus Polyamid separat gespritzt, aufwändig vereinzelt und für die Produktion des Dornteils der Tierohrmarken mittels Roboter in das Werkzeug einer weiteren Spritzgießmaschine eingelegt. Eine dritte Maschine fertigte die Lochteile. Der dreistufige Prozess erforderte Zeit, dieMaschinen Platz und das Teilehandling zu jeder Zeit die Aufmerksamkeit der Maschinenbediener. Mit der hochautomatisierten,integrierten Lösung konnten die Stückkosten nun erheblich reduziert werden. Dazu tragen vor allem die große Pufferkapazität der Anlage für die nächtliche Geisterschicht sowie die Zykluszeitreduktion um mehr als 40 Prozent bei.

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